326
„Ich mache einen Papicrumschlag um dies Kästchen
und versiegele denselben, so daß es nicht herausgenom-
inen werden kann, ohne die Siegel zn verletzen."
„Eine solche Vorsichtsmaßregel finde ich eigentlich
überflüssig."
„Meine Auftraggeberin besteht darauf, daß es so
gemacht Werden soll."
„Aha, eine Dame ist im Spiel?"
„Ja."
„Dann mnß man freilich ihren Befehl respektiren."
„Sie stellen einen Empfangschein aus, daß Sie Ju-
welen zum Werlhe von 100,000 Livres empfangen haben,
mit der Erklärung, daß Sie das Kästchen mit unver-
letzten Siegeln zurückgeben wollen, gegen Rückzahlung
des Darlehens von 20,000 Livres, nebst 5000 Livres
Provision."
„Und wenn nun der Termin der Rückzahlung sich
verzögern sollte? Das kommt bisweilen vor."
„So erhalten Sie für jeden weiteren Monat 1000
Livres. Ich denke, Sie können damit zufrieden sein."
„Vortrefflich! Ich werde das Dokument in diesem
Sinne ausfertigcn."
„Papier, Siegellack und Petschaft habe ich mitge-
bracht," sagte der Cavalier, in die Tasche greifend und
die erwähnten Gegenstände zum Vorschein bringend.
„Reichen Sie mir doch gütigst einen Wachsstock."
Der Juwelier wandte sich für einen Augenblick um
und nahm von seinen! Schreibtisch einen Wachsstock,
welchen er anzündete.
Der Marquis hüllte nun das rothe Juwelenküstcheu
sorgfältig in einen Bogen dickes Weißes Papier und
setzte drei Siegel darauf, wodurch ein sicherer Verschluß
entstand.
Herr Bregnct betrachtete die Siegel, welche ein
Phautasiewappen zeigten, und setzte das Päckchen in
seinen großen eisernen Schrank zu anderen Werthsachen.
Darauf zählte er 20,000 Livres in Gold und Bank-
noten auf, welche Summe der Cavalier sorgfältig nach-
zählte und demnächst in seinen Taschen uuterbrachte.
Sodann schrieb der Juwelier den verlangten Em-
pfangschein, mit dessen Fassung der Marquis sich völlig
zufrieden erklärte. Nachdem er das Dokument in seine
Brieftasche gesteckt, verließ er den Laden, dessen Eigner
ihm mit einigen höflichen Bücklingen das Geleite gab.
Die Sänfte wartete noch draußen. Der Cavalier stieg
ein, die Träger warfen ihre Riemen über und gleich
darauf verschwand im Menschengewühl der Straße St.
Denis die sonderbare, damals sehr gebräuchliche Beför-
dcrungsmaschine.
Herr Bregnet kehrte, als die Sänfte seinen Blicken
entschwunden Ivar, in den Laden zurück und rieb sich
vergnügt die Hände. Er hatte nach seiner Meinung ein
sehr gutes Geschäft gemacht.
2.
Vier Monate vergingen, aber der Cavalier stellte
sich nicht wieder ein. Noch ein Monat schwand hin,
doch wer nicht kam, war der Marquis v. Boisrobert.
„Meinetwegen!" dachte der brave Herr Bregnet.
„Mag er doch immerhin ein ganzes Jahr fortbleiben,
zu einem um so höheren Betrag steigert sich meine
Provision!"
Ein Vierteljahr später las der Juwelier in seiner
täglichen Gazette, daß der alte Marquis v. Boisrobert
auf seinem Gute in der Normandie gestorben sei und
dem einzigen Sohne ein ungeheures Vermögen hinter-
lassen habe, das auf mehrere Millionen Livres geschützt
wurde.
„Aha!" dachte Herr Bregnet, „jetzt wird sich der
junge Erbe Wohl bald einstellen, um die Juwelen seiner
Schwester oder seiner Geliebten eiuznlöfen. Sein Vater
muß knauserig gegen ihn gewesen sein; aber jetzt, da
der junge Herr über Millionen kommandirt, gibt es
doch keinen Grund mehr für ihn, das Pfandobjekt in
meinem Besitz zu lassen. Vielleicht vermählt er sich
bald, braucht Schmuck für seine Braut und gönnt nur
seine fernere Kundschaft!"
