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DER BAUMEISTER * 1904, JANUAR.
französische
Motiv des
Rundchors mit
Umgang und
radial aus-
strahlenden
Kapellen nicht
entbehren,fand
aber für letz-
tere keine an-
dere Verwen-
dung als zu
gegen das
Kircheninnere
abgeschlosse-
nen, zu Neben-
zwecken zu
verwendenden
Räumen. Eben-
sowenig eig-
nete sich die
basilikale
Form oder die
Halle mit brei-
ten Seiten-
schiffen für die
protestan-
tische Predigt-
kirche; es ge-
lang überhaupt
nicht, in der
Anpassung an historische Formen den typischen Ausdruck der-
selben zu gewinnen.
Orth will den gotischen Stil nicht als den für die neue pro-
testantische Kirche allein geeigneten anerkennen, und wendet
sich nach dem Vorgänge Stülers und Sollers, namentlich des
letzteren, mit Vorliebe der romanischen Formensprache zu,
sucht aber eine Weiterbildung im modernen Sinne zu erreichen,
indem er weitere Gewölbspannungen als die früher üblichen
einführt und auf thunlichste Materialersparung in den Abmessungen
der Wände und Stützen hinarbeitet. Um diese Ziele zu er-
Abb. 2. Himmelfahrtskirche.
reichen, beschränkte sich Orth nicht auf die historisch gegebenen
romanischen Formen, sondern nahm, um geringere Mauerstärken
zu ermöglichen, für das Äussere die Verstärkung der Wände
durch den gotischen Strebepfeiler auf; ausserdem verwendete
er für die Gliederung und Profilierung der inneren Stützen
Gurtbogen, Gewölbrippen und Fenstereinfassungen die Formen
des fortgeschrittenen Mittelalters; so ist beispielsweise das
Kapitell der Bündelpfeiler stets als eine Einheit behandelt, nicht
abgesondert für jeden Dienst, wie dies in der gotischen Früh-
zeit üblich ist. An den Gewölben kommt die Busung der
Kappen, die Teilung durch profilierte Rippen und gelegentlich
die dekorative Form des Sterngewölbes zur Erscheinung. Die
im Gegensatz zu denen der romanischen Periode gross ge-
haltenen Fenster machen die Teilung der Öffnung durch Pfosten
und Masswerke nötig, welches letztere wieder durch Unter-
scheidung von alten und jungen Pfosten den gotischen Vor-
bildern der Blüteperiode entspricht, indes durch Rundbogen und
füllende Kreisformen verbunden ist. An den Fensterleibungen
sind die Bindestücke der einfassenden Rundstäbe in der Regel
durch verstärkende Ringe ausgezeichnet.
Zu dieser die Ergebnisse der gesamten mittelalterlichen
Architekturentwicklung in freier Weise benutzenden Formgebung
tritt nun ein für die Berliner Schule speziell charakteristischer
Zug, der sich sowohl am Äusseren, wie im Inneren des Kirchen-
gebäudes bemerkbar macht. Indes war es vornehmlich dieser
Nachhall der Schinkelschen Schule, welcher die strengen Ver-
treter mittelalterlicher Kunst am wenigsten sympathisch be-
rühren musste. Zu den antikisierenden Elementen der Berliner
Schule, wie sie auch Orth übernommen hat, gehört unter
anderen das vorspringende Profil der äusseren Fensterarchivolte,
welches auf einem durchlaufenden Kämpfergesims mit Blattfries
aufsetzt. Der Schnitt der Blätter nähert sich dem antiken
Schema. Ausserdem sind die grossen Fenster der Kreuz-
schiffgiebel viereckig eingerahmt und die rechtwinklig nach
beiden Seiten vortretenden Strebepfeiler der Ecken von Lisenen
eingefasst, die sich bis zum Dachgesims fortsetzen; der obere
Teil der Strebepfeiler ist mit einer Tabernakelblende verziert,
die von Säulchen mit Kapitell und Sockel eingefasst wird; über
dem Rundbogen der Blende folgt ein im rechten Winkel ge-
brochener Giebel, den ein Akroterion bekrönt. Falls eine auf
Säulchen ruhende rundbogige Zwerggalerie unter dem Dach-
gesimse angebracht ist, so bildet dieselbe einen flachen Um-
gang und ist wieder von den Lisenen in senkrechter, von dem
Gurt- und Dachgesimse in wagerechter Richtung eingerahmt.
