386
„Die Beiden waren Wohl nicht mit einander be-
freundet?"
„Keine Idee von Freundschaft! Einer ging dem An-
dern ans dem Wege, fo weit er nur konnte, und hatte
Herr Rabe irgend etwas angeordnet, so durfte man sicher
darauf rechnen, daß der General es sofort wieder änderte.
Das war wie Feuer und Wasser; kamen die Beiden
einmal zufällig zusammen, dann zischte es ganz gewaltig."
„Und nach dem Tode des Generals?"
„Darüber weiß ich nicht viel zu berichten, ich ging
ja bald darauf fort."
„Erinnern Sie sich noch, was die Ursache dieses
plötzlichen Todesfalles war?" fragte Siegfried.
„Man sagte, er sei am Schlage gestorben."
„Daran zweifelte Wohl Niemand?"
„Nein, der General war ein alter Mann und schon
seit mehreren Tagen leidend."
„Es tauchten also damals keine Gerüchte ans, die
dieser Behauptung entgegentraten?"
Der Gefangene schüttelte den Kopf und strich leicht
mit der Hand über die Stirne.
„Nein," erwiederte er, „und wer hätte auch daran
denken sollen? Man sprach ja nur von der Ermordung
des Doktors und der schweren Krankheit der Generalin."
„Fiel es denn Niemanden auf, daß der Tod des
Generals und die Ermordung des Doktors fo rasch auf
einander folgten?" fragte Siegfried. „Gerade dieser
Punkt hätte zu Bermuthnngen und Gerüchten Anlaß
geben können."
„Ich erinnere mich nicht, jemals ein Gerücht ver-
nommen zu haben, welches auf diese Ereignisse Bezug
nahm," sagte Halm ruhig. „Möglich, daß man nach
meiner Abreise darüber gesprochen hat, aber vorher ist
es nicht geschehen."
„Wurden Sie damals als Zeuge vernommen?"
„Nein."
„Auch der Gärtner nicht?"
„Es kann sein, ich entsinne mich dessen nicht mehr."
„Er ist vernommen worden," erwiederte Siegfried,
während er in den vor ihm liegenden Akten blätterte;
„aber er hat sich sehr vorsichtig ausgedrückt. Er war
in jener Nacht in: Schlosse, man hatte ihn gerufen, als
man die Leiche des Generals fand, und ich vermuthe,
daß er mehr wußte, als er sagen wollte. Er muß in
der That sehr ängstlich gewesen sein, aus seinen da-
maligen Aussagen geht das hervor."
„Wenn er mehr gewußt hat, dann war es unrecht,
daß er nicht mit der Sprache herausrückte," erwiederte
der Angeklagte; „derzeit konnte eine Spur noch verfolgt
werden, und der Thäter wäre gewiß entdeckt worden."
„In Amerika angelangt, kauften Sie eine Farm,
nicht wahr?" fragte Siegfried.
„Jawohl, Herr Assessor, eine Farm im Westen. Es
war fruchtbares Land, aber es kostete unsägliche Muhe,
den Boden urbar zu machen. Es war eigentlich nur
ein Stuck Urwald."
„Wie viel zahlten Sic dafür."
„Es mögen 500 Dollars gewesen sein."
„Und Sie allein unternahmen diese mühsame Arbeit?"
„Anfangs ja, später fand ich HW, die allerdings
thener bezahlt werden mußte. In den ersten Jahren
lebten wir sehr einsam, dann aber siedelten sich einige
deutsche Familien in unserer Nähe an und wir haben
mit ihnen gute Nachbarschaft gehalten, bis mein armes
Weib todt war."
„Wann starb Ihre Fran?"
„Bor zehn Jahren."
„Und darauf verkauften Sie Ihre Farin wieder?"
„Sobald die erste Gelegenheit sich mir bot," nickte
der Amerikaner. „Ich hätte wieder heirathen können,
mein Nachbar legte es mir nahe genug, daß ich seine
Tochter haben könne, aber ich wollte das nicht, das
Heimweh ließ mir schon damals keine Ruhe."
„Wenn Sie schuldlos waren, konnten Sie ja schon
derzeit heimkehren," schaltete Siegfried ein
„Dazu hatte ich mir noch nicht genug erworben, ich
wollte als vermögender Mann heimkehren."