Indessen Woche auf Woche verging und der Mar-
quis stellte sich immer noch nicht ein. Nachgerade kam
dies dem Juwelier recht sonderbar vor. Bisweilen nahm
er das versiegelte Kästchen aus dem Schranke, wog cs
in der Hand und betrachtete mißtrauisch die drei Siegel.
„Sollte etwa eine arge Gaunerei dahinter stecken?"
war sein stiller Gedanke. „Sollte der junge elegante
Herr vielleicht gar nicht der Marquis v. Boisrobert
gewesen sein, sondern sich nur für diesen ansgegeben
haben, um ein Kästchen gestohlener Juwelen für irgend
einen Preis zu verwerthen? Ich habe freilich in diesem
letzten Jahre von keinem bedeutenden Juwelendiebstahle
gehört. Allein dennoch könnte cs möglich sein!"
Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe mehr, und er
beschloß endlich, der Sache auf die Spur zu kommen.
Zunächst zog er Erkundigungen ein über die Adresse des
jungen Marquis und erfuhr, daß derselbe beim Hof-
halt des Königs angestellt sei und eine Wohnung in
Versailles habe.
Schon am nächsten Tage fuhr er nach Versailles und
machte dem Marquis v. Boisrobert seine Aufwartung.
Las Buch für Alle.
Wie bestürzt wurde er, als er in dem reichen Erben
und vornehmen Höfling nicht Denjenigen erkannte, wel-
chen er zu finden hoffte.
Mit stockender Stimme und in ziemlicher Verlegen-
heit erzählte er den Beweggrund seines Kommens.
Der Marquis erklärte zornig, daß er niemals Ju-
welen versetzt habe, und nannte die Znmuthung eine
Unverschämtheit.
Es fehlte nicht viel, so hätte er den armen Herrn
Bregnet die Treppe hinunterwerfen lassen.
Ganz außer sich vor Bestürzung kam der Juwelier
iu Paris wieder an.
Noch gab es eine Möglichkeit.
Es konnte ja vielleicht noch einen zweiten Marquis
von Boisrobert in Frankreich geben.
Er fragte schriftlich bei dem Hcroldsamte an und
erhielt den Bescheid, daß nur ein Abkömmling des alten
Geschlechts noch übrig sei.
Herr Breguet schickte jetzt nach seinem Sachwalter, um
sich mit ihm zu berathcn.
Herr Dupont — so hieß der Sachwalter — schüt-
telte den Kopf, als er' die eigenthümliche Juwelenge-
schichte vernommen hatte.
„Da steckt jedenfalls eine arge Spitzbüberei dahinter,"
meinte er.
„Ich glaube das auch," versetzte Breguet betrübt.
. „Es ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, daß die
Juwelen gestohlen sind."
„Wenn das der Fall ist, so muß ich sie heraus-
geben und habe keinen Anspruch auf Entschädigung."
„Nun, vielleicht würde der wirkliche Eigenthümer
doch ein Einsehen haben und Sie nicht den ganzen Ver-
lust tragen lassen."
„Das Merkwürdige ist nur, daß im letzten Jahre
gar nichts von einem bedeutenden Juwelendiebstahl ver-
lautet hat. Wäre ein solcher vorgekommen, so hätte die
Polizei mich davon in Kenntniß gesetzt, wie das in solchen
Füllen regelmäßig geschieht."
„Tragen die Schmucksachen besondere Abzeichen?"
„Ohne allen Zweifel. Aber ich habe keine Gelegen-
heit gehabt, dieselben in der Beziehung genauer zu un-
tersuchen. Ich prüfte nur die Steine und erkannte, daß
ihr Werth mindestens 100,000 Livres ausmache. Dar-
auf wurde das Kästchen verschlossen, eingehüllt, ver-
siegelt und verblieb so, wie Sie es hier sehen, in meinem
Besitz."
Der Juwelier gab das versiegelte Kästchen seinem
Rechtsbeistand in die Hand.
„Das Siegel stellt ein dummes Phantasiewappcn
vor," sagte Herr Dupont; „das sieht man sogleich."
„Ja," entgegnete Breguet, „das hatte für mich da-
mals weiter nichts Auffälliges. Ich glaubte, daß der
Marquis absichtlich ein solches Petschaft gewählt. Er
schien etwas mißtrauisch und von meiner Diskretion nicht
genügend überzeugt zu sein."
