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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
Nr. 11/12
so exklusiv der Gotik das Wort redeten? Der
Kölner Dom reckte höher und höher seine stolzen
Arme zum Himmel empor; Gotik war Trumpf am
Rhein, im Süden, in Frankreich selbst und in Hol-
land. Und als das Studium und die Forschung
weiter zurückgnffen, trat auch der romanische Stil
bei Weiterblickenden in seine Rechte, besonders
die letzte Phase seiner Entwicklung am Rhein, die
infolge der verborgen keimenden gotischen Ten-
denzen stark malerische Qualitäten aufzuweisen
hatte, welche dem noch völlig romantisch ange-
hauchten Geschlechte besonders gefielen. Schnüt-
gen hat sich stets offen und ehrlich als Kind
seiner Zeit bekannt und er war stolz darauf, daß
er in den letzten Jahrzehnten Schritt zu halten
versucht hatte mit dem historischen Durchleben
der weiteren Stile. Eine Existenz einer sogenannten
deutschen Renaissance erkannte er richtig fühlend
nicht an; dem Barock aber gehörte vor allem in den
letzten zehn Jahren seine Hinneigung, weil, wie er
selbst gestand, in ihm gotische Prinzipien ein an-
deres neues Außenleben fanden.
Be1. Schnütgen war Kunsthistoriker und Kunst-
förderer eins geworden. Die
historische Brille setzte er nie-
mals ab, und weil ihm alles
das, was neuzeitliches Kunst-
wollen hervorbrachte, unaus-
geglichen und unfertig er-
schien, sprach er ihm die
Existenzberechtigung ab, vor
allem, wenn es hieß, neue
christliche und kirchliche
Kunst ins Dasein zu rufen.
Erst in seinen letzten Lebensjahren fand er für mancherlei
Erreichtes das rechte Wort der Duldung und Wertschätzung
und eine ehrliche, fundierte Hoffnung auf das Gesunden
dieser Zeitkunst wurde in ihm wach. In ihr Werden einzu-
greifen fühlte er sich zu alt, jüngeren Fachgenossen aber gab
er rückhaltlose Ermunterung zur Weiterarbeit mit auf den
Weg. ,,Wir Historiker haben leicht die Neigung, Monopole
auszusprechen,' sagte er mir vor nicht zu langer Zeit.
Möchten alle „Alten" so verständig und so ehrlich sein!
Wir treten dem Verstorbenen nicht zu nahe, wenn wir
hier, bevor wir seiner Hauptlebensarbeit uns zuwenden, in
Kürze auf die unter Schnüteens Führung und Aufsicht u , r . ', '. <
, . s . | . Holzfigur des beginnenden
entstandenen INeuschoprungen eingehen. Wie jeder räch- XIV. Jahrh.
Abb. 10.
Madonna, Würzburg, um 1500.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
Nr. 11/12
so exklusiv der Gotik das Wort redeten? Der
Kölner Dom reckte höher und höher seine stolzen
Arme zum Himmel empor; Gotik war Trumpf am
Rhein, im Süden, in Frankreich selbst und in Hol-
land. Und als das Studium und die Forschung
weiter zurückgnffen, trat auch der romanische Stil
bei Weiterblickenden in seine Rechte, besonders
die letzte Phase seiner Entwicklung am Rhein, die
infolge der verborgen keimenden gotischen Ten-
denzen stark malerische Qualitäten aufzuweisen
hatte, welche dem noch völlig romantisch ange-
hauchten Geschlechte besonders gefielen. Schnüt-
gen hat sich stets offen und ehrlich als Kind
seiner Zeit bekannt und er war stolz darauf, daß
er in den letzten Jahrzehnten Schritt zu halten
versucht hatte mit dem historischen Durchleben
der weiteren Stile. Eine Existenz einer sogenannten
deutschen Renaissance erkannte er richtig fühlend
nicht an; dem Barock aber gehörte vor allem in den
letzten zehn Jahren seine Hinneigung, weil, wie er
selbst gestand, in ihm gotische Prinzipien ein an-
deres neues Außenleben fanden.
Be1. Schnütgen war Kunsthistoriker und Kunst-
förderer eins geworden. Die
historische Brille setzte er nie-
mals ab, und weil ihm alles
das, was neuzeitliches Kunst-
wollen hervorbrachte, unaus-
geglichen und unfertig er-
schien, sprach er ihm die
Existenzberechtigung ab, vor
allem, wenn es hieß, neue
christliche und kirchliche
Kunst ins Dasein zu rufen.
Erst in seinen letzten Lebensjahren fand er für mancherlei
Erreichtes das rechte Wort der Duldung und Wertschätzung
und eine ehrliche, fundierte Hoffnung auf das Gesunden
dieser Zeitkunst wurde in ihm wach. In ihr Werden einzu-
greifen fühlte er sich zu alt, jüngeren Fachgenossen aber gab
er rückhaltlose Ermunterung zur Weiterarbeit mit auf den
Weg. ,,Wir Historiker haben leicht die Neigung, Monopole
auszusprechen,' sagte er mir vor nicht zu langer Zeit.
Möchten alle „Alten" so verständig und so ehrlich sein!
Wir treten dem Verstorbenen nicht zu nahe, wenn wir
hier, bevor wir seiner Hauptlebensarbeit uns zuwenden, in
Kürze auf die unter Schnüteens Führung und Aufsicht u , r . ', '. <
, . s . | . Holzfigur des beginnenden
entstandenen INeuschoprungen eingehen. Wie jeder räch- XIV. Jahrh.
Abb. 10.
Madonna, Würzburg, um 1500.