Nr. 11/12
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
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eigentlich nicht bestanden haben; an sie geht er nur zögernd und niemals bis zur
endgültigen Stellungnahme und Entscheidung heran; Inhalt und Form, soweit sie
an der klassischen Kunstnorm gemessen werden kann, waren ihm alles; zur Psyche
der Form hat Kraus kein Verhältnis gefunden. Schneider hatte hier vielleicht
stärkere Instinkte, aber wo immer er in das Werden neuzeitlicher Kirchenkunst
eingriff, stand auch er im fesselnden Banne der Kunstgeschichte, selbst dann,
wenn er auf lebende Künstler — ich denke beispielsweise an Peter Halm — so
stark fördernden Einfluß ausübte. Be-
deutsam sind gewiß seine Anregungen
auf dem Gebiete des kirchlichen Kunst-
handwerks.
Schnütgen gehört in eine dritte Ka-
tegorie. Man braucht nur seine fortge-
führte künstlerische Vita zu verfolgen,
die seit 30 Jahren von ihm redigierte
„Zeitschrift für christliche Kunst", um
sich ein abgerundetes Bild von seinem
Wollen und seinem Können zu machen.
Colhgite fragmenta, ne pereant, sammelt
die Bruchstücke, damit sie nicht unter-
gehen, dieser sein Wahlspruch steht über
seiner Marmorbüste im Schnütgen-Mu-
seum. Sammelt die Bruchstücke! Er
sammelte sie in der greifbaren Gestalt
tausendfacher Antiquitäten, er sammelte
aber auch literarisch ungezählte verküm-
mernde und vergessene Objekte der
Kunstgeschichte und brachte sie dem
Interesse breiterer Kreise und vor allem
der Kunsthistoriker näher; er tat das in
seinen zahllosen Veröffentlichungen, die
in vorbildlicher, unübertroffener Präzi-
sion die Beschreibung bis zur plastischen
Vorstellung brachten, er tat es auch auf
den unter seiner Beihilfe und Ägide
inszenierten Kunstausstellungen. Mit
einem hervorragend praktischen Sinne
begabt, warf er sein Hauptaugenmerk
auf die äußere, auf die technische Seite
der mittelalterlichen Kunstdenkmäler.
Hier hat er besonders tief geschürft und manchen vergrabenen Schatz wieder
gehoben. Die heimische Kunstindustrie, vorerst die Paramentik, die Glasmalerei
und besonders die Goldschmiedekunst, verdanken Schnütgen bedeutsame An-
regungen, die zur Wiederaufnahme und vollkommenen Beherrschung alter Kunst-
techniken führten.
Wundern wir uns heute noch darüber, daß die Förderer christlicher Kunst
um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts und in den nachfolgenden Jahrzehnten
Abb. 9.
Kölnische Madonna d. XIII. Jalirh. (Sdinütgen^Mus.).
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
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eigentlich nicht bestanden haben; an sie geht er nur zögernd und niemals bis zur
endgültigen Stellungnahme und Entscheidung heran; Inhalt und Form, soweit sie
an der klassischen Kunstnorm gemessen werden kann, waren ihm alles; zur Psyche
der Form hat Kraus kein Verhältnis gefunden. Schneider hatte hier vielleicht
stärkere Instinkte, aber wo immer er in das Werden neuzeitlicher Kirchenkunst
eingriff, stand auch er im fesselnden Banne der Kunstgeschichte, selbst dann,
wenn er auf lebende Künstler — ich denke beispielsweise an Peter Halm — so
stark fördernden Einfluß ausübte. Be-
deutsam sind gewiß seine Anregungen
auf dem Gebiete des kirchlichen Kunst-
handwerks.
Schnütgen gehört in eine dritte Ka-
tegorie. Man braucht nur seine fortge-
führte künstlerische Vita zu verfolgen,
die seit 30 Jahren von ihm redigierte
„Zeitschrift für christliche Kunst", um
sich ein abgerundetes Bild von seinem
Wollen und seinem Können zu machen.
Colhgite fragmenta, ne pereant, sammelt
die Bruchstücke, damit sie nicht unter-
gehen, dieser sein Wahlspruch steht über
seiner Marmorbüste im Schnütgen-Mu-
seum. Sammelt die Bruchstücke! Er
sammelte sie in der greifbaren Gestalt
tausendfacher Antiquitäten, er sammelte
aber auch literarisch ungezählte verküm-
mernde und vergessene Objekte der
Kunstgeschichte und brachte sie dem
Interesse breiterer Kreise und vor allem
der Kunsthistoriker näher; er tat das in
seinen zahllosen Veröffentlichungen, die
in vorbildlicher, unübertroffener Präzi-
sion die Beschreibung bis zur plastischen
Vorstellung brachten, er tat es auch auf
den unter seiner Beihilfe und Ägide
inszenierten Kunstausstellungen. Mit
einem hervorragend praktischen Sinne
begabt, warf er sein Hauptaugenmerk
auf die äußere, auf die technische Seite
der mittelalterlichen Kunstdenkmäler.
Hier hat er besonders tief geschürft und manchen vergrabenen Schatz wieder
gehoben. Die heimische Kunstindustrie, vorerst die Paramentik, die Glasmalerei
und besonders die Goldschmiedekunst, verdanken Schnütgen bedeutsame An-
regungen, die zur Wiederaufnahme und vollkommenen Beherrschung alter Kunst-
techniken führten.
Wundern wir uns heute noch darüber, daß die Förderer christlicher Kunst
um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts und in den nachfolgenden Jahrzehnten
Abb. 9.
Kölnische Madonna d. XIII. Jalirh. (Sdinütgen^Mus.).