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Das Buch für Alle.
Heft I.D
gegenüber verantwortlich," fiel der Wirth ihm in die
Rede, „und Sie haben vorhin selbst geäußert, daß ich
Sic nicht kenne. Welche Garantie also konnte mir Ihre
Empfangsbescheinigung bieten? Ich kenne die Handschrift
des Amerikaners nicht, kann also nicht wissen —"
„ Ob ich Ihnen nicht ein gefälschtes Schriftstück vor-
legen werde — das wollten Sie Wohl sagen? Ich be-
daure sehr, solchem Mißtrauen zu begegnen.''
Der Hotelbesitzer sah ihn forschend an, ein unver-
kennbares Mißtrauen spiegelte sich in seinen Zügen.
„Ans welchem Grunde wünschen Sie in den Besitz
.dieser Effekten zu gelangen?" fragte er.
„Der Amerikaner hat mich beauftragt, sie in Em-
pfang zu nehmen," erwiederte Rabe mit scheinbar unbe-
fangener Ruhe.
„Gut, dann bringen Sie mir die Schlüssel zu Koffer
und Reisetasche, damit können Sie sich am besten legi-
timiren."
„lind wenn ich sie bringe, werden Sie mir dann
das Gepäck ausliefern?"
„Jawohl."
„Gut, ich werde Ihnen beweisen, daß ich in der
That zum Empfang der Effekten bevollmächtigt bin, bis
dahin bleiben Sie dafür verantwortlich."
Der Wirth blickte dem rasch von dannen schreitenden
Herrn gedankenvoll nach.
„Ich werde mir den Rücken freihalten und die Sache
dem Untersuchungsrichter anzeigen," sagte er leise, und
trotz der späten Abendstunde verließ bald darauf der
Hausknecht das Hotel, der einen Brief an den Assessor
v. Stuckmann in der Tasche trug.
Sechzehntes Kapitel.
Dunkle Wege.
In der Weinschenke zur rothen Traube war es an
diesem Abend ungewöhnlich still.
Nur wenige Gäste hatten sich eingefunden, und unter
diesen befanden sich auch Siegfried sind der Justizrath,
die abgesondert an einein Tische saßen.
„Müssen annehmen, Verzichtleistung kolossaler Un-
sinn!" sagte der Justizrath, auf dessen hagerem Gesicht
der Blick Siegfrieds gedankenvoll richte. „Habe früher
schon mit Rabe darüber gesprochen, er wollte nicht
glauben, daß ein Testament existire. War also gar
nicht erstaunt, als heute Nachmittag die Generalin mir
Mittheilung machte."
„Sie haben von der Existenz dieses Testaments schon
früher Kenntniß gehabt?" fragte Siegfried überrascht.
„Das nicht, sand aber in den hinterlassenen Papieren
des Generals Notizen und Andeutungen."
„Sie haben mir davon nie etwas gesagt!"
„Thorheit!" erwiederte der alte Mann achselzuckend.
„Hätten sich Hoffnungen gemacht, vielleicht Kriminal-
prozeß eingeleitet, — waren ja nur Notizen, die nichts
bewiesen."
Siegfried schüttelte den Kopf und trank langsam
sein Glas ans.
„Also die Generalin war bei Ihnen, um Sie zu beauf-
tragen, das Erbe meinen: Vater notariell anzübieten?"
fragte er. „Sie ist eine energische Frau, und ich hege
die Ueberzeugung, daß sie ihren Vorsatz durchführen wird."
„Jedenfalls," nickte der Justizrath, „gar keine Frage!"
„Sie wird das Schloß verlassen, und ich fürchte,
daß mein Vater auch dann noch verzichtet. Sie haben
Recht, es ist eine Thorheit, auf ein so reiches Erbe zu
verzichten, aber mein Papa hat darüber seine besonderen
Ansichten!"
„Brett vor dem Kopf, Verehrtester!" brummte der alte
Mann. „Will denn die Generalin ihm etwas schenken?
Fällt ihr nicht ein, es ist das Erbe seines Bruders und
das Testament in gesetzlicher Form abgefaßt. Verzicht-
leisten!" fuhr er sich ereifernd fort. „Zu wessen Gun-
sten? Generalin nimmt das Geschenk nicht an —"
„Erlauben Sie, Justizrath, wenn ein Erbe verzichtet,
so füllt der betreffende Antheil den Miterben zu," unter-
brach Siegfried ihn, „das werden Sie ja auch wissen."