„Empfingen Sie dann und wann Nachrichten aus
der Heimath?" fragte Siegfried.
„Sehr selten."
„Wer schrieb Ihnen?"
Der Gefangene zögerte mit der Antwort, er ließ den
Blick durch das Zimmer schweifen, als ob er sein Ge-
dächtniß zu Hilfe rufen müsse.
„Von Wen: erhielten Sie die Nachrichten?" fragte
Siegfried noch einmal.
„Ich hatte Herrn Rabe und auch den Gärtner ge-
beten, mir einmal zu schreiben, ob die Generalin und
das Kind durchgekommen seien; Herr Rabe schrieb mir,
aber der Gärtner erfüllte sein Versprechen nicht."
„Wie oft schrieb Rabe Ihnen?"
„So lange meine Frau lebte, jedes Jahr einmal,
nachher erhielt ich keine Zeile mehr von ihm. Die
Briefe mögen verloren gegangen sein; nachdem ich meine
Farin verkauft hatte, führte ich ein sehr unstetes Leben,
ich war heute hier, morgen dort, mein Geschäft brachte
das mit sich."
„Welches Geschäft betrieben Sie?"
Das Buch für Alle.
„Ich kaufte rohe Häute und schickte sie nach Europa."
„Bedarf man dazu nicht eines namhaften Kapitals?"
„Ich hatte für meine Farm 1200 Dollars baares
Geld erhalten und fing klein an; der Hamburger Kauf-
mann, mit dem ich in Verbindung stand, war ein bra-
ver Mann, er sandte mir das Geld pünktlich und ohne
Abzug, und es wurde viel verdient an der Waare."
„Ist Ihr Vermögen noch drüben?"
„Nein, ich habe es bei einem Hamburger Bankhause
deponirt."
„Sie erhielten also nur von Herrn Nabe Nachrichten
ans der Heimath?"
„Ja, nur von ihm."
„Und er schrieb Ihnen niemals über jenes Ver-
brechen, dessen Sie damals schon beschuldigt wurden?"
„Keine Silbe."
„Das hätte doch nahe gelegen," sagte Siegfried. „Die
abgeschossene Büchse war in Ihrer Hütte gefunden wor-
den, der Kammerdiener Rabe's hatte erschwerende Aus-
sagen gemacht, alles das mußte ihm bekannt sein.
Warnte er Sie auch nicht vor der Heimkehr? Schrieb
er Ihnen nicht, Sie würden Wohlthun, in Amerika zu
bleiben?"
„Ich kann mich so genau nicht mehr erinnern," er-
wiederte Halm, den diese Frage in Verlegenheit zu sehen
schien. „Es war ja auch nicht meine Absicht, nach
Europa zurückzukehren, so lange ich mir noch kein Ver-
mögen erworben hatte, und später, als ich es besaß,
war der Briefwechsel mit Herrn Rabe abgebrochen. Der
Kammerdiener, der gegen mich ausqesagt hat, war ein
schlechtes Subjekt —"
„DaS läßt sich jetzt nicht mehr beweisen," fiel Sieg-
fried ihm in's Wort, „und selbst wenn cs bewiesen
werden könnte, würde es an der Aussage selbst nichts
ändern. Sie zahlten für die Farm 500 Dollars, nicht
wahr?"
„Ungefähr," nickte der Amerikaner.
„Die Summe mußte natürlich baar gezahlt werden?"
„Jawohl."
„Dann möchte ich Sie fragen, woher Sie das Geld
genommen haben. 500 Dollars sind nach unserem Gelde
etwa 700 Thaler. In: ersten Verhör erklärten Sie, für
die Hütte 300 Thaler erhalten zu haben, Ihre Erspar-
nisse betrugen 50 Thaler, also besaßen Sie in Summa
350 Thaler. Von diesen: Gelde mußten Sie die Reise-
kosten für zwei Personen und außerdem alle nöthigen
Anschaffungen drüben bestreiten, Sie mußten ferner eine
nicht ganz unbedeutende Summe in der Hand behalten,
um für die erste Zeit Nahrungsmittel 'kaufen zu können,
es dauerte jedenfalls mehrere Atonale, bis Sie auf Ein-
künfte aus der Farm rechnen durften."
Der Amerikaner hatte vor den: durchdringenden Blick
Siegfrieds die Augen niedergeschlagen, er konnte seine
Verlegenheit nicht mehr verbergen.