Der in der Regel in ganzer Tiefe vorspringende viereckige
Westturm ist bis zur Dachhöhe des Schiffes ganz überein-
stimmend mit den Seitenfronten der Kirche behandelt und wird
von dem Dachgesims und der etwa vorhandenen Zwerggalerie
umgürtet. Das Dachgesims setzt sich aus einem Rundbogen-
fries auf Konsolen und einer mit Blättern verzierten Sima zu-
sammen, und wird an den Turmfronten von einer aus Sechs-
pässen gebildeten Brüstung bekrönt, hinter welche das obere
Turmgeschoss zurücktritt. Das Achteck des Glockenhauses
bereitet sich durch vier abgelöste Eckpfeiler vor, welche wieder
zweifrontig als Blendtabernakel ausgebildet sind. Das Achtort
selbst ist durch Eckstrebepfeiler verstärkt, die sich als Lisenen
bis zum Dachkranz fortsetzen. Dieser besteht wieder aus
einem Rundbogenfries mit Sima und trägt eine Brüstung von
Sechspässen. Die langen Fenster des Glockenhauses sind
einmal durch eine Gurtung geteilt; der achteckige Turmhelm
ist stets gemauert und durch Blendmasswerk gegliedert. Das
dem Turm vorgelegte Hauptportal zeigt keine abgeschrägte
Wandungen, sondern bildet eine rundbogige Vorhalle auf frei-
stehenden Säulen, welche mit einem flachen Giebel abschliesst.
Die Neigung der Kirchendächer ist ebenfalls meist flach ge-
halten.
Das hauptsächlichste Merkmal für die antikisierende Auf-
fassung des inneren Aufbaues ist bei Orth die Durchführung
einer für sämtliche Bogen und Gewölbe, sowie für die Ober-
fenster geltenden Kämpferlinie. Die Scheidbogen sind sämtlich
rundbogig, ohne Überhöhung oder Stelzung gebildet; und es
ist eine Folge dieser Anordnung, dass eine Anzahl Gewölb-
kappen sich als Teile von Kuppelflächen darstellen. Selbst bei
seinen gotisch stilisierten Kirchen hält Orth an der für Gewölbe
und Öffnungen durchgehenden Kämpferlinie fest.
In seinen späteren Bauten wird der Meister in den Einzel-
formen etwas reiner romanisch, die Verschmelzung mit der
Renaissance wird aufgegeben. Als Endigung der äusseren
Strebepfeiler erscheinen nun vorgelegte Rundsäulen mit Würfel-
kapitellen. Ebenso konsequent erscheint das Würfelkapitell an
den Säulchen der Zwerggalerien und den Pfosten der Fenster.
Die Giebel der Kreuzarme werden von Türmchen flankiert,
welche übereckgestellte viereckige Helmspitzen tragen, und die
Portalgiebel sind oft mit Krappenblumen besetzt. Die Fenster-
leibungen sind nach aussen und innen abgeschrägt und beider-
seits durch Rundstäbe eingefasst.
Gleich der erste bedeutende Kirchenbau Orths, die Zions-
kirche in Berlin, zwar auf eine Skizze von Moller und Orth
zurückgehend, aber in der Durchbildung und Ausführung ganz
dem letzteren angehörend, lieferte durch die neue organische
Gestaltung der Emporen den Beweis für die selbständige, sich
in freien Erfindungen ergehende Art des Meisters. Früher be-
wirkte man die Anlage steinerner Emporen, indem man ent-
weder zwei gleichwertige Stützenstellungen übereinander setzte,
oder indem man die Emporen auf besonderen Stützen als
selbständige Einbauten zwischen das System der vom Sockel
bis zum Kämpfer einheitlich durchgehenden Hauptpfeiler ein-
schaltete. Das Unorganische beider Arten der Emporenanlage
konnte nicht zweifelhaft sein. Orth hat zuerst eine konstruktiv
und künstlerisch befriedigende Lösung gefunden, und zwar
durch die Auffassung der Emporenarchitektur als eines selb-
ständigen, den ganzen Innenbau durchziehenden Untergeschosses,
dessen Stützen die durch weit gespannte Flachbogen verbundenen
kürzeren Unterteile der Hauptpfeiler bilden. Das Emporen-
geschoss wird durch eine auf Konsolen vorgekragte Brüstung
abgeschlossen, über welcher die als Bündelpfeiler gestalteten
Träger der Hochgewölbe emporsteigen. Bevor jedoch Orth
DER BAUMEISTER * 1904, JANUAR.