„Und wenn nun auch der Miterbc verzichtet?"
„Dann wird der Staat den-Gewinn in die Tasche
stecken, llebrigcns hoffe ich, daß es so weit nicht kommt.
Ich will Ihnen etwas sagen, Justizrath," fuhr Sieg-
fried nut gedämpfter Stimme fort, während er fern
Glas wieder füllte, „Sie mögen mit dem Bruder der
Generalin so eng liirt sein, wie Sie wollen, wenn er
nicht bei seiner Schwester wohnte, nicht ihr Factotnm
und Rathgeber wäre, dann würde ein freundschaftliches
Verhältnis; zwischen meinem Vater und der Generalin
längst angebahnt sein."
„Hm, Räbe ist mein Freund nicht!"
„Wie urtheilen Sie über ihn?"
„Gar nicht."
„Gar nicht? Das ist sonderbar. Man bildet sich
über jeden Menschen, mit dem man in Berührung
kommt, ein llrtheil, wenn es auch unwillkürlich geschehen
sollte. Mein llrtheil Ivar bei der ersten Begegnung
fertig, und dieser erste Eindruck hat mich bis heute noch
nicht getäuscht."
„Hassen ihn!"
„Hassen? Nein, Jnstizrath, dazu ist mir offen ge-
sagt, dieser Mensch zu gleichgiltig und zu verächtlich."
„Donnerwetter, Assessor, starke Behauptung!"
„Meine aufrichtige Meinung, und ich habe nicht
den mindesten Grund, mit ihr hinter dem Berge zu
halten. Es kann sein, daß die Antipathie meines Pa-
pa's gegen diesen Mann den Grund zu meinem llrtheil
gelegt hat, aber diese Antipathie hat auch ihre Berech-
tigung. .Rabe kann wahrhaftig nicht mit Stolz auf
seine Vergangenheit zurückblicken —"
„Lebemann gewesen!" schaltete der Justizrath ein.
„Ein Hazardspieler ist er heute noch, und wissen
Sie, was ich glaube?"
„Nun?"
„Daß er nicht am grünen Tisch allein, sondern auch
in anderer Beziehung Hazard spielt."
„Verstehe ich nicht," sagte der alte Herr kopf-
schüttelnd.
Die Stirne Siegfrieds hatte sich umwölkt, ein harter,
scharfer Zug umzuckte seine Lippen.
„Ich kann mich darüber nicht weiter auslassen,"
fuhr er fort, „Sie würden sagen, es seien haltlose Ver-
muthungen, und so lange ich keine Beweise vorlegen
kann, würden Sie Recht behalten. Aber das sage ich
Ihnen, Justizrath, über der Vergangenheit dieses Mannes
ruht ein Schleier, der unseren Blicken dunkle Verbrechen
entzieht."
„Hm, Sie sind Untersuchungsrichter —"
„Und da denken Sie, ich müsse überall Gespenster
entdecken, überall Verbrechen wittern, Ivie seiner Zeit die
Blut- und Hexenrichter? Nein, alter Freund, so schwarz
ist mein Blick noch nicht geworden."
„Glauben aber doch an die Schuld des Amerikaners!"
„Glauben Sie nicht daran?" fragte Siegfried, den
alten Herrn erwartungsvoll anschauend.
„Nein."
„Diese Antwort kann mir nicht genügen, Sie müssen
Gründe anführen."
„Gründe? Wäre der Mann in seine Heimath zu-
rückgekehrt, wenn ec einen Mord begangen Hütte?"
„Diesen Grund lasse ich nicht gelten. Ec konnte
glauben, es sei Gras über die alte Geschichte gewachsen;
er konnte sich erkundigt und die Antwort erhalten ha-
ben, jener Mvrd.sei vergessen."
„Hm, glauben Sie, Assessor, daß ein Tagelöhner
mit solcher Sicherheit schießen kann? Kugel hinter dem
Ohre durch den Schädel geflogen, augenblicklich ge-
tödtet —"
„Wissen Sie denn, ob der Mörder beabsichtigt hat,
gerade diese Stelle zu treffen? Er hat auf den Reiter-
angelegt und —"
„Weshalb angelegt?" fragte der Justizrath hastig.
