506
auch die Faust Rabe's die Gurgel Baruekow's mit
eisernem Griff umklammert.
„Schurke!" rief Rabe mit heiserer Stimme. „Jetzt
ist nur die Ursache Deines fabelhaften Glücks klar ge-
worden! Heraus mit dem gewonnenen Gelde!"
Herr v. Barnekow riß sich los, es gelang ihm, er
sprang von seinem Sessel ans, mit flammenden! Blick
stand er dem Gegner gegenüber.
„Sind Sie wahnsinnig geworden?" fragte er wüthend.
„Was wollen Sie? Ich habe das Geld ehrlich ge-
wonnen."
„Das lügen Sie anderen Leuten vor, aber nicht
denen, die gefälschte Karten kennen!" erwiederte Rabe,
der sich bereits der Karten und auch der Banknoten
seines Gegners bemächtigt hatte. „Was hindert mich,
Sie öffentlich als falschen Spieler zu brandmarken?"
„Die Furcht, in's Irrenhaus gebracht zu werden,"
sagte Barnekow, vor Wuth zitternd. „Beweisen Sie
Ihre Anklage!"
„Wenn ich diese Karten vorlege, so ist der Beweis
geliefert, wer mit gezeichneten Karten spielt, der muß im
Volteschlagen geübt sein. Wollen Sie gutwillig meinen
Verlust mir zurückzahlen?"
„Nein! Mein Geld ist in Ihren Händen; wenn Sie
das saubere Gewerbe eines Straßenräubers betreiben
wollen, so kann ich Sie daran nicht hindern."
„Elender Bauernfänger, Sie sind gefährlicher als
ein Straßenräuber! Daß Sie von Ihrem heutigen Raub
keinen Heller erhalten, werden Sie begreiflich finden, auf
Vergangenes mag ich nicht zurückkommen, wenn Ihnen
ein letzter schwacher Rest von Ehrgefühl nicht sagt, daß
Sie verpflichtet seien, den Raub zurückzugeben."
Herr v. Barnekow hob die Banknoten auf, die sein
Gegner ihm vor die Füße geschleudert hatte, es schien
nicht das erste Mal zu sein, daß er sich in solcher
Situation befand.
„Und jetzt die Karten!" sagte er befehlend. „Wegen
der Schuld werden wir spater an einem andern Ort
reden."
Ein höhnischer Zug glitt über das Gesicht Rabe's.
„Die Karten werde sch Ihren Freunden vorlegen,"
erwiederte er mit einem Blick unsäglicher Verachtung,
„Sie sind ein zu hart gesottener Sünder, als daß mau
Sie schonen dürfte! Ihren weiteren Schritten, mit denen
Sie mir drohen, sehe ich ruhig entgegen, Sie werden
so klug sein, die Folgen zu bedenken nud mich nicht
zwingen wollen, diese Karten dem Staatsanwalt zu über-
geben. Und nun hinaus, ich habe mit Ihnen nichts
mehr zu schaffen!"
Herr v. Barnekow hatte die Banknoten in sein Porte-
feuille gelegt und das letztere in die Tasche geschoben,
er nahm jetzt seinen Hut und sein elegantes Spazier-
stöckchen.
„Und das sagen S i e mir?" fragte er höhnisch. „S ie
werden wahrhaftig nicht wagen, dem Staatsanwalt eine
Anzeige zn machen, denn wenn Einer Ursache hat, diesen
Beamten zu fürchten, so sind Sie es! Ich weiß viel-
leicht mehr, als Sie ahnen, und nun frage ich Sie
noch einmal, wollen Sie mir die Karten zurückgeben?"
Hätte Barnekow diese Frage in einem andern Tone
gestellt, so würde Rabe vielleicht sich besonnen und ein-
gesehen haben, daß die Klugheit Nachgeben gebot, aber
dieser drohende beleidigende Ton bestärkte ihn in seinem
Trotz.
„Nein!" erwiederte er.
„Sie werden es bereuen!" sagte Barnekow, und ohne
eine Antwort abzuwarten, entfernte er sich mit dein festen
Entschluß, für diese ihn entehrende Niederlage Rache zu
nehmen.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Pläne.