„Was wollen Sie denn nun thun? Es scheint mir
nothwendig, daß das Kästchen geöffnet werden niuß, um
sehen zu können, ob sich aus den Abzeichen der Juwelen
weitere Anhaltspunkte zur Aufklärung dieser dunklen
Affaire ergeben."
„Sicherlich, das muß geschehen, aber vor Zeugen,
in Gegenwart eines höheren Polizeibeamteu."
„Gut," sagte Herr Dupont, „ich will nach der
Polizeiprüfektur gehen und die Angelegenheit dort zur
Anzeige bringen. Heute Nachmittag, zwischen drei und
vier Uhr, könnten wir als Termin festsetzen für die Er-
öffnung des Kästchens."
„Ja, das ist mir recht," versetzte der Juwelier.
„Diese Sache macht mir viele Sorgen und ich wünsche
sie so bald wie möglich zu Ende zn bringen."
Der Sachwalter entfernte sich und begab sich gerade-
wegs nach der Polizeipräfektur, wo er die merkwürdige
Juwelenaffaire ausführlich zur Anzeige brachte. Der
Hochgebietende Präfekt, Herr Berryer, war persönlich
anwesend und ihm erschien die Angelegenheit so eigen-
thümlich, auffällig und interessant, daß er selber bei der
Eröffnung des Kästchens zugegen sein wollte und sich
um drei Uhr im Breguet'schen Hause einzustellen versprach.
Um die erwähnte Zeit erschien er denn auch richtig
und begab sich mit dem gleichfalls eingetroffenen Sach-
walter DuPont und dem Hausherrn in des Letzteren
Privatkabinet. Herr Breguet holte das versiegelte Käst-
chen und stellte cs auf den Tisch. Der Präfekt legte
einen Bogen Papier daneben und schrieb die Eingangs-
formel des Protokolls.
„Brechen Sie die Siegel, Herr Breguet," sagte er.
„Es geschieht mit meiner Zustimmung."
Der Juwelier erbrach die Siegel und riß die Papier-
umhüllung ab. Es kam das zierliche, mit rothem Leder
überzogene Kästchen znm Vorschein.
„Einen Schlüssel habe ich nicht dazu," bemerkte er;
„aber ich besitze ein Instrument, womit ich das Schloß
gewiß schnell öffnen kann."
„Nun, so thun Sie das!"
Herr Breguet holte ein kleines spitzes stählernes In-
strument, steckte es in das Schlüsselloch und drehte es
um. Da gab es einem leisen Knack und der Deckel ließ
sich aufheben.
Hrst 14.
Der Juwelier stieß eine» Ausruf der höchsten lleber-
raschnng und Bestürzung aus.
Nicht die funkelnden Juwelen, die er einst gesehen
und mm wieder zn sehen erwartete, lagen vor ihm.
Seinen staunenden Blicken zeigten sich fünf ganz ordinäre
Flußkieselsteine, die sorgsam zwischen alte wollene Lappen
in das Kästchen gepackt waren. Wo waren die Dia-
manten, Rubinen, Saphire und Smaragde geblieben,
die er einst mit Kenneraugen taxirte? Er glaubte zu
träumen!
Auch der Polizeipräfekt und der Sachwalter Dupont
waren außerordentlich erstaunt.
„Das ist ein sehr geschickter Gaunerstreich, meiner
Treue," sagte Ersterer endlich mit kaum merklichen!
Lächeln über die Bestürzung des Hausherrn. „Ein ge-
wandter Escamoteur hat Ihnen den Streich gespielt,
Herr Bregnet. Er hat zwei Kästchen gehabt und in
einem Augenblick, als Sie unachtsam waren, das echte
Kästchen mit dem falschen vertauscht."
„Er kann es nur gemacht haben in dem Moment,
als ich mich umwandte, um ihm den Wachsstock zu reichen,
welchen er zum Siegeln brauchen wollte," murmelte der
Goldschmied.
„Richtig! Das war von dein Gauner schlau berechnet
und inan mnß gestehen, daß er seinen Plan meisterhaft
ausführte. Sie wissen also nun, welche Bewandtniß es
mit dem Marquis v. Boisrobert hat."