„Es wird Ihnen einleuchten, daß Sie über diesen
Punkt nicht so leicht Hinwegkommen," fuhr der Assessor
fort; „haben Sie den Preis für die Farm gezahlt, so
müssen Sic mindestens 1000 Thaler, wenn nicht noch
mehr besessen haben. Sagen Sie mir die Wahrheit, Sie
müssen es, wenn Sie schuldlos sind, denn aus dieser
Frage läßt sich ein neuer Beweis für Ihre Schuld
schmieden."
„Für meine Schuld?" fragte Halm verwirrt. „Ist
denn der Doktor Wieland beraubt worden? In: ersten
Verhör haben Sie mir gesagt, das Verbrechen könne nur
ein persönlicher Racheakt gewesen sein, da ein Raubmord
nicht vorliege —"
„Anscheinend lag er allerdings nicht vor," fiel Sieg-
fried ihn: in die Rede, „man fand in den Taschen der
Leiche Uhr, Börse und Portefeuille. Aber kann das
Portefeuille nicht eine große Summe enthalten haben?
Diese Frage muß jetzt aufgeworfen werden, nachdem durch
Ihre eigene Aussage der Beweis geliefert ist, daß Sie
in: Besitz einer Geldsumme waren, über deren Erwerb Sie
sich nicht ausweiseu können. Der Doktor Wieland war
ein vermögender Mann, er konnte an: Tage vor jener
Nacht das Geld eingenommen und in die Tasche gesteckt
haben. Der Mörder hat dann das Portefeuille durch-
sucht, das Geld herausgenommen und —"
„Herr Assessor, das sind doch Wohl nur Vermuthun-
gen," erwiederte der Amerikaner, dessen Lippen jetzt wie-
der ein trotziger Zug umzuckte. „Vermuthungen, die
erst dann begründet wären, wenn mir das Verbrechen
bewiesen würde!"
„Sie wollen nur also nicht sagen, von wem Sie das
Geld erhalten haben? Bedenken Sie die Folgen wohl,
eine offene Antwort kann möglicherweise zum Beweis
Ihrer Unschuld führen, Verstocktheit dagegen würde, wie
die Dinge jetzt liegen, die Anklage erschweren."
Wieder schweifte der Blick des Gefangenen durch das
hohe geräumige Zimmer.
„Herr Rabe hat mir das Geld gegeben," sagte er
nach einer Pause.
„Wie groß war die Summe?"
„1000 Thaler."
„Und was veranlaßte ihn dazu?"
„Das darf ich nicht sagen."
„Ueberlegen Sie Ihre Worte Wohl!"
Ljrst 17.
„Es ist ein Geheimniß, welches ich nicht enthüllen
werde."
Siegfried schüttelte mit ernster warnender Miene das
Haupt, es fiel ihm unsäglich schwer, seine Erregung zu
bemeistcrn.
Gerade dieses Geheimniß, dessen Existenz er längst
geahnt hatte, war es, was er ergründen wollte; er hoffte,
daß es ihn: gelingen werde, einen Blick hinter den dunk-
lei: Schleier zu werfen, aber er fühlte anch, daß er dem
Amerikaner nicht verrathen durfte, welchen Werth er
darauf legte.
„Ein Geheimniß?" wiederholte er, scheinbar zweifelnd.
„Natürlich bezieht es sich auf jenes Verbrechen?"
„Nein, Herr Assessor."
„Welches andere Geheimniß könntet: Sie mit dem
Bruder der Generalin v. Stuckmann theilen ? Mit einem
Manne, der damals über die Achsel auf Sie, den armen
Tagelöhner, hinunter sah? Ihre baldige Abreise nach
den: rüthselhaften Verbrechen zeugt ja auch dafür —"
„Und doch sind alle diese Vermuthungen falsch,"
sagte der Angeklagte, der jetzt wieder ruhiger geworden
war. „lieber den Thäter jenes Verbrechens vermag ich
nicht die mindeste Auskunft zu geben, und ich schwöre
bei Allem, was mir thener und heilig ist, daß ich selbst
frei von Schuld bin."
„Damit kommen Sie nicht durch," erwiederte Sieg-
fried, „ich habe diesen Schwur schon oft aus dem Munde
eines Verbrechers vernommen, der später selbst das Ge-
stündniß seiner Schuld ablegte."