Siebel hatte in der That seinen Zweck erreicht; es
war ihm gelungen, seine Frau so sehr einznschüchtern
und in die Enge zu treiben, daß sie ihm das Geheimnis;
enthüllte, in der Hoffnung, an ihm einen Verbündeten
zu gewinnen.
Die erste Folge dieser Enthüllung war, daß der
Zimmermann sich mit seiner Frau aussöhnte.
Das Projektirte Holzgeschüft schwebte ihm noch immer
vor Augen, er hoffte jetzt die Mittel zur Gründung
desselben zu gewinnen. Daß er seine frühere Lebens-
weise nicht fortsetzen konnte, hatte er eingesehen, und so
unsäglich schwer ihm das auch geworden war, hatte er
doch bisher der Versuchung erfolgreich widerstanden und
keine geistigen Getränke mehr genossen.
Sein ganzes Streben ging dahin, ein vermögender
Mann zn werden, und er sah Wohl ein, daß er die
liederliche Bahn verlassen mußte, wenn dieser Wunsch
in Erfüllung gehen sollte.
Er erkannte ferner, daß er seiner Frau ungerechte
Vorwürfe gemacht hatte, daß er durch seinen unbe-
gründeten, aus der Luft gegriffenen Verdacht selbst der
Urheber seines Unglücks gewesen war.
Das sollte jetzt anders werden, er wollte den Beweis
liefern, daß er auch jetzt noch fähig war, seine Familie
zu ernähren, und daß Niemand das Recht hatte, mit
Verachtung auf ihn hinab zu sehen. Freilich, so lange
Das Buch für Alle.
Srst 22.
er im Tagelohn arbeitete, war keine Hoffnung vorhanden,
daß er dieses Ziel erreichen würde, deshalb hatte er fein
Augenmerk auf das Geheimniß geworfen, durch dessen
Verwerthung er sich die nöthigen Mittel zu verschaffen
gedachte. Daß er an seinem Schivager keinen energischen
Verbündeten besaß, erkannte er rasch.
Der Schließer wollte, seitdem er bemerkte, daß er
beobachtet wurde, mit der Sache nichts mehr zu thun
haben, er weigerte sich sogar, scheinbar auf die Pläne
Rabe's einzugehen, trotzdem sein Schwager ihm wieder-
holt die Versicherung gab, daß kein Grund zu einer Be-
sorgnis; vorliege.
So war denn Siebel auf sich allein angewiesen, und
nach langem Nachdenken hatte er seinen Plan entworfen,
mit dessen Ausführung er an diesem Nachmittag begann.
Das Resultat seiner Unterredung mit Rabe hatte
ihn befriedigt, er verließ das Hotel mit der Ueberzeugung.
daß die Ausführung seines Planes ihm gelingen werde,
und in dieser Stimmung berührte es ihn unangenehm,
als er draußen vor dem Gasthofe dem Verlobten seiner
Tochter begegnete, der ihn offenbar erwartete.
Konnte er auch über Kaltenborn selbst nichts Nach-
theiliges sagen, so war er doch mit der Verlobung so
recht nicht einverstanden, es gefiel ihm nicht, daß sein
künftiger Schwiegersohn im Dienste der Polizei stand,
die Polizeibeamten hatten sich nie seiner Sympathie er-
freut.
Werner Kaltenborn trat auf ihn zu und schritt mit
ihm die Straße hinunter.
„Sie waren bei Rabe?" fragte er.
Der Zimmermann, der ihn um eines Kopfes Länge
überragte, blickte verächtlich auf ihn hinunter.
„Haben Sie fpionirt?" erwiederte er.
„Ich sah Sie in den Gasthof hineingehen, und es
ist mir bekannt, daß der Bruder der Generalin dort
wohnt."
„Und da warteten Sie, bis ich wieder herauskam?"
„Jawohl."
„Welchen Zweck hatten Sie dabei?" fragte Siebel
barsch. „Wer hat Sie beauftragt, mir als Spion zu
folgen? Sie kann es doch verteufelt wenig kümmern —"
„Wozu die Aufregung?" unterbrach Werner ihn.
„Wir können darüber in aller Ruhe mit einander reden.
