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Allgemeine Kunst-Chronik.
In stürmischer Nacht wird das Julfest gefeiert,
unter ohrenzerreißendem Gelärm ein menschliches Opfer
herbeigeschleppt und von den Druiden auf dem Altare
verbrannt. Ungestüm wilde Tänze begleiten diese Zere-
monie. Das nächste Bild zeigt das Pharaonenland. Aus
der Wüste ragen die Memnonssäulen. Das Volle feiert
das jährliche Dankfest zu Ehren des Nilgottes. Um den
plötzlich verendeten Apis wird ein Trauerreigen getanzt,
wobei ein Zug schwarzgekleideter Weiber vor herbem
Weh sich schier verkrümmt, und der neue Osiris-Apis
im feierlichen Umzug an's Ufer gebracht. Von Egypten
nach dem örtlich und kulturell nahen Palästina ist der
Sprung nicht weit.
Ein fesselndes Bild altisraelitischen Lebens steht
vor Augen. König David erwartet am Fuße einer Treppe
kniend die goldstrahlende Bundeslade und führt vor ihr
sein Tänzchen auf, während das Volle huldigend mit
Ölzweigen fächelt. Nachdem so einer übermäßigen Er-
hitzung seiner israelitischen Majestät glücklich vorgebeugt
worden, führt uns das nächste Bild in das noch unver-
schwefelte Pompeji. Hier wohnen wir einem prunkvollen
Marsfest an, bei welchem Gladiatorenkämpfe, ein Hoch-
zeitszug und ein feuriges Bacchanale unsere Aufmerksam-
keit fesseln und die ehrwürdigen cives romani sich als
ganz nette, umgängliche Leute erweisen.
Die zweite Abtheilung führt in's Mittelalter über;
zunächst wieder in den Orient. Am glänzenden Hofe der
Abbassiden zu Bagdad lungert Harun al Raschid mit
seiner Favoritin auf einer Ottomane. Die schöne Olaija
scheint den Herrscher aus seiner Apathie nicht recht
aufriitteln zu können. Erst ein virtuos ausgeführter Bienen-
tanz belebt die Lebensgeister des müden Khalifen, der
denn auch für das ihm gewährte Vergnügen gnädigen
Beifall zollt. Aus der folgenden Szene strömt heimatlicher
Erdgeruch in vollen Zügen. Hier schauen wir ein poesie-
umflossenes Bild deutschen Lebens. Walther von der Vogel-
weide kommt zur Burg Mödling geritten und spielt, unter
einer Linde lagernd, auf seiner Geige eines seiner
Lieder, dessen fade, süßliche Melodie dem Hörer einiges
Übelbefinden verursacht. Der inzwischen herbeigeeilte
Schlossherr sammt seinen Damen und Rittern findet
nichtsdestoweniger das lebhafteste Gefallen an diesem
Vortrag. Auch die Dorfbewohner werden von der frohen
Stimmung miterfasst und vergnügen sich an einem
Springtanz, während ein Chor hinter der Bühne eine
muntere Weise absingt. Auf die traulich berührende
Gestalt des Minnesängers folgt ein Bild des pedantisch
abgezirkelten Hoflebens des bourbonischen „Sonnen-
königs".
