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Allgemeine Kunst-Chronik.
Sie hat den Kustoden zurückgewinkt. Ganz allein,
wehrlos, machtlos steht sie den Wundern dieses über-
wältigenden Rundblickes gegenüber. Brennendes Weh
im Herzen saugt sie dennoch mit weitgeöffneten
gierigen Augen die sie umgebende Schönheit ein. Wie
eine Verschmachtende öffnet sie die Lippen. Ihr wird
plötzlich so schwach zu Muthe, so schwarz vor den
Augen. Sie sinkt zu Boden. Aber noch einmal reißen
die Schleier vor ihren Blicken, noch einmal schaut sie
hinein in diese meerumbrandete, märchenfarbige Wunder-
welt des Südens. Dann sieht sie n;chts mehr. Doch
sonderbar, es fährt ihr durch den Sinn, dass sie dennoch,
dennoch gottbegnadet sei, dies Alles schauen zu dürfen.
Wie ein Friedenshauch streicht's über ihre Züge. Ein
Schme'terling, der sich in diese Höhe verirrt, setzt sich
auf die weißen, erkaltenden Lippen. Ihre Seele dämmert
hinüber, und sie wähnt noch beim letzten Versinken in
die Nacht des Jenseits, ein warmer Liebeskuss hauche
endlich, endlich auf ihrer Lippen Mund. Sie ist todt und
sie lächelt.
Der Schmetterling fliegt empor in den blauen Äther.
Er hat ihre Seele fortgeküsst, oder ist er ihre Seele
selber?
Und die Schönheit hat dies Weib getödtet, lang-
sam, systematisch. Doch im Tode schloss sie Frieden
mit ihr.
„Und leuchtend steht die Sonne des Homer."
Aus dem Tagebuche eines fahrenden
Wiener Malers.
In Prag.
Die Umgebungen meines geliebten Wien sind von
seltenem Reiz und seltener Mannigfaltigkeit, aber das
Bild der Stadt selbst ist nicht zu vergleichen mit dem
Prags. Darum sollte Jeder, der zum ersten Male nach
Prag kommt, vor allem Anderen nach dem großartigen
Kloster Strahow wandern, von welchem höchsten Punkte
der Stadt man die prachtvollste Aussicht auf die alte
böhmische Königsresidenz hat. Dann nehme man einen
Bädeker oder welchen Führer man sonst bei der Hand
hat — am besten den Arm eines unterrichteten, liebens-
würdigen Bekannten, wie ich einen gefunden hatte —
und besehe sich die Merkwürdigkeiten Prags in der
Nähe: die alten, interessanten Kirchen, die schönen,
alten Paläste der noch älteren feudalen böhmischen
Adelsfamilien, das Waldstein'sche Palais, das sich der
große Friedländer selbst gebaut, den romantischen,
düsteren Wyssehrad — die Burg Libussas — mit dem
reizenden Örtchen Podol unten an der Moldau. Am
Viehmarkte (jetzt Karlplatz) ist noch ein Überrest des
alten Rathhauses zu sehen, wo 1419 die wüthende Menge
unter Ziska die Rathsherren zu den Fenstern hinaus-
warf; soeben hatte man uns auf dem Hradschin, der
königlichen Burg, auch ein Fenster gezeigt, wo die
böhmischen Rebellen — etwa 200 Jahre später — die
kaiserlichen Räthe hinauswarfen, welche aber diesmal
auf einen Düngerhaufen fielen und mit dem Leben davon-
kamen. Dabei mag man sich erinnern, dass Börne —
wieder 200 Jahre später — schreibt: Minister fallen wie
Butterbrote: gewöhnlich auf die gute Seite. Gewiss
ein erklecklicher Fortschritt der Humanität! — Es ver-
steht sich, dass ich auch die Kunstsammlungen auf-
suchte und in der städtischen Galerie und Nostiz'schen
Gemäldesammlung treffliche Bilder fand, die freilich alle
zusammen nicht einer unserer Perlen: der Belvedere-,
Liechtenstein- oder Esterhazy-Galerie gleichgestellt werden
konnten. Noch zu voll von jenen mächtigen Eindrücken
war ich nach Art junger Residenzler zu wenig sorgsam
für das, was mir hier zu Gesichte kam.
Mein Prager Leben ließ sich übrigens gut an. Ich
hatte meine Empfehlungsschreiben abgegeben, war
überall freundlich, oft recht liebenswürdig empfangen
worden; meine Bilder fanden Beifall und regten alsbald
einige Persönlichkeiten von Bedeutung an, sicli von mir
malen zu lassen. Unter diesen war die dem Range nach
vornehmste Person in Prag — der Oberstburggraf (Statt-
halter) Graf Chotek, glücklicherweise ein schöner, geist-
reicher Kopf voll Leben und Ausdruck. — Ich jubilirte !
Da war ja schon ein Porträt für die in einigen Monaten
zu erwartende Kunstausstellung! Weniger glücklich war
ich mit dem Erzbischof, ein Freiherr v. Schrenk, ein
für seine hohe Stellung noch junger und sehr lebens-
lustiger Mann. Als er mein Empfehlungsschreiben ge-
lesen, rief er aus: „Ach wie schade, dass Sie zu spät
kommen! Ich lasse mich soeben „abschreiben", wie er
sich ausdrückte, auf das langweilige, geschmacklose Por-
trät anspielend, das ein renommirter Maler soeben von
ihm „anfertige". Und gleich hinterher wieder zu sitzen
— nein! Das bringe ich nicht zusammen — und wenn
Raffael vom Himmel herunterstiege!"
Ich drückte Sr. Eminenz recht aufrichtig mein Be-
dauern aus, denn wahrlich diesen Kopf hätte ich für ein
Dutzend andere nicht hingegeben! Das volle noch
blühende Gesicht, die schönen, so munteren Au;en, die
hohe, kräftige Gestalt — o ich würde ihn beredet haben,
den Harnisch anzulegen wie so mancher streitbare
Bischof des Mittelalters, dem das Schwert besser in der
Hand saß als der Krummstab! Die Prager Damen würden
mir beigestimmt haben.
Von diesen hocharisto kratischen Palästen weg stieg
ich oft in den 4. Stock eines Hauses in der Postgasse
und trat dort in eine — fast armselig möblirte Woh-
nung, in deren einem Zimmer ein Mann vor der Staffelei
saß, an einer kleinen, allerliebsten Landschaft herum-
pinselnd. Der Mann mochte etwa in der Mitte der Vier-
ziger stehen, stämmig, breitschulterig, mit einer großen
Glatze und mit einer kurzen Tabakspfeife im Munde.
Auf einem Sopha lag ein blühendes i6jähriges Mädchen,
auf einer Guitarre klimpernd, daneben an einem Tisch-
chen die kleine Schwester, unter beständigem Gemurmel
bald zeichnend, bald lesend. Das war der Maler Pipen-
hagen mit seinen Töchtern. Pipenhagen war als junger,
armer Handwerker (Knopfmacher) von Breslau nach Prag
gekommen, wo er seinem Drange zur Malerei in den
Feierstunden nachhing, so gut er konnte. Die Natur
hatte ihn offenbar zum bedeutenden Maler bestimmt, ein
feindliches Geschick aber war dagegen. Er fand keinen
Mäcen, der Lust und Verständnis genug gehabt hätte,
sich durch einen Schützling wie Pipenhagen einen
Namen zu machen, und erst in seinem reifen Mannes-
alter — zu spät — konnte er sich ganz und gar der
Kunst hingeben, fand aber auch dann nur gewissenlose,
Allgemeine Kunst-Chronik.
Sie hat den Kustoden zurückgewinkt. Ganz allein,
wehrlos, machtlos steht sie den Wundern dieses über-
wältigenden Rundblickes gegenüber. Brennendes Weh
im Herzen saugt sie dennoch mit weitgeöffneten
gierigen Augen die sie umgebende Schönheit ein. Wie
eine Verschmachtende öffnet sie die Lippen. Ihr wird
plötzlich so schwach zu Muthe, so schwarz vor den
Augen. Sie sinkt zu Boden. Aber noch einmal reißen
die Schleier vor ihren Blicken, noch einmal schaut sie
hinein in diese meerumbrandete, märchenfarbige Wunder-
welt des Südens. Dann sieht sie n;chts mehr. Doch
sonderbar, es fährt ihr durch den Sinn, dass sie dennoch,
dennoch gottbegnadet sei, dies Alles schauen zu dürfen.
Wie ein Friedenshauch streicht's über ihre Züge. Ein
Schme'terling, der sich in diese Höhe verirrt, setzt sich
auf die weißen, erkaltenden Lippen. Ihre Seele dämmert
hinüber, und sie wähnt noch beim letzten Versinken in
die Nacht des Jenseits, ein warmer Liebeskuss hauche
endlich, endlich auf ihrer Lippen Mund. Sie ist todt und
sie lächelt.
Der Schmetterling fliegt empor in den blauen Äther.
Er hat ihre Seele fortgeküsst, oder ist er ihre Seele
selber?
Und die Schönheit hat dies Weib getödtet, lang-
sam, systematisch. Doch im Tode schloss sie Frieden
mit ihr.
„Und leuchtend steht die Sonne des Homer."
Aus dem Tagebuche eines fahrenden
Wiener Malers.
In Prag.
Die Umgebungen meines geliebten Wien sind von
seltenem Reiz und seltener Mannigfaltigkeit, aber das
Bild der Stadt selbst ist nicht zu vergleichen mit dem
Prags. Darum sollte Jeder, der zum ersten Male nach
Prag kommt, vor allem Anderen nach dem großartigen
Kloster Strahow wandern, von welchem höchsten Punkte
der Stadt man die prachtvollste Aussicht auf die alte
böhmische Königsresidenz hat. Dann nehme man einen
Bädeker oder welchen Führer man sonst bei der Hand
hat — am besten den Arm eines unterrichteten, liebens-
würdigen Bekannten, wie ich einen gefunden hatte —
und besehe sich die Merkwürdigkeiten Prags in der
Nähe: die alten, interessanten Kirchen, die schönen,
alten Paläste der noch älteren feudalen böhmischen
Adelsfamilien, das Waldstein'sche Palais, das sich der
große Friedländer selbst gebaut, den romantischen,
düsteren Wyssehrad — die Burg Libussas — mit dem
reizenden Örtchen Podol unten an der Moldau. Am
Viehmarkte (jetzt Karlplatz) ist noch ein Überrest des
alten Rathhauses zu sehen, wo 1419 die wüthende Menge
unter Ziska die Rathsherren zu den Fenstern hinaus-
warf; soeben hatte man uns auf dem Hradschin, der
königlichen Burg, auch ein Fenster gezeigt, wo die
böhmischen Rebellen — etwa 200 Jahre später — die
kaiserlichen Räthe hinauswarfen, welche aber diesmal
auf einen Düngerhaufen fielen und mit dem Leben davon-
kamen. Dabei mag man sich erinnern, dass Börne —
wieder 200 Jahre später — schreibt: Minister fallen wie
Butterbrote: gewöhnlich auf die gute Seite. Gewiss
ein erklecklicher Fortschritt der Humanität! — Es ver-
steht sich, dass ich auch die Kunstsammlungen auf-
suchte und in der städtischen Galerie und Nostiz'schen
Gemäldesammlung treffliche Bilder fand, die freilich alle
zusammen nicht einer unserer Perlen: der Belvedere-,
Liechtenstein- oder Esterhazy-Galerie gleichgestellt werden
konnten. Noch zu voll von jenen mächtigen Eindrücken
war ich nach Art junger Residenzler zu wenig sorgsam
für das, was mir hier zu Gesichte kam.
Mein Prager Leben ließ sich übrigens gut an. Ich
hatte meine Empfehlungsschreiben abgegeben, war
überall freundlich, oft recht liebenswürdig empfangen
worden; meine Bilder fanden Beifall und regten alsbald
einige Persönlichkeiten von Bedeutung an, sicli von mir
malen zu lassen. Unter diesen war die dem Range nach
vornehmste Person in Prag — der Oberstburggraf (Statt-
halter) Graf Chotek, glücklicherweise ein schöner, geist-
reicher Kopf voll Leben und Ausdruck. — Ich jubilirte !
Da war ja schon ein Porträt für die in einigen Monaten
zu erwartende Kunstausstellung! Weniger glücklich war
ich mit dem Erzbischof, ein Freiherr v. Schrenk, ein
für seine hohe Stellung noch junger und sehr lebens-
lustiger Mann. Als er mein Empfehlungsschreiben ge-
lesen, rief er aus: „Ach wie schade, dass Sie zu spät
kommen! Ich lasse mich soeben „abschreiben", wie er
sich ausdrückte, auf das langweilige, geschmacklose Por-
trät anspielend, das ein renommirter Maler soeben von
ihm „anfertige". Und gleich hinterher wieder zu sitzen
— nein! Das bringe ich nicht zusammen — und wenn
Raffael vom Himmel herunterstiege!"
Ich drückte Sr. Eminenz recht aufrichtig mein Be-
dauern aus, denn wahrlich diesen Kopf hätte ich für ein
Dutzend andere nicht hingegeben! Das volle noch
blühende Gesicht, die schönen, so munteren Au;en, die
hohe, kräftige Gestalt — o ich würde ihn beredet haben,
den Harnisch anzulegen wie so mancher streitbare
Bischof des Mittelalters, dem das Schwert besser in der
Hand saß als der Krummstab! Die Prager Damen würden
mir beigestimmt haben.
Von diesen hocharisto kratischen Palästen weg stieg
ich oft in den 4. Stock eines Hauses in der Postgasse
und trat dort in eine — fast armselig möblirte Woh-
nung, in deren einem Zimmer ein Mann vor der Staffelei
saß, an einer kleinen, allerliebsten Landschaft herum-
pinselnd. Der Mann mochte etwa in der Mitte der Vier-
ziger stehen, stämmig, breitschulterig, mit einer großen
Glatze und mit einer kurzen Tabakspfeife im Munde.
Auf einem Sopha lag ein blühendes i6jähriges Mädchen,
auf einer Guitarre klimpernd, daneben an einem Tisch-
chen die kleine Schwester, unter beständigem Gemurmel
bald zeichnend, bald lesend. Das war der Maler Pipen-
hagen mit seinen Töchtern. Pipenhagen war als junger,
armer Handwerker (Knopfmacher) von Breslau nach Prag
gekommen, wo er seinem Drange zur Malerei in den
Feierstunden nachhing, so gut er konnte. Die Natur
hatte ihn offenbar zum bedeutenden Maler bestimmt, ein
feindliches Geschick aber war dagegen. Er fand keinen
Mäcen, der Lust und Verständnis genug gehabt hätte,
sich durch einen Schützling wie Pipenhagen einen
Namen zu machen, und erst in seinem reifen Mannes-
alter — zu spät — konnte er sich ganz und gar der
Kunst hingeben, fand aber auch dann nur gewissenlose,