Es ist möglich, daß Sie selbst nicht wissen, welcher Ge-
fahr Sie sich durch den Verkehr mit diesem Manne
aussetzen, ich aber sehe mich gezwungen, Sie darauf
aufmerksam zu machen. Würden Sie in den Prozeß,
der diesem Manne droht, verwickelt, so sähe ich mich ge-
nöthigt, die Verlobung mit Apollonia zu lösen."
, Hm, dadurch wäre nichts weiter verloren!"
„Für Sie vielleicht nicht, aber Ihr Kind würde
unglücklich werden. Apollonia liebt mich, sie weiß,
daß sie an meiner Seite ihr Glück findet, und auch mir
würde es unsäglich schwer fallen, den Schritt zn thun.
Aber Sie werden begreifen, daß der Geheimsekretär des
Polizeipräsidenten nicht die Tochter eines Verbrechers
heirathen darf."
„Eines Verbrechers?" fuhr Siebel entrüstet auf.
„Sie werden es, wenn Sie mit diesem Manne ein
Bündniß schließen und sich zu seinem Mitschuldigen
machen. Handelt es sich nicht nm die Befreiung eines
Gefangenen?"
„Wer hat Ihnen das gesagt?"
„Sie hören, daß ich es weiß."
„Dummes Zeug," spottete der Zimmermann, seine
Verlegenheit hinter einem ironischen Lächeln verbergend,
„die Polizei ist auch nicht allwissend."
„Was sie zu wissen wünscht, das erfährt sie auch,"
erwiederte Kaltenborn mit scharfer Betonung. „Ihr
Schwager ist auch in die Sache verwickelt gewesen, aber
er scheint sich eines Besseren bedacht zu haben."
„Es ist weder meinem Schwager noch mir einge-
fallen, einen Gefangenen zu befreien!" sagte Siebel, trotzig
auffahrend. „Wir wissen Wohl, daß das eine zu schwierige
Sache ist, und für nichts und wider nichts verbrennt
man sich auch nicht gern die Hände. Sie sind da ge-
waltig auf dem Holzwege, über Ihre Vermuthungen
lache ich."
„Gut für Sie, wenn Sie es können! Ich denke trotz
Ihrer Versicherungen doch anders darüber. Wollten Sie
mit diesem Manne nichts zu schaffen haben, so würden
Sie ihn nicht besuchen —"
„Kann mein Besuch keinen anderen Zweck gehabt
haben?"
„Ich wüßte nicht, welchen!" entgegnete der Sekretär,
indem er forschend zu seinem Begleiter aufschaute.
„Zum Beispiel die Pension meiner Fran."
„In dieser Angelegenheit würden Sie sich doch wohl
an die Generalin wenden, die Ihrer Frau die Pension
zahlt."
„Besondere Gründe veranlassen mich, mit dem Bruder
der Generalin darüber zu reden."
„Darf man diese Gründe erfahren?"
„Wozu? Es sind Privatangelegenheiten, die Sie
nichts angehen."
„Nennen Sie es mit dem richtigen Wort," sagte
Werner sarkastisch, „es ist ein Geheimniß, welches Nie-
mand erfahren darf. Ob Sie selbst es kennen, weiß ich
nicht, aber ich weiß Wohl, daß Ihre Fran, Rabe und
der Gefangene in dieses Geheimniß verwickelt sind, und
ich gebe Ihnen mein Wort darauf, der Untersuchungs-
richter wird nicht ruhen, bis er es erfahren hat."
„Was kümmert das mich!" erwiederte Siebel achsel-
zuckend.
„Was das Sie kümmert? Außerordentlich viel!
Jenem Geheimniß liegen Verbrechen zu Grunde, und die
Enthüllung desselben wird die Betheiligten in's Gefäng-
niß bringen. Die Enthüllung ist näher, wie Sie glauben,
und es kann Ihnen so wenig wie mir gleichgiltig sein,
welche Rolle die Mutter Apollonia's in jenem Prozeß
spielen wird. Uns Beiden liegt viel daran, die Gefahr
abzuwenden, und das kann nur dadurch geschehen, daß
Sie und Ihre Frau auf die Seite des Richters treten."
„Hm, fahren Sie fort!"
„Ein unumwundenes Geständniß würde —"
„Mein bester Herr, damit hat's noch eine Weile Zeit, "
sagte der Zimmermann hastig, „zuviel darf man auch
nicht verlangen. Sind Sie vielleicht beauftragt, mir das
Alles zu sagen?"