„Ja, das. weiß ich nun," versetzte Herr Breguet.
„Ich bin beschwindelt um gute 20,000 Livres. Aber
wie konnte ich einen solchen Streich bei dem jungen
eleganten Cavalier voraussetzen? Die Juwelen, welche
er mir zeigte, waren doch echt und gut. Wie kommt
der Gauner dazu, mit solchen Pretiosen zu operiren, die
er gleichsam als Handwerkszeug benutzte? Wer hatte
ihm die Kostbarkeiten anvertraut? Auf Grund eines
früher ausgeführten Juwelendiebstahls konnte es nicht
geschehen, das hätte er schwerlich gewagt."
„Und doch kann cs kaum anders sein," meinte
Berryer, „obgleich freilich Manches räthselhaft in dieser
Sache bleibt. Ein Spitzbube, der statt mit Brecheisen
und Dietrich mit Hunderttausendlivres-Juwelenküstcheu
seine Operationen ausführt, ist allerdings ein seltenes
Kuriosum. Vielleicht gibt es jedoch ein Mittel, diesem
Räthsel auf die Spur zu kommen und den sonderbaren
Escamoteur zn erwischen, Ihre 20,000 Livres aber
werden wahrscheinlich verloren sein, Herr Breguet."
„Ich muß den beträchtlichen Verlust verschmerzen,"
entgegnete der Goldschmied. „Eine besondere Genug-
thuung aber würde darin für mich liegen, wenn der
spitzbübische fingirte Marquis beim Kragen genommen
werden könnte."
„Wir wollen versuchen, den Schlaukopf durch List
zu fangen," sagte der Polizeiprüfekt. „Heute Nacht
Passirt ein Einbruch bei Ihnen, Herr Breguet, und cs
wird Ihnen außer anderen Sachen auch das versiegelte
Juwelenküstcheu gestohlen. Dies geben wir vor und
machen es durch die Zeitungen und durch Maneran-
schläge bekannt. Der Gauner wird sich dann vielleicht
melden und von Ihnen Ersatz verlangen. Bei der Ge-
legenheit nehmen wir ihn fest."
Der Juwelier und der Sachwalter hatten nichts
gegen diesen Plan einznwcnden, obgleich sie doch nicht
recht an den Erfolg desselben glaubten.
I.
Unter den Neuigkeiten, welche am folgenden Tage in
Paris knrsirtcn, beschäftigte die öffentliche Aufmerksamkeit
am meisten ein frecher Einbruch, der in der Nacht vor-
her bei dem Juwelier Bregnet in der Straße St. Denis
passirt sein sollte.
Es wurde behauptet, daß die Räuber Juwelen zum
Werthc von mehr als einer halben Million weggcschleppt
hätten.
In den Zeitungen erschien eine Polizeiliche Bekannt-
machung, welche vor Ankauf der geraubten Juwelen
warnte und eine hohe Belohnung für die Entdeckung
der Thäter verhieß. Dieselbe wnrde auch durch Mauer-
anschläge in allen Stadltheilen von Paris verbreitet. Be-
sonders bemerkenswerth erschien unter den als geraubt
bezeichneten Gegenständen ein versiegeltes Juwelenkästchcn,
dessen auf 100,000 Livres geschützten Inhalt der Be-
stohlene selbst nur oberflächlich zu kennen vorgab.
Ueberall sprach man von dieser Räuberei, die mit solcher
Geschicklichkeit und Kühnheit ausgeführt war, daß man
Hütte glauben können, Cartonche sei von den Todten
auferstanden und habe zum zweiten Male dem Bre-
guetsichen Laden eine nächtliche Visite abgestattet.
Manche Personen, die bei dem Juwelier kostbare
Pfänder stehen oder ihm Schmucksachen zur Reparatur
übergeben hatten, gericthen ihres Eigenthnms wegen
in Besorgniß und erkundigten sich danach. Sic wurden
sämmtlich beruhigt durch die Versicherung, daß von
ihren Sachen nichts abhanden gekommen sei. —
In der engen, düsteren und schlecht gepflasterten
Straße Rambuteau, welche an den sogenannten „Wun-
derhof" grenzte und, wie dieser selbst, ein Asyl der
Verbrecher und aller möglnen zweifelhaften Existenzen
war, saß in dem feuchten halbdunklen Hofzimmer eines
„Ich mache einen Papicrumschlag um dies Kästchen
und versiegele denselben, so daß es nicht herausgenom-
inen werden kann, ohne die Siegel zn verletzen."
„Eine solche Vorsichtsmaßregel finde ich eigentlich
überflüssig."
„Meine Auftraggeberin besteht darauf, daß es so
gemacht Werden soll."
„Aha, eine Dame ist im Spiel?"
„Ja."
„Dann mnß man freilich ihren Befehl respektiren."
„Sie stellen einen Empfangschein aus, daß Sie Ju-
welen zum Werlhe von 100,000 Livres empfangen haben,
mit der Erklärung, daß Sie das Kästchen mit unver-
letzten Siegeln zurückgeben wollen, gegen Rückzahlung
des Darlehens von 20,000 Livres, nebst 5000 Livres
Provision."
„Und wenn nun der Termin der Rückzahlung sich
verzögern sollte? Das kommt bisweilen vor."
„So erhalten Sie für jeden weiteren Monat 1000
Livres. Ich denke, Sie können damit zufrieden sein."
„Vortrefflich! Ich werde das Dokument in diesem
Sinne ausfertigcn."
„Papier, Siegellack und Petschaft habe ich mitge-
bracht," sagte der Cavalier, in die Tasche greifend und
die erwähnten Gegenstände zum Vorschein bringend.
„Reichen Sie mir doch gütigst einen Wachsstock."
Der Juwelier wandte sich für einen Augenblick um
und nahm von seinen! Schreibtisch einen Wachsstock,
welchen er anzündete.
Der Marquis hüllte nun das rothe Juwelenküstcheu
sorgfältig in einen Bogen dickes Weißes Papier und
setzte drei Siegel darauf, wodurch ein sicherer Verschluß
entstand.
Herr Bregnct betrachtete die Siegel, welche ein
Phautasiewappen zeigten, und setzte das Päckchen in
seinen großen eisernen Schrank zu anderen Werthsachen.
Darauf zählte er 20,000 Livres in Gold und Bank-
noten auf, welche Summe der Cavalier sorgfältig nach-
zählte und demnächst in seinen Taschen uuterbrachte.
Sodann schrieb der Juwelier den verlangten Em-
pfangschein, mit dessen Fassung der Marquis sich völlig
zufrieden erklärte. Nachdem er das Dokument in seine
Brieftasche gesteckt, verließ er den Laden, dessen Eigner
ihm mit einigen höflichen Bücklingen das Geleite gab.
Die Sänfte wartete noch draußen. Der Cavalier stieg
ein, die Träger warfen ihre Riemen über und gleich
darauf verschwand im Menschengewühl der Straße St.
Denis die sonderbare, damals sehr gebräuchliche Beför-
dcrungsmaschine.
Herr Bregnet kehrte, als die Sänfte seinen Blicken
entschwunden Ivar, in den Laden zurück und rieb sich
vergnügt die Hände. Er hatte nach seiner Meinung ein
sehr gutes Geschäft gemacht.
2.
Vier Monate vergingen, aber der Cavalier stellte
sich nicht wieder ein. Noch ein Monat schwand hin,
doch wer nicht kam, war der Marquis v. Boisrobert.
„Meinetwegen!" dachte der brave Herr Bregnet.
„Mag er doch immerhin ein ganzes Jahr fortbleiben,
zu einem um so höheren Betrag steigert sich meine
Provision!"
Ein Vierteljahr später las der Juwelier in seiner
täglichen Gazette, daß der alte Marquis v. Boisrobert
auf seinem Gute in der Normandie gestorben sei und
dem einzigen Sohne ein ungeheures Vermögen hinter-
lassen habe, das auf mehrere Millionen Livres geschützt
wurde.
„Aha!" dachte Herr Bregnet, „jetzt wird sich der
junge Erbe Wohl bald einstellen, um die Juwelen seiner
Schwester oder seiner Geliebten eiuznlöfen. Sein Vater
muß knauserig gegen ihn gewesen sein; aber jetzt, da
der junge Herr über Millionen kommandirt, gibt es
doch keinen Grund mehr für ihn, das Pfandobjekt in
meinem Besitz zu lassen. Vielleicht vermählt er sich
bald, braucht Schmuck für seine Braut und gönnt nur
seine fernere Kundschaft!"
