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266

Das Buch für Alle.

uiedergeschrieben haben kann, der seine gesunden Sinne
nicht alle beisammen hatte. Es waren alberne, hirnlose
Vermuthungen und Behauptungen, offenbar nur zu dein
Zwecke ersonnen, Unfrieden zu stiften und im geeigneten
Augenblicke Erpressungsversuche zu machen. Befolgen
Sie jetzt meinen Befehl, und sollte der alte Narr im
Laufe des Tages seine Drohung wiederholen, so erwiedern
Sie ihm, er möge thun, was er nicht lassen könne.
Franz soll in einer Stunde den Schimmel bereit halten,
bin ich am Abend nicht zurück, so warten Sie nicht auf
mich, ich werde danu bei einem Freunde übernachten."
Der Kammerdiener verließ das Kabinet, mit einem
verstohlenen Blick betrachtete er draußen die Flasche, und
sein Kopfschütteln ließ erkennen, daß ihn ein Räthsel
beschäftigte, dessen Lösung er nicht finden konnte.
Dreizehntes Kapitel.
Harte Köpfe.
Frau v. Stuckmann hielt es für unnöthig, ihren
Entschluß bezüglich des aufgefundenen Testaments noch-
mals einer reiflichen Ueberlegung zu unterziehen, aber
sie that es dennoch, um etwaigen späteren Vorwürfen
vorzubengen.
Der Weg, den sie gehen mußte, war ihr klar vorgc-
zeichnct; die Rücksicht auf eigene Interessen konnte und
durfte sie nicht bestimmen, nur um eines Haares Breite
von diesem Wege abzuwcichen.
Und Arabella dachte in diesem Punkte ganz wie ihre
Mutter; sie war empört über die Vorschläge, die Onkel
Willy gemacht hatte und begriff nicht, daß die Generalin
auch jetzt noch den Bruder in Schutz nahm. Wenn
Frau v. Stuckmann behaupten wollte, ihr Bruder habe
diese Vorschläge ohne Ueberlegung gemacht und keines-
wegs ernstlich gemeint, so uriheilte Arabella doch anders
darüber, sie hatte den Onkel schärfer beobachtet und in
seinen Gesichtszügen seine Gedanken gelesen, aber über
ihre eigene Ansicht schwieg sie, wußte sie doch, daß sie
damit nicht durchdrang.
Es war freilich für beide Damen ein niederdrückender
Gedanke, das Schloß verlassen zu müssen, in dem sie so
lange Jahre gewohnt und ein ungetrübtes Glück genossen
hatten, aber das ließ sich nun einmal nicht andern, auf
ein friedliches Zusammenleben nut dem Oberst durfte
man ja nicht rechnen.
Das große Kapital, welches ihnen blieb, gewährte
ihnen auch ferner die Mittel, standesgemäß zu leben, und
wenn auch nach der einen oder anderen Seite hin Ein-
schränkungen nothwendig wurden, so waren dieselben doch
keinesfalls so tief einschneidend, daß sie sich in unange-
nehmer Weise fühlbar machen konnten.
Die Liebe Arabella's zu Siegfried und die völlige
Uebereinstimmung der Generalin mit den Gründen, die
ihren Gatten zu diesen letztwilligen Verfügungen bewogen
hatten, erleichterten den Damen den Uebergang sehr, und
nachdem sie nut muthiger Resignation in das Unabänder-
liche sich gefunden hatten, blieb nur noch die Besorgniß,
wie der Oberst die verspätete Auffindung des Testamentes
aufnchmen und welche Vermuthungen er daran knüpfen
würde. Mit ihrem Bruder konnte die Generalin nicht weiter
darüber berathen, Willibald Nabe war noch vor dem
Diner wieder fortgeritten und am Abend noch nicht zu-
rückgekehrt.
Er kam erst am nächsten Morgen heim, und die
fieberhafte Aufregung, in der er sich befand, machte eine
ruhige Unterredung mit ihm unmöglich.
Wo er wahrend der Nacht gewesen war, sagte er
nicht, und als die Generalin eine darauf bezügliche Frage
an ihn richten wollte, schnitt er ihr das Wort ab mit
der barschen Bemerkung, die Nothwendigkeit, für seine
Existenz zu sorgen, sei Plötzlich so gebieterisch an ihn
herangetreten, daß er unmöglich sie ignoriren könne, und
von jeden: Schritt, . den er im Hinblick darauf thue,
Rechenschaft zu geben, fühle er sich nicht verpflichtet.