„Und wenn ich es wäre?"
„Dann kann ich Ihnen nur antworten: warten Sie
ab und überlassen Sie es mir, zu handeln, wie ich eS
für gut finde. Wenn ich die Gelegenheit benutzen will,
um mir zu einem kleinen Vermögen zu verhelfen, so
können Sie dagegen doch wahrhaftig nichts einwenden,
denn dieses Vermögen wird später Ihnen zufallen."
„Sie wollen es durch Drohungen erpressen?" fragte
Kaltenborn in warnendem Tone. „Davon rathe ich
Ihnen entschieden ab, es könnte zu einer Anklage gegen
Sie führen. Hören Sie die Vorschläge, die der Unter-
suchungsrichter Ihnen machen wird und Prüfen Sie die-
selben ernstlich."
„Ich habe mit ihm nichts zu schaffen!"
„Aber er mit Ihnen! Denken Sie an die Zukunft
Ihrer Tochter, Sie würden es nie verantworten können —"
„Jetzt lassen Sie mich in Ruhe!" rief der Zimmer-
mann wüthend. „Sie haben mir keine Vorschriften zu
machen, und Sie sollten sich schämen, daß Sie sich zu
solchen Diensten gebrauchen lassen. Ein Spion ist
immer verächtlich, er muß sich selbst verachten."
Er bog rasch in eine Seitenstraße ein, ohne sich nach
seinem zukünftigen Schwiegersöhne noch einmal umzu-
sehen.
Die Warnungen und Vorstellungen Kaltenborn's
hatten ihn geärgert, sie drohten seinen Plan zn durch-
kreuzen.
Daß Rabe bereits so scharf überwacht wurde, hatte er
nicht vermuthet, also auch nicht in den Kreis seiner Be-
rechnungen gezogen, für ihn ergab sich daraus die Noth-
wendigkeit, rasch zu handeln.
Auf der anderen Seite ging aber auch aus den Worten
des Sekretärs hervor, daß der Untersuchungsrichter bis
jetzt noch nichts entdeckt hatte, beharrte der Gefangene
bei seinen! Schweigen, so konnten immerhin noch Wochen
vergehen, ehe das Geheimniß enthüllt wurde.
„Wo ist Apollonia?" war seine erste Frage, als
er in das Zimmer seiner Frau trat.
Die ehemalige Wärterin saß mit ihrem Strickstrumpf
am Tisch, auf dem die brennende Lampe stand, sie blickte
betroffen den Eintretenden an.
„Sie besucht eine Freundin," antwortete sie.
Der Zimmermann rückte einen Stuhl an den Tisch
und ließ sich nieder.
„Der Sekretarius ist ein Polizeispion," sagte er, „der
Kerl dürfte uns nicht mehr in's Haus kommen."
„Unsinn," erwiederte Frau Siebel ärgerlich. „Ich
weiß wirklich nicht, weshalb Du ihn nicht leiden magst;
er ist ein ehrlicher Mensch und er wird's noch zu etwas
bringen."
„Der?" brummte Siebel verächtlich. „Ich möchte
das Brod nicht essen, das auf diese Weise verdient wird,
lieber will ich Hunger leiden."
„Und wer hat Dir gesagt, daß er ein Spion sei?"
„Er selbst!"
„Das kann nicht wahr sein!"
„Er hat mich heute Abend verfolgt, er hat vor dem
Hotel gewartet, bis ich heraus kam und mir dann in's
Gesicht gesagt, ich wolle mit dein Lump, dem Rabe, ein
Bündniß schließen. Er hat mir ferner gesagt, der Unter-
suchungsrichter wolle mir Vorschläge machen, weißt Du,
was das mit andern Worten heißt?"
Die alte Frau schüttelte den Kopf, in ihren starren
Augen spiegelte sich angstvolle Erwartung.
„Daß ich auch ein Polzeispion werden soll!"
„Das kann er Dir nicht anbieten!"
„Diese Leute können Alles!" fuhr der Zimmermann
höhnisch fort, „weil sie selbst keine Ehre haben, glauben
sie, Andere dürften auch nicht darauf Pochen."
„Du hast ihn jedenfalls mißverstanden!"