„Wegen einer groben Antwort? Unsinn! Glaubt kein
vernünftiger Mensch."
„Erlauben Sie, der Gnmd lag denn doch etwas
tiefer. Der Doktor hatte seinen ärztlichen Beistand
verweigert, das Kmd starb, und es läßt sich Wohl begreifen,
daß dadurch in der Seele des tödtlich beleidigten Tage-
löhners ein glühender Haß geweckt wurde. Und wozu
der Haß verleiten kann, das wissen wir Beide aus un-
zähligen Gerichtsverhandlungen."
»Zugegeben! Aber Halm will gar nicht mit dem
Doktor geredet haben."
„Er wird das natürlich nicht zugeben."
„Glauben an Verstocktheit?"
„Aufrichtig gesagt, Justizrath, weiß ich wirklich
nicht, was ich glauben soll," erwiederte Siegfried. „Der
Mann macht nicht den Eindruck eines verstockten Böse-
wichts auf mich, wenn ich auch auf der anderen Seite
nicht glauben kann, daß er ganz schuldlos sein soll."
„Ich sage Ihnen, er ist es!"
„Sie sagen das, weil Sie ihn Vertheidigen! Wer
hat Sie überhaupt beauftragt, ihn zu Vertheidigen?"
„Wer? Rabe!"
„Und welches Interesse hat er dabei?"
„Hm, weiß ich nicht. Halm war ja früher in
seinen Diensten, soll immer ein braver Mensch ge-
wesen sein!"
„Und dies allein sollte Rabe bewogen haben, dem
Angeklagten einen Vertheidiger zu stellen?" fragte
Siegfried nachdenklich. „Ich kann das nicht gut glau-
ben, es müssen andere Gründe vorliegen."
„Andere Gründe? Welche?"
„Ja, wenn ich sie wüßte, Justizrath, dann würde
ich mit Ihnen nicht lange darüber reden."
„Wollen ihn verderben?" erwiederte der alte Mann,
den Assessor erstaunt anblickend. „Möchte Ihnen rathen,
das nicht zu thun."
„Verderben? Daran denke ich nicht. Was liegt
mir an dem Manne! Daß er nur feindselig entgegen-
tritt, ist allerdings wahr, aber deshalb ihn gleich ver-
nichten . zu wollen, das hieße denn doch ihn zu sehr
fürchten. Aber wenn dieser Mann eine Schuld auf
seinem Gewissen hat, wegen der ein Anderer bestraft
werden soll, ist es dann nicht mein Pflicht, die Wahr-
heit zu ermitteln?"
In den Angen des Justizraths spiegelte sich maß-
loses Erstaunen.
„Ich vcrmuthe fast, Sie wollen ihm den Mord
aufbürden," sagte er, „sollt.n das aber vorher sehr-
reiflich überlegen!"
„Ich bürde ihm nichts auf," entg'MKl' Siegfried
ruhig, „ich habe auch keine Behauptung geäußert, und
meine Vermuthungen verrathe ich Niemanden."
„Würden auch bei der Generalin keinen Stein in's
Brett legen, Vcrehrtestcr!"
„Was die Generalin betrifft, Jnstizrath, so wird
sie vielleicht zu spät cinsehen, daß sie einem Manne ihr
Vertrauen geschenkt hat, der dasselbe nicht verdient."
„Biogen Recht Haben!"
„Also darin stimmen Sie mit mir überein?"
„Gewiß. Möchte wissen, welche Bewandtnis; es mit
dem Wechsel hat," erwiederte der Justizrath.
„Mit einem Wechsel? Bitte, erklären Sie sich
deutlicher."
„Kann Ihnen nicht mehr sagen, als ich selbst weiß.
Generalin wollte einen Wechsel unterzeichnet haben,
sollte in meinen Händen sein, sie forderte ihn von mir."
„Und Sie besaßen ihn nicht?"
„Bewahre, habe nie den Wisch gesehen."
„Wie groß war der Betrag?"
„Gar kein Betrag, Blaneo-Unterschrift. Sollte in
einer Prozeßsache, von der ich nichts weiß, verwandt
werden. Bin eigentlich gar nicht klug daraus geworden."
Siegfried schüttelte den Kopf.
