Dich empfange," sagte er; „ich bin wirklich leidend, ein
solches Kopfweh habe ich in meinem ganzen Leben noch
nicht gehabt."
Ein ironisches Lächeln umzuckte die Lippen der
Generalin.
„Trägt vielleicht der Wechsel die Schuld daran?"
fragte sie.
„Der Wechsel? Wie meinst Du das?"
„Ich sagte Dir ja gestern Mittag, daß ich ihn von
dein Justizrath zurückfordern werde."
„Wirklich?" fragte Rabe scheinbar ganz unbefangen.
„Ich entsinne mich dessen nicht mehr."
Fran v. Stuckmann warf die Oberlippe trotzig auf.
„Glaubst Du in der That, nut dieser Komödie mich
beirren zu können?" erwiederte sie scharf. „Der Justiz-
rath wußte nichts von dem Wechselformular."
„Das hätte ich Dir Voraussagen können, der Wechsel
lag in meiner Kasse."
„Und doch sagtest Du mir, Du habest ihn dem
Justizrath übergeben."
„Das war auch meine Absicht, und ich
glaubte wirklich, diese Absicht ausgeführt
zu haben; später erst erinnerte ich mich,
daß ich, da kein Vergleich zu Staude kam,
den Wechsel wieder mitgenommen hatte."
„Der Justizrath wußte auch nichts von
der Prozeßsache."
„Der Justizrath ist ein Konfusions-
rath," sagte Rabe ärgerlich, „und aufrichtig
gesagt, Adelaide, begreife ich nicht, wes-
halb Du darüber so eingehend mit ihm ge-
redet hast. Schenkst Du mir denn gar kein
Vertrauen mehr?"
„Nein," erwiederte die Generalin in
einem so scharfen schneidenden Tone, daß
Rabe sie bestürzt anblickte. „Wo ist der
Wechsel?"
„Ich habe ihn vernichtet."
„Weshalb?"
„Lieber Himmel, Du verlangtest es ja!
Ich hätte es freilich in Deiner Gegenwart
thnn sollen, aber daran dachte ich erst,
als das' Papier schon zerrissen war. Das
Stückchen, welches Deine Unterschrift trägt,
habe ich aufbewahrt, um Deinem Miß-
trauen zu begegnen — hier ist es."
„Und weshalb bewahrtest Du nicht auch
die anderen Stücke auf?"
„Du wirst beleidigend, Adelaide! Dieses
Mißtrauen habe ich nicht verdient. Hätte
ich nur die leiseste Ahnung davon haben
können, so würde ich nicht die besten Jahre
meines Lebens Deinem Interesse geopfert
haben. Ein anderer Verwalter wäre keinen-
falls so ehrlich und gewissenhaft gewesen —"
„Lassen wir das," schnitt die Generalin
ihm das Wort ab, „von Undank darfst Du
nicht reden, dazu bin ich allein berechtigt.
Du hast mein Vertrauen mißbraucht und
jene Prozeßsache vorgeschoben, um meine
.) Blanco-Unterschrift zn erhalten. Diese
Nie Hand der Nemesis.
Roman
von
Kwakd August König.
(Fortsetzung., .Nachdruck Vorboten.)
Die Generalin blickte starr die alte Frau an, sie
wußte offenbar nicht, wie sic diese Worte deuten sollte.
„Und wie kann ich dafür Sorge tragen, da ich von
dem Geheimniß selbst keine Ahnung habe?" erwiederte sie.
„Wenn Sie den Personen, die dieses Geheimniß ken-
nen, nicht zn nahe treten, so wird Niemand daran
denken —"
„Wer sind diese Personen?"
„Außer mir Herr Rabe und —"
„Und?" fragte die Generalin scharf, als die ehe-
malige Wärterin stockte.
„Und der frühere Tagelöhner Ferdinand Halm, der
vor Kurzen: verhaftet worden ist," sagte
Frau Siebel mit gedämpfter Stimme.
Frau v. Stuckmann erbleichte, eine
namenlose Angst spiegelte sich in ihren
schönen Augen.
„So betrifft jenes Geheimniß die Er-
mordung des Doktors Wieland?"
„Fragen Sie nicht weiter, gnädige
Frau!"
„Halm ist wegen jenes Verbrechens ver-
haftet worden."
„Ich weiß das, aber ob er es begangen
hat, weiß ich nicht, ich kann darüber nur
Vermuthungen hegen. Lassen Sie mir
meine Pension, würde sie mir entzogen,
so wären Noth und Elend mein Loos, und
Nahrungssorgen können zn verzweifelten
Handlungen führen."
„Wenn Sie mir kein Vertrauen schenken
wollen, dürfen Sie auch von mir keine
Wohlthaten erwarten," erwiederte die Gene-
ralin, sich erhebend. „Sie wollen mich
ängstigen, mir sogar drohen, aber ich lasse
mich nicht einschüchtern, am wenigsten von
Personen, die so tief unter mir stehen, daß
ich sie wahrlich nicht zu fürchten brauche."
In den Augen der alten Frau blitzte
es zornig auf.
„Vielleicht sagen Sie mir das, um mich
zur Enthüllung des Geheimnisses zu zwin-
gen," entgegnete sie; „dennoch schweige ich,
nicht in meinem, sondern in Ihren: Inter-
esse. Gegen dei: Vorwurf, daß ich Ihnen
habe drohen wollen, Protestire ich; es lag
in meiner Absicht nur, Sie ans die Ge-
fahren aufmerksam zu machen —"
„Genug!" siel Frau v. Stuckmann ihr
in's Wort. „Ihre Absichten können für
mich keinen: Zweifel mehr unterliegen. Ich
werde mit meinen: Bruder über diese An-
gelegenheit reden, von ihm erhalten Sie
Antwort."
Haus Makart. Nach einer Photographie gezeichnet Non C. Kolb. ( S ü>7
Ein befehlender Wink verabschiedete die ehemalige
Wärterin, und als die Letztere das Boudoir verlassen
hatte, athmete die Generalin tief und schwer auf.
Wie oft schon hatte ihr Bruder mit diesem Geheim-
niß gedroht, welches sie nicht ergründen konnte! Sie
war stets leicht darüber hinweggegangen, jetzt aber, nach-
dem sie erfahren hatte, daß das Schweigen dieser Frau
so theuer erkauft worden war, mußte ihr die schwer-
wiegende Bedeutung des Geheimnisses klar werden. Sie
wollte es erforschen um jeden Preis, die Sache beun-
ruhigte sie, es war ihr stets Bedürfnis gewesen, ii:
allen Dingen klar zu sehen.
Eine Minute später trat sie in das Arbeitszimmer
ihres Bruders. Im Schlafrock, mit verbundenen: Kopf
saß Nabe in seinem Sessel; mit dem matten Lächeln
eines Leidenden empfing er die Schwester, deren finster
nmwölktes Antlitz ihn sofort erkennen ließ, daß er sich
ans einen Stnrm gefaßt machen mußte.
„Du mußt entschuldigen, daß ich in diesem Anzuge