„Wie ich die Worte zu nehmen habe, weiß ich. Er
hat mir sogar gedroht, die Verlobung rückgängig zu
machen —"
„Wenn er das thut, ist er ein ehrloser Schuft!"
rief Fran Siebet in leidenschaftlicher Erregung. „Er
darf sein Wort nicht zurücknehmen —"
„Er darf nicht? Wenn er es nun trotzdem thut?"
auch die Faust Rabe's die Gurgel Baruekow's mit
eisernem Griff umklammert.
„Schurke!" rief Rabe mit heiserer Stimme. „Jetzt
ist nur die Ursache Deines fabelhaften Glücks klar ge-
worden! Heraus mit dem gewonnenen Gelde!"
Herr v. Barnekow riß sich los, es gelang ihm, er
sprang von seinem Sessel ans, mit flammenden! Blick
stand er dem Gegner gegenüber.
„Sind Sie wahnsinnig geworden?" fragte er wüthend.
„Was wollen Sie? Ich habe das Geld ehrlich ge-
wonnen."
„Das lügen Sie anderen Leuten vor, aber nicht
denen, die gefälschte Karten kennen!" erwiederte Rabe,
der sich bereits der Karten und auch der Banknoten
seines Gegners bemächtigt hatte. „Was hindert mich,
Sie öffentlich als falschen Spieler zu brandmarken?"
„Die Furcht, in's Irrenhaus gebracht zu werden,"
sagte Barnekow, vor Wuth zitternd. „Beweisen Sie
Ihre Anklage!"
„Wenn ich diese Karten vorlege, so ist der Beweis
geliefert, wer mit gezeichneten Karten spielt, der muß im
Volteschlagen geübt sein. Wollen Sie gutwillig meinen
Verlust mir zurückzahlen?"
„Nein! Mein Geld ist in Ihren Händen; wenn Sie
das saubere Gewerbe eines Straßenräubers betreiben
wollen, so kann ich Sie daran nicht hindern."
„Elender Bauernfänger, Sie sind gefährlicher als
ein Straßenräuber! Daß Sie von Ihrem heutigen Raub
keinen Heller erhalten, werden Sie begreiflich finden, auf
Vergangenes mag ich nicht zurückkommen, wenn Ihnen
ein letzter schwacher Rest von Ehrgefühl nicht sagt, daß
Sie verpflichtet seien, den Raub zurückzugeben."
Herr v. Barnekow hob die Banknoten auf, die sein
Gegner ihm vor die Füße geschleudert hatte, es schien
nicht das erste Mal zu sein, daß er sich in solcher
Situation befand.
„Und jetzt die Karten!" sagte er befehlend. „Wegen
der Schuld werden wir spater an einem andern Ort
reden."
Ein höhnischer Zug glitt über das Gesicht Rabe's.
„Die Karten werde sch Ihren Freunden vorlegen,"
erwiederte er mit einem Blick unsäglicher Verachtung,
„Sie sind ein zu hart gesottener Sünder, als daß mau
Sie schonen dürfte! Ihren weiteren Schritten, mit denen
Sie mir drohen, sehe ich ruhig entgegen, Sie werden
so klug sein, die Folgen zu bedenken nud mich nicht
zwingen wollen, diese Karten dem Staatsanwalt zu über-
geben. Und nun hinaus, ich habe mit Ihnen nichts
mehr zu schaffen!"
Herr v. Barnekow hatte die Banknoten in sein Porte-
feuille gelegt und das letztere in die Tasche geschoben,
er nahm jetzt seinen Hut und sein elegantes Spazier-
stöckchen.
„Und das sagen S i e mir?" fragte er höhnisch. „S ie
werden wahrhaftig nicht wagen, dem Staatsanwalt eine
Anzeige zn machen, denn wenn Einer Ursache hat, diesen
Beamten zu fürchten, so sind Sie es! Ich weiß viel-
leicht mehr, als Sie ahnen, und nun frage ich Sie
noch einmal, wollen Sie mir die Karten zurückgeben?"
Hätte Barnekow diese Frage in einem andern Tone
gestellt, so würde Rabe vielleicht sich besonnen und ein-
gesehen haben, daß die Klugheit Nachgeben gebot, aber
dieser drohende beleidigende Ton bestärkte ihn in seinem
Trotz.