„lind wer soll Ihnen diesen Wechsel anvertrant
haben?" fragte er.
„Donnerwetter, Räbe!"
„Na, dann ist mir die Sache ziemlich klar. Rabe
hat die Prozeßsachc vorgeschoben, nm die Unterschrift
seiner Schwester zu erschwindeln, er hat den Wechsel
ausgefüllt und in seinem Interesse verwendet. Daß die
Generalin hinter den Betrug gekommen ist, wird ihm
sehr unangenehm sein, aber geben Sie Acht, sie verzeiht
ihm auch das. Ich begreife wirklich nicht, daß sie sich
Alles von ihm gefallen läßt, ich begreife es nur so we-
niger, weil sie in allen anderen Dingen so energisch
und selbstständig handelt. Er soll mitunter am grünen
Tisch enorme Summen verlieren, ein guter Freund hat
es mir gesagt
„Der gute Freund Wohl auch Spieler, wie?"
„Leider, aber das ist auch der einzige Fehler, den
er besitzt. Ich frage Sie, woher nimmt Rabe das
Geld? Kann er dieses verschwenderische Leben aus den
Gutseinkünften bestreiten? Ich glaube es nicht, und
selbst wenn dies möglich wäre, müßte doch die Generalin
Kenntniß davon haben."
„Weiß ich nicht, Verehrtester, kümmere mich auch
nicht darum," sagte der Justizrath, der jetzt den Rest
aus der Flasche iu sein Glas goß. „Rabe ist mein
Freund auch nicht, begreife nicht, daß Baron v. Lossow
ihm seine Tochter geben will."
„Sie scherzen Wohl ?"
„Fällt mir nicht ein, Baron hat selbst es mir
gesagt."
„Ihnen? Seltsam!"
„Gar nichts Seltsames! Bin seit Jahren Sach-
walter des Barons, habe ihm auch jetzt ein Gesuch an
des Königs Majestät aufsehen müssen. Rabe soll ge-
adelt werden, v. Lossow-Rabe. Keine üble Idee, wie?"
Siegfried mußte lachen, er mochte wollen oder nicht.
„Das fehlte noch!" sagte er. „Herr v. Lossow-
Rabe wird den Kopf noch einmal so hoch tragen. Ist
denn der Baron ganz und gar vernagelt, daß er in
diese Verbindung einwilligt? Sein Schwiegersohn würde
mit dem Rittergut bald fertig sein, davon bin ich überzeugt."
„Hm, kann ja ein solider Mann werden." '
„Der? Niemals! Aber mein Papa soll dem Baron
die Augen öffnen —"
„Teufel auch, Rand halten, Assessor!" sagte der
Justizrath erschreckt. „Habe Verschwiegenheit versprechen
müssen, wäre mir sehr unangenehm "
„Na, dann will ich auch schweigen, beruhigen Sie
sich. Wenn Ella v. Lossow mit offenen Augen in ihr
llnglück rennen will, so kann Niemand sie daran hindern,
sie hat einen harten eigensinnigen Kopf, vor dem selbst
ihr Vater sich beugen muß. Glauben Sie, daß des
Königs Majestät das Gesuch genehmigen wird?"
„Baron v. Lossow sehr gut angcschrieben!"
„Mag seiu, aber hier handelt es sich nm die Person
Rabe's, und ich kann mir nicht Wohl denken, daß man
an maßgebender Stelle über seine Vergangenheit so leicht
hinweg gehen wird."
„Abwarten, Verchrtester! Schon oft Vvrgekommen,
daß Jemand in den Adelstand erhoben wurde, von dem
man es nicht erwartet hatte."
„Jawohl, wegen besonderer Verdienste —"
„Bewahre! Reichthum ein besonderes Verdienst?
Von den vielen geadelten Bankiers hat auch nicht eines
Jeden Wiege in einein Palast gestanden."
„Lassen wir das, Jnstizrath, Sie wissen sehr wohl,
was ich sagen will. Wenn Rabe geadelt würde, dann
— aber-ich Null jetzt nicht aussprechcn, was ich denke,
Sie haben Recht, wir wollen eS ruhig abwarteu."
Er trank sein Glas ans und nahm seinen Hut, die
Mittheilnngen des alten Mannes hatten ihn verstimmt
Das Buch für Alle.
