Baumeister: das Architektur-Magazin — 2.1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.49990#0288
DOI Heft:
Beilage zu: 1904, Januar
DOI Artikel:Gruner, Otto Rudolf: Moderne landwirtschaftliche Bauten
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DER BAUMEISTER * 1904, JANUAR * BEILAGE.
B 39
Wie ganz überraschend
sind nun die Erfolge während
des letzten Jahrzehnts! Der
Abschluss der wissenschaft-
lichen Ausbeute durch das
Verbandswerk steht zwar
noch aus, wird aber, nach
dem sowohl in dieser als
in anderen Publikationen be-
reits vorliegenden Material
zu urteilen, ein reicher, recht
erschöpfender. Unsere bäuer-
liche oder volkstümliche
Kunst hat Schule gemacht
und ist fast in Gefahr ge-
raten, zur Modesache zu
werden. Und was am aus-
sichtslosesten schien, die An-
wendung der alten bewährten
Bauweisen: Holzfachwerk,
Holzblockbau, Lehmweller-
wände und ähnliches ist —
z. B. im Königreiche Sachsen
durch das Baugesetz vom
1. Juli 1900 — von rechts-
und gesetzeswegen wieder
zulässig, ja, sie wird hier
sogar den fiskalischen Bau-
ämtern in einer Verord-
nung des Finanzministeriums,
nebst allen sonstigen Verein-
fachungen und lokalen Ge-
wohnheiten ländlicher Bau-
ausführungen, empfohlen.
Wie stellen sich zu diesen
Errungenschaften die Archi-
tekten? — Eine vorzügliche
Beantwortung der Frage liegt
in einem soeben bei Carl
Scholtze (W. Junghanns) in
Leipzig erschienenen Werke
vor, das sich betitelt: „Der
neuzeitliche Dorfbau“ und
sich als eine Sammlung
von Entwürfen landwirtschaft-
licher Bauten darstellt. Der
Schöpfer der Entwürfe und
Leiter ihrer Ausführung —
soweit eine solche erfolgte —
ist Architekt Ernst Kühn in
Dresden, der weiteren Krei-
sen durch sein Mustergehöft
von der Dresdener Bau-
ausstellung vom Jahre 1900
bereits vorteilhaft bekannt
ist. Von zwölf Wettbewerbs-
Entwürfen wurde damals der
seine preisgekrönt, ausge-
führt, und die Ställe wurden auch in Gebrauch genommen. Die
Anlage erregte in jeder Hinsicht Aufsehen, äusserlich durch ihre
anmutige, wahrhaft ländliche und höchst malerische Erscheinung
innerlich durch ihre zweckmässige Einteilung und im wahren
Sinn stilvolle Wohnungseinrichtung; zu allen Möbelstücken,
Öfen, Thüren usw. hatte der Architekt die Zeichnung geliefert.
Ganz besonders fanden aber auch die betriebstechnischen Ein-
richtungen der Ställe, Tennen, Keller, Düngerstätte und der-
gleichen den Beifall der Landwirte, denn sie bewiesen, dass
die frühere Einfachheit und Sparsamkeit im Bauwesen sich
mit allen nützlichen Fortschritten im Betriebe sehr wohl ver-
einigen lässt. Bei der Rohbauausführung waren ausserdem
allerlei nützliche Ersatzstoffe: Gipsdielen, Korksteine, Glasbau-
steine, Voutendecken u. a. zur Anwendung gelangt. — Es
konnte nicht fehlen, dass Herrn Kühn von einsichtigen Land-
wirten Aufträge zu Bauausführungen in dieser im besten Sinne
„neuzeitlichen“ Weise zu teil wurden, und mit der ihm eignen
Hingabe und Gewissenhaftigkeit hat sich der Architekt diesen
Aufgaben gewidmet. Da ausserdem einzelne davon von be-
trächtlichem Umfange waren, so lohnte es wohl, diese Arbeiten
in Bild und Beschreibung zu veröffentlichen. Es ist ein statt-
liches Werk von 72 vortrefflich gezeichneten Foliotafeln, von
denen viele in einer reizenden bunten Manier für sich selbst
ein Stück Volkskunst darstellen. Die Darstellungen gehen auf
alle Einzelheiten ein und zeigen im Scheuerthorbeschlag, im
Schornsteinkopf, im Bienenhäuschen und hundert anderen Einzel-
heiten mitunter durchaus originelle und doch volkstümliche
Gedanken. Den zugehörigen Text leitet eine sehr zutreffende
Betrachtung über das bisher typische sächsische Bauernhaus
mit Lisenen und Giebelgesimsen, ein, verglichen mit landwirt-
schaftlichen Gebäuden in Oberitalien. Hier, im Lande der
Kunst, fällt es auch dem wohlhabenden Landwirte niemals ein,
B 39
Wie ganz überraschend
sind nun die Erfolge während
des letzten Jahrzehnts! Der
Abschluss der wissenschaft-
lichen Ausbeute durch das
Verbandswerk steht zwar
noch aus, wird aber, nach
dem sowohl in dieser als
in anderen Publikationen be-
reits vorliegenden Material
zu urteilen, ein reicher, recht
erschöpfender. Unsere bäuer-
liche oder volkstümliche
Kunst hat Schule gemacht
und ist fast in Gefahr ge-
raten, zur Modesache zu
werden. Und was am aus-
sichtslosesten schien, die An-
wendung der alten bewährten
Bauweisen: Holzfachwerk,
Holzblockbau, Lehmweller-
wände und ähnliches ist —
z. B. im Königreiche Sachsen
durch das Baugesetz vom
1. Juli 1900 — von rechts-
und gesetzeswegen wieder
zulässig, ja, sie wird hier
sogar den fiskalischen Bau-
ämtern in einer Verord-
nung des Finanzministeriums,
nebst allen sonstigen Verein-
fachungen und lokalen Ge-
wohnheiten ländlicher Bau-
ausführungen, empfohlen.
