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nur, indem ich die Namen Rheinfels und St. Goar, Bacharach, Bingen, Ellfeld
und Biberich ausspreche, dass jeder meiner Leser im Stande sey sich diese
Gegenden in der Erinnerung hervorzurufen.“
Am 21. September schrieb Goethe wieder den ersten datierten Brief von
Frankfurt aus.
Hatten die ersten Ausflüge nach Nassau einen heilsamen Einfluss auf die
Stimmung des jungen Goethe und infolge der Ordnungsliebe seines Aufsehers
und Begleiters auf seinen Ordnungssinn ausgeübt, so war die Lahnreise viel-
leicht von noch grösserer Bedeutung für den jungen Mann. Der etwas zweifel-
hafte Ausgang des Orakels drängte die Neigung zur darstellenden Kunst zurück, die
Übung im Zeichnen wurde lässiger betrieben, und um so mächtiger wurde der
Trieb und die Kunst dichterischer Gestaltung des Erlebten, von der alsbald
die Leiden des jungen Werther 1774 Zeugnis ablegten. Goethe wurde so dem
Elemente endgiltig zugewiesen, zu dem er geboren war, in dem er die höchste
Vollendung erreichen sollte. Indessen versäumte er das Zeichnen nicht, und
auch darin brachte er es, wie er denn ein scharfer Beobachter der Natur war
und den Griffel sicher zu handhaben lernte, zu einer mehr als gewöhnlichen
Fertigkeit.
Sein öfterer Aufenthalt auf dem Schlosse zu Dornburg gab ihm später
Gelegenheit die Erinnerung an die schönen Lahngegenden aufzufrischen; denn
hier waren viele Darstellungen ihrer bunten Landschaften aufgehängt und er-
freuten das Auge des Beschauers.* * * * * 8)
IV. 1774, Sindlingen.
Sindlingen, heute ein Dorf des Kreises Höchst, gehörte bis zu Jahre 1803
zu dem Kurfürstentum Mainz, Amtsvogtei Höchst; so ist das Fest, welches
Goethe am 30. Mai 1774 hier mitbeging, eigentlich dem Kreis unserer Dar-
stellung fremd, doch dürfen wir es wohl nicht ganz übergehen.
An dem oben bezeichneten Tage feierten der Kaufmann Johann Maria
Allesina und seine Frau Franziska Clara, geborene Brentano, das Fest ihrer
goldenen Hochzeit auf einem Gute ihres Schwiegersohnes Schweizer zu Sind-
lingen. Goethe stand damals, wie wir wissen, in naher Verbindung zu der
Familie La Roche; Maximiliane, die Tochter des Hauses (1756—1793), hatte
einige Monate vorher den Kaufmann und kurtrierischen Residenten zu Frankfurt
Peter Anton Brentano geheiratet9), und so war er auch mit dieser Familie in
Beziehung getreten. Daher wurde denn auch er zu dem festlichen Tage einge-
laden und tanzte flott mit. An die Mutter der Maxe, die „Mama“ Sophie von
La Roche, berichtet er darüber also10):
8) C. A. H. Burkhardt, Goethes Unterhaltungen mit dem Kanzler Fr. v. Müller,
1870, 8. 21. — 9) Die Proklamation des Paares war am 26. Dezember 1773 zu Frankfurt er-
folgt; Mar. Belli-Gontard, Leben in Frankfurt VI. 48. Der Kurfürst von Trier genehmigte,
dass die Trauung in der Hofkirehe zu Koblenz stattflnde (Sonntag, den 9. Januar 1774).
G. v. Loeper, Briefe Goethes an Sophie v. La Roche, S. XX. — l0) v. Loeper, a a. 0.,
8. 41. Goethes Werke, Weim, Ausgabe IV, 2, 163.
nur, indem ich die Namen Rheinfels und St. Goar, Bacharach, Bingen, Ellfeld
und Biberich ausspreche, dass jeder meiner Leser im Stande sey sich diese
Gegenden in der Erinnerung hervorzurufen.“
Am 21. September schrieb Goethe wieder den ersten datierten Brief von
Frankfurt aus.
Hatten die ersten Ausflüge nach Nassau einen heilsamen Einfluss auf die
Stimmung des jungen Goethe und infolge der Ordnungsliebe seines Aufsehers
und Begleiters auf seinen Ordnungssinn ausgeübt, so war die Lahnreise viel-
leicht von noch grösserer Bedeutung für den jungen Mann. Der etwas zweifel-
hafte Ausgang des Orakels drängte die Neigung zur darstellenden Kunst zurück, die
Übung im Zeichnen wurde lässiger betrieben, und um so mächtiger wurde der
Trieb und die Kunst dichterischer Gestaltung des Erlebten, von der alsbald
die Leiden des jungen Werther 1774 Zeugnis ablegten. Goethe wurde so dem
Elemente endgiltig zugewiesen, zu dem er geboren war, in dem er die höchste
Vollendung erreichen sollte. Indessen versäumte er das Zeichnen nicht, und
auch darin brachte er es, wie er denn ein scharfer Beobachter der Natur war
und den Griffel sicher zu handhaben lernte, zu einer mehr als gewöhnlichen
Fertigkeit.
Sein öfterer Aufenthalt auf dem Schlosse zu Dornburg gab ihm später
Gelegenheit die Erinnerung an die schönen Lahngegenden aufzufrischen; denn
hier waren viele Darstellungen ihrer bunten Landschaften aufgehängt und er-
freuten das Auge des Beschauers.* * * * * 8)
IV. 1774, Sindlingen.
Sindlingen, heute ein Dorf des Kreises Höchst, gehörte bis zu Jahre 1803
zu dem Kurfürstentum Mainz, Amtsvogtei Höchst; so ist das Fest, welches
Goethe am 30. Mai 1774 hier mitbeging, eigentlich dem Kreis unserer Dar-
stellung fremd, doch dürfen wir es wohl nicht ganz übergehen.
An dem oben bezeichneten Tage feierten der Kaufmann Johann Maria
Allesina und seine Frau Franziska Clara, geborene Brentano, das Fest ihrer
goldenen Hochzeit auf einem Gute ihres Schwiegersohnes Schweizer zu Sind-
lingen. Goethe stand damals, wie wir wissen, in naher Verbindung zu der
Familie La Roche; Maximiliane, die Tochter des Hauses (1756—1793), hatte
einige Monate vorher den Kaufmann und kurtrierischen Residenten zu Frankfurt
Peter Anton Brentano geheiratet9), und so war er auch mit dieser Familie in
Beziehung getreten. Daher wurde denn auch er zu dem festlichen Tage einge-
laden und tanzte flott mit. An die Mutter der Maxe, die „Mama“ Sophie von
La Roche, berichtet er darüber also10):
8) C. A. H. Burkhardt, Goethes Unterhaltungen mit dem Kanzler Fr. v. Müller,
1870, 8. 21. — 9) Die Proklamation des Paares war am 26. Dezember 1773 zu Frankfurt er-
folgt; Mar. Belli-Gontard, Leben in Frankfurt VI. 48. Der Kurfürst von Trier genehmigte,
dass die Trauung in der Hofkirehe zu Koblenz stattflnde (Sonntag, den 9. Januar 1774).
G. v. Loeper, Briefe Goethes an Sophie v. La Roche, S. XX. — l0) v. Loeper, a a. 0.,
8. 41. Goethes Werke, Weim, Ausgabe IV, 2, 163.