Heft I.D
gegenüber verantwortlich," fiel der Wirth ihm in die
Rede, „und Sie haben vorhin selbst geäußert, daß ich
Sic nicht kenne. Welche Garantie also konnte mir Ihre
Empfangsbescheinigung bieten? Ich kenne die Handschrift
des Amerikaners nicht, kann also nicht wissen —"
„ Ob ich Ihnen nicht ein gefälschtes Schriftstück vor-
legen werde — das wollten Sie Wohl sagen? Ich be-
daure sehr, solchem Mißtrauen zu begegnen.''
Der Hotelbesitzer sah ihn forschend an, ein unver-
kennbares Mißtrauen spiegelte sich in seinen Zügen.
„Ans welchem Grunde wünschen Sie in den Besitz
.dieser Effekten zu gelangen?" fragte er.
„Der Amerikaner hat mich beauftragt, sie in Em-
pfang zu nehmen," erwiederte Rabe mit scheinbar unbe-
fangener Ruhe.
„Gut, dann bringen Sie mir die Schlüssel zu Koffer
und Reisetasche, damit können Sie sich am besten legi-
timiren."
„lind wenn ich sie bringe, werden Sie mir dann
das Gepäck ausliefern?"
„Jawohl."
„Gut, ich werde Ihnen beweisen, daß ich in der
That zum Empfang der Effekten bevollmächtigt bin, bis
dahin bleiben Sie dafür verantwortlich."
Der Wirth blickte dem rasch von dannen schreitenden
Herrn gedankenvoll nach.
„Ich werde mir den Rücken freihalten und die Sache
dem Untersuchungsrichter anzeigen," sagte er leise, und
trotz der späten Abendstunde verließ bald darauf der
Hausknecht das Hotel, der einen Brief an den Assessor
v. Stuckmann in der Tasche trug.
Sechzehntes Kapitel.
Dunkle Wege.
In der Weinschenke zur rothen Traube war es an
diesem Abend ungewöhnlich still.
Nur wenige Gäste hatten sich eingefunden, und unter
diesen befanden sich auch Siegfried sind der Justizrath,
die abgesondert an einein Tische saßen.
„Müssen annehmen, Verzichtleistung kolossaler Un-
sinn!" sagte der Justizrath, auf dessen hagerem Gesicht
der Blick Siegfrieds gedankenvoll richte. „Habe früher
schon mit Rabe darüber gesprochen, er wollte nicht
glauben, daß ein Testament existire. War also gar
nicht erstaunt, als heute Nachmittag die Generalin mir
Mittheilung machte."
„Sie haben von der Existenz dieses Testaments schon
früher Kenntniß gehabt?" fragte Siegfried überrascht.
„Das nicht, sand aber in den hinterlassenen Papieren
des Generals Notizen und Andeutungen."
„Sie haben mir davon nie etwas gesagt!"
„Thorheit!" erwiederte der alte Mann achselzuckend.
„Hätten sich Hoffnungen gemacht, vielleicht Kriminal-
prozeß eingeleitet, — waren ja nur Notizen, die nichts
bewiesen."
Siegfried schüttelte den Kopf und trank langsam
sein Glas ans.
„Also die Generalin war bei Ihnen, um Sie zu beauf-
tragen, das Erbe meinen: Vater notariell anzübieten?"
fragte er. „Sie ist eine energische Frau, und ich hege
die Ueberzeugung, daß sie ihren Vorsatz durchführen wird."
„Jedenfalls," nickte der Justizrath, „gar keine Frage!"
„Sie wird das Schloß verlassen, und ich fürchte,
daß mein Vater auch dann noch verzichtet. Sie haben
Recht, es ist eine Thorheit, auf ein so reiches Erbe zu
verzichten, aber mein Papa hat darüber seine besonderen
Ansichten!"
„Brett vor dem Kopf, Verehrtester!" brummte der alte
Mann. „Will denn die Generalin ihm etwas schenken?
Fällt ihr nicht ein, es ist das Erbe seines Bruders und
das Testament in gesetzlicher Form abgefaßt. Verzicht-
leisten!" fuhr er sich ereifernd fort. „Zu wessen Gun-
sten? Generalin nimmt das Geschenk nicht an —"
„Erlauben Sie, Justizrath, wenn ein Erbe verzichtet,
so füllt der betreffende Antheil den Miterben zu," unter-
brach Siegfried ihn, „das werden Sie ja auch wissen."