Der Amerikaner warf das Haupt zurück und sah den
Untersuchungsrichter nut einen: ernsten, vollen Blick an.
„Können Sie wirklich glauben, daß ich ein gemeiner
Verbrecher sei?" fragte er.
„Was ich glaube, sage ich Ihnen nicht," erwiederte
der Assessor, „Sie werden Wohl selbst wissen, daß der
Untersuchungsrichter so lange an die Schuld des Ange-
klagten glaubt, bis das Gegentheil bewiesen ist. Und
ohne Grund wird Niemand angeklagt, ein Verdacht muß
stets der Anklage vorhergehen. Hier aber liegen so viele
Verdachtsgründe vor, daß in der Beweiskette kaum noch
ein Glied fehlt, nnd ich will Ihnen nicht verhehlen, daß
Sie jedenfalls verurtheilt werden, wenn es Ihnen nicht
gelingt, die Beweise zu entkräften. Sie sagen, Herr
Rabe habe Ihnen tausend Thaler geschenkt, er habe da-
mit Ihr Schweigen erkauft, und Sie würden das Ge-
heimniß nicht enthüllen —"
„Weil ich es nicht darf!"
„Weil Sie es nicht dürfen? Dem Richter müssen
Sie Antwort geben! Bezieht das Geheimniß sich ans ein
Verbrechen, so sind Sie verpflichtet, den: Gericht Anzeige
davon zu machen, wenn Sie nicht der Mitschuld sich
theilhaftig machen wollen; liegt aber kein Verbrechen vor,
so dürfen Sie sich fest darauf verlassen, daß der Richter
von Ihren Mittheilnngen keinen weiteren Gebrauch machen
wird."
„Jenes Geheimniß ist nicht mein alleiniges Eigen-
thum, andere Personen sind in dasselbe verwickelt, Per-
sonen, die ich schonen muß."
„Wenn ich Ihnen Verschwiegenheit verspreche —"
„Auch dann darf ich nicht reden."
„Glauben Sie, daß Herr Rabe es mir enthüllen
wird?"
„Nein."
Siegfried blickte den Amerikaner eine geraume Weile
schweigend au, er fand in diesen wetterharten Zügen nur
eine trotzige Entschlossenheit.
„Sie verschlimmern selbst Ihre Sache," sagte er end-
lich; „ich hatte gehofft, in diesen: Verhör den Beweis
Ihrer Schuldlosigkeit zu entdecken, statt dessen haben Sie
mir neue Beweise für Ihre Schuld geliefert. Ich frage
Sie noch einmal, wollen Sie nur über jenes Geheimniß
Mitthcilungen machen? Wollen Sie mir offen gestehen,
weshalb Rabe Ihnen die bedeutende Summe gezahlt
hat? Sie können es, wenn Sie wirklich schuldlos sind,
Sie können dadurch sich die Freiheit verschaffen, während
Sie in: anderen Falle vielleicht lebenslänglich in: Zucht-
hause sitzen müssen."
Der Gefangene fuhr bei den letzten Worten erschreckt
zusammen, sie hatten einen tiefen Eindruck auf ihn
gemacht.
„Das wäre ein ungerechtes Urtheil!" erwiederte er.
„Wie kann man einen Schuldlosen in's Zuchthaus schicken ?"
„Beweisen Sie, daß Sie schuldlos sind!"
„Man beweise mir, daß ich schuldig bin! Alle Be-
weise, mit denen Sie mir drohen, Herr Assessor, sind
Scheinbeweise, auf die man eine so furchtbare Anklage
nicht gründen darf."
Siegfried zuckte die Achseln, es ärgerte ihn, daß seine
Hoffnung nicht erfüllt werden sollte.
„Wenn Sie sich hinter Geheimnisse verschanzen, deren
Enthüllung Sie verweigern, so dürfen Sie sich auch nicht
beklagen, daß man Ihnen keinen Glauben schenkt," er-
wiederte er; „derartige Vorwände sind sehr wohlfeil, aber
der Richter läßt sich durch sie nicht beirren. Haben Sie
Jemand beauftragt, Ihr Gepäck zu reklamiren?"
Der Amerikaner blickte befremdet auf.
„Wie wäre mir das möglich gewesen?" erwiederte er.
„Ein Unbekannter hat das Gepäck aus den: Hotel
„Die Beiden waren Wohl nicht mit einander be-
freundet?"
„Keine Idee von Freundschaft! Einer ging dem An-
dern ans dem Wege, fo weit er nur konnte, und hatte
Herr Rabe irgend etwas angeordnet, so durfte man sicher
darauf rechnen, daß der General es sofort wieder änderte.
Das war wie Feuer und Wasser; kamen die Beiden
einmal zufällig zusammen, dann zischte es ganz gewaltig."
„Und nach dem Tode des Generals?"
„Darüber weiß ich nicht viel zu berichten, ich ging
ja bald darauf fort."
„Erinnern Sie sich noch, was die Ursache dieses
plötzlichen Todesfalles war?" fragte Siegfried.
„Man sagte, er sei am Schlage gestorben."
„Daran zweifelte Wohl Niemand?"
„Nein, der General war ein alter Mann und schon
seit mehreren Tagen leidend."
„Es tauchten also damals keine Gerüchte ans, die
dieser Behauptung entgegentraten?"
Der Gefangene schüttelte den Kopf und strich leicht
mit der Hand über die Stirne.
„Nein," erwiederte er, „und wer hätte auch daran
denken sollen? Man sprach ja nur von der Ermordung
des Doktors und der schweren Krankheit der Generalin."
„Fiel es denn Niemanden auf, daß der Tod des
Generals und die Ermordung des Doktors fo rasch auf
einander folgten?" fragte Siegfried. „Gerade dieser
Punkt hätte zu Bermuthnngen und Gerüchten Anlaß
geben können."
„Ich erinnere mich nicht, jemals ein Gerücht ver-
nommen zu haben, welches auf diese Ereignisse Bezug
nahm," sagte Halm ruhig. „Möglich, daß man nach
meiner Abreise darüber gesprochen hat, aber vorher ist
es nicht geschehen."
„Wurden Sie damals als Zeuge vernommen?"
„Nein."
„Auch der Gärtner nicht?"
„Es kann sein, ich entsinne mich dessen nicht mehr."
„Er ist vernommen worden," erwiederte Siegfried,
während er in den vor ihm liegenden Akten blätterte;
„aber er hat sich sehr vorsichtig ausgedrückt. Er war
in jener Nacht in: Schlosse, man hatte ihn gerufen, als
man die Leiche des Generals fand, und ich vermuthe,
daß er mehr wußte, als er sagen wollte. Er muß in
der That sehr ängstlich gewesen sein, aus seinen da-
maligen Aussagen geht das hervor."
„Wenn er mehr gewußt hat, dann war es unrecht,
daß er nicht mit der Sprache herausrückte," erwiederte
der Angeklagte; „derzeit konnte eine Spur noch verfolgt
werden, und der Thäter wäre gewiß entdeckt worden."
„In Amerika angelangt, kauften Sie eine Farm,
nicht wahr?" fragte Siegfried.
„Jawohl, Herr Assessor, eine Farm im Westen. Es
war fruchtbares Land, aber es kostete unsägliche Muhe,
den Boden urbar zu machen. Es war eigentlich nur
ein Stuck Urwald."
„Wie viel zahlten Sic dafür."
„Es mögen 500 Dollars gewesen sein."
„Und Sie allein unternahmen diese mühsame Arbeit?"
„Anfangs ja, später fand ich HW, die allerdings
thener bezahlt werden mußte. In den ersten Jahren
lebten wir sehr einsam, dann aber siedelten sich einige
deutsche Familien in unserer Nähe an und wir haben
mit ihnen gute Nachbarschaft gehalten, bis mein armes
Weib todt war."
„Wann starb Ihre Fran?"
„Bor zehn Jahren."
„Und darauf verkauften Sie Ihre Farin wieder?"
„Sobald die erste Gelegenheit sich mir bot," nickte
der Amerikaner. „Ich hätte wieder heirathen können,
mein Nachbar legte es mir nahe genug, daß ich seine
Tochter haben könne, aber ich wollte das nicht, das
Heimweh ließ mir schon damals keine Ruhe."
„Wenn Sie schuldlos waren, konnten Sie ja schon
derzeit heimkehren," schaltete Siegfried ein
„Dazu hatte ich mir noch nicht genug erworben, ich
wollte als vermögender Mann heimkehren."
