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Baumeister: das Architektur-Magazin — 2.1904

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Heft 6 (1904, März)
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Die Dorfkirche im Königreiche Sachsen
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https://doi.org/10.11588/diglit.49990#0071

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DER BAUMEISTER * 1904, MÄRZ.

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Requisiten der Glocken und Uhren aufzunehmen. Von Bedeutung
ist meist auch die Stellung des Turmes im Aufbau und im Grund-
riss. Die breiten Turmanlagen, wovon wir als charakteristisches
Beispiel die Kirche zu Cavertitz unseren Lesern vorführen, ist dem
Schiff breit vorgelagert und bildet dann in seinem untern Geschoss
einen Vorraum, wird wohl auch in das Schiff mit einbezogen.
Seltener wird ein Turm neben dem Schiff halb isoliert ausgebildet,
wobei er dann den Eintritt in das Innere vermittelt.
Weiter kommen wir zur Betrachtung der Sakristei, die zu-
meist in dem einspringenden Winkel zwischen der Umfassungs-
mauer des Schiffes und dem Chor eingebaut ist, in andern
Fällen ist sie ein vom Schiff abgetrennter Teil, wobei dann meist
die Betstube der Gutsherrschaft darüber gelegen ist. Solche
Betstuben, häufiger auch in dem Schiff eingebaut, bilden mit-
unter einen besonderen Schmuck der inneren Kircheneinrichtung,
sind auch reichlich ausgestattet und wohnlich gemacht. Von
den Vorhallen bemerkt Gruner, dass sie sich nicht als ein regel-
mässiger Bestandteil vorfinden und soweit nicht das unterste
Turmgeschoss (auch dies wohl nicht vor dem 15. Jahrhundert)
dazu verwendet ist, kaum über das 17. Jahrhundert zurückreichen.
Man scheint also früher von der Südseite direkt in das Schiff

Gruner mit, die daneben einen vollständigen Oberbau in Bretter-
verschalung zeigen, der nach des Verfassers Ansicht Wehrgänge
für die Verteidigung verdeckt.
Als Material für die Eindeckung finden sich vielfach noch
Schindeln, im Gebirge wird Schiefer vorgezogen, der bei un-
gewöhnlichen Dachformen zum Teil virtuos behandelt ist. Wo
sich das geeignete Rohmaterial in der Nähe findet, sind Ziegel-
dächer das Übliche. Eine Mischung der Deckungsmaterialien
lässt sich in einzelnen Fällen ganz gut ertragen. Die Thür-
und Fensteröffnungen wurden in alten Zeiten in sehr geringen
Massen gehalten, letztere namentlich, als man noch kein Glas
zum Verschluss verwandte. Die Fenster wurden später, ins-
besondere aus Rücksicht für die Gesangbuchleser, erweitert, in
neueren Bauten natürlich gleich für zweckmässige Lichteinfuhr
von vornherein eingerichtet.
Wir übergehen, was Gruner über die sonstige Detailaus-
stattung der Dorfkirchen anführt, und verweisen dafür auf das
Buch selbst, das eine Fülle von Einzelbeobachtungen enthält, die
für die hier nur angedeuteten Fragen von höchstem Interesse
sind. Indem der Verfasser aber in einem Schlusskapitel auf
die Dorfkirchen der Neuzeit zu sprechen kommt, berührt er

eingetreten
zu sein, bei
welcher
Anlage der
Wunsch mit
massge-
bend war,
das volle
Sonnenlicht
indieKirche
eindringen
zu lassen.
Die Vorhal-
len sind nie-
driger als
das Schiff,
enthalten
zumeist ei-
nenAufgang
zur Empore
und dem
Turm; er-
sterer führt
übrigens
häufig auch
aisfreie oder
bedeckte
Treppe un-
mittelbar


Kirche zu Cavertitz. Aus Gruner, Die Dorfkirche im Königreiche Sachsen.

einen der
wundesten
Punkte der
Architektur-
geschichte
und nach-
dem man in
der Fülle
von Abbil-
dungen die-
ses vor-
trefflichen
Buches ge-
schwelgt
und sich
die Augen
recht aus-
gewaschen
hat, muss
einem die
Misere des
neunzehn-
ten Jahrhun-
derts, das
so klug
war, um so
schwerer
auf die
Seele fallen.

von aussen in die Höhe, nicht zum Schaden eines malerischen
Bildes. Die Emporen sind wohl meistenteils Einbauten, die in
dem architektonischen Aufbau des Schiffes nicht geplant waren.
Gleichwohl lässt die Entstehung mancher Emporen sich vor die
Reformationszeit zurückführen, als die Predigerorden auf eine
höhere Bedeutung der Predigt hinwirkten. Die meisten Emporen,
deren Einrichtung zwischen die zweite Hälfte des 17. und die
erste Hälfte des 18. Jahrhunderts fällt, sind in Holzkonstruktion
von starken Balken ohne vorgenagelte Bretter, auch häufig mit
aus dem vollen Holz geschnitzten Profilen von interessanten
Gestaltungen.
Als Baumaterial für die Kirchen kam fast ausschliesslich
das in der Nähe sich Darbietende als nützliche Gabe zur Ver-
wendung. Im Königreich Sachsen ist man um gute Baustoffe
nirgends verlegen. Das Erzgebirge bietet Porphyr und Glimmer-
schiefer, oder Gneis und Granit, an der Elbe findet sich der
schöne Sandstein; wo Gestein nicht in Massen wächst, da bieten
sich wohl auch Findlinge dar, und schliesslich fehlt es auch
selten an Ziegelerde für den Ziegelbau, der nur selten roh er-
scheint, sondern meist verputzt ist, wie überhaupt der Putzbau
weit überwiegt. Reine Sandsteinbauten findet man besonders in der
sächsischen Schweiz. Die Türme sind zumeist massiv ausge-
führt, doch finden sich auch Beispiele von Fachwerk und mit
Bretterverschalung. Zwei höchst eigenartige Beispiele teilt

Gruner sagt hier vortreffliche Worte über die Bedeutung
der Dorfkirche, die wir ohne Einschränkung zu den unsrigen
machen möchten, und besonders recht hat er, wenn er den
„Massgebenden“ die Schuld für so viel Unverständliches
zuschreibt, was geschehen ist, und nicht minder, wenn
er die Überfütterung der Zöglinge der Baugewerbeschulen
mit akademischer Weisheit als ein weiteres Schuldmoment
anführt.
Welche Wege werden notwendig sein, um unseren Maurer-
meistern — denn akademische Architekten waren die Erbauer
dieser alten Dorfkirchen nicht — das naive Anschauen wieder-
zugeben, sie zurückzuführen zu einem natürlich harmonischen
Empfinden, das im Einklang mit dem Volksbewusstsein und
mit dem auf der eigenen Erde erwachsenen Bauwesen steht.
Jetzt ist es allerdings nur einem ausgezeichneten Künstler
möglich, sich in diesen Sinn zu versetzen, und wir wünschten,
dass die Gemeinden- und Kirchenpatrone sich nur an solche
wendeten. Gerade auch in diese Kreise sollte das Grunersche
Buch eindringen. Von gründlicher Sachkenntnis eingegeben,
ist es doch weit entfernt, durch Fachlichkeit zu langweilen,
und beide Teile, Fachleute wie Laien, werden dabei ihre Rech-
nung finden.
Auf einen Punkt, den Gruner nur vorübergehend streift, sei
noch besonders hingewiesen, die Stellung der Kirche im Dorf
 
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