„Und wenn nun auch der Miterbc verzichtet?"
„Dann wird der Staat den-Gewinn in die Tasche
stecken, llebrigcns hoffe ich, daß es so weit nicht kommt.
Ich will Ihnen etwas sagen, Justizrath," fuhr Sieg-
fried nut gedämpfter Stimme fort, während er fern
Glas wieder füllte, „Sie mögen mit dem Bruder der
Generalin so eng liirt sein, wie Sie wollen, wenn er
nicht bei seiner Schwester wohnte, nicht ihr Factotnm
und Rathgeber wäre, dann würde ein freundschaftliches
Verhältnis; zwischen meinem Vater und der Generalin
längst angebahnt sein."
„Hm, Räbe ist mein Freund nicht!"
„Wie urtheilen Sie über ihn?"
„Gar nicht."
„Gar nicht? Das ist sonderbar. Man bildet sich
über jeden Menschen, mit dem man in Berührung
kommt, ein llrtheil, wenn es auch unwillkürlich geschehen
sollte. Mein llrtheil Ivar bei der ersten Begegnung
fertig, und dieser erste Eindruck hat mich bis heute noch
nicht getäuscht."
„Hassen ihn!"
„Hassen? Nein, Jnstizrath, dazu ist mir offen ge-
sagt, dieser Mensch zu gleichgiltig und zu verächtlich."
„Donnerwetter, Assessor, starke Behauptung!"
„Meine aufrichtige Meinung, und ich habe nicht
den mindesten Grund, mit ihr hinter dem Berge zu
halten. Es kann sein, daß die Antipathie meines Pa-
pa's gegen diesen Mann den Grund zu meinem llrtheil
gelegt hat, aber diese Antipathie hat auch ihre Berech-
tigung. .Rabe kann wahrhaftig nicht mit Stolz auf
seine Vergangenheit zurückblicken —"
„Lebemann gewesen!" schaltete der Justizrath ein.
„Ein Hazardspieler ist er heute noch, und wissen
Sie, was ich glaube?"
„Nun?"
„Daß er nicht am grünen Tisch allein, sondern auch
in anderer Beziehung Hazard spielt."
„Verstehe ich nicht," sagte der alte Herr kopf-
schüttelnd.
Die Stirne Siegfrieds hatte sich umwölkt, ein harter,
scharfer Zug umzuckte seine Lippen.
„Ich kann mich darüber nicht weiter auslassen,"
fuhr er fort, „Sie würden sagen, es seien haltlose Ver-
muthungen, und so lange ich keine Beweise vorlegen
kann, würden Sie Recht behalten. Aber das sage ich
Ihnen, Justizrath, über der Vergangenheit dieses Mannes
ruht ein Schleier, der unseren Blicken dunkle Verbrechen
entzieht."
„Hm, Sie sind Untersuchungsrichter —"
„Und da denken Sie, ich müsse überall Gespenster
entdecken, überall Verbrechen wittern, Ivie seiner Zeit die
Blut- und Hexenrichter? Nein, alter Freund, so schwarz
ist mein Blick noch nicht geworden."
„Glauben aber doch an die Schuld des Amerikaners!"
„Glauben Sie nicht daran?" fragte Siegfried, den
alten Herrn erwartungsvoll anschauend.
„Nein."
„Diese Antwort kann mir nicht genügen, Sie müssen
Gründe anführen."
„Gründe? Wäre der Mann in seine Heimath zu-
rückgekehrt, wenn ec einen Mord begangen Hütte?"
„Diesen Grund lasse ich nicht gelten. Ec konnte
glauben, es sei Gras über die alte Geschichte gewachsen;
er konnte sich erkundigt und die Antwort erhalten ha-
ben, jener Mvrd.sei vergessen."
„Hm, glauben Sie, Assessor, daß ein Tagelöhner
mit solcher Sicherheit schießen kann? Kugel hinter dem
Ohre durch den Schädel geflogen, augenblicklich ge-
tödtet —"
„Wissen Sie denn, ob der Mörder beabsichtigt hat,
gerade diese Stelle zu treffen? Er hat auf den Reiter-
angelegt und —"
„Weshalb angelegt?" fragte der Justizrath hastig.
