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Baumeister: das Architektur-Magazin — 2.1904

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Beilage zu: 1904, Juni
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Huber, Arthur: Über die Verwendung von Gelenkträgern zu Deckenkonstruktionen: Vortrag gehalten in der Versammlung des Österreichischen Verbandes von Mitgliedern des "Vereines deutscher Ingenieure" am 18. März 1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.49990#0346

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BEILAGE RCD DAI I A/I D I QTCD MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR
zu: I Jry FjAU /V113■ *2? I E^iy^ und baupraxis
1904, JUNI. H. JAHRGANG, HEFT 9.

Über die Verwendung von Gelenkträgern zu Decken-
konstruktionen.
Von Arthur Huber, Ober-Ingenieur der Firma „Max Wahlberg“.
Vortrag gehalten in der Versammlung des Österreichischen Verbandes von
Mitgliedern des „Vereines deutscher Ingenieure“ am 18. März 1904.
\YI ie der Titel vorliegender Abhandlung sagt, handelt es sich für die Folge
v* über die Verwendung von Gelenkträgern, bezw. Trägern mit schwebenden
Stützpunkten im Hochbau. Diese Träger haben mit der Zeit verschiedene
Benennungen erhalten, wie z. B. Kragträger, Auslegerträger, Cantilever, Konsol-
träger, Gerberträger etc.
Letzterer, zumeist verbreiteter Name stammt von dem bekannten Brücken-
bauer Gerber in Nürnberg, dem unterm 6. Dezember 1866 ein bezügliches
Patent erteilt wurde. Dieses behandelt: „Balkenträger mit freiliegenden Stütz-
punkten“, die sogenannten kontinuierlichen Gelenkträger, bei welchen ein auf
2 Pfeilern ruhender, über diese Pfeiler hinaus verlängerter Stützbalken als
Stützpunkt für einen folgenden frei aufruhenden Balken dient, dessen anderes
Ende entweder auf einem Pfeiler, oder, wie das erste, auf dem freiliegenden
Stützpunkte eines folgenden Stützbalkens ruht.
Genanntem Konstrukteur war es beschieden, den Gedanken zum ersten
Male an der Strassenbrücke über den Main bei Hassfurt, welche 3 Öffnungen
von 23,9 — 37,9 — 23,9 m (mit polygonalen Gurtungen) besitzt, auszuführen.
Anderseits will ich nur kurz erwähnen, dass diese Träger schon früher
theoretisch von Clark & Fowler (1846 — 1850) Kopeke & Ritter (1863) be-
handelt wurden.
Bei Trägern, welche sich kontinuierlich über zwei oder mehrere Öffnungen
erstrecken, sind nämlich die auftretenden, äusseren Kräfte wesentlich von der
Höhenlage der Stützen und dem Einflüsse ungleichförmiger Erwärmung ab-
hängig, hingegen fallen die Biegungsmomente infolge der Gegenwirkung der
zunächst liegenden Öffnungen und damit auch die Materialmengen für die
Gurten kleiner als bei einfachen Trägern aus.
Bei Anordnung von Gelenken lässt sich aber unter Vermeidung der vor-
erwähnten Übelstände dieser Vorteil erreichen, doch muss die Anordnung eine
solche sein, dass jeder der einzelnen Träger nur auf 2 Stützen ruht, es hängen
alsdann die Pfeiler-Reaktionen nicht mehr von der Biegung der Träger,
sondern nur von der Grösse und Verteilung ihrer Belastung ab, und umgekehrt
übt eine Senkung des Pfeilers keinen Einfluss auf die inneren Spannungen
der Träger, sondern nur auf die Höhenlage der nächstliegenden Balkenträger
aus; mit anderen Worten: Der statisch unbestimmte Träger wird durch An-
ordnung von Gelenken statisch bestimmt, indem zu den allgemeinen 3 Gleich-
gewichtsbedingungen noch besondere Bedingungen für jedes Gelenk hinzutreten.
Bezeichnet n die Anzahl der Stützen, von denen die eine fest ist, so sind
n -j I äussere Unbekannte am Träger vorhanden. Diesen entsprechen
