Ter Sprachmeister.
„Auf diese Melodie setzte ich einen Dämpfer. Ich er-
klärte meinem Vater, wie sehr sich meine Verhältnisse geändert,
ich müsse doch erst sehen, ob Anna noch für niich passend
wäre — und ging dann zum Müller, in einer verzweifelten
Stimmung und genullt die erste beste Gelegenheit eines Zer-
würfnisses vom Zaune zu brechen. — Ich sollte nicht darum
verlegen sein!"
„Ich erwartete, Anna werde mir entgcgenfliegen, um
den Hals fallen; allein sie empfing mich kalt und schüchtern.
Da drang ihr Vater in sic, mir doch ein polnisches Willkom-
men zu bieten. Mit bebender Stimme hanchre sic einige Worte
in einer ganz fremden Sprache hin. „Aber, Herr Schwicger-
papa, das ist ja nicht polnisch, was unsere Anna spricht!"
„„Nicht polnisch?"" rief der Müller erbleichend, und
griff nach einem Buche, das ans dem Tische lag. „„Ist
denn das nicht polnisch?""
„Ich nahm das Buch, sah hinein, und hahaha! — mußte
gerade heraus lachen. Das arme Mädchen hatte laleinisch
statt polnisch gelernt."
Tie kleine Gesellschaft stimmte in die Heiterkeit des
Erzählers ein, dieser aber fuhr fort:
„Wie ich so unartig lachte, entfloh Anna, der Müller
war auch ganz consternirt und ich hatte nicht viel Mühe
fortznkommen."
„Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von
j Annens Latein, das schadenfrohe Dorf hatte nicht genug zu
klatschen; da aber der Müller nicht zu uns kam, ich ihm
keinen zweiten Besuch machte, der Spott des Dorfes überdies
an beiden Familien hetzte, so wurde die Kluft zwischen ihnen
alle Tage größer und artete endlich in offene Feindschaft
zwischen dem Müller und meinem Vater aus. Niemand
war froher wie ich, doppelt froh, als ich das ganze Klein-
städterthnm hinter mir hatte, die Lokomotive wieder brauste
und mich in Warschau schöne Arme freudig empfingen."
„„Und Anna?"" frng Jemand ans der Gesellschaft,
„„was ist aus ihr geworden?""
„Sie soll in einem bedauerlichen Zustande sein," sagte
der junge Kaufmann, „das Latein ist ihr znr fixen Idee
geworden, sie stndirt es ununterbrochen und soll schon so
gelehrt lvie ein Professor sein. Von dem elenden Lehrer
aber, der das Mädchen so hintergangen, konnte der Müller
nie etwas erfahren".
Ich hatte genug gehört, stand ans und eilte in mein
Zimmer, der Undank gegen den Müller trat drohend vor
meine Augen und die Liebe zu seiner Tochter erwachte mit
alter Gluth. Für den raschen stolzen Kaufmann war sie
allerdings nicht, mir aber konnte sie die liebreichste Lebens-
gefährtin werden, die treueste Freundin!
Am Orte meiner Bestimmung angekommen, suchte ich
sogleich meine , alte Quartierfrau auf, die mir stets eine
zweite Mutter war. Sic mußte nach ©t** reisen und bei
dem Müller für mich intervcniren. Ihre Mission gelang
vortrefflich. Anna lvurde gar nicht in's Geheimniß gezogen,
99
der Müller gab mir die Erlaubniß, seine Tochter zu über-
raschen und bei ihr selbst zu werben.
Eines schönen Herbsttages kam ich trotz Amt und Würde
zu Fuße nach dem wohlbekannten St**, trat durch das offene
Gatter in des Müller's Garten ein, ein rothes Kleid glänzte
durch die letzte Laube — ich schlich hin. Da saß Anna,
etwas bleich, doch schöner als je, meinen Horaz hielt sie in
der Hand und schien in ernste traurige Gedanken versenkt.
Das Buch entfiel ihr, als sie mich sah, ich aber kniete
vor ihr nieder und bedeckte ihre Hand mit Thränen und Küssen.
Anna ivnßte nur, daß ich sie betrogen hatte, sie wußte
nicht, daß ich reuig zu ihren Füßen zurückgekehrt; dennoch
stieß sie mich nicht von sich, sie ließ ihre Hand in der meinen
und ihr Auge füllte sich mit Thränen, sie liebte niich! unsere
Seelen wohnten und schmolzen ja im unsichtbaren Lande
immer zusammen, und als wir uns im sichtbaren wieder
begegneten, fanden die Herzen sich bekannter wieder!
Doch Alles eilt seiner Vollendung zu; schon nach weni-
gen Wochen saßen wir in der Stadt beim Hochzeitstische, der
Müller am Ehrenplatz, rings herum meine Freunde, meine alte
Pflegemutter hatte vollauf zu thun, der Primus meiner Klasse
aber hielt dem neuen Ehepaar eine lange lateinische Rede.