„Wegen einer groben Antwort? Unsinn! Glaubt kein
vernünftiger Mensch."
„Erlauben Sie, der Gnmd lag denn doch etwas
tiefer. Der Doktor hatte seinen ärztlichen Beistand
verweigert, das Kmd starb, und es läßt sich Wohl begreifen,
daß dadurch in der Seele des tödtlich beleidigten Tage-
löhners ein glühender Haß geweckt wurde. Und wozu
der Haß verleiten kann, das wissen wir Beide aus un-
zähligen Gerichtsverhandlungen."
»Zugegeben! Aber Halm will gar nicht mit dem
Doktor geredet haben."
„Er wird das natürlich nicht zugeben."
„Glauben an Verstocktheit?"
„Aufrichtig gesagt, Justizrath, weiß ich wirklich
nicht, was ich glauben soll," erwiederte Siegfried. „Der
Mann macht nicht den Eindruck eines verstockten Böse-
wichts auf mich, wenn ich auch auf der anderen Seite
nicht glauben kann, daß er ganz schuldlos sein soll."
„Ich sage Ihnen, er ist es!"
„Sie sagen das, weil Sie ihn Vertheidigen! Wer
hat Sie überhaupt beauftragt, ihn zu Vertheidigen?"
„Wer? Rabe!"
„Und welches Interesse hat er dabei?"
„Hm, weiß ich nicht. Halm war ja früher in
seinen Diensten, soll immer ein braver Mensch ge-
wesen sein!"
„Und dies allein sollte Rabe bewogen haben, dem
Angeklagten einen Vertheidiger zu stellen?" fragte
Siegfried nachdenklich. „Ich kann das nicht gut glau-
ben, es müssen andere Gründe vorliegen."
„Andere Gründe? Welche?"
„Ja, wenn ich sie wüßte, Justizrath, dann würde
ich mit Ihnen nicht lange darüber reden."
„Wollen ihn verderben?" erwiederte der alte Mann,
den Assessor erstaunt anblickend. „Möchte Ihnen rathen,
das nicht zu thun."
„Verderben? Daran denke ich nicht. Was liegt
mir an dem Manne! Daß er nur feindselig entgegen-
tritt, ist allerdings wahr, aber deshalb ihn gleich ver-
nichten . zu wollen, das hieße denn doch ihn zu sehr
fürchten. Aber wenn dieser Mann eine Schuld auf
seinem Gewissen hat, wegen der ein Anderer bestraft
werden soll, ist es dann nicht mein Pflicht, die Wahr-
heit zu ermitteln?"
In den Angen des Justizraths spiegelte sich maß-
loses Erstaunen.
„Ich vcrmuthe fast, Sie wollen ihm den Mord
aufbürden," sagte er, „sollt.n das aber vorher sehr-
reiflich überlegen!"
„Ich bürde ihm nichts auf," entg'MKl' Siegfried
ruhig, „ich habe auch keine Behauptung geäußert, und
meine Vermuthungen verrathe ich Niemanden."
„Würden auch bei der Generalin keinen Stein in's
Brett legen, Vcrehrtestcr!"
„Was die Generalin betrifft, Jnstizrath, so wird
sie vielleicht zu spät cinsehen, daß sie einem Manne ihr
Vertrauen geschenkt hat, der dasselbe nicht verdient."
„Biogen Recht Haben!"
„Also darin stimmen Sie mit mir überein?"
„Gewiß. Möchte wissen, welche Bewandtnis; es mit
dem Wechsel hat," erwiederte der Justizrath.
„Mit einem Wechsel? Bitte, erklären Sie sich
deutlicher."
„Kann Ihnen nicht mehr sagen, als ich selbst weiß.
Generalin wollte einen Wechsel unterzeichnet haben,
sollte in meinen Händen sein, sie forderte ihn von mir."
„Und Sie besaßen ihn nicht?"
„Bewahre, habe nie den Wisch gesehen."
„Wie groß war der Betrag?"
„Gar kein Betrag, Blaneo-Unterschrift. Sollte in
einer Prozeßsache, von der ich nichts weiß, verwandt
werden. Bin eigentlich gar nicht klug daraus geworden."
Siegfried schüttelte den Kopf.
