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Bernoulli, Johann Jacob
Griechische Ikonographie mit Ausschluss Alexanders und der Diadochen (Band 1): Die Bildnisse berühmter Griechen von der Vorzeit bis an das Ende des V. Jahrh. v. Chr. — München, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.1043#0201
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182 THUKYDIDES

gebende Holkhamer Exemplar entgegentritt, nicht als das Ursprüng-
liche angesehen werden. Ebensowenig freilich die Form der Doppel-
herme, welche immer die Existenz von Einzelbildnissen voraussetzt.
Die lebendig schöne Haltung der Büste dürfte am ehesten einer
Statue entnommen sein, wie ja überhaupt die meisten Griechen-
bildnisse auf Statuenoriginale zurückgehen. Michaelis denkt an die
Bronzestatue im Zeuxippos mit der erhobenen Rechten, wo Thuky-
dides nach älterer (also eben vorlysippischer) Gepflogenheit nicht
speciell als Meister der Geschichtsschreibung, sondern als beredter
Staatsmann aufgefasst war, und damit würde nach Winter die auf
Bronzetechnik hinweisende Arbeit stimmen. Dass dann der Urheber
. unter den Künstlern der zweiten attischen Schule zu suchen wäre,
versteht sich von selbst. Aber ob geradeSilanion (Winter), wird auf dem
Wege der Stilanalyse schwerlich auszumachen sein. Übrigens sind
die Namengebungen der Statuen bei Christodor wie auch seine Schil-
derungen sehr zweifelhafter Natur. K. Lange1 vermutet nicht ohne
Grund, dass in sehr vielen Fällen der Dichter selber der Täufer war.

Was die Authenticität der Züge betrifft, so lässt sich darüber
etwa Folgendes aufstellen.

Eine öffentliche Ehrenstatue scheint dem Thukydides bei Leb-
zeiten nicht errichtet worden zu sein, und unmittelbar nach seinem
Tode auch nicht. Aus der blossen Erinnerung konnte aber nach
zehn oder zwanzig Jahren, wenn anders das Versäumte wirklich so
bald nachgeholt wurde, kein einigermassen treues Bildnis geschaffen
werden. Und doch sind Merkmale vorhanden, die auf eine reale
Grundlage hinweisen. Ganz richtig fragt Michaelis, warum der
Künstler dem Thukydides eine Glatze gegeben, zumal dem reichen
Haarschmuck des älteren Herodot gegenüber, wenn er nicht durch
den Zwang des Urbildes dazu veranlasst war? Und warum die
eckige Schädelform, das zweiteilige Bärtchen unter der Unterlippe,
die absonderliche Bildung des Mundes? Man darf ja auch bei
Phantasieporträts nicht den Anspruch erheben, jedes Detail aus dem
Charakter des Dargestellten erklären zu können. Aber wo sich eine
grössere Zahl solcher Zufälligkeiten beisammen finden, wird man
unwillkürlich zur Annahme eines Vorbildes nach dem Leben ge-
drängt. Es scheint also, dass dem Schöpfer des Bildnisses in der
That bei seiner Arbeit ikonische Hilfsmittel, etwa privater Natur, zu
Gebote gestanden haben.

1 Im Rhein. Mus. 1880. p. HOff.
 
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