„Auf diese Melodie setzte ich einen Dämpfer. Ich er-
klärte meinem Vater, wie sehr sich meine Verhältnisse geändert,
ich müsse doch erst sehen, ob Anna noch für niich passend
wäre — und ging dann zum Müller, in einer verzweifelten
Stimmung und genullt die erste beste Gelegenheit eines Zer-
würfnisses vom Zaune zu brechen. — Ich sollte nicht darum
verlegen sein!"
„Ich erwartete, Anna werde mir entgcgenfliegen, um
den Hals fallen; allein sie empfing mich kalt und schüchtern.
Da drang ihr Vater in sic, mir doch ein polnisches Willkom-
men zu bieten. Mit bebender Stimme hanchre sic einige Worte
in einer ganz fremden Sprache hin. „Aber, Herr Schwicger-
papa, das ist ja nicht polnisch, was unsere Anna spricht!"
„„Nicht polnisch?"" rief der Müller erbleichend, und
griff nach einem Buche, das ans dem Tische lag. „„Ist
denn das nicht polnisch?""
„Ich nahm das Buch, sah hinein, und hahaha! — mußte
gerade heraus lachen. Das arme Mädchen hatte laleinisch
statt polnisch gelernt."
Tie kleine Gesellschaft stimmte in die Heiterkeit des
Erzählers ein, dieser aber fuhr fort:
„Wie ich so unartig lachte, entfloh Anna, der Müller
war auch ganz consternirt und ich hatte nicht viel Mühe
fortznkommen."
„Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von
j Annens Latein, das schadenfrohe Dorf hatte nicht genug zu
klatschen; da aber der Müller nicht zu uns kam, ich ihm
keinen zweiten Besuch machte, der Spott des Dorfes überdies
an beiden Familien hetzte, so wurde die Kluft zwischen ihnen
alle Tage größer und artete endlich in offene Feindschaft
zwischen dem Müller und meinem Vater aus. Niemand
war froher wie ich, doppelt froh, als ich das ganze Klein-
städterthnm hinter mir hatte, die Lokomotive wieder brauste
und mich in Warschau schöne Arme freudig empfingen."
„„Und Anna?"" frng Jemand ans der Gesellschaft,
„„was ist aus ihr geworden?""
„Sie soll in einem bedauerlichen Zustande sein," sagte
der junge Kaufmann, „das Latein ist ihr znr fixen Idee
geworden, sie stndirt es ununterbrochen und soll schon so
gelehrt lvie ein Professor sein. Von dem elenden Lehrer
aber, der das Mädchen so hintergangen, konnte der Müller
nie etwas erfahren".
Ich hatte genug gehört, stand ans und eilte in mein
Zimmer, der Undank gegen den Müller trat drohend vor
meine Augen und die Liebe zu seiner Tochter erwachte mit
alter Gluth. Für den raschen stolzen Kaufmann war sie
allerdings nicht, mir aber konnte sie die liebreichste Lebens-
gefährtin werden, die treueste Freundin!
Am Orte meiner Bestimmung angekommen, suchte ich
sogleich meine , alte Quartierfrau auf, die mir stets eine
zweite Mutter war. Sic mußte nach ©t** reisen und bei
dem Müller für mich intervcniren. Ihre Mission gelang
vortrefflich. Anna lvurde gar nicht in's Geheimniß gezogen,
99
der Müller gab mir die Erlaubniß, seine Tochter zu über-
raschen und bei ihr selbst zu werben.
Eines schönen Herbsttages kam ich trotz Amt und Würde
zu Fuße nach dem wohlbekannten St**, trat durch das offene
Gatter in des Müller's Garten ein, ein rothes Kleid glänzte
durch die letzte Laube — ich schlich hin. Da saß Anna,
etwas bleich, doch schöner als je, meinen Horaz hielt sie in
der Hand und schien in ernste traurige Gedanken versenkt.
Das Buch entfiel ihr, als sie mich sah, ich aber kniete
vor ihr nieder und bedeckte ihre Hand mit Thränen und Küssen.
Anna ivnßte nur, daß ich sie betrogen hatte, sie wußte
nicht, daß ich reuig zu ihren Füßen zurückgekehrt; dennoch
stieß sie mich nicht von sich, sie ließ ihre Hand in der meinen
und ihr Auge füllte sich mit Thränen, sie liebte niich! unsere
Seelen wohnten und schmolzen ja im unsichtbaren Lande
immer zusammen, und als wir uns im sichtbaren wieder
begegneten, fanden die Herzen sich bekannter wieder!
Doch Alles eilt seiner Vollendung zu; schon nach weni-
gen Wochen saßen wir in der Stadt beim Hochzeitstische, der
Müller am Ehrenplatz, rings herum meine Freunde, meine alte
Pflegemutter hatte vollauf zu thun, der Primus meiner Klasse
aber hielt dem neuen Ehepaar eine lange lateinische Rede.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Sprachmeister"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 27.1857, Nr. 639, S. 99
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg