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Allgemeine Kunstchronik: ill. Zeitschr. für Kunst, Kunstgewerbe, Musik, Theater u. Litteratur — 15.1891

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Allgemeine Kunst-Chronik. XV. Band Nr. 15
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https://doi.org/10.11588/diglit.73795#0457
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LITERATUR-BEILAGE.

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Eine Modellgeschichte aus der Barockzeit von Hans Grasberger.

Von weitem nimmt sich das fürstliche Schloss noch
stattlich und voinehm genug aus, aber die herrschaft-
liche Seele waltet längst nicht mehr darin. Wenn sich
ja zuweilen eine Hofhaltung einstellt, so ist sie die frühere
glänzende nicht mehr, und auf einige Dauer hat sie's in
den seltensten Fällen abgesehen.
Wie alle Welt, so sind auch die alten Geschlechter
der Unrast verfallen; sie sind zu fahrenden Leuten ge-
worden, für welche das bequeme Stadthaus so wenig als
der lieblichste Landsitz einen fesselnden Reiz hat. Vor
lauter gastlichen Besitzungen kommen sie zu keinem
rechten Heim mehr, und ihre festesten Anwesen werden
zu flüchtigen Lagerplätzen.
In ihrer Lebensführung sind sie vernüchtert, denn
noch haben sie die Revolutionsschrecken nicht gänzlich
verwunden; und der Umstand, dass neue begehrliche
Stände sich regen und nach Geltung ringen, verschüchtert
sie noch mehr. Daher die gesuchte Einfachheit ihres
Auftretens und äußeren Gehabens.
Einst war mit ihren schönen Titeln und Wappen
ein Machtbereich, ein Wirkungskreis, Amt und Würde
verbunden; sie waren auf ihren Burgen und Schlössern
weitreichende Gebieter, und das gab ihnen einen Halt;
sie hatten zu thun und zu schaffen, denn Herrscher-
gelüst ist ein mächtiger Ansporn zur Thätigkeit. Heut-
zutage sind ihre klingenden Vorzüge nur mehr für ihre
gesellschaftliche Stellung von Wert; sie führen mehr
noch als einst zur Ausschließlichkeit und engen ihnen
das Leben ein.
Oder verlohnt sich's noch, mit einer willigen Diener-
schar so umzuspringen wie weiland mit Hörigen, Unter-
thanen und Frohnpflichtigen ? Selbst der Reichthum der
Erbgesessenen siebt sich mehr und mehr zum Müßiggang
verurtheilt; er bildet auch keinen ansehnlichen Vorrang, da
ihn der nächstbeste Glückspilz zu überbieten vermag; und
will er sich bethätigen, so scheut er die alten Ziele, welche
Ruhmsinn und Verschönerung des Lebens ihm gewiesen,
und stürzt sich mit Vorliebe ins Wirtschaftliche, darin ihm
der plebejische Wettbewerb oft genug empfindliche Ein-
bußen und Kränkungen bereitet.
So ist der Glanz des Adels verblasst, und seine
Besitzfreude hat abgenommen.
Galt er einstens um seiner selbst willen, so setzt
nunmehr auch bei ihm jedes erhöhte Ansehen persön-
liche Tüchtigkeit voraus, und das hat er im Grunde mit
dem gewöhnlichen Sterblichen gemein.
Den fruchtbaren Boden, in welchem er früher
wurzelte, hat er verlassen oder verloren; mehr gelang-
weilt als das thätige Volk, hastet er auch mehr nach
Zerstreuung und Abwechslung; je wahlloser er dabei
verfährt, desto bälder verbraucht er Lebenskraft und Ge-
nussfähigkeit; seine Alterssorge und Weisheit heißt
sodann — Diät.
Der Anblick, der Besuch des fürstlichen Schlosses
rechtfertigt diese Erwägungen zur Genüge.

Breit ist die Straße, welche dasselbe mit der Stadt
verbindet; Kastanien besäumen sie, und der Sturm hat
in ihre Zeilen noch kaum eine Lücke gerissen. Die
Stämme sind zu großer Mächtigkeit erwachsen; weit und
reich verzweigen sich die Äste, und da^ Laubwerk ist
üppiger denn je, eine dunkle Schattenhalle bildend,
durch welche die Sonne nur in dünnen Strahlen bricht,
welche golden den Weg besprenkeln. Aber wo bleibt
die würdige Auffahrt? Was zögern die Läufer, die Vor-
reiter, das andalusische Sechsgespann, der ungarische
Viererzug, von weither leicht unterscheidbar an Farben
und Wappen, an dem bedächtigen Dreispitz des Kut-
schers so gut wie an den hellen Kappen der gelenken
Bursche, welche sich hintauf geschwungen? Nach einer
besternten Brust, nach spanisch-steifen Frauenmienen
hascht ja des Pöbels Blick so gern über den Wagen-
schlag hinweg durch die Glasfenster des sich gemächlich
in den Federn wiegenden Wagens oder der noch sachter
einherschwebenden Sänfte. Und di.se Herrlichkeit rauscht
und rasselt so glitzernd und lebensfreudig vorüber, als
wollte sie's mit den einfallenden spielenden Lichtern
aufnehmen. Ja, so war's vormals.
Heutzutage aber kommt den breiten Laubengang
daher ab und zu ein schlendernder Städter, ein einsamer
Grübler oder ein Arbeiter, der Feierabend gemacht hat,
oder ein Bäuerlein, wie solches schon damals den
Schlössern wenig hold war, oder eine Mietkutsche, deren
Insassen neugierige Fremde sind. An Sonn- und Feier-
tagen gibt's mehr Lustwandler, doch es ist meist bürger-
liches Pack, was sich da ans zahme Schloss heranwagt.
Das Parkthor that sich früher vielleicht nur erwarteten
Gästen auf und gestattete unebenbürtigen Augen nur
durchs großmaschige Eisengitter verstohlenen Einblick.
Jetzt steht der eine Flügel offen, und der andere scheint
daran zu sein, einzurosten.
Die Parklandschaft, welche in gemessenem Ab-
stande das Schloss umgibt, weist seltene Bäume, wirkungs-
volle Gruppen, schöne Durchblicke und Fernsichten, die
saftigsten Matten und muntersten Wasser auf; aber sie gilt
für feucht, seit sie ihrem stillen Behagen, ihrem eigenen
Genügen überlassen ist. Man kann sich aus der willigen
Natur einen Ziergarten, einen Lusthain gestalten; sobald
sie sich jedoch vernachlässigt glaubt, fällt sie rasch und
rascher in ihr elementares Weben und Brüten zurück.
Stolz hebt sich aus dem Grünen das Schloss empor;
es will aber mit seinen Eckthürmen und seinem Man-
sardendach eher für festlich als für trotzig gelten, eher
gastfreundlich als wehrhaft aussehen. Es soll mit so
vielen Fenstern, als das Jahr Tage zählt, in die Runde
blicken, doch diese Augen sind zum größten Theil
blind, weil verhängt und verschalt. Ein Graben umgibt
den schönen Bau, aber er ist grün bewachsen; auf seinem
Grunde lagern und äsen junge Hirsche — darnach lässt
sich ermessen, wie sehr der geräumige Herrensitz der
Vereinsamung überantwortet worden. Eine Brücke führt
 
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