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Die Hand der Remesis.
Roman
von
Hwatd August König.
(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)
Arabella erschrak, als sie in ihres Onkels fahles
Gesicht blickte, dessen Ziige der mühsam verhaltene Groll
entstellte.
Wußte er schon, daß sie mit Siegfried über ihn ge-
sprochen hatte? War er bereits von dem Inhalt dieser
Unterredung unterrichtet?
Die Gewißheit, daß er es nicht sein konnte, gab ihr
die Fassung wieder.
„Nun?" fragte Rabe höhnisch. „Was hat unsere
Weisheit jetzt herausgebracht?"
„Darf ich fragen, von wem Du redest?" erwiederte
Arabella, entrüstet über den Ton, den er anschlug.
„Bitte, ohne Maske, sie wird Dir
nichts nutzen, meine Augensehen scharf."
„Und was glauben sie gesehen zu
haben?"
„Bah, Deine lange Unterredung mit
dem Gärtner kann doch keinen anderen
Zweck gehabt haben, als den alten
Narren über das Ereigniß der ver-
gangenen Nacht auszuforschen," spottete
Rabe, während er die Asche von feiner
Cigarre schnellte. „Und die Ankunft
des Herrn Assessors, der so ganz
apropos kam, war Wohl auch avisirt?"
Die Wangen des schönen Mädchens
färbten sich höher, die rosigen Lippen
preßten sich einige Sekunden lang fest
auf einander.
„Diese Frage würde mich tief be-
leidigen, wenn sie nicht von einer
niedrigen Gesinnung zeugte," erwiederte
sie, ihm einen vernichtenden Blick
zuwerfend. „Ich habe noch niemals
meine Zuflucht zu Heimlichkeiten ge-
nommen —"
- „Dann wundert's mich, daß der
Herr Assessor sich so konsequent im
Park versteckt hielt," fiel Rabe ihr in's
Wort, und seine Stimme klang noch
höhnischer und boshafter. „Man darf
daraus doch Wohl den Schluß ziehen,
daß sein Besuch Dir allein zuqedacht
war?"
„Vielleicht ist noch ein anderer
Schluß zulässig, vielleicht fürchtet er,
seiu Vater könne noch einmal einen
anonymen Brief erhalten."
Willibald Rabe wandte langsam
das fahle Gesicht zu ihr hin und in
seinem starren Blick las sie nur Ueber-
raschung. „Einen anonymen Brief?"
wiederholte er. „Hast Du ihn viel-
leicht gelesen?"

„Nein, aber ich glaube, daß sein Inhalt Dir nicht
unbekannt sein wird."
„Und woraus folgerst Du diesen kühnen Schluß?"
fragte Rabe, dessen Stirne sich wieder glättete. „Willst
Du gar behaupten, ich müsse selbst ihn geschrieben haben?
Arabella, der Krug geht so lange zum Wasser, bis er
zerbricht, vergiß das nicht! Ich Weiß, daß ich Dir ein
Dorn im Auge bin, hüte Dich, der Dorn könnte Dich
verletzen."
Das war zu viel! Wer hatte denn in diesein Hause
zu gebieten, ihre Mutter oder dieser Mann, der ihr
Drohungen zu sagen Wagte, zu denen nur sein eigenes
schuldbewußtes Gewissen ihm Veranlassung geben konnte!
Alles Blut war aus ihren Wangen gewichen, stolz
und würdevoll stand sie ihm gegenüber, und ihr flam-
mender Blick hätte ihn erkennen lassen müssen, daß ihm
in diesem Kampfe schon jetzt eine Niederlage drohte.
„Ich kann und will Dir darauf nicht antworten,"
erwiederte sie, „ich will Dich nicht an so manches Wort,

an so manches Ereigniß erinnern, was Dir mein Herz
entfremden mußte, will Dich auch nicht darauf aufmerk-
sam machen, daß Deine Lebensweise nicht geeignet ist,
mir Achtung einzuflößen — .wozn das Alles, Mama
wird es Dir oft genug gesagt haben. Aber ernst und
entschieden muß ich Dich ersuchen, meinen Handlungen
keine unlauteren Absichten unterzuschieben, das zeugt
von niedrigen Gesinnungen, die ihr schlimmes Licht auf
Dich selbst zurückwerfen. Es thut mir Weh, daß ich das
dem Bruder meiner theuren Mama sagen muß, aber Du
hast mich dazu gezwungen, das muß meine Offenheit ent-
schuldigen."
Auf den Gutsbesitzer schienen diese Worte gar keinen
Eindruck gemacht zu haben, er lachte und blies einige
Rauchwölkchen einem Schmetterlinge nach, der eben an
ihm vorbeischwebte.
„Ich glaube, wir haben Beide längst gewußt, woran
wir mit einander sind," sagte er achselzuckend, „und viel-
leicht falle ich Dir nicht lange mehr zur Last. Aber das
wollte ich nur beiläufig bemerken, ich
denke, es wird Dir in gewissem Sinne
zum Tröste gereichen. Und wenn Du
glaubst, daß ich gegen den Assessor-
persönlich feindlich gesinnt sei, so ist
das ein Jrrthum, den ich Dir gerne
verzeihen will, ich weiß ja, welchen
Ursachen dieser Jrrthum entspringt.
Ich achte die Verwandten Deiner
Mama hoch, aber zu einer Versöh-
nung der so lange getrennten Familien-
glieder werde ich niemals rathen. Ich
sehe die unausbleiblichen Konsequenzen
solcher Versöhnung voraus, sie bringen
Dich und Deine Mama in's Unglück."
„Und von welcher Seite sollte uns
die Gefahr drohen?"
„Darüber schweige ich, bis der Au-
genblick der Katastrophe gekommen ist."
„Das klingt sehr geheimnißvoll.
Hängt es vielleicht mit den Papieren
zusammen, die den: Gärtner geraubt
worden sind?"
Keine Fiber zuckte in dem fahlen
Gesicht Rabe's, es hatte den Ausdruck
geringschätzender Gleichgiltigkeit an-
genommen.
„Was ich von den Faseleien des
alten Mannes halte, habe ich beim
Frühstück in genügender Weise ge-
äußert," erwiederte er; „hat der
Assessor sich durch diese Albernheiten
nicht beirren lassen, so wird er eben-
falls gefunden haben, daß der Anklage
gegen Joseph kein sicheres Fundament
zn Grunde liegt."
Sein Blick streifte bei den letzten
Worten lauernd das Antlitz Arabella'S,
und diesein scharfen geübten Blick konnte
es nicht entgehen, daß seine Behauptung
auf starke und wohlbegründete Zweifel
stieß.


ProMr Wilhelm Heinrich Niehl. Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. ISS.)
 
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