Eine ganze Musterkarte von zeremoniellen Hof-
tänzen wird da aufgerollt. Der alterthümliche Branle, die
ungebundene Volte, die zierliche Kourante, die feierliche
Pavane, die würdevolle Sarabande, Menuett, Gavotte und
Fackeltanz schreiten in mehr oder minder majestätischem
Tempo an uns vorüber. Zu Beginn der dritten Abtheilung
taucht ein mit den Porträts Lanner's und Strauß sen.'s
geschmücktes Standbild auf, nur um sofort einer lang-
weiligen, endlos breit ausgesponnenen Szene Platz zu
machen, welche das abscheuerfüllte Entsetzen eines an
den Überlieferungen der Zopfzeit festhaltenden alten
Tanzmeisters vor den hastigen Tänzen der Neuzeit
schildert. Die etwas gestörte Stimmung stellt das nächste
Bild wieder her, das ein modernes Vergnügungs-Eta-
blissement vorstellt. Nach einer rasch erledigten Serie
von englischen, schottischen, irischen und spanischen
Nationaltänzen beschließt ein toller Kankan das moderne
Fest. Nach dieser Orgie ausgelassener Fröhlichkeit ge-
rathen wir unversehens in die Sagenwelt. Ein Tanz der
Bergkobolde in einer Gnomenhöhle, vor Allem aber ein
Hexentanz auf dem Blocksberg, wo die Walpurgisnacht
von allerlei Unholden, dem Gefolge des auf kahler Felsen-
spitze mit grässlich verzerrten Zügen thronenden Satans,
bei heulendem Sturmwind unter wirrem Getöse begangen
wird, versetzen uns in starres Staunen. Muss diesem
grausigen Bilde eine packende Wirkung zuerkannt werden,
so macht der in zauberischem Mondlichte erglitzernde
Nixenteich mit seinen den nächtlichen Reigen tanzenden
Wassergeistern einen feenhaften Eindruck. Nach diesem
verwunderlichen Abstecher in's Dämonen- und Geister-
reich gelangen wir endlich zur unvermeidlichen Apo-
theose. Das „Reich des Frohsinns" thut sich auf. Man
sieht zwei Pyramiden, also vier Langreihen von rosafarbig
gekleideten blutjungen Mädchengestalten und im Vorder-
gründe das ganze Corps de ballet in eiligem Wirbel hin
und her hüpfen, ein verwirrendes Durcheinanderwogen
blühender Leiber, währenddessen die Muse der Tanz-
kunst, die ihre Wanderung beendigt, auf einem von licht-
schimmernden Blumen umwundenen Säulenknaufe in die
Wolken steigt.
In diesem blendenden Riesen-Diorama gibt es auch
außerdem noch zu hören. Wenigstens hat sich Herr Josef
Bayer die Mühe genommen, eine Partitur zusammen-
zulöthen, die, mild geurtheilt, als erfindungsleere Ton-
kleckserei bezeichnet werden muss. Wenn ihm nur irgend
ein guter Einfall gekommen wäre, aber nichts als dieses
farblos fortleiernde Notengewimmel im Orchester klingeln
zu hören, das ist doch gar zu ärmlich und nichtssagend
Auch wo er mit Anstand fremdes Eigenthum abborgen
könnte, verleitet ihn sein falscher Ehrgeiz, uns statt
Lully, Rameau und Gluck seine eigenen physiognomie-
losen, wässerigen Produkte vorzusetzen. Glücklicher-
weise fehlt Einem die Zeit, darauf za achten, und
so hat der an musikalischer Auszehrung leidende Kom-
ponist Gelegenheit genug, seine kunstlosen Künste uns
vorzumachen, und erlebt die Genugthuung, dass das
Publikum ruhig sitzen bleibt und vor diesem entsetzlich
faden musikalischen Waschwasser nicht einfach Reißaus
nimmt. Dr. Max Dietz.
* *
*
Mittwoch, den 31. December 1890.
Das Burgtheater hat das Publikum am letzten
Abend des alten Jahres durch einen lustigen Einakter
noch recht angenehm unterhalten. „Der Maskenball"
heißt das kleine Lustspiel nach dem Englischen. Der
Name des Verfassers ist auf dem Zettel nicht genannt
Von der englischen Bühne kommt jetzt selten etwas zu
uns herüber; die Skandinavier sind es, die uns neben
den Franzosen in den beiden letzten Jahrzehnten haupt-
sächlich mit dem versorgen, was unsere Theater vom
Ausland bedürfen. Und das Wenige, was wir von drüben
Neues erhalten, ist dann fast immer sehr leichte Waare.
So streift auch das Lustspiel „Der Maskenball" an das
Possenhafte und verdiente eigentlich die Bezeichnung
Allgemeine Kunst-Chronik.