Frau v. Stuckmann erwiederte darauf nichts, aber
der zürnende Blick, der aus ihren schönen Augen ihn
traf, ließ ihn doch erkennen, daß er zu weit gegangen war.
Bald nach dem Frühstück traf die Generalin An-
stalten zur Ausführung ihres Entschlusses.
Sie gab Befehl, anspanncn zu lassen und nahm das
Dokument aus dem Sekretär, um es noch einmal zu
lesen und den Wortlaut desselben ihrem Gedächtniß ein-
zuprägen.
Sie hatte die Lektüre noch nicht beendet, als Fran-
ziska, sichtbar erregt, eintrat. Das todesbleiche Gesicht
mit dem starren Blick voll Schrecken und Entsetzen mußten
der Generalin aussallen.
„Was ist geschehen?" fragte sie bestürzt.
„Der alte Gärtner ist todt, erschrecken Sie nicht,
gnädige Frau," erwiederte Franziska in fliegender Hast,
„Franz hat soeben die Leiche gefunden."
„Georg todt?" rief Arabella erschreckt.
„Ja, ja, die Leiche liegt in der Hütte vor dem Bette."
Die Generalin legte das Dokument hin, auch ihre
Wangen waren bleich geworden, und das Entsetzen, wel-
ches in den Zügen ihrer Tochter sich spiegelte, erschreckte
sie noch mehr, als die Nachricht selbst, die doch so plötz-
lich und unerwartet sie getroffen hatte.

„Der alte Mann ist also plötzlich gestorben," sagte
sie, „kennt man schon die Ursache seines Todes?"
Nein."
„Ein Mord liegt doch Wohl nicht vor?"
„Ich weiß cs nicht," erwiederte die Zofe, tief auf-
athmend, „Franz hat davon nichts gesagt."
„Dann muß sofort der Arzt geholt werden —"
Die Generalin brach ab, eben erschien ihr Bruder
auf der Schwelle des Boudoirs.
„Ihr seid also schon unterrichtet?" fragte Rabe mit
einem zürnenden Blick auf die Zofe. „Franziska Hütte
das mir überlassen können, aber die Schwatzhaftigkeit
kann nicht warten, sie muß stets mit der Thüre in's
Haus hinein fallen."
Fest und durchdringend ruhten die blauen Augen
Arabella's auf ihm, er schien es nicht zu bemerken, ein
befehlender Wink gebot der Zofe, sich zu entfernen.
„Der alte Mann hat selbst sich das Leben genommen,"
sagte er, sich zu seiner Schwester wendend; „die Gründe,
die ihn dazu bewogen haben, sind freilich noch unklar,
aber ich glaube sie zu errathen. Ich erinnere Dich an
die Aeußerungen, die ich gestern Morgen über den Geistes-
zustand Georgs gemacht habe —"
„Diesen Vermuthungen muß ich entschieden entgegen-
treten," fiel Arabella ihm in's Wort, „ich habe an Georg
nicht eine Spur von Irrsinn bemerkt. Und steht es
denn wirklich fest, daß hier ein Selbstmord vorliegt?
Ich glaube, das kann nur ein Arzt konstatiren —"
„Erlaube, ehe ich Oekonom wurde, studirtc ich Me-
inem, und ich glaube so viel gelernt zu haben, daß ich
über diesen Fall ein Urtheil abgeben kann. Georg hat
Gift genommen, alle Anzeichen deuten darauf hin."
„Aber zu diesem Selbstmord lagen ja doch gar keine
Gründe vor," sagte die Generalin mit wachsender Erregung.
„Ich habe diese Gründe augenblicklich gefunden,"
erwiederte Rabe achselzuckend. „Georg wollte heute die
gerichtliche Untersuchung wegen seiner angeblichen Be-
raubung beantragen, es war eine fixe Idee, die Wohl
dcni Haß gegen Josepb entsprungen sein mag, aber er
hielt mit zähem Eigensinn daran fest. Und er wußte
auch, daß er ohne Gnade und Rücksicht entlassen wurde,
wenn er seine Anklage nicht beweisen konnte. Und daß
es ihm unmöglich war, die Beweise zu schaffen, muß
ihm wohl auch klar geworden sein; der Aerger und die
Verzweiflung darüber, verbunden mit der Furcht vor
den unausbleiblichen Folgen, wird ihn zu dein Schritt
getrieben haben."