Indessen Woche auf Woche verging und der Mar-
quis stellte sich immer noch nicht ein. Nachgerade kam
dies dem Juwelier recht sonderbar vor. Bisweilen nahm
er das versiegelte Kästchen aus dem Schranke, wog cs
in der Hand und betrachtete mißtrauisch die drei Siegel.
„Sollte etwa eine arge Gaunerei dahinter stecken?"
war sein stiller Gedanke. „Sollte der junge elegante
Herr vielleicht gar nicht der Marquis v. Boisrobert
gewesen sein, sondern sich nur für diesen ansgegeben
haben, um ein Kästchen gestohlener Juwelen für irgend
einen Preis zu verwerthen? Ich habe freilich in diesem
letzten Jahre von keinem bedeutenden Juwelendiebstahle
gehört. Allein dennoch könnte cs möglich sein!"
Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe mehr, und er
beschloß endlich, der Sache auf die Spur zu kommen.
Zunächst zog er Erkundigungen ein über die Adresse des
jungen Marquis und erfuhr, daß derselbe beim Hof-
halt des Königs angestellt sei und eine Wohnung in
Versailles habe.
Schon am nächsten Tage fuhr er nach Versailles und
machte dem Marquis v. Boisrobert seine Aufwartung.
Las Buch für Alle.
Wie bestürzt wurde er, als er in dem reichen Erben
und vornehmen Höfling nicht Denjenigen erkannte, wel-
chen er zu finden hoffte.
Mit stockender Stimme und in ziemlicher Verlegen-
heit erzählte er den Beweggrund seines Kommens.
Der Marquis erklärte zornig, daß er niemals Ju-
welen versetzt habe, und nannte die Znmuthung eine
Unverschämtheit.
Es fehlte nicht viel, so hätte er den armen Herrn
Bregnet die Treppe hinunterwerfen lassen.
Ganz außer sich vor Bestürzung kam der Juwelier
iu Paris wieder an.
Noch gab es eine Möglichkeit.
Es konnte ja vielleicht noch einen zweiten Marquis
von Boisrobert in Frankreich geben.
Er fragte schriftlich bei dem Hcroldsamte an und
erhielt den Bescheid, daß nur ein Abkömmling des alten
Geschlechts noch übrig sei.
Herr Breguet schickte jetzt nach seinem Sachwalter, um
sich mit ihm zu berathcn.
Herr Dupont — so hieß der Sachwalter — schüt-
telte den Kopf, als er' die eigenthümliche Juwelenge-
schichte vernommen hatte.
„Da steckt jedenfalls eine arge Spitzbüberei dahinter,"
meinte er.
„Ich glaube das auch," versetzte Breguet betrübt.
. „Es ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, daß die
Juwelen gestohlen sind."
„Wenn das der Fall ist, so muß ich sie heraus-
geben und habe keinen Anspruch auf Entschädigung."
„Nun, vielleicht würde der wirkliche Eigenthümer
doch ein Einsehen haben und Sie nicht den ganzen Ver-
lust tragen lassen."
„Das Merkwürdige ist nur, daß im letzten Jahre
gar nichts von einem bedeutenden Juwelendiebstahl ver-
lautet hat. Wäre ein solcher vorgekommen, so hätte die
Polizei mich davon in Kenntniß gesetzt, wie das in solchen
Füllen regelmäßig geschieht."
„Tragen die Schmucksachen besondere Abzeichen?"
„Ohne allen Zweifel. Aber ich habe keine Gelegen-
heit gehabt, dieselben in der Beziehung genauer zu un-
tersuchen. Ich prüfte nur die Steine und erkannte, daß
ihr Werth mindestens 100,000 Livres ausmache. Dar-
auf wurde das Kästchen verschlossen, eingehüllt, ver-
siegelt und verblieb so, wie Sie es hier sehen, in meinem
Besitz."
Der Juwelier gab das versiegelte Kästchen seinem
Rechtsbeistand in die Hand.
„Das Siegel stellt ein dummes Phantasiewappcn
vor," sagte Herr Dupont; „das sieht man sogleich."
„Ja," entgegnete Breguet, „das hatte für mich da-
mals weiter nichts Auffälliges. Ich glaubte, daß der
Marquis absichtlich ein solches Petschaft gewählt. Er
schien etwas mißtrauisch und von meiner Diskretion nicht
genügend überzeugt zu sein."
