Nr
/12
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
131
Nun weilt Schnütgen unter den Toten, und jetzt, wo er von uns geschieden,
überblicken wir erst recht die Größe und Bedeutung dessen, was er geleistet, was
er der Öffentlichkeit geschenkt hat. Als er 1910 im Oktober seine Riesensammlung
am Hansaplatz in Köln der Öffentlichkeit übergab, faßte die Stadt Köln ihren
Dank in die denkbar glänzendste Form: s e ernannte ihn zu ihrem Ehrenbürger.
Und, wie das Oberhaupt der Stadt in der Gedenkrede auf Schnütgen vor dem
Stadtverordnetenkollegium sagte, er w a r wirklich ein Ehren bürger der rheini-
schen Metropole; mehr noch:
er war ein Ehrenbürger seiner
deutschen Heimat überhaupt,
ein Ehrenbürger auch des wei-
ten schönen Reiches der christ-
lichen Kunst, für die er lebte,
arbeitete und starb. Opera
enim sequuntur lllos — ihre
Werke folgen ihnen nach, so
heißt es im Totenoffizium, das
Schnütgen in seinem Leben
tausendmal als Priester gebetet.
Seine Werke folgen ihm nach,
sie reichen über das Grab hin-
aus. Das tun sie vor allem des-
halb, weil sie, diese Werke, ge-
tan wurden aus einem ganz
seltenen persönlichen Opfer-
mut heraus. Wer ahnt denn
und weiß denn, wie der Ver-
storbene sich buchstäblich
selbst ausgezogen, um sein
großes Testament an die Öf-
fentlichkeit machen zu kön-
nen ? Eine Einfachheit und
Anspruchslosigkeit, wie wir
Menschenkinder sie, durch die
Not gezwungen, erst in den
hinter uns liegenden Kriegs-
jahren kennen lernen mußten,
hat den verstorbenen Schnütgen seit Jahrzehnten umgeben. Davon kannte er
nur eine Ausnahme: wenn Gastfreundschaft ein Mehr zu fordern schien. Für
sich selbst kannte er keine materiellen Bedürfnisse. Ihn ehrte und zierte auch
das stadtbekannt gewordene dünne Lüsterjöppchen, ihn zierten die derben Haus-
macherschuhe mit den protzigen Flicken, die soliden, mehr als reichlich gestopften
grauen Strümpfe, die bei seinem majestätischen Gange vorwitzig unter seinen
etwas hoch geschürzten Hosenrohren über die Straße weglugten, ihn schmückte
auch der altersgraue Hut, ein ergiebiger Nährboden für Pilze und Moose, ein
Modell, das wir sonst nur noch aus Bilderbüchern und aus den Märchen aus
Vätertagen kennen. Was gewöhnliche Sterbliche zum Schneider und zum Schuster,
Abb. 25.
Kruzifix, um 1300.
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ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST.
131
Nun weilt Schnütgen unter den Toten, und jetzt, wo er von uns geschieden,
überblicken wir erst recht die Größe und Bedeutung dessen, was er geleistet, was
er der Öffentlichkeit geschenkt hat. Als er 1910 im Oktober seine Riesensammlung
am Hansaplatz in Köln der Öffentlichkeit übergab, faßte die Stadt Köln ihren
Dank in die denkbar glänzendste Form: s e ernannte ihn zu ihrem Ehrenbürger.
Und, wie das Oberhaupt der Stadt in der Gedenkrede auf Schnütgen vor dem
Stadtverordnetenkollegium sagte, er w a r wirklich ein Ehren bürger der rheini-
schen Metropole; mehr noch:
er war ein Ehrenbürger seiner
deutschen Heimat überhaupt,
ein Ehrenbürger auch des wei-
ten schönen Reiches der christ-
lichen Kunst, für die er lebte,
arbeitete und starb. Opera
enim sequuntur lllos — ihre
Werke folgen ihnen nach, so
heißt es im Totenoffizium, das
Schnütgen in seinem Leben
tausendmal als Priester gebetet.
Seine Werke folgen ihm nach,
sie reichen über das Grab hin-
aus. Das tun sie vor allem des-
halb, weil sie, diese Werke, ge-
tan wurden aus einem ganz
seltenen persönlichen Opfer-
mut heraus. Wer ahnt denn
und weiß denn, wie der Ver-
storbene sich buchstäblich
selbst ausgezogen, um sein
großes Testament an die Öf-
fentlichkeit machen zu kön-
nen ? Eine Einfachheit und
Anspruchslosigkeit, wie wir
Menschenkinder sie, durch die
Not gezwungen, erst in den
hinter uns liegenden Kriegs-
jahren kennen lernen mußten,
hat den verstorbenen Schnütgen seit Jahrzehnten umgeben. Davon kannte er
nur eine Ausnahme: wenn Gastfreundschaft ein Mehr zu fordern schien. Für
sich selbst kannte er keine materiellen Bedürfnisse. Ihn ehrte und zierte auch
das stadtbekannt gewordene dünne Lüsterjöppchen, ihn zierten die derben Haus-
macherschuhe mit den protzigen Flicken, die soliden, mehr als reichlich gestopften
grauen Strümpfe, die bei seinem majestätischen Gange vorwitzig unter seinen
etwas hoch geschürzten Hosenrohren über die Straße weglugten, ihn schmückte
auch der altersgraue Hut, ein ergiebiger Nährboden für Pilze und Moose, ein
Modell, das wir sonst nur noch aus Bilderbüchern und aus den Märchen aus
Vätertagen kennen. Was gewöhnliche Sterbliche zum Schneider und zum Schuster,
Abb. 25.
Kruzifix, um 1300.