„Und diese Erklärung genügt Dir?" fragte Arabella.
„Findest Du sie unwahrscheinlich?"
„Ja."
Willibald Rabe warf dem schönen Mädchen einen
Blick zu, aus dem glühender Haß leuchtete, dann zuckte
er abermals mit einer Geringschätzung, die an Verachtung
grenzte, die Achseln.
„Dann mußt Du eben eine andere Erklärung suchen,
die Dich besser befriedigt," sagte er, „ich finde keine, und
die Sache hat auch für mich zu geringes Interesse, als
daß ich mir ihretwegen den Kopf zerbrechen möchte.
Nehmen doch jetzt andere Fragen unser Denken vollauf
in Anspruch, Fragen, die weit wichtiger sind, da sie die
eigene Existenz zum Vorwurf haben."
Die Generalin war den: kleinen Wortwechsel mit
sichtbarem Unwillen gefolgt, und dieser Unwille drückte
sich auch in ihren: höchst energischen Kopfschütteln aus.
„Der Fall muß unter allen Umständen klar gelegt
werden," nahm sie das Wort, „Franz soll augenblicklich
mit dein Wagen in die Stadt und den Arzt holen."
„Und mit dem Arzt auch die Behörde," fügte Ara-
bella hinzu.
„Wozu das?" fragte Rabe scharf.
„Ich erachte eine gerichtliche Untersuchung durchaus
geboten, durch sie wird allen etwaigen späteren Ver-
muthungcn vorgebeugt. Alle Diejenigen, welche Georg
gekannt haben, werden der Behauptung, daß er selbst
sich das Leben genommen habe, keinen Glauben schenken,
wenn nicht das Gericht diese Thatsache festgestellt hat."
„Bella hat Recht," sagte die Generalin, „der Arzt
wird ja ohnedies den Selbstmord zur Anzeige bringen
und das Gericht daraufhin die Untersuchung einleiten,
da ist cs kürzer und einfacher, daß wir selbst die An-
zeige machen."
„Ich finde das ganz unnütz," erwiederte Rabe är-
gerlich, „wir geben dadurch nur dein Dienstpersonal
Stoff und Gelegenheit zu nutzlosem Geschwätz."
„Den Stoff hat es bereits," fuhr die Generalin
fort, während sie hastig an der Glockenschnur zog,
„treten wir seinen Vermuthungen entgegen, indem wir
ihm beweisen, daß dazu kein begründeter Anlaß vor-
liegt. Vielleicht findet der Untersuchungsrichter in der
Wohnung des alten Mannes irgend etwas, was über
die Motive der That Aufschluß gibt, es ist dann immer
besser und schwerwiegender, wenn er diesen Aufschluß
findet, als wenn wir — — Franziska, der Kutscher
soll augenblicklich zur Stadt fahren und unfern Haus-
arzt holen!"
Die letzten Worte waren an die Zofe gerichtet, die
sich sofort wieder entfernen wollte, aber durch einen
zweiten Befchl zurückgehalten wurde.

ljest 12.

Franz sollte in der Stadt den Assessor v. Stuckmann
aufsuchen, ihm das Vorgefallene mittheilcn und im Auf-
trage der Generalin ihn bitten, den Arzt zu begleiten,
damit eine sofortige Untersuchung des Vorfalls angeordnet
werden könne.
Rabe fand jetzt gegen diesen Befehl nichts mehr ein-
zuwenden, er kannte ja die Energie seiner Schwester, die
einen einmal gefaßten Entschluß unter allen Umständen
ausführte und sich niemals in dem, was sie wollte und
für Recht erkannte, beirren ließ.
„Du wirst Dir selbst nur Verdruß bereiten," sagte
er, als Franziska das Boudoir verlassen hatte. „Ein
junger Untersuchungsrichter, der sich noch die Sporen
verdienen muß, wittert überall ein geheimnißvolles Ver-
brechen, und der Assessor v. Stuckmann wird diese Ge-
legenheit gewiß benutzen, sein Licht vor Dir leuchten zu
lassen."
„Willy, diese Worte sind geradezu verletzend!"
„Sie enthalten nur Wahrheit, Adelaide. Es ist
niemals gut, wenn man uunöthigerweise sich und Andere
aufregt, und hier finde ich das'in der That unnöthig.
Hat der alte Schwachkopf sich das Leben genommen, wie
daS meines Erachtens evident bewiesen ist, so genügt eS,
den Leuten diese Todesursache mitzulheilen, über die
Gründe, die zu dem Selbstmord geführt haben, kann Jeder
denken, wie er will."
„Wir werden ja sehen," erwiederte die Generalin in
ihrer ruhigen entschlossenen Weise; „angenehm kann mir
der Vorfall um so weniger sein, als er mich eines treuen
Dieners beraubt."
„Den Du vielleicht heute oder morgen hättest ent-
lassen müssen."
„Nicht doch, Willy! Wenn ihm auch bewiesen worden
wäre, daß seine Anklage jeder Begründung entbehrte, so
würde ich darin noch keine wissentlich nnd absichtlich
falsche Anklage erblickt haben."
„Ganz abgesehen hievon, wird ja das Testament Dich
nöthigen, das gesammte Dienstpersonal zu entlassen."
„Wenn der Oberst die alten Diener nicht übernimmt,
so werde ich in anderer Weise für sie Sorge tragen."
„Auch für Joseph?"
„Nein, für ihn nicht, die Sorge für ihn überlasse
ich Dir, er hat sich niemals meiner Sympathie erfreut."
Der Gutsbesitzer ließ den Blick zürnend zu Arabella
hinüberschwcifen, als ob er sie für diese Hartherzigkeit
verantwortlich machen wollte.
„Wolltest Du nicht heute Morgen das Testament
dem Oberst vorlegen?" fragte er mit leisem Spott.
„Es wird sofort nach beendeter Untersuchung ge-
schehen."
„Dann wird Dir vorher noch Gelegenheit geboten,
den Herrn Assessor mit der frohen Nachricht zu über-
raschen."
In den Augen der Generalin blitzte der Zorn auf.
„Dies ist ausschließlich meine Angelegenheit," sagte
sie mit scharfer Betonung, und ihr Blick heftete sich dabei
drohend auf das fahle Gesicht des Bruders, „ich muß
mir jede Einmischung in dieselbe verbitten. Wie ich sie
zn ordnen gedenke, so soll sie geordnet werden, und ich
wüßte nicht, wer, außer dem Oberst und mir, etwas
damit zu schaffen hätte."
„Das war sehr deutlich gesprochen," erwiederte Rabe
gereizt, „deutlicher kann man Niemand darauf aufmerk-
sam machen, daß er überflüssig geworden ist."
„Das ist nun auch wieder eine falsche Schlußfol-
gerung, an die ich gar nicht gedacht habe, Willy! Wenn
der Oberst die Erbschaft antritt, wirst Du ihm immer-
hin noch eine Zeit lang unentbehrlich sein —"
„Glaubst Du denn, ich bliebe dann nur noch eine
Minute unter diesem Dache?"
„Wenn auch gerade nicht das, aber Du wirst doch
ihn: oder seinem Verwalter die Bücher übergeben und
über so Manches Auskunft geben müssen —"
„Ich werde ihn: diesen Gefallen nicht erzeigen," fiel
Rabe seiner Schwester in's Wort; „mögen sie zusehcn,
wie sie fertig werden, das nöthige Material finden sie ja
in meinem Arbeitskabinet. Du verbietest mir, mich in
diese Angelegenheit einzumischen, so will ich Dir auch
die Auseinandersetzung überlassen, wer meinen gutge-
meinten Rath verschmäht, der darf auch nicht auf meinen
Beistand rechnen." Er ging nach diesen Worten hinaus,
betroffen blickte Frau v. Stuckmann ihre Tochter an.
So unhöflich war er noch nie ihr entgegengetrcten, selbst
dann nicht, wenn sie ihm aus irgend einem Grunde die
bittersten Vorwürfe gemacht hatte.
„Er befindet sich in gereizter Stimmung," sagte sic
in entschuldigendem Tone, „und diese Stimmung muß
man ja begreiflich finden. Sein Haß gegen den Obersten
hat durch dieses Testament neue Nahrung erhalten, er
wird noch mehr geschürt durch die Sorge um die eigene
Existenz."
„Ich beneide Ella v. Lossow nicht," erwiederte
Arabella.
„Ella v. Lossow?" fragte die Generalin überrascht.
„Hat sie Dir gestern Abend Mittheilungen gemacht?"
„Onkel Willy hat uni ihre Hand geworben und so-
gar, was mir unbegreiflich ist, von dem Vater Ella's
eine Zusage erhalten."
 
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