3 Gleichungen; die Anzahl der nicht zu bestimmenden Grössen ist also
= n —|- I — 3 —n — 2. Werden nun n — 2 Gelenke angebracht, so wird der
Träger statisch bestimmt, doch dürfen der Stabilität des Trägers wegen höchstens
2 Gelenke zwischen zwei Stützen liegen, am zweckmässigsten erscheint es,
die aufeinander folgenden Öffnungen abwechselnd ohne Gelenke und dann mit
2 Gelenken anzuordnen.
So sind zwei Variationen ermöglicht, und zwar in dem einen Falle liegt ein
Träger mit zwei überstehenden Enden und zwei seitlich angeschlossenen ein-
fachen Balken vor, im zweiten Falle sind zwei äussere Träger mit je einem
überstehenden Ende und ein eingehängter Mittelbalken vorhanden.
Die eingehängten Träger sind stets als einfache Balken auf zwei Stützen
zu betrachten, daher wird es nur notwendig sein, die Träger mit zwei, bezw.
einem Kragarm zu besprechen; ferner sei die bei Eisenhochbauten fast nur
vorkommende, gleichmässig über den ganzen Träger sich erstreckende Be-
lastung berücksichtigt, dieselbe wird für die Folge mit p für ein Ifd. m. des
Trägers angenommen.
Die zweckmässigste Materialausnützung beim Oelenkträger erfolgt dann,
wenn die an den verschiedenen Stellen des Trägerstranges vorkommenden
grössten Momente absolut einander gleich sind, diese Gleichheit wird durch
ein bestimmtes Verhältnis der Felder und Kragarmlängen erreicht, und wird
bei gleichen Stützenentfernungen und Belastungen konstant bleiben. Ich will
an dieser Stelle von einer Ableitung der betreffenden Werte, als ausserhalb des
Rahmens meines Vortrages liegend, absehen und nur das Verhältnis der
Kragarmlänge zu der zugehörigen Feldweite anführen.
Im ersteren Falle, d. h. beim Träger mit zwei überhängenden Kragarmen
und 2 seitlich angeschlossenen Balken, ergiebt sich, wenn wir die Felderweite
mit „1“ bezeichnen, die Kragarmlänge a genau zu 0,171572 1, oder abgerundet
und für die Praxis genügend genau = 0,172 I (ca. 1/6 l) und im zweiten Falle,
d. h. wenn zwei äussere Träger mit je einem überstehenden Ende und einem
eingehängten Mittelbalken vorhanden sind, ergiebt sich, wenn ich die Stützen-
entfernung wiederum mit „1“ bezeichne, die Länge des Kragarmes zu 0,146447 I
oder abgerundet = 0,146 I (ca. 1/7 1).
Hieraus folgt, dass das Moment, welches beim gewöhnlichen Balken
pp 1 2 p 1 210 p I 2
M = q beträgt, in einem Falle M = - und im 2. Falle M -
ö ° ’ 117 1b
d. h. dass im letzteren Falle das Moment nur halb so gross ist, wie beim ge-
wöhnlichen Träger, hieraus ergeben sich nicht unbedeutende Materialersparnisse
gegenüber dem frei aufliegenden oder abgesetzten Träger bei gleichbleibender
Sicherheit der Konstruktion. Bei gleichmässig verteilter Last, wie z. B. bei
Dachpfetten, ist daher einleuchtend, dass von den in Rede stehenden Gelenk-
konstruktionen Fall „2“ der günstigste ist, der Fall „1“ dürfte daher nur bei
den Endfeldern eines Trägerstranges oder bei geringer Felderzahl vorkommen,
wo entsprechend stärkere Träger erforderlich wären. Diesem Mehraufwand
an Material begegnet man, falls die örtlichen Verhältnisse dies zulassen, am
besten dadurch, indem man die Endfelder nur so gross bestimmt, dass deren
Momente denjenigen der innen liegenden Öffnungen gleich sind.
Dieser Zustand lässt sich mit Rücksicht auf das bestimmte, vorhin ange-
führte Längenverhältnis der Kragarme „a“ und mit Rücksicht'darauf ableiten,
dass die positiven Strecken aller Öffnungen gleich sein müssen, wenn alle
Momente gleich sein sollen, mit einem Wort, es lassen sich die bezüglichen
Feldweiten leicht bestimmen.

