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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 23.1907

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Heft 1
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Widmer, Karl: Die Grundlagen des neuen Stils
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Gruner, Otto Rudolf: Feste Richtpunkte für den protestantischen Kirchenbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.44950#0017

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1907

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 1

wähnte »kirchliche Gefühl«. Daß es durch einige Kenntnis
der Liturgie und des Rituals allein nicht erlangt wird, gibt sicher
jeder einsichtige Architekt zu; aber wo sollen wir die Träger und
Repräsentanten des kirchlichen Gefühls, wo die Schiedsrichter,
ob es erzielt worden ist oder nicht, suchen? Kann ein Mann, der
das ganze Jahr an keinem christlichen Gottesdienst teilnimmt,
der vom Abendmahl ungläubig oder blasphemisch spricht, der
wegen seiner lockeren Sitten bekannt ist, ein Werk voll »christ-
lichen Gefühls« schaffen? Kann jemand, der an Stelle der Reli-
gion je eher je lieber »die Kunst«, oder die ethische Kultur
setzen möchte, dem ein Wagnersches Musikdrama zeitgemäßer
Ersatz für unsre Gottesdienste erscheinen würde, der vom
Besuch des Museums sich mehr Erbauung verspricht, als von
dem der Kirche, es unternehmen, eine protestantische Andacht-
stätte mit »kirchlichem Gefühl« zu erfüllen? Wenn er den
Bau doch unternimmt, kann er es nur handwerksmäßig, aber
sicher nicht als fühlender, schöpferischer Künstler tun und
wenn er die gewünschte Stimmung erzielen will, muß er zu
den Mitteln zurückgreifen, die ihm die alten Kirchenbaustile
an die Hand geben. Nicht umsonst waren es fromme, gott-
begeisterte Laienbrüder, die den keuschen, ernsten romanischen
Stil schufen, und nicht jeden heutigen Kirchenbaumeister hat,
wie auf dem Schwindschen Bild den Erwin von Steinbach,
ein Engel im Traume schwebend durch sein künftiges Wun-
derwerk geleitet. — Kann man somit keinesfalls den Archi-
tekten allein das Urteil für »kirchliches Gefühl« überlassen, so
muß doch andrerseits auch dafür gesorgt werden, daß nicht
Banausentum und engherzige Philisterei sich der freien, ge-
sunden, echt protestantischen Entwicklung des Bauwesens in
den Weg stellt. Das wird nur erreicht werden, wenn die
maßgebenden Mitglieder der Kirchenvorstände (d. h. in erster
Linie die Geistlichen) sich Kunstkenntnisse aneignen — die
ja auch sonst zu etwas allgemeiner Bildung nicht übel sind —
und wenn ferner die Künstlervereinigungen (d. h. die Archi-
tektenvereine) dafür sorgen, daß die Aufgaben, sei es frei-
händig, sei es durch Wettbewerb, in die rechten Hände kom-
men. Zur Bildung und Kräftigung des christlichen oder kirch-
lichen Gefühls aber bleibt nichts andres übrig, als sich immer
wieder in die Werke der Zeiten zu vertiefen, die dafür vorbildlich
waren, nicht um sie zu kopieren, sondern um das Geheimnis
herauszufinden, wie neue Formen denselben ewig jungen
geistigen Inhalt wiedergeben können. Diesen Gedanken verlieh
Prof. Schumacher in sehr schöner Form Ausdruck, wobei er
zugleich als praktisches Beispiel auf den von ihm geschaffenen
Kirchenraum verweisen konnte, darin sich die Versammlung
befand. Von diesem Schumacherschen Kirchenraum waren
auch kirchlich sehr ausgesprochene Laien mit eigenem Urteil
wahrhaft erbaut; nur die ungenügende Belichtung wurde häufig
getadelt. (Gesangbuch!) Hinsichtlich der Stellung der Kanzel

in der Hauptachse des Kirchenschiffs brachten die Verhand-
lungen, namentlich aus dem Munde von Superint. D. Dibelius,
die erfreuliche Bestätigung voller Freiheit in den Entschließungen.
Die Kirchenvorstände werden freilich nur sehr zögernd davon
Gebrauch machen wollen; für den Architekten ist aber hier
ein Punkt, wo er sein Recht wahren und dem Fortschritt zum
Durchbruch verhelfen mag, zumal wenn er etwa für gute
Hörsamkeit garantieren soll. Ferner mag er dann gegen den
unglückseligen breiten Mittelgang, das Ueberbleibsel von den
katholischen Prozessionen, ankämpfen; auch sonst werden,
der »Symmetrie« zuliebe, häufig Gänge angelegt, wo viel besser
Sitzplätze hinkämen, anstatt diese hinter die Säulen und Pfeiler
zu drängen. Die Gänge gehören hinter die Säulen.
Gewissermaßen als Illustration zu dem Gehörten war den
Kongreßteilnehmern eine kleine Schrift ausgehändigt worden,
darin sie Pläne, Ansichten und kurze Beschreibung von vier
neuen Dresdener Kirchen vorfanden. Vielleicht sagte sich
mancher der Empfänger, namentlich dann bei der Besichtigung
der Kirchen, das mag zeitgenössisch sehr künstlerisch, ja monu-
mental empfunden sein, aber dem Bedürfnisse (z. B. gut hören)
entspricht es nicht; kirchliches Gefühl hat das nicht geschaffen:
die Zukunftskirche der protestantischen Gemeinde sieht so
jedenfalls nicht aus.
Wir sind in der Lage, den Artikel mit einer Darstellung
der beiden neusten Kirchen Dresdens zu schließen. Beide
gehen ihrer Vollendung noch entgegen. Die eine ist die
Versöhnungskirche in der Vorstadt Striesen, die einer neu-
gebildeten Gemeinde zu dienen hat. Sie wird, wohl als erste
in Dresden, auf Hinterland errichtet, steht aber mit der Straße
durch einen weiten Vorhof mit kreuzgangartiger (etwas an-
steigender) Anlage in bequemster Verbindung. Die eine Seite
des Vorhofs bildet das Gemeindehaus, mit einem großen, fest-
lich gestalteten Gemeindesaal als Hauptraum, der durch Hin-
zuziehung des Nebensaals und eines Emporenraums wesentlich
erweitert werden kann. Das Ganze bildet eine malerische
Baugruppe, die später wahrscheinlich durch ein hinter der
Kirche zu errichtendes Pfarrhaus (mit direktem Zugang von
der andern Seite) noch vervollständigt wird. Der Entwurf
rührt von dem f Baurat Rumpel und dessen Schwiegersohn
Architekt Krutzsch her; dieser leitet auch die Ausführung. Die
Kirche ist für etwa 1000 Sitzplätze berechnet und zu 445000 Mk.
veranschlagt; das Gemeindehaus soll 137500 Mk. kosten; für
die Kreuzgänge sind 31 500 Mk., für Garten- und Nebenanlagen
endlich 22000 Mk. vorgesehen. Das Kircheninnere verspricht
eine gute, kirchliche Wirkung und auch Akustik.
Das andre im Neubau begriffene Kirchengebäude ist die
Kapelle beim Ehrlichschen Gestift an der Eliasstraße. Sie ist
gewissermaßen eine Memorial-Hall, nach amerikanischem Muster,
nur daß die Anregung und Mittel dazu aus einer Zeit her-


Landhaus in Bremen-Schwachhausen, Kirchbachstraße 213.
1. Gesamtansicht.

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Architekten: Runge & Scotland in Bremen.
 
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