„Nein!" erwiederte er.
„Sie werden es bereuen!" sagte Barnekow, und ohne
eine Antwort abzuwarten, entfernte er sich mit dein festen
Entschluß, für diese ihn entehrende Niederlage Rache zu
nehmen.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Pläne.
Siebel hatte in der That seinen Zweck erreicht; es
war ihm gelungen, seine Frau so sehr einznschüchtern
und in die Enge zu treiben, daß sie ihm das Geheimnis;
enthüllte, in der Hoffnung, an ihm einen Verbündeten
zu gewinnen.
Die erste Folge dieser Enthüllung war, daß der
Zimmermann sich mit seiner Frau aussöhnte.
Das Projektirte Holzgeschüft schwebte ihm noch immer
vor Augen, er hoffte jetzt die Mittel zur Gründung
desselben zu gewinnen. Daß er seine frühere Lebens-
weise nicht fortsetzen konnte, hatte er eingesehen, und so
unsäglich schwer ihm das auch geworden war, hatte er
doch bisher der Versuchung erfolgreich widerstanden und
keine geistigen Getränke mehr genossen.
Sein ganzes Streben ging dahin, ein vermögender
Mann zn werden, und er sah Wohl ein, daß er die
liederliche Bahn verlassen mußte, wenn dieser Wunsch
in Erfüllung gehen sollte.
Er erkannte ferner, daß er seiner Frau ungerechte
Vorwürfe gemacht hatte, daß er durch seinen unbe-
gründeten, aus der Luft gegriffenen Verdacht selbst der
Urheber seines Unglücks gewesen war.
Das sollte jetzt anders werden, er wollte den Beweis
liefern, daß er auch jetzt noch fähig war, seine Familie
zu ernähren, und daß Niemand das Recht hatte, mit
Verachtung auf ihn hinab zu sehen. Freilich, so lange
Das Buch für Alle.
Srst 22.
er im Tagelohn arbeitete, war keine Hoffnung vorhanden,
daß er dieses Ziel erreichen würde, deshalb hatte er fein
Augenmerk auf das Geheimniß geworfen, durch dessen
Verwerthung er sich die nöthigen Mittel zu verschaffen
gedachte. Daß er an seinem Schivager keinen energischen
Verbündeten besaß, erkannte er rasch.
Der Schließer wollte, seitdem er bemerkte, daß er
beobachtet wurde, mit der Sache nichts mehr zu thun
haben, er weigerte sich sogar, scheinbar auf die Pläne
Rabe's einzugehen, trotzdem sein Schwager ihm wieder-
holt die Versicherung gab, daß kein Grund zu einer Be-
sorgnis; vorliege.
So war denn Siebel auf sich allein angewiesen, und
nach langem Nachdenken hatte er seinen Plan entworfen,
mit dessen Ausführung er an diesem Nachmittag begann.
Das Resultat seiner Unterredung mit Rabe hatte
ihn befriedigt, er verließ das Hotel mit der Ueberzeugung.
daß die Ausführung seines Planes ihm gelingen werde,
und in dieser Stimmung berührte es ihn unangenehm,
als er draußen vor dem Gasthofe dem Verlobten seiner
Tochter begegnete, der ihn offenbar erwartete.
Konnte er auch über Kaltenborn selbst nichts Nach-
theiliges sagen, so war er doch mit der Verlobung so
recht nicht einverstanden, es gefiel ihm nicht, daß sein
künftiger Schwiegersohn im Dienste der Polizei stand,
die Polizeibeamten hatten sich nie seiner Sympathie er-
freut.
Werner Kaltenborn trat auf ihn zu und schritt mit
ihm die Straße hinunter.
„Sie waren bei Rabe?" fragte er.
Der Zimmermann, der ihn um eines Kopfes Länge
überragte, blickte verächtlich auf ihn hinunter.
„Haben Sie fpionirt?" erwiederte er.
„Ich sah Sie in den Gasthof hineingehen, und es
ist mir bekannt, daß der Bruder der Generalin dort
wohnt."
„Und da warteten Sie, bis ich wieder herauskam?"
„Jawohl."