In stürmischer Nacht wird das Julfest gefeiert,
unter ohrenzerreißendem Gelärm ein menschliches Opfer
herbeigeschleppt und von den Druiden auf dem Altare
verbrannt. Ungestüm wilde Tänze begleiten diese Zere-
monie. Das nächste Bild zeigt das Pharaonenland. Aus
der Wüste ragen die Memnonssäulen. Das Volle feiert
das jährliche Dankfest zu Ehren des Nilgottes. Um den
plötzlich verendeten Apis wird ein Trauerreigen getanzt,
wobei ein Zug schwarzgekleideter Weiber vor herbem
Weh sich schier verkrümmt, und der neue Osiris-Apis
im feierlichen Umzug an's Ufer gebracht. Von Egypten
nach dem örtlich und kulturell nahen Palästina ist der
Sprung nicht weit.
Ein fesselndes Bild altisraelitischen Lebens steht
vor Augen. König David erwartet am Fuße einer Treppe
kniend die goldstrahlende Bundeslade und führt vor ihr
sein Tänzchen auf, während das Volle huldigend mit
Ölzweigen fächelt. Nachdem so einer übermäßigen Er-
hitzung seiner israelitischen Majestät glücklich vorgebeugt
worden, führt uns das nächste Bild in das noch unver-
schwefelte Pompeji. Hier wohnen wir einem prunkvollen
Marsfest an, bei welchem Gladiatorenkämpfe, ein Hoch-
zeitszug und ein feuriges Bacchanale unsere Aufmerksam-
keit fesseln und die ehrwürdigen cives romani sich als
ganz nette, umgängliche Leute erweisen.
Die zweite Abtheilung führt in's Mittelalter über;
zunächst wieder in den Orient. Am glänzenden Hofe der
Abbassiden zu Bagdad lungert Harun al Raschid mit
seiner Favoritin auf einer Ottomane. Die schöne Olaija
scheint den Herrscher aus seiner Apathie nicht recht
aufriitteln zu können. Erst ein virtuos ausgeführter Bienen-
tanz belebt die Lebensgeister des müden Khalifen, der
denn auch für das ihm gewährte Vergnügen gnädigen
Beifall zollt. Aus der folgenden Szene strömt heimatlicher
Erdgeruch in vollen Zügen. Hier schauen wir ein poesie-
umflossenes Bild deutschen Lebens. Walther von der Vogel-
weide kommt zur Burg Mödling geritten und spielt, unter
einer Linde lagernd, auf seiner Geige eines seiner
Lieder, dessen fade, süßliche Melodie dem Hörer einiges
Übelbefinden verursacht. Der inzwischen herbeigeeilte
Schlossherr sammt seinen Damen und Rittern findet
nichtsdestoweniger das lebhafteste Gefallen an diesem
Vortrag. Auch die Dorfbewohner werden von der frohen
Stimmung miterfasst und vergnügen sich an einem
Springtanz, während ein Chor hinter der Bühne eine
muntere Weise absingt. Auf die traulich berührende
Gestalt des Minnesängers folgt ein Bild des pedantisch
abgezirkelten Hoflebens des bourbonischen „Sonnen-
königs".