„Empfingen Sie dann und wann Nachrichten aus
der Heimath?" fragte Siegfried.
„Sehr selten."
„Wer schrieb Ihnen?"
Der Gefangene zögerte mit der Antwort, er ließ den
Blick durch das Zimmer schweifen, als ob er sein Ge-
dächtniß zu Hilfe rufen müsse.
„Von Wen: erhielten Sie die Nachrichten?" fragte
Siegfried noch einmal.
„Ich hatte Herrn Rabe und auch den Gärtner ge-
beten, mir einmal zu schreiben, ob die Generalin und
das Kind durchgekommen seien; Herr Rabe schrieb mir,
aber der Gärtner erfüllte sein Versprechen nicht."
„Wie oft schrieb Rabe Ihnen?"
„So lange meine Frau lebte, jedes Jahr einmal,
nachher erhielt ich keine Zeile mehr von ihm. Die
Briefe mögen verloren gegangen sein; nachdem ich meine
Farin verkauft hatte, führte ich ein sehr unstetes Leben,
ich war heute hier, morgen dort, mein Geschäft brachte
das mit sich."
„Welches Geschäft betrieben Sie?"
Das Buch für Alle.
„Ich kaufte rohe Häute und schickte sie nach Europa."
„Bedarf man dazu nicht eines namhaften Kapitals?"
„Ich hatte für meine Farm 1200 Dollars baares
Geld erhalten und fing klein an; der Hamburger Kauf-
mann, mit dem ich in Verbindung stand, war ein bra-
ver Mann, er sandte mir das Geld pünktlich und ohne
Abzug, und es wurde viel verdient an der Waare."
„Ist Ihr Vermögen noch drüben?"
„Nein, ich habe es bei einem Hamburger Bankhause
deponirt."
„Sie erhielten also nur von Herrn Nabe Nachrichten
ans der Heimath?"
„Ja, nur von ihm."
„Und er schrieb Ihnen niemals über jenes Ver-
brechen, dessen Sie damals schon beschuldigt wurden?"
„Keine Silbe."
„Das hätte doch nahe gelegen," sagte Siegfried. „Die
abgeschossene Büchse war in Ihrer Hütte gefunden wor-
den, der Kammerdiener Rabe's hatte erschwerende Aus-
sagen gemacht, alles das mußte ihm bekannt sein.
Warnte er Sie auch nicht vor der Heimkehr? Schrieb
er Ihnen nicht, Sie würden Wohlthun, in Amerika zu
bleiben?"
„Ich kann mich so genau nicht mehr erinnern," er-
wiederte Halm, den diese Frage in Verlegenheit zu sehen
schien. „Es war ja auch nicht meine Absicht, nach
Europa zurückzukehren, so lange ich mir noch kein Ver-
mögen erworben hatte, und später, als ich es besaß,
war der Briefwechsel mit Herrn Rabe abgebrochen. Der
Kammerdiener, der gegen mich ausqesagt hat, war ein
schlechtes Subjekt —"
„DaS läßt sich jetzt nicht mehr beweisen," fiel Sieg-
fried ihm in's Wort, „und selbst wenn cs bewiesen
werden könnte, würde es an der Aussage selbst nichts
ändern. Sie zahlten für die Farm 500 Dollars, nicht
wahr?"
„Ungefähr," nickte der Amerikaner.
„Die Summe mußte natürlich baar gezahlt werden?"
„Jawohl."
„Dann möchte ich Sie fragen, woher Sie das Geld
genommen haben. 500 Dollars sind nach unserem Gelde
etwa 700 Thaler. In: ersten Verhör erklärten Sie, für
die Hütte 300 Thaler erhalten zu haben, Ihre Erspar-
nisse betrugen 50 Thaler, also besaßen Sie in Summa
350 Thaler. Von diesen: Gelde mußten Sie die Reise-
kosten für zwei Personen und außerdem alle nöthigen
Anschaffungen drüben bestreiten, Sie mußten ferner eine
nicht ganz unbedeutende Summe in der Hand behalten,
um für die erste Zeit Nahrungsmittel 'kaufen zu können,
es dauerte jedenfalls mehrere Atonale, bis Sie auf Ein-
künfte aus der Farm rechnen durften."
Der Amerikaner hatte vor den: durchdringenden Blick
Siegfrieds die Augen niedergeschlagen, er konnte seine
Verlegenheit nicht mehr verbergen.