französische
Motiv des
Rundchors mit
Umgang und
radial aus-
strahlenden
Kapellen nicht
entbehren,fand
aber für letz-
tere keine an-
dere Verwen-
dung als zu
gegen das
Kircheninnere
abgeschlosse-
nen, zu Neben-
zwecken zu
verwendenden
Räumen. Eben-
sowenig eig-
nete sich die
basilikale
Form oder die
Halle mit brei-
ten Seiten-
schiffen für die
protestan-
tische Predigt-
kirche; es ge-
lang überhaupt
nicht, in der
Anpassung an historische Formen den typischen Ausdruck der-
selben zu gewinnen.
Orth will den gotischen Stil nicht als den für die neue pro-
testantische Kirche allein geeigneten anerkennen, und wendet
sich nach dem Vorgänge Stülers und Sollers, namentlich des
letzteren, mit Vorliebe der romanischen Formensprache zu,
sucht aber eine Weiterbildung im modernen Sinne zu erreichen,
indem er weitere Gewölbspannungen als die früher üblichen
einführt und auf thunlichste Materialersparung in den Abmessungen
der Wände und Stützen hinarbeitet. Um diese Ziele zu er-
Abb. 2. Himmelfahrtskirche.
reichen, beschränkte sich Orth nicht auf die historisch gegebenen
romanischen Formen, sondern nahm, um geringere Mauerstärken
zu ermöglichen, für das Äussere die Verstärkung der Wände
durch den gotischen Strebepfeiler auf; ausserdem verwendete
er für die Gliederung und Profilierung der inneren Stützen
Gurtbogen, Gewölbrippen und Fenstereinfassungen die Formen
des fortgeschrittenen Mittelalters; so ist beispielsweise das
Kapitell der Bündelpfeiler stets als eine Einheit behandelt, nicht
abgesondert für jeden Dienst, wie dies in der gotischen Früh-
zeit üblich ist. An den Gewölben kommt die Busung der
Kappen, die Teilung durch profilierte Rippen und gelegentlich
die dekorative Form des Sterngewölbes zur Erscheinung. Die
im Gegensatz zu denen der romanischen Periode gross ge-
haltenen Fenster machen die Teilung der Öffnung durch Pfosten
und Masswerke nötig, welches letztere wieder durch Unter-
scheidung von alten und jungen Pfosten den gotischen Vor-
bildern der Blüteperiode entspricht, indes durch Rundbogen und
füllende Kreisformen verbunden ist. An den Fensterleibungen
sind die Bindestücke der einfassenden Rundstäbe in der Regel
durch verstärkende Ringe ausgezeichnet.
Zu dieser die Ergebnisse der gesamten mittelalterlichen
Architekturentwicklung in freier Weise benutzenden Formgebung
tritt nun ein für die Berliner Schule speziell charakteristischer
Zug, der sich sowohl am Äusseren, wie im Inneren des Kirchen-
gebäudes bemerkbar macht. Indes war es vornehmlich dieser
Nachhall der Schinkelschen Schule, welcher die strengen Ver-
treter mittelalterlicher Kunst am wenigsten sympathisch be-
rühren musste. Zu den antikisierenden Elementen der Berliner
Schule, wie sie auch Orth übernommen hat, gehört unter
anderen das vorspringende Profil der äusseren Fensterarchivolte,
welches auf einem durchlaufenden Kämpfergesims mit Blattfries
aufsetzt. Der Schnitt der Blätter nähert sich dem antiken
Schema. Ausserdem sind die grossen Fenster der Kreuz-
schiffgiebel viereckig eingerahmt und die rechtwinklig nach
beiden Seiten vortretenden Strebepfeiler der Ecken von Lisenen
eingefasst, die sich bis zum Dachgesims fortsetzen; der obere
Teil der Strebepfeiler ist mit einer Tabernakelblende verziert,
die von Säulchen mit Kapitell und Sockel eingefasst wird; über
dem Rundbogen der Blende folgt ein im rechten Winkel ge-
brochener Giebel, den ein Akroterion bekrönt. Falls eine auf
Säulchen ruhende rundbogige Zwerggalerie unter dem Dach-
gesimse angebracht ist, so bildet dieselbe einen flachen Um-
gang und ist wieder von den Lisenen in senkrechter, von dem
Gurt- und Dachgesimse in wagerechter Richtung eingerahmt.