„lind wer soll Ihnen diesen Wechsel anvertrant
haben?" fragte er.
„Donnerwetter, Räbe!"
„Na, dann ist mir die Sache ziemlich klar. Rabe
hat die Prozeßsachc vorgeschoben, nm die Unterschrift
seiner Schwester zu erschwindeln, er hat den Wechsel
ausgefüllt und in seinem Interesse verwendet. Daß die
Generalin hinter den Betrug gekommen ist, wird ihm
sehr unangenehm sein, aber geben Sie Acht, sie verzeiht
ihm auch das. Ich begreife wirklich nicht, daß sie sich
Alles von ihm gefallen läßt, ich begreife es nur so we-
niger, weil sie in allen anderen Dingen so energisch
und selbstständig handelt. Er soll mitunter am grünen
Tisch enorme Summen verlieren, ein guter Freund hat
es mir gesagt
„Der gute Freund Wohl auch Spieler, wie?"
„Leider, aber das ist auch der einzige Fehler, den
er besitzt. Ich frage Sie, woher nimmt Rabe das
Geld? Kann er dieses verschwenderische Leben aus den
Gutseinkünften bestreiten? Ich glaube es nicht, und
selbst wenn dies möglich wäre, müßte doch die Generalin
Kenntniß davon haben."
„Weiß ich nicht, Verehrtester, kümmere mich auch
nicht darum," sagte der Justizrath, der jetzt den Rest
aus der Flasche iu sein Glas goß. „Rabe ist mein
Freund auch nicht, begreife nicht, daß Baron v. Lossow
ihm seine Tochter geben will."
„Sie scherzen Wohl ?"
„Fällt mir nicht ein, Baron hat selbst es mir
gesagt."
„Ihnen? Seltsam!"
„Gar nichts Seltsames! Bin seit Jahren Sach-
walter des Barons, habe ihm auch jetzt ein Gesuch an
des Königs Majestät aufsehen müssen. Rabe soll ge-
adelt werden, v. Lossow-Rabe. Keine üble Idee, wie?"
Siegfried mußte lachen, er mochte wollen oder nicht.
„Das fehlte noch!" sagte er. „Herr v. Lossow-
Rabe wird den Kopf noch einmal so hoch tragen. Ist
denn der Baron ganz und gar vernagelt, daß er in
diese Verbindung einwilligt? Sein Schwiegersohn würde
mit dem Rittergut bald fertig sein, davon bin ich überzeugt."
„Hm, kann ja ein solider Mann werden." '
„Der? Niemals! Aber mein Papa soll dem Baron
die Augen öffnen —"
„Teufel auch, Rand halten, Assessor!" sagte der
Justizrath erschreckt. „Habe Verschwiegenheit versprechen
müssen, wäre mir sehr unangenehm "
„Na, dann will ich auch schweigen, beruhigen Sie
sich. Wenn Ella v. Lossow mit offenen Augen in ihr
llnglück rennen will, so kann Niemand sie daran hindern,
sie hat einen harten eigensinnigen Kopf, vor dem selbst
ihr Vater sich beugen muß. Glauben Sie, daß des
Königs Majestät das Gesuch genehmigen wird?"
„Baron v. Lossow sehr gut angcschrieben!"
„Mag seiu, aber hier handelt es sich nm die Person
Rabe's, und ich kann mir nicht Wohl denken, daß man
an maßgebender Stelle über seine Vergangenheit so leicht
hinweg gehen wird."
„Abwarten, Verchrtester! Schon oft Vvrgekommen,
daß Jemand in den Adelstand erhoben wurde, von dem
man es nicht erwartet hatte."
„Jawohl, wegen besonderer Verdienste —"
„Bewahre! Reichthum ein besonderes Verdienst?
Von den vielen geadelten Bankiers hat auch nicht eines
Jeden Wiege in einein Palast gestanden."
„Lassen wir das, Jnstizrath, Sie wissen sehr wohl,
was ich sagen will. Wenn Rabe geadelt würde, dann
— aber-ich Null jetzt nicht aussprechcn, was ich denke,
Sie haben Recht, wir wollen eS ruhig abwarteu."
Er trank sein Glas ans und nahm seinen Hut, die
Mittheilnngen des alten Mannes hatten ihn verstimmt