„Es wird Ihnen einleuchten, daß Sie über diesen
Punkt nicht so leicht Hinwegkommen," fuhr der Assessor
fort; „haben Sie den Preis für die Farm gezahlt, so
müssen Sic mindestens 1000 Thaler, wenn nicht noch
mehr besessen haben. Sagen Sie mir die Wahrheit, Sie
müssen es, wenn Sie schuldlos sind, denn aus dieser
Frage läßt sich ein neuer Beweis für Ihre Schuld
schmieden."
„Für meine Schuld?" fragte Halm verwirrt. „Ist
denn der Doktor Wieland beraubt worden? In: ersten
Verhör haben Sie mir gesagt, das Verbrechen könne nur
ein persönlicher Racheakt gewesen sein, da ein Raubmord
nicht vorliege —"
„Anscheinend lag er allerdings nicht vor," fiel Sieg-
fried ihn: in die Rede, „man fand in den Taschen der
Leiche Uhr, Börse und Portefeuille. Aber kann das
Portefeuille nicht eine große Summe enthalten haben?
Diese Frage muß jetzt aufgeworfen werden, nachdem durch
Ihre eigene Aussage der Beweis geliefert ist, daß Sie
in: Besitz einer Geldsumme waren, über deren Erwerb Sie
sich nicht ausweiseu können. Der Doktor Wieland war
ein vermögender Mann, er konnte an: Tage vor jener
Nacht das Geld eingenommen und in die Tasche gesteckt
haben. Der Mörder hat dann das Portefeuille durch-
sucht, das Geld herausgenommen und —"
„Herr Assessor, das sind doch Wohl nur Vermuthun-
gen," erwiederte der Amerikaner, dessen Lippen jetzt wie-
der ein trotziger Zug umzuckte. „Vermuthungen, die
erst dann begründet wären, wenn mir das Verbrechen
bewiesen würde!"
„Sie wollen nur also nicht sagen, von wem Sie das
Geld erhalten haben? Bedenken Sie die Folgen wohl,
eine offene Antwort kann möglicherweise zum Beweis
Ihrer Unschuld führen, Verstocktheit dagegen würde, wie
die Dinge jetzt liegen, die Anklage erschweren."
Wieder schweifte der Blick des Gefangenen durch das
hohe geräumige Zimmer.
„Herr Rabe hat mir das Geld gegeben," sagte er
nach einer Pause.
„Wie groß war die Summe?"
„1000 Thaler."
„Und was veranlaßte ihn dazu?"
„Das darf ich nicht sagen."
„Ueberlegen Sie Ihre Worte Wohl!"
Ljrst 17.
„Es ist ein Geheimniß, welches ich nicht enthüllen
werde."
Siegfried schüttelte mit ernster warnender Miene das
Haupt, es fiel ihm unsäglich schwer, seine Erregung zu
bemeistcrn.
Gerade dieses Geheimniß, dessen Existenz er längst
geahnt hatte, war es, was er ergründen wollte; er hoffte,
daß es ihn: gelingen werde, einen Blick hinter den dunk-
lei: Schleier zu werfen, aber er fühlte anch, daß er dem
Amerikaner nicht verrathen durfte, welchen Werth er
darauf legte.
„Ein Geheimniß?" wiederholte er, scheinbar zweifelnd.
„Natürlich bezieht es sich auf jenes Verbrechen?"
„Nein, Herr Assessor."
„Welches andere Geheimniß könntet: Sie mit dem
Bruder der Generalin v. Stuckmann theilen ? Mit einem
Manne, der damals über die Achsel auf Sie, den armen
Tagelöhner, hinunter sah? Ihre baldige Abreise nach
den: rüthselhaften Verbrechen zeugt ja auch dafür —"
„Und doch sind alle diese Vermuthungen falsch,"
sagte der Angeklagte, der jetzt wieder ruhiger geworden
war. „lieber den Thäter jenes Verbrechens vermag ich
nicht die mindeste Auskunft zu geben, und ich schwöre
bei Allem, was mir thener und heilig ist, daß ich selbst
frei von Schuld bin."
„Damit kommen Sie nicht durch," erwiederte Sieg-
fried, „ich habe diesen Schwur schon oft aus dem Munde
eines Verbrechers vernommen, der später selbst das Ge-
stündniß seiner Schuld ablegte."