B 103 bf


Zur besseren Erläuterung des vorhin Gesagten will ich an Hand von zwei
Modellen, die ich hier als Beispiel vorführe, die Differenz der Felderweiten in
natura veranschaulichen. Es handelt sich bei beiden Gelenkträgern um einen
über 3 Öffnungen sich erstreckenden Trägerstrang von 150 cm Länge (Auf-
lager mitten gerechnet); damit sowohl die positiven, als auch die negativen
Momente gleich gross sind, ergaben sich für beide Fälle folgende Öffnungen
in cm: 47,3 — 55,4 — 47,3; während die zugehörigen Gelenk- oder Wende-
punkt-Abstände, bezw. Kragarmlängen 8,1 cm betragen. Die Grösse letzterer
Abstände, dividiert durch die Stützweite der zugehörigen Öffnung, ergiebt ab-
gerundet die vorhin ermittelten Verhältniswerte, womit auch die Richtigkeit der
Rechnung bewiesen ist.
Das dritte Modell stellt den gewöhnlichen Träger bei einer Stützweite von
39,2 cm (analog den eingehängten Trägern) dar, somit repräsentieren alle drei
Typen-Träger von gleicher Tragfähigkeit, wobei die bedeutend grössere Länge
der Gelenkträgerfelder in die Augen springend ist.
Auf das Meritorische meines Vortrages übergehend, will ich kurz folgendes
anführen:
Im Frühling des Jahres 1902 stellte der Industrielle Herr Charles Cabos
die Anfrage an die renommierte Firma Max Wahlberg, für die Eisenkonstruktion
des zu erstellenden Fabriksbaues ein Projekt auszuarbeiten. Gleichzeitig
machte uns dessen Bauleitung die Mitteilung, dass, was ja zu erwarten war,
auch andere Firmen, darunter Betonbau-Unternehmungen an der Konkurrenz
sich beteiligen.
Letzterer Umstand machte es uns aber zur Gewissheit, dass wir mit den
bisher gewohnten, wenn auch bewährten Konstruktionen gegenüber dem
armierten Beton nicht durchdringen und stellte ich mir die Aufgabe, von all
den bisher üblichen Konstruktionsformen abzuweichen und die Verwendung von
Oelenkträgern zu versuchen, was mir auch mit Erfolg gelang.
Diese Oelenkträger wurden bisher im Hochbau nur bei Pfetten verwendet,
wo keine Partial-Belastungen vorkommen (vielleicht auch in seltenen Fällen
bei Unterzügen), und auch da war die Zahl der Ausführungen bis jetzt sehr
beschränkt.
Die Anwendung derartiger Oelenkträger nun auf Deckenkonstruktionen aus-
zudehnen, scheute man sich bisher, und lag der Grund dafür einerseits in der
umständlichen Berechnung infolge der bei Deckenkonstruktionen zumeist auf-
tretenden Partialbelastungen, anderseits an dem Mangel an jeglicher Erfahrung,
wie sich solche Träger bei wechselnder Belastung im Hochbau verhalten; da-
her dürfte dieser Bau auch der erste sein, bei welchem das System der Ge-
lenkträger in weitestem Masse zur Anwendung kam. Es führte dies zu einer
Materialersparnis gegenüber dem gewöhnlichen und bisher üblichen Träger-
system, welche in einer Verringerung der Baukosten zum Ausdruck kam, die
selbst noch gegen die Betoneisenkonstruktion nicht unbeträchtlich war, wobei
noch der Umstand zu berücksichtigen ist, dass bei letzterer, in neuerer Zeit
aufgekommenen Konstruktionsweise der Bau bei jeder Stockwerkshöhe für
einen Zeitraum von 4 Wochen eingestellt werden muss, bis zu welchem Zeit-
punkt die Schalung mit Rücksicht auf die Solidität der Betoneisenkonstruktion
nicht entfernt, bezw. letztere vor der genügenden Erhärtung keinen Er-
schütterungen ausgesetzt werden darf.
Eingehende Studien, wie z. B. die Auftragung der elastischen Linie für
sämtliche Grenz-Belastungs-Fälle liessen auch keine ernsten Bedenken über
die Fähigkeit der Betongewölbe, den auftretenden Spannungen in den Ausleger-
trägern folgen zu können, aufkommen, da die Durchbiegung der letzteren in
allen Punkten geringer als bei Trägern auf zwei Stützen mit gleicher Ent-
fernung derselben und bei gleicher Materialinanspruchnahme ist, was als ein
nicht zu unterschätzender Faktor erscheint.
Die Mischung des Betons wurde entsprechend meinen Angaben 1 : 5 vor-
geschrieben, wobei als Grenzwert angenommen wurden: Druck 12 kg/cm2,
Zug 2 kg / cm2. Eine geringere Mischung dürfte bei derartig hohen, wechsel-
weise wirkenden Belastungen nicht empfehlenswert sein, zumal die Festigkeit
des Betons in hohem Grade von der sorgfältigen und sachgemässen Behand-
lung derselben abhängig ist.
In folgendem soll die Konstruktion des linken Traktes dieses Fabriksbaues
auf Grund beiliegender 4 Blatt Zeichnungen und graphischen Berechnungen
besprochen werden.
Die Ständerentfernung beträgt in der Achse der Unterzüge 6,26 m und in
der Achse der Deckenträger 5,59 m. Die Entfernung der Deckenträger wurde
626
zweckmässig zu = 156,5 cm festgelegt.
Als Nutzlast wurde 800 kg / m2 vorgeschrieben, und zwar in der Weise, dass
die Konstruktion diesem Grenzfall, ohne bleibenden Durchbiegungen ausgesetzt
zu sein, stand hält. In der statischen Berechnung musste daher der Umstand
berücksichtigt werden, dass bei allfälligem Auftreten obiger grosser Belastung
 
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