Wie stellen sich zu diesen
Errungenschaften die Archi-
tekten? — Eine vorzügliche
Beantwortung der Frage liegt
in einem soeben bei Carl
Scholtze (W. Junghanns) in
Leipzig erschienenen Werke
vor, das sich betitelt: „Der
neuzeitliche Dorfbau“ und
sich als eine Sammlung
von Entwürfen landwirtschaft-
licher Bauten darstellt. Der
Schöpfer der Entwürfe und
Leiter ihrer Ausführung —
soweit eine solche erfolgte —
ist Architekt Ernst Kühn in
Dresden, der weiteren Krei-
sen durch sein Mustergehöft
von der Dresdener Bau-
ausstellung vom Jahre 1900
bereits vorteilhaft bekannt
ist. Von zwölf Wettbewerbs-
Entwürfen wurde damals der
seine preisgekrönt, ausge-
führt, und die Ställe wurden auch in Gebrauch genommen. Die
Anlage erregte in jeder Hinsicht Aufsehen, äusserlich durch ihre
anmutige, wahrhaft ländliche und höchst malerische Erscheinung
innerlich durch ihre zweckmässige Einteilung und im wahren
Sinn stilvolle Wohnungseinrichtung; zu allen Möbelstücken,
Öfen, Thüren usw. hatte der Architekt die Zeichnung geliefert.
Ganz besonders fanden aber auch die betriebstechnischen Ein-
richtungen der Ställe, Tennen, Keller, Düngerstätte und der-
gleichen den Beifall der Landwirte, denn sie bewiesen, dass
die frühere Einfachheit und Sparsamkeit im Bauwesen sich
mit allen nützlichen Fortschritten im Betriebe sehr wohl ver-
einigen lässt. Bei der Rohbauausführung waren ausserdem
allerlei nützliche Ersatzstoffe: Gipsdielen, Korksteine, Glasbau-
steine, Voutendecken u. a. zur Anwendung gelangt. — Es
konnte nicht fehlen, dass Herrn Kühn von einsichtigen Land-
wirten Aufträge zu Bauausführungen in dieser im besten Sinne
„neuzeitlichen“ Weise zu teil wurden, und mit der ihm eignen
Hingabe und Gewissenhaftigkeit hat sich der Architekt diesen
Aufgaben gewidmet. Da ausserdem einzelne davon von be-
trächtlichem Umfange waren, so lohnte es wohl, diese Arbeiten
in Bild und Beschreibung zu veröffentlichen. Es ist ein statt-
liches Werk von 72 vortrefflich gezeichneten Foliotafeln, von
denen viele in einer reizenden bunten Manier für sich selbst
ein Stück Volkskunst darstellen. Die Darstellungen gehen auf
alle Einzelheiten ein und zeigen im Scheuerthorbeschlag, im
Schornsteinkopf, im Bienenhäuschen und hundert anderen Einzel-
heiten mitunter durchaus originelle und doch volkstümliche
Gedanken. Den zugehörigen Text leitet eine sehr zutreffende
Betrachtung über das bisher typische sächsische Bauernhaus
mit Lisenen und Giebelgesimsen, ein, verglichen mit landwirt-
schaftlichen Gebäuden in Oberitalien. Hier, im Lande der
Kunst, fällt es auch dem wohlhabenden Landwirte niemals ein,