„Welchen Zweck hatten Sie dabei?" fragte Siebel
barsch. „Wer hat Sie beauftragt, mir als Spion zu
folgen? Sie kann es doch verteufelt wenig kümmern —"
„Wozu die Aufregung?" unterbrach Werner ihn.
„Wir können darüber in aller Ruhe mit einander reden.
Es ist möglich, daß Sie selbst nicht wissen, welcher Ge-
fahr Sie sich durch den Verkehr mit diesem Manne
aussetzen, ich aber sehe mich gezwungen, Sie darauf
aufmerksam zu machen. Würden Sie in den Prozeß,
der diesem Manne droht, verwickelt, so sähe ich mich ge-
nöthigt, die Verlobung mit Apollonia zu lösen."
, Hm, dadurch wäre nichts weiter verloren!"
„Für Sie vielleicht nicht, aber Ihr Kind würde
unglücklich werden. Apollonia liebt mich, sie weiß,
daß sie an meiner Seite ihr Glück findet, und auch mir
würde es unsäglich schwer fallen, den Schritt zn thun.
Aber Sie werden begreifen, daß der Geheimsekretär des
Polizeipräsidenten nicht die Tochter eines Verbrechers
heirathen darf."
„Eines Verbrechers?" fuhr Siebel entrüstet auf.
„Sie werden es, wenn Sie mit diesem Manne ein
Bündniß schließen und sich zu seinem Mitschuldigen
machen. Handelt es sich nicht nm die Befreiung eines
Gefangenen?"
„Wer hat Ihnen das gesagt?"
„Sie hören, daß ich es weiß."
„Dummes Zeug," spottete der Zimmermann, seine
Verlegenheit hinter einem ironischen Lächeln verbergend,
„die Polizei ist auch nicht allwissend."
„Was sie zu wissen wünscht, das erfährt sie auch,"
erwiederte Kaltenborn mit scharfer Betonung. „Ihr
Schwager ist auch in die Sache verwickelt gewesen, aber
er scheint sich eines Besseren bedacht zu haben."
„Es ist weder meinem Schwager noch mir einge-
fallen, einen Gefangenen zu befreien!" sagte Siebel, trotzig
auffahrend. „Wir wissen Wohl, daß das eine zu schwierige
Sache ist, und für nichts und wider nichts verbrennt
man sich auch nicht gern die Hände. Sie sind da ge-
waltig auf dem Holzwege, über Ihre Vermuthungen
lache ich."
„Gut für Sie, wenn Sie es können! Ich denke trotz
Ihrer Versicherungen doch anders darüber. Wollten Sie
mit diesem Manne nichts zu schaffen haben, so würden
Sie ihn nicht besuchen —"
„Kann mein Besuch keinen anderen Zweck gehabt
haben?"
„Ich wüßte nicht, welchen!" entgegnete der Sekretär,
indem er forschend zu seinem Begleiter aufschaute.
„Zum Beispiel die Pension meiner Fran."
„In dieser Angelegenheit würden Sie sich doch wohl
an die Generalin wenden, die Ihrer Frau die Pension
zahlt."
„Besondere Gründe veranlassen mich, mit dem Bruder
der Generalin darüber zu reden."
„Darf man diese Gründe erfahren?"
„Wozu? Es sind Privatangelegenheiten, die Sie
nichts angehen."
„Nennen Sie es mit dem richtigen Wort," sagte
Werner sarkastisch, „es ist ein Geheimniß, welches Nie-
mand erfahren darf. Ob Sie selbst es kennen, weiß ich
nicht, aber ich weiß Wohl, daß Ihre Fran, Rabe und
der Gefangene in dieses Geheimniß verwickelt sind, und
ich gebe Ihnen mein Wort darauf, der Untersuchungs-
richter wird nicht ruhen, bis er es erfahren hat."
„Was kümmert das mich!" erwiederte Siebel achsel-
zuckend.
„Was das Sie kümmert? Außerordentlich viel!
Jenem Geheimniß liegen Verbrechen zu Grunde, und die
Enthüllung desselben wird die Betheiligten in's Gefäng-
niß bringen. Die Enthüllung ist näher, wie Sie glauben,
und es kann Ihnen so wenig wie mir gleichgiltig sein,
welche Rolle die Mutter Apollonia's in jenem Prozeß
spielen wird. Uns Beiden liegt viel daran, die Gefahr
abzuