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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 27.1895

DOI Artikel:
Otto, Friedrich: Goethe in Nassau
DOI Artikel:
I. 1763-1764
DOI Artikel:
II. 1765
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https://doi.org/10.11588/diglit.70471#0067

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beschäftigte; er selbst fügt der Erzählung hinzu, wie er sie benutzte und was
für eine wohlthätige Folge sich für ihn daran anschloss. Er fährt nämlich
also fort:
„Diese ganze Tour, von der sich mein Vater manches Blatt versprach,
wäre beinahe ohne Frucht gewesen: denn welcher Sinn, welches Talent, welche
Übung gehört nicht dazu, eine weite und breite Landschaft als Bild zu begreifen!
Unmerklich wieder zog es mich jedoch ins Enge, wo ich einige Ausbeute fand:
denn ich traf kein verfallenes Schloss, kein Gemäuer, das auf die Vorzeit hin-
deutete, dass ich es nicht für einen würdigen Gegenstand gehalten und so gut
als möglich nachgebildet hätte. Selbst den Drusenstein auf dem Walle zu
Mainz zeichnete ich mit einiger Gefahr und mit Unstatten3), die jeder erleben
muss, der sich von Reisen einige bildliche Erinnerungen mit nach Hause nehmen
will. Leider hatte ich abermals nur das schlechteste Conceptpapier mitge-
nommen, und mehrere Gegenstände unschicklich auf Ein Blatt gehäuft; aber
mein väterlicher Lehrer liess sich dadurch nicht irre machen; er schnitt die
Blätter auseinander, liess das Zusammenpassende durch den Buchbinder auf-
ziehen, fasste die einzelnen Blätter in Linien und nöthigte mich dadurch wirklich,
die Umrisse verschiedener Berge bis an den Rand zu ziehen und den Vorder-
grund mit einigen Kräutern und Steinen auszufüllen. Konnten seine treuen
Bemühungen auch mein Talent nicht steigern, so hatte doch dieser Zug seiner
Ordnungsliebe einen geheimen Einfluss auf mich, der sich späterhin auf mehr
als Eine Weise lebendig erwies.“
II. 1765.
Zum zweiten Male finden wir Goethe in Nassau im Jahre 1765; er
besuchte damals Wiesbaden. Was ihn dahin führte, in welcher Gesellschaft
er sich befand u. s. w., ist aus der einzigen Quelle, der wir diese Kunde ver-
danken, nicht ersichtlich. Er muss sich längere Zeit hier aufgehalten haben;
am 19. Juli erhielt er einen Brief seiner Schwester Cornelie, den er am 21. des-
selben Monats beantwortete, ohne von einem Zeitpunkte der Rückkehr zu reden.
Auch wo er wohnte, ist nur zu vermuten. Wenn sich hinter seinem Hause ein
Garten befand, so scheint das Gast- oder Badhaus, welches ihn beherbergte,
am Abhange des Berges, der sich längs der einen Seite der Langgasse erhebt,
gelegen zu haben, und da bleibt für Leute seines Standes kaum eine andere
Wahl anzunehmen, als dass er im „Adler“ oder im „Schützenhofe“ gewohnt habe;
denn die andern ähnlich gelegenen Häuser entbehren entweder des Gartens
oder waren damals meist nur von Leuten niederen Herkommens aufgesucht,
wie die Kurlisten aus den späteren Jahren, aus denen sie noch erhalten sind,
ausweisen.
Der Brief, den er an Cornelie schrieb, lautet also4):
3) Das mittelhochdeutsche unstate ist jetzt äusser Gebrauch; es bedeutet eigentlich
hilflose, ungünstige Lage, dann auch Mühe, Ungeschick. Lexer, mhd. Wörterbuch. — 4) Er
ist abgedruekt im Goethe-Jahrbuch VII, S. 3 (1886) und in der Weimarer Ausgabe von Goethes
Werken IV, I (1887), S. 6.

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