Der in der Regel in ganzer Tiefe vorspringende viereckige
Westturm ist bis zur Dachhöhe des Schiffes ganz überein-
stimmend mit den Seitenfronten der Kirche behandelt und wird
von dem Dachgesims und der etwa vorhandenen Zwerggalerie
umgürtet. Das Dachgesims setzt sich aus einem Rundbogen-
fries auf Konsolen und einer mit Blättern verzierten Sima zu-
sammen, und wird an den Turmfronten von einer aus Sechs-
pässen gebildeten Brüstung bekrönt, hinter welche das obere
Turmgeschoss zurücktritt. Das Achteck des Glockenhauses
bereitet sich durch vier abgelöste Eckpfeiler vor, welche wieder
zweifrontig als Blendtabernakel ausgebildet sind. Das Achtort
selbst ist durch Eckstrebepfeiler verstärkt, die sich als Lisenen
bis zum Dachkranz fortsetzen. Dieser besteht wieder aus
einem Rundbogenfries mit Sima und trägt eine Brüstung von
Sechspässen. Die langen Fenster des Glockenhauses sind
einmal durch eine Gurtung geteilt; der achteckige Turmhelm
ist stets gemauert und durch Blendmasswerk gegliedert. Das
dem Turm vorgelegte Hauptportal zeigt keine abgeschrägte
Wandungen, sondern bildet eine rundbogige Vorhalle auf frei-
stehenden Säulen, welche mit einem flachen Giebel abschliesst.
Die Neigung der Kirchendächer ist ebenfalls meist flach ge-
halten.
Das hauptsächlichste Merkmal für die antikisierende Auf-
fassung des inneren Aufbaues ist bei Orth die Durchführung
einer für sämtliche Bogen und Gewölbe, sowie für die Ober-
fenster geltenden Kämpferlinie. Die Scheidbogen sind sämtlich
rundbogig, ohne Überhöhung oder Stelzung gebildet; und es
ist eine Folge dieser Anordnung, dass eine Anzahl Gewölb-
kappen sich als Teile von Kuppelflächen darstellen. Selbst bei
seinen gotisch stilisierten Kirchen hält Orth an der für Gewölbe
und Öffnungen durchgehenden Kämpferlinie fest.
In seinen späteren Bauten wird der Meister in den Einzel-
formen etwas reiner romanisch, die Verschmelzung mit der
Renaissance wird aufgegeben. Als Endigung der äusseren
Strebepfeiler erscheinen nun vorgelegte Rundsäulen mit Würfel-
kapitellen. Ebenso konsequent erscheint das Würfelkapitell an
den Säulchen der Zwerggalerien und den Pfosten der Fenster.
Die Giebel der Kreuzarme werden von Türmchen flankiert,
welche übereckgestellte viereckige Helmspitzen tragen, und die
Portalgiebel sind oft mit Krappenblumen besetzt. Die Fenster-
leibungen sind nach aussen und innen abgeschrägt und beider-
seits durch Rundstäbe eingefasst.
Gleich der erste bedeutende Kirchenbau Orths, die Zions-
kirche in Berlin, zwar auf eine Skizze von Moller und Orth
zurückgehend, aber in der Durchbildung und Ausführung ganz
dem letzteren angehörend, lieferte durch die neue organische
Gestaltung der Emporen den Beweis für die selbständige, sich
in freien Erfindungen ergehende Art des Meisters. Früher be-
wirkte man die Anlage steinerner Emporen, indem man ent-
weder zwei gleichwertige Stützenstellungen übereinander setzte,
oder indem man die Emporen auf besonderen Stützen als
selbständige Einbauten zwischen das System der vom Sockel
bis zum Kämpfer einheitlich durchgehenden Hauptpfeiler ein-
schaltete. Das Unorganische beider Arten der Emporenanlage
konnte nicht zweifelhaft sein. Orth hat zuerst eine konstruktiv
und künstlerisch befriedigende Lösung gefunden, und zwar
durch die Auffassung der Emporenarchitektur als eines selb-
ständigen, den ganzen Innenbau durchziehenden Untergeschosses,
dessen Stützen die durch weit gespannte Flachbogen verbundenen
kürzeren Unterteile der Hauptpfeiler bilden. Das Emporen-
geschoss wird durch eine auf Konsolen vorgekragte Brüstung
abgeschlossen, über welcher die als Bündelpfeiler gestalteten
Träger der Hochgewölbe emporsteigen. Bevor jedoch Orth