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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0279

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BESPRECHUNGEN. 273

Darstellung des Nackten durch das erotische Bedürfnis motiviert war. »Nicht nur,
daß das Genitale in provokanter Absicht stark modelliert ist; auch die sekundären
Geschlechtsformen — Hinterteil und Bauch und Oberschenkel — sind in einem
erotischen Sinn übermäßig stark betont. Monolithe, die auf französischem Boden
gefunden wurden, verraten dieselben Absichten: auf diesen Steinen ist bloß die
Form eines weiblichen Busens herausgehauen. Sie sind der plastische Ausdruck
eines inbrünstigen erotischen Stammeins, einer noch kaum künstlerisch artikulierten
Urbegierde.« Aber es ist fraglich, ob das Erotische damals diese Umsetzungen
finden konnte, wo Gelegenheit zur Befriedigung fast immer vorhanden war, und ob
nicht kultische Bedürfnisse (z. B. Fruchtbarkeitszauber) eher im Hintergrunde jener
Leistungen stehen. Wie dem auch sei — ich maße mir hier gewiß kein entscheiden-
des Urteil an — das Problem darf nicht dadurch verdunkelt werden, daß wir ange-
sichts dieser Darstellungen an Erotisches denken und unseren eigenen Eindruck
einfach um paar Jahrtausende zurückschieben.

Aber es wäre ungerecht, nach diesen Proben das Buch Hausensteins beurteilen
zu wollen. Es bietet in Einzeluntersuchungen vielfach Ausgezeichnetes, und bis-
weilen tauchen auch Gedanken auf, denen Großzügigkeit nicht abzusprechen ist.
Keiner wird ganz ohne Gewinn das Buch lesen; und die meisten werden gar
manches aus ihm lernen können. Unsere Pflicht war es vor allem die Methode
klarzulegen, und sie ist nicht Hausensteins Stärke. Hoffentlich findet er bis zur
nächsten Auflage des Werkes — das schon als reiches Bilderbuch auf starken Ab-
satz rechnen kann — Gelegenheit, durch manche Umarbeitung seine Darstellung
zu vertiefen, damit sie nicht nur anregt und aufregt, sondern überzeugt.

Rostock i. M.

Emil Utitz.

TheodorLipps, ZurEinfühlung. Sonderausgabe der »Psychologischen Unter-
suchungen«, II. Bd., 2. und 3. Heft. Verlag von Wilhelm Engelmann in
Leipzig, 1913. 8°, S. 111—491.
Ein sehr bemerkenswerter Zug in der ästhetischen Forschung der letzten Jahre
ist das Zurücktreten des Einfühlungsgedankens und die scharfe Kritik, die an ihm
geübt wird. Ich habe in meinem Sammelbericht über »Ästhetik und allgemeine
Kunstwissenschaft« (Erster Band der Jahrbücher der Philosophie, Berlin 1913) Art und
Weise dieser Strömung zu kennzeichnen versucht. Gegen sie kämpft nun Lipps an,
indem er aufs neue in ausführlichen Untersuchungen die Bedeutung und die Trag-
weite der Einfühlung zu rechtfertigen strebt. Und ich glaube, es wird nur wenige
geben, die dieses Buch aus der Hand legen, ohne von staunender Bewunderung
vor dem meisterhaften Scharfsinn erfüllt zu sein, mit dem hier Lipps schwierigste
Probleme aufrollt und von immer neuen Seiten beleuchtet. Reife des Könnens und
jugendlicher Elan machen die Lektüre dieses durchaus nicht leicht geschriebenen
Werkes zu einer Quelle tiefsten Genusses; und geradezu dramatisch bewegt sind
jene Stellen, wo Lipps in vielfachen Wiederholungen tiefer und tiefer in eine Frage
sich eingräbt, um Geschautes aussprechen zu können, bewußt dessen, wie schwach
das Wort ist, und wie wenig die Dinge treffend, die in feinsten Verflechtungen sich
verweben. Da blitzen bisweilen Feinheiten der Analyse auf, denen gegenüber das
meiste der älteren Psychologie stumpf und roh erscheint. Dem Kritiker aber erwächst eine
unüberwindliche Schwierigkeit; er müßte lange Partien des Werkes abschreiben, um
von seinem blendenden Reichtum eine angemessene Vorstellung zu geben, und be-
schränkt er sich auf reinliche Herausschälung durchgehender Grundprobleme, wird
der Ertrag ärmlich und steht in keinem Verhältnis zu der dargebotenen Fülle. Denn

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. IX. 18
 
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