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erstes Kornschneiden; die Burg zu Gelnhausen, die ihn bald näher beschäftigen
sollte, zieht seine Aufmerksamkeit auf sich; er verzeichnet: „Würde und Enge,
Lust zu zieren ohne Gefühl der Verhältnisse.“ Hanau fesselte ihn einen Tag,
da er hier Freunde besuchen wollte, doch traf er den Geh. Rat v. Leonhard
nicht zu Hause, da er im Bade zu Schwalbach weilte48), dagegen zeigten ihm
sein Faktor Joh. Menge und Schwager Blum vieles, was er zu sehen wünschte;
auch das Leislerische Haus und Hofintendant Schaumburg43 44) wurden aufgesucht.
Am Abend herrliche Beleuchtung der Dörfer und Villen des linken (Main-)
Ufers. Der 29. Juli war der Vaterstadt gewidmet, wo am Abend zuvor eine
Illumination wegen Ankunft des Königs von Preussen stattgefunden hatte. Der
Dichter machte einen Spaziergang vor das Thor und durch einen Teil der
neuen Anlagen; es mögen liebliche Bilder der Erinnerung ihm vorgeschwebt
haben, aber auch Gedanken an die Freunde, die er in der Zwischenzeit hier
verloren hatte. So war er nicht zu Besuchen aufgelegt, nur die zwei Brüder
Schlosser, Fritz und Christian, sah er und tauschte sich mit ihnen aus; Fritz
Schlosser besorgte zudem seine Geldgeschäfte zu Frankfurt, auf die er für
seinen Kuraufenthalt gerechnet hatte. Um 6 Uhr, als sich eben ein Gewitter
auftürmte, verliess er die Stadt und traf um 11 Uhr zu Wiesbaden ein, wo
ihn Zelter empfing. So hatte er in fünf Tagen, in die freilich auch ein
längerer Aufenthalt zu Hanau und Frankfurt fällt, sein Ziel erreicht.
3. Der erste Tag, 30. Juli 1814.
Eins der angesehensten Bad- und Gasthäuser, an dessen Stelle schon
zur Zeit der Römer, wie später entdeckte Funde beweisen, Bäder bestanden,
war das Bad- und Gasthaus zum Adler. Als im Laufe des 15. Jahrhunderts
die Schildnamen der Gasthäuser zu Wiesbaden aufkamen, erhielt es den Namen
„zu der Kannen“ oder „zu der Kante“ und erscheint so zum erstenmale im
Jahre 1505.45) Hundert Jahre später vertauschte es ihn mit der Bezeichnung
„zum roten“, dann „zum güldenen Adler“; noch im Laufe des 18. Jahrhunderts
ragte das Bild eines goldenen doppelten Reichsadlers auf einem Schilde weit
in die Strasse hinein. Wenn Goethe, der hier zuerst Wohnung nahm, das
Haus zum „weissen Adler“ nennt, so irrte er, da der Adler nie die Bezeich-
nung weiss oder, wie der verdiente Geschichtsschreiber Schenck bemerkt,
schwarz führte.46) Hier also stieg Goethe zuerst ab, wahrscheinlich weil seine
Wohnung im „Bären“ noch nicht frei war; erst am 5. August zog er dahin
über. Das Badhaus zum Bären war eins der vornehmsten, wie es schon zur
Zeit des dreissigjährigen Krieges bezeichnet wird; reicht sein Alter auch nicht
in die Römerzeit zurück, so muss es doch schon im Mittelalter bestanden haben;
der Name „zum Bern“ erscheint zum erstenmale im Jahre 1471. Es bezog
sein Badewasser aus der Adlerquelle und erwarb zu dem alten Besitz im Jahre
43) K. C. v. Leonhard, Aus unserer Zeit in meinem Leben 1854, I, S. 440. — 44) Vgl.
Goethe, Kunstschätze am Rhein u. s. w. unter Hanau. — 45) F. Otto, Merkerbuch der Stadt
Wiesbaden, S. 74 f. — 4S) Schenck, Geschicht-Beschreibung der Stadt Wiesbaden 1758, S. 445
u. 446, nennt das Haus „zum schwarzen Adler“, verbesserte aber in seinem noch erhaltenen
Handexemplar das Wort „schwarz“ in „gülden“.
erstes Kornschneiden; die Burg zu Gelnhausen, die ihn bald näher beschäftigen
sollte, zieht seine Aufmerksamkeit auf sich; er verzeichnet: „Würde und Enge,
Lust zu zieren ohne Gefühl der Verhältnisse.“ Hanau fesselte ihn einen Tag,
da er hier Freunde besuchen wollte, doch traf er den Geh. Rat v. Leonhard
nicht zu Hause, da er im Bade zu Schwalbach weilte48), dagegen zeigten ihm
sein Faktor Joh. Menge und Schwager Blum vieles, was er zu sehen wünschte;
auch das Leislerische Haus und Hofintendant Schaumburg43 44) wurden aufgesucht.
Am Abend herrliche Beleuchtung der Dörfer und Villen des linken (Main-)
Ufers. Der 29. Juli war der Vaterstadt gewidmet, wo am Abend zuvor eine
Illumination wegen Ankunft des Königs von Preussen stattgefunden hatte. Der
Dichter machte einen Spaziergang vor das Thor und durch einen Teil der
neuen Anlagen; es mögen liebliche Bilder der Erinnerung ihm vorgeschwebt
haben, aber auch Gedanken an die Freunde, die er in der Zwischenzeit hier
verloren hatte. So war er nicht zu Besuchen aufgelegt, nur die zwei Brüder
Schlosser, Fritz und Christian, sah er und tauschte sich mit ihnen aus; Fritz
Schlosser besorgte zudem seine Geldgeschäfte zu Frankfurt, auf die er für
seinen Kuraufenthalt gerechnet hatte. Um 6 Uhr, als sich eben ein Gewitter
auftürmte, verliess er die Stadt und traf um 11 Uhr zu Wiesbaden ein, wo
ihn Zelter empfing. So hatte er in fünf Tagen, in die freilich auch ein
längerer Aufenthalt zu Hanau und Frankfurt fällt, sein Ziel erreicht.
3. Der erste Tag, 30. Juli 1814.
Eins der angesehensten Bad- und Gasthäuser, an dessen Stelle schon
zur Zeit der Römer, wie später entdeckte Funde beweisen, Bäder bestanden,
war das Bad- und Gasthaus zum Adler. Als im Laufe des 15. Jahrhunderts
die Schildnamen der Gasthäuser zu Wiesbaden aufkamen, erhielt es den Namen
„zu der Kannen“ oder „zu der Kante“ und erscheint so zum erstenmale im
Jahre 1505.45) Hundert Jahre später vertauschte es ihn mit der Bezeichnung
„zum roten“, dann „zum güldenen Adler“; noch im Laufe des 18. Jahrhunderts
ragte das Bild eines goldenen doppelten Reichsadlers auf einem Schilde weit
in die Strasse hinein. Wenn Goethe, der hier zuerst Wohnung nahm, das
Haus zum „weissen Adler“ nennt, so irrte er, da der Adler nie die Bezeich-
nung weiss oder, wie der verdiente Geschichtsschreiber Schenck bemerkt,
schwarz führte.46) Hier also stieg Goethe zuerst ab, wahrscheinlich weil seine
Wohnung im „Bären“ noch nicht frei war; erst am 5. August zog er dahin
über. Das Badhaus zum Bären war eins der vornehmsten, wie es schon zur
Zeit des dreissigjährigen Krieges bezeichnet wird; reicht sein Alter auch nicht
in die Römerzeit zurück, so muss es doch schon im Mittelalter bestanden haben;
der Name „zum Bern“ erscheint zum erstenmale im Jahre 1471. Es bezog
sein Badewasser aus der Adlerquelle und erwarb zu dem alten Besitz im Jahre
43) K. C. v. Leonhard, Aus unserer Zeit in meinem Leben 1854, I, S. 440. — 44) Vgl.
Goethe, Kunstschätze am Rhein u. s. w. unter Hanau. — 45) F. Otto, Merkerbuch der Stadt
Wiesbaden, S. 74 f. — 4S) Schenck, Geschicht-Beschreibung der Stadt Wiesbaden 1758, S. 445
u. 446, nennt das Haus „zum schwarzen Adler“, verbesserte aber in seinem noch erhaltenen
Handexemplar das Wort „schwarz“ in „gülden“.