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Die Han- der Demesis.
Roman
von
tz-ivakd August König.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
„Warte damit nur nicht, bis es zu spät ist. Künf-
tige Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, Adelaide,
ich rathe Dir, halte die Augen offen und lasse Dich
nicht durch schöne Worte beirren. Vor allen Dingen
bewahre Dir ein unbefangenes Urtheil."
„Das habe ich stets gethan!"
„Nicht immer! Du wirst Dich erinnern, daß ich Dich
vor manchem Glücksritter gewarnt habe, den: Du volles
Vertrauen schenktest, und der doch nichts weiter als Dein
Vermögen im Auge hatte."
„Und willst Du diesen Vorwurf auch dem Assessor
v. Stuckmann machen?" fragte die Generalin zürnend.
„Ja, und ich habe ein Recht dazu! Weshalb hat
Dein Neffe sich nicht früher eiugefuuden, wenn sein Be-
such nur, oder doch in der Hauptsache
der Taute gelten soll?"
„Das Verbot seines Vaters "
„Müßte es nicht auch heute noch maß-
gebend für ihn sein? lind wenn er heute
den Muth hat, diesem Verbot zu trotzen,
weshalb hat er ihn nicht früher schon
gefunden?"
Die Generalin sand keine Zeit, diese
Frage zu beantworten, bei den letzten
Worten Rabe's war der Kammerdiener
eingetreten, der jetzt seinen: Herrn eine
Karte überreichte.
„Uuxus in tabula!" sagte Rabe spöt-
tisch. „Haben Sie den Herrn Assessor
in den Empfangssalon geführt, Joseph?"
„Zu befehlen!"
„Es ist gut, wir werden sogleich er-
scheinen."
„Assessor v. Stuckmann?" fragte die
Generalin, als der Diener sich entfernt
hatte.
„Er hat diesmal Wort gehalten," nickte
Rabe. „Jetzt beobachte ihn, aber sei,
ich bitte Dich dringend darum, mit der
Einladung, uns öfter zu besuchen, zurück-
haltend. Der Oberst billigt diesen Be-
such nicht, und so lange er den trotzigen
Kops nicht beugt und Dir die Anerkennung
versagt, die er der Wittwe seines Bruders
schuldet, würde jedes Entgegenkommen
Deinerseits eine Demüthigung für Dich
sein."
Er reichte seiner Schwester den Arm
und begleitete sie in den Empfangssalon,
in welchem Siegfried sie erwartete.
Die Generalin schien nicht gesonnen
zu sein, den Warnungen ihres Bru-
ders Folge zu geben, mit jener warmen
und natürlichen Herzlichkeit, die nur einer

edlen Natur eigen ist, hieß sie. den Neffen unter ihren:
Dache willkommen.
Und Siegfried erwiederte diese Herzlichkeit um so
lebhafter und wärmer, als sein scharfer Blick sofort er-
kannte, wie sehr dieser Empfang den: Bruder der Generalin
mißfiel.
„Ich zürnte Ihnen ernstlich, als die Vermuthung,
daß Sie Ihr Versprechen nicht einlösen wollten, mehr
und mehr zur Gewißheit wurde," sagte die Generalin,
nachdem sie auf dem Divan Platz genommen hatte, zu
dem Siegfried sie führte. „Ich kenne die Gründe, die
Sie zurückhielten," fuhr sie in lebhafterem Tone fort, als
sie sah, daß der junge Herr sich entschuldigen wollte,
„die Absicht, Ihnen einen Vorwurf zu mengen, liegt
mir fern. Nun aber, nachdem daS Eis gebrochen ist,
darf ich Wohl hoffen, baß jene Gründe fortan keinen
Einfluß mehr auf Sic haben werden."
Siegfried verneigte sich leicht, es war eine aus-
weichende Antwort, die man nach Belieben deuten konnte.
„Ich will nur gleich meine Schuld bekennen," er-
wiederte er lächelnd, „hätte ich erwarten dürfen, hier

einen so freundlichen Empfang zu finden, würde ich gewiß
nicht so lange gezögert, mich selbst nicht so lange dieses
freudigen und mir wahrhaft wohlthuenden Augenblickes
beraubt haben."
„So hat der Herr Oberst —"
„Gnädige Frau, wir wissen ja Beide, daß die Schranke
schroffer Vorurtheilc die beiden Brüder trennte, wir
können Beide das nur bedauern, es zu ändern lag und
liegt vielleicht auch jetzt noch nicht in unserer Macht."
Arabella trat in diesen: Augenblicke ein; Siegfried
erhob sich und ging ihr entgegen, und war auch der
Empfang von ihrer Seite zurückhaltender, so lag doch
auch ii: ihn: mehr Herzlichkeit und Natürlichkeit, als die
Konvenieuz es erforderte.
Siegfried führte seine schöne Eousine ebenfalls zum
Divan, und das zornige Aufleuchten in den unstäten
Augen Rabe's bereitete ihn: eine wahrhaft freudige Genug-
thuung; die Antipathie, die er schon jetzt gegen diesen
Mann hegte, schlug ihre Wurzel immer tiefer.
„Sie glauben wirklich nicht, daß diese Schranke je-
mals falle:: wird?" fragte die Generalin, den Faden des
Gespräches wieder ausnehmend.
„Wenn ich es nicht glaube, so will
ich damit doch nicht sagen, daß ich es
für unmöglich halte," erwiederte Sieg-
fried. „Ueberlasscn wir das der Zeit
und erfreuen wir uns des Augenblicks."
Aus den schönen Augen Arabella's
traf ihn ein seelenvoller Blick, sie schien
ihn: dafür danken zu wollen, daß er den:
peinlichen Gespräch eine andere Richtung
zu geben suchte, und auch die Generalin
drückte durch ein leichtes Kopfnicken ihre
Zustimmung aus.
Willibald Rabe aber wollte diese Unter-
haltung weiterspinnen, sie bot ihm die
beste Gelegenheit, den Assessor in Ver-
legenheit zu bringen, ihm gewissermaßen
eine Niederlage zu bereiten.
„Wenn diese Schranke noch nicht ge-
fallen ist und nie fallen wird, die, wie
Sie selbst behaupten, ein schroffes Vor-
urtheil errichtet hat, dann wird auch der
Herr Oberst nicht erfahren dürfen, daß
Sic die Schranke zi: übersteigen wagten,"
sagte er, ohne den zürnenden Blick seiner
Schwester zu beachten. „Wir müssen
uns also für dieses Opfer Ihnen zu leb-
haftem Danke verpflichtet fühlen!"
„Eine solche Verpflichtung kann ich
nicht anerkennen, da von meiner Seite
kein Opfer gebracht worden ist," erwie-
derte Siegfried kalt. „Und wie ich von
Jugend auf gewohnt bin, meinem Vater
nichts zu verbergen, so weiß er auch,
daß ich hier bin; wenn auch freilich», wie
ich offen bekenne, ein anderer Vorwand
diesen Besuch ii: seinen Augen recht-
fertigen mußte."
„Diese Offenheit ist in der That an-
erkennenswert^" spottete Rabe.

Lothar Bllcher. Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 55.)
 
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