„Was wollen Sie denn nun thun? Es scheint mir
nothwendig, daß das Kästchen geöffnet werden niuß, um
sehen zu können, ob sich aus den Abzeichen der Juwelen
weitere Anhaltspunkte zur Aufklärung dieser dunklen
Affaire ergeben."
„Sicherlich, das muß geschehen, aber vor Zeugen,
in Gegenwart eines höheren Polizeibeamteu."
„Gut," sagte Herr Dupont, „ich will nach der
Polizeiprüfektur gehen und die Angelegenheit dort zur
Anzeige bringen. Heute Nachmittag, zwischen drei und
vier Uhr, könnten wir als Termin festsetzen für die Er-
öffnung des Kästchens."
„Ja, das ist mir recht," versetzte der Juwelier.
„Diese Sache macht mir viele Sorgen und ich wünsche
sie so bald wie möglich zu Ende zn bringen."
Der Sachwalter entfernte sich und begab sich gerade-
wegs nach der Polizeipräfektur, wo er die merkwürdige
Juwelenaffaire ausführlich zur Anzeige brachte. Der
Hochgebietende Präfekt, Herr Berryer, war persönlich
anwesend und ihm erschien die Angelegenheit so eigen-
thümlich, auffällig und interessant, daß er selber bei der
Eröffnung des Kästchens zugegen sein wollte und sich
um drei Uhr im Breguet'schen Hause einzustellen versprach.
Um die erwähnte Zeit erschien er denn auch richtig
und begab sich mit dem gleichfalls eingetroffenen Sach-
walter DuPont und dem Hausherrn in des Letzteren
Privatkabinet. Herr Breguet holte das versiegelte Käst-
chen und stellte cs auf den Tisch. Der Präfekt legte
einen Bogen Papier daneben und schrieb die Eingangs-
formel des Protokolls.
„Brechen Sie die Siegel, Herr Breguet," sagte er.
„Es geschieht mit meiner Zustimmung."
Der Juwelier erbrach die Siegel und riß die Papier-
umhüllung ab. Es kam das zierliche, mit rothem Leder
überzogene Kästchen znm Vorschein.
„Einen Schlüssel habe ich nicht dazu," bemerkte er;
„aber ich besitze ein Instrument, womit ich das Schloß
gewiß schnell öffnen kann."
„Nun, so thun Sie das!"
Herr Breguet holte ein kleines spitzes stählernes In-
strument, steckte es in das Schlüsselloch und drehte es
um. Da gab es einem leisen Knack und der Deckel ließ
sich aufheben.
Hrst 14.
Der Juwelier stieß eine» Ausruf der höchsten lleber-
raschnng und Bestürzung aus.
Nicht die funkelnden Juwelen, die er einst gesehen
und mm wieder zn sehen erwartete, lagen vor ihm.
Seinen staunenden Blicken zeigten sich fünf ganz ordinäre
Flußkieselsteine, die sorgsam zwischen alte wollene Lappen
in das Kästchen gepackt waren. Wo waren die Dia-
manten, Rubinen, Saphire und Smaragde geblieben,
die er einst mit Kenneraugen taxirte? Er glaubte zu
träumen!
Auch der Polizeipräfekt und der Sachwalter Dupont
waren außerordentlich erstaunt.
„Das ist ein sehr geschickter Gaunerstreich, meiner
Treue," sagte Ersterer endlich mit kaum merklichen!
Lächeln über die Bestürzung des Hausherrn. „Ein ge-
wandter Escamoteur hat Ihnen den Streich gespielt,
Herr Bregnet. Er hat zwei Kästchen gehabt und in
einem Augenblick, als Sie unachtsam waren, das echte
Kästchen mit dem falschen vertauscht."
„Er kann es nur gemacht haben in dem Moment,
als ich mich umwandte, um ihm den Wachsstock zu reichen,
welchen er zum Siegeln brauchen wollte," murmelte der
Goldschmied.
„Richtig! Das war von dein Gauner schlau berechnet
und inan mnß gestehen, daß er seinen Plan meisterhaft
ausführte. Sie wissen also nun, welche Bewandtniß es
mit dem Marquis v. Boisrobert hat."
„Ja, das. weiß ich nun," versetzte Herr Breguet.
„Ich bin beschwindelt um gute 20,000 Livres. Aber
wie konnte ich einen solchen Streich bei dem jungen
eleganten Cavalier voraussetzen? Die Juwelen, welche
er mir zeigte, waren doch echt und gut. Wie kommt
der Gauner dazu, mit solchen Pretiosen zu operiren, die
er gleichsam als Handwerkszeug benutzte? Wer hatte
ihm die Kostbarkeiten anvertraut? Auf Grund eines
früher ausgeführten Juwelendiebstahls konnte es nicht
geschehen, das hätte er schwerlich gewagt."
„Und doch kann cs kaum anders sein," meinte
Berryer, „obgleich freilich Manches räthselhaft in dieser
Sache bleibt. Ein Spitzbube, der statt mit Brecheisen
und Dietrich mit Hunderttausendlivres-Juwelenküstcheu
seine Operationen ausführt, ist allerdings ein seltenes
Kuriosum. Vielleicht gibt es jedoch ein Mittel, diesem
Räthsel auf die Spur zu kommen und den sonderbaren
Escamoteur zn erwischen, Ihre 20,000 Livres aber
werden wahrscheinlich verloren sein, Herr Breguet."
„Ich muß den beträchtlichen Verlust verschmerzen,"
entgegnete der Goldschmied. „Eine besondere Genug-
thuung aber würde darin für mich liegen, wenn der
spitzbübische fingirte Marquis beim Kragen genommen
werden könnte."
„Wir wollen versuchen, den Schlaukopf durch List
zu fangen," sagte der Polizeiprüfekt. „Heute Nacht
Passirt ein Einbruch bei Ihnen, Herr Breguet, und cs
wird Ihnen außer anderen Sachen auch das versiegelte
Juwelenküstcheu gestohlen. Dies geben wir vor und
machen es durch die Zeitungen und durch Maneran-
schläge bekannt. Der Gauner wird sich dann vielleicht
melden und von Ihnen Ersatz verlangen. Bei der Ge-
legenheit nehmen wir ihn fest."
Der Juwelier und der Sachwalter hatten nichts
gegen diesen Plan einznwcnden, obgleich sie doch nicht
recht an den Erfolg desselben glaubten.
I.
Unter den Neuigkeiten, welche am folgenden Tage in
Paris knrsirtcn, beschäftigte die öffentliche Aufmerksamkeit
am meisten ein frecher Einbruch, der in der Nacht vor-
her bei dem Juwelier Bregnet in der Straße St. Denis
passirt sein sollte.
Es wurde behauptet, daß die Räuber Juwelen zum
Werthc von mehr als einer halben Million weggcschleppt
hätten.
In den Zeitungen erschien eine Polizeiliche Bekannt-
machung, welche vor Ankauf der geraubten Juwelen
warnte und eine hohe Belohnung für die Entdeckung
der Thäter verhieß. Dieselbe wnrde auch durch Mauer-
anschläge in allen Stadltheilen von Paris verbreitet. Be-
sonders bemerkenswerth erschien unter den als geraubt
bezeichneten Gegenständen ein versiegeltes Juwelenkästchcn,
dessen auf 100,000 Livres geschützten Inhalt der Be-
stohlene selbst nur oberflächlich zu kennen vorgab.
Ueberall sprach man von dieser Räuberei, die mit solcher
Geschicklichkeit und Kühnheit ausgeführt war, daß man
Hütte glauben können, Cartonche sei von den Todten
auferstanden und habe zum zweiten Male dem Bre-
guetsichen Laden eine nächtliche Visite abgestattet.
Manche Personen, die bei dem Juwelier kostbare
Pfänder stehen oder ihm Schmucksachen zur Reparatur
übergeben hatten, gericthen ihres Eigenthnms wegen
in Besorgniß und erkundigten sich danach. Sic wurden
sämmtlich beruhigt durch die Versicherung, daß von
ihren Sachen nichts abhanden gekommen sei. —
In der engen, düsteren und schlecht gepflasterten
Straße Rambuteau, welche an den sogenannten „Wun-
derhof" grenzte und, wie dieser selbst, ein Asyl der
Verbrecher und aller möglnen zweifelhaften Existenzen
war, saß in dem feuchten halbdunklen Hofzimmer eines