Eine ganze Musterkarte von zeremoniellen Hof-
tänzen wird da aufgerollt. Der alterthümliche Branle, die
ungebundene Volte, die zierliche Kourante, die feierliche
Pavane, die würdevolle Sarabande, Menuett, Gavotte und
Fackeltanz schreiten in mehr oder minder majestätischem
Tempo an uns vorüber. Zu Beginn der dritten Abtheilung
taucht ein mit den Porträts Lanner's und Strauß sen.'s
geschmücktes Standbild auf, nur um sofort einer lang-
weiligen, endlos breit ausgesponnenen Szene Platz zu
machen, welche das abscheuerfüllte Entsetzen eines an
den Überlieferungen der Zopfzeit festhaltenden alten
Tanzmeisters vor den hastigen Tänzen der Neuzeit
schildert. Die etwas gestörte Stimmung stellt das nächste
Bild wieder her, das ein modernes Vergnügungs-Eta-
blissement vorstellt. Nach einer rasch erledigten Serie
von englischen, schottischen, irischen und spanischen
Nationaltänzen beschließt ein toller Kankan das moderne
Fest. Nach dieser Orgie ausgelassener Fröhlichkeit ge-
rathen wir unversehens in die Sagenwelt. Ein Tanz der
Bergkobolde in einer Gnomenhöhle, vor Allem aber ein
Hexentanz auf dem Blocksberg, wo die Walpurgisnacht
von allerlei Unholden, dem Gefolge des auf kahler Felsen-
spitze mit grässlich verzerrten Zügen thronenden Satans,
bei heulendem Sturmwind unter wirrem Getöse begangen
wird, versetzen uns in starres Staunen. Muss diesem
grausigen Bilde eine packende Wirkung zuerkannt werden,
so macht der in zauberischem Mondlichte erglitzernde
Nixenteich mit seinen den nächtlichen Reigen tanzenden
Wassergeistern einen feenhaften Eindruck. Nach diesem
verwunderlichen Abstecher in's Dämonen- und Geister-
reich gelangen wir endlich zur unvermeidlichen Apo-
theose. Das „Reich des Frohsinns" thut sich auf. Man
sieht zwei Pyramiden, also vier Langreihen von rosafarbig
gekleideten blutjungen Mädchengestalten und im Vorder-
gründe das ganze Corps de ballet in eiligem Wirbel hin
und her hüpfen, ein verwirrendes Durcheinanderwogen
blühender Leiber, währenddessen die Muse der Tanz-
kunst, die ihre Wanderung beendigt, auf einem von licht-
schimmernden Blumen umwundenen Säulenknaufe in die
Wolken steigt.
In diesem blendenden Riesen-Diorama gibt es auch
außerdem noch zu hören. Wenigstens hat sich Herr Josef
Bayer die Mühe genommen, eine Partitur zusammen-
zulöthen, die, mild geurtheilt, als erfindungsleere Ton-
kleckserei bezeichnet werden muss. Wenn ihm nur irgend
ein guter Einfall gekommen wäre, aber nichts als dieses
farblos fortleiernde Notengewimmel im Orchester klingeln
zu hören, das ist doch gar zu ärmlich und nichtssagend
Auch wo er mit Anstand fremdes Eigenthum abborgen
könnte, verleitet ihn sein falscher Ehrgeiz, uns statt
Lully, Rameau und Gluck seine eigenen physiognomie-
losen, wässerigen Produkte vorzusetzen. Glücklicher-
weise fehlt Einem die Zeit, darauf za achten, und
so hat der an musikalischer Auszehrung leidende Kom-
ponist Gelegenheit genug, seine kunstlosen Künste uns
vorzumachen, und erlebt die Genugthuung, dass das
Publikum ruhig sitzen bleibt und vor diesem entsetzlich
faden musikalischen Waschwasser nicht einfach Reißaus
nimmt. Dr. Max Dietz.
* *
*
Mittwoch, den 31. December 1890.
Das Burgtheater hat das Publikum am letzten
Abend des alten Jahres durch einen lustigen Einakter
noch recht angenehm unterhalten. „Der Maskenball"
heißt das kleine Lustspiel nach dem Englischen. Der
Name des Verfassers ist auf dem Zettel nicht genannt
Von der englischen Bühne kommt jetzt selten etwas zu
uns herüber; die Skandinavier sind es, die uns neben
den Franzosen in den beiden letzten Jahrzehnten haupt-
sächlich mit dem versorgen, was unsere Theater vom
Ausland bedürfen. Und das Wenige, was wir von drüben
Neues erhalten, ist dann fast immer sehr leichte Waare.
So streift auch das Lustspiel „Der Maskenball" an das
Possenhafte und verdiente eigentlich die Bezeichnung