Der Amerikaner warf das Haupt zurück und sah den
Untersuchungsrichter nut einen: ernsten, vollen Blick an.
„Können Sie wirklich glauben, daß ich ein gemeiner
Verbrecher sei?" fragte er.
„Was ich glaube, sage ich Ihnen nicht," erwiederte
der Assessor, „Sie werden Wohl selbst wissen, daß der
Untersuchungsrichter so lange an die Schuld des Ange-
klagten glaubt, bis das Gegentheil bewiesen ist. Und
ohne Grund wird Niemand angeklagt, ein Verdacht muß
stets der Anklage vorhergehen. Hier aber liegen so viele
Verdachtsgründe vor, daß in der Beweiskette kaum noch
ein Glied fehlt, nnd ich will Ihnen nicht verhehlen, daß
Sie jedenfalls verurtheilt werden, wenn es Ihnen nicht
gelingt, die Beweise zu entkräften. Sie sagen, Herr
Rabe habe Ihnen tausend Thaler geschenkt, er habe da-
mit Ihr Schweigen erkauft, und Sie würden das Ge-
heimniß nicht enthüllen —"
„Weil ich es nicht darf!"
„Weil Sie es nicht dürfen? Dem Richter müssen
Sie Antwort geben! Bezieht das Geheimniß sich ans ein
Verbrechen, so sind Sie verpflichtet, den: Gericht Anzeige
davon zu machen, wenn Sie nicht der Mitschuld sich
theilhaftig machen wollen; liegt aber kein Verbrechen vor,
so dürfen Sie sich fest darauf verlassen, daß der Richter
von Ihren Mittheilnngen keinen weiteren Gebrauch machen
wird."
„Jenes Geheimniß ist nicht mein alleiniges Eigen-
thum, andere Personen sind in dasselbe verwickelt, Per-
sonen, die ich schonen muß."
„Wenn ich Ihnen Verschwiegenheit verspreche —"
„Auch dann darf ich nicht reden."
„Glauben Sie, daß Herr Rabe es mir enthüllen
wird?"
„Nein."
Siegfried blickte den Amerikaner eine geraume Weile
schweigend au, er fand in diesen wetterharten Zügen nur
eine trotzige Entschlossenheit.
„Sie verschlimmern selbst Ihre Sache," sagte er end-
lich; „ich hatte gehofft, in diesen: Verhör den Beweis
Ihrer Schuldlosigkeit zu entdecken, statt dessen haben Sie
mir neue Beweise für Ihre Schuld geliefert. Ich frage
Sie noch einmal, wollen Sie nur über jenes Geheimniß
Mitthcilungen machen? Wollen Sie mir offen gestehen,
weshalb Rabe Ihnen die bedeutende Summe gezahlt
hat? Sie können es, wenn Sie wirklich schuldlos sind,
Sie können dadurch sich die Freiheit verschaffen, während
Sie in: anderen Falle vielleicht lebenslänglich in: Zucht-
hause sitzen müssen."
Der Gefangene fuhr bei den letzten Worten erschreckt
zusammen, sie hatten einen tiefen Eindruck auf ihn
gemacht.
„Das wäre ein ungerechtes Urtheil!" erwiederte er.
„Wie kann man einen Schuldlosen in's Zuchthaus schicken ?"
„Beweisen Sie, daß Sie schuldlos sind!"
„Man beweise mir, daß ich schuldig bin! Alle Be-
weise, mit denen Sie mir drohen, Herr Assessor, sind
Scheinbeweise, auf die man eine so furchtbare Anklage
nicht gründen darf."
Siegfried zuckte die Achseln, es ärgerte ihn, daß seine
Hoffnung nicht erfüllt werden sollte.
„Wenn Sie sich hinter Geheimnisse verschanzen, deren
Enthüllung Sie verweigern, so dürfen Sie sich auch nicht
beklagen, daß man Ihnen keinen Glauben schenkt," er-
wiederte er; „derartige Vorwände sind sehr wohlfeil, aber
der Richter läßt sich durch sie nicht beirren. Haben Sie
Jemand beauftragt, Ihr Gepäck zu reklamiren?"
Der Amerikaner blickte befremdet auf.
„Wie wäre mir das möglich gewesen?" erwiederte er.
„Ein Unbekannter hat das Gepäck aus den: Hotel