Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

DOI Artikel:
Bayersdorfer, W.: Münchener Frühjahrsausstellungen
DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0223

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
423

Nekrologe — Personalien

424

Einer eifrigen Fürsorge kann sich in München
die allermodernste Malerei erfreuen, jene neue Kunst,
die jedes intensivere Naturstudium veneint, sogar für
geistige Feigheit erklärt und in Gauguin, Malisse und
Picasso ihre letzten Anreger sieht, von denen aus-
gehend sie immer tiefer in das Geheimnis der wahren
Seelenmalerei einzudringen trachtet. Wir haben hier
gegenwärtig drei Gruppen, die diese verheißenden Pfade
wandeln: die »Neue Münchener Künstlervereinigung«,
den »Blauen Reiter«, der jüngst eine allgemein er-
heiternde Ausstellung in der Buchhandlung Golz ver-
anstaltet hat, und die Künstlervereinigung »Sema«,
die eben bei Thannhauser zum erstenmal vor das
Publikum tritt.1) All diesen Künstlergruppen ist eines
eigentümlich, der ausgiebige Gebrauch literarischer
Hilfsmittel, um den Beschauer durch das Wort von
der Richtigkeit ihrer Ideen und dem Wert ihrer
Schöpfungen zu überzeugen, da den Kunstwerken
selbst diese Fähigkeit nicht innezuwohnen und auch
von den eigenen Verfertigern nicht ganz zugetraut
zu werden scheint. Nun würde man Unrecht tun,
wollte man alle Anhänger dieser extremen Richtungen
schlechthin in einen Topf werfen und ihnen jeden
Zusammenhang mit wirklicher Kunst absprechen. Es
sind Leute darunter, die etwas Gutes anstreben und
mit heiligem Ernst für ihre Sache kämpfen. Die
große Gefahr und das Unheil liegt aber darin, daß
die neuen Lehren auch dem talentlosesten Stümper,
dem charakterlosen Schwindler und dem Psychopathen
in einer Weise Gelegenheit geben, sich neben den
Ehrlichen zu stellen, wie es bisher in der Kunst ganz
unmöglich war, da das Erfordernis eines gewissen
Maßes handwerklichen Könnens wenigstens äußerlich
noch eine kleine Schranke bedeutete. Nachdem diese
aber gefallen, steht das Gebiet der Kunst nun jedem,
der sonst keine innere Berechtigung dazu hat, zur
eigenen Betätigung frei und der bedeutende Zulauf
beweist, daß man die Gelegenheit wahrnimmt. Von
unsern einheimischen Vereinigungen zeigt sich die
»Sema« als die gemäßigtste; sie ist auch diejenige,
die wirkliche Begabungen aufzuweisen hat, wie Gustav
Jagersbacher, dessen vier Bilder sämtlich innern Wert
haben und Produkte eines ehrlichen Empfindens und
Wollens sind. Ebenso zeigt die Landschaft A. Frickes
»Spaziergänger« ein bedeutenderes Talent, das auch
in den figürlichen Werken wie den »Einfältigen« etwas
Gutes will, hier jedoch noch nicht über die nötige
Kraft verfügt. Lebendig und ansprechend sind die
Radierungen Ad. Schinnerers, solid, ohne jede Extra-
vaganzen das Bild »Die Vorstadt« von F.W. Schülein.
Dagegen halte ich Max Oppenheimer zwar für einen
sehr begabten, jedoch durchaus ungesund und patho-
logisch empfindenden Künstler. Bei Edwin Scharff
scheint eine vielleicht unbewußte künstlerische An-
regung bis in die Renaissancezeit zurückzuverfolgen
zu sein. Ähnliche Empfindung in der Darstellung
menschlicher Körper tritt schon bei Signorelli auf
und erfährt ihre glänzendste Ausbildung und An-
wendung bei Michelangelo. Die Zuchtlosigkeit unserer

1) Inzwischen hat sich schon wieder eine neue, mit
dem Namen »Mosaik« gebildet (s. Sp. 432 dieser Nummer).

Zeit gibt aber, wo die die genannten Meiser Voll-
endetes geschaffen haben, nur Fragmente und begnügt
sich mit aphoristischen Andeutungen, da ihr die Kraft
fehlt, das ursprüngliche künstlerische Erlebnis durch
eine länger dauernde handwerkliche Tätigkeit hindurch
lebendig zu erhalten. Auf die übrigen Mitglieder
der Sema, die in F. Gerstel auch einen nicht unbe-
gabten Bildhauer besitzt, weiter einzugehen, verbieten
deren Werke und der mir zur Verfügung stehende
Raum in gleicher Weise. Vielleicht werden einige
von ihnen dieser Vereinigung später den Rücken
kehren und sich — zum Nutzen für beide Teile —
dem blauen Reiter in die Arme werfen, in dessen
erheiternder Gesellschaft ja P. Klee z. B. sein Rößlein
schon früher getummelt hatte.

Zum Schluß noch die Nachricht, daß im National-
museum kürzlich drei neue Säle eröffnet wurden,
von denen zwei eine vorübergehende Ausstellung von
Zeichnungen AI. Bibienas und verschiedener Schweizer
und deutscher Meister des 15.—19. Jahrhunderts be-
herbergen, während in dem mittleren eine reiche Anzahl
Renaissance- und Barockbronzen (z. T. Nachbildungen
nach Antiken) untergebracht ist.

W. BA YERSDORFER.

NEKROLOGE
-f- München. In der Nacht vom 1. auf 2. Mai starb
hier der bekannte Kupferstecher Johann Burger, Ehren-
mitglied der Kgl. bayer. Akademie. Geboren 31. Mai 182g
in Burg in der Schweiz, kam er 1850 nach München, wo
er bis 1856 an der Akademie studierte, arbeitete dann in
Dresden, Florenz und Rom und ließ sich 1859 wieder in
München nieder, um diesen Wohnsitz auch bis an sein
Lebensende festzuhalten. Bekannt sind seine zahlreichen
Stiche nach alten und modernen Meistern, namentlich Cor-
nelius und Schraudolph.

Der Bildhauer Professor Otto Stichling ist in Berlin,
46 Jahre alt, gestorben (geb. in Ohrdruf bei Gotha am
10. April 1866). Er war Lehrer an der Charlottenburger
Kunstgewerbeschule. Eine lebensgroße Bronzegruppe,
»Junges Weib«, befindet sich in der Nationalgalerie. Auch
schuf er den plastischen Schmuck für öffentliche Gebäude
in Charlottenburg, Wiesbaden und anderen Orten.

Professor Dr. Johann Rudolf Rahn, ordentlicher
Professor für Kunstgeschichte an der Universität und der
eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, ist im
Alter von 71 Jahren gestorben (geb. 24. April 1841 in Zürich).
Mit ihm ist einer der feinsten und gründlichsten Kenner
der Kunstentwicklung seiner schweizerischen Heimat dahin-
gegangen. Neben seiner umfassenden »Geschichte der
bildenden Künste in der Schweiz von den ältesten Zeiten
bis zum Ausgang des Mittelalters«, die 1876 zuerst erschien,
gibt es eine Reihe weiterer Arbeiten von ihm, die das
Resultat der Durchforschung der Kunstaltertümer seines
Heimatlandes enthalten. Als akademischer Lehrer erfreute
er sich hoher Wertschätzung bei den Studierenden.

PERSONALIEN
+ München. Heinrich Wölfflin hat am 29. April,
von einem außerordentlich zahlreichen Auditorium freudigst
begrüßt, seine erste Münchener Vorlesung über »Ent-
wicklungsgeschichte der neueren Kunst« begonnen.

Berlin. Prof. Dr. Adolf Goldschmidt, der Nach-
folger Heinrich Wölfflins, begann seine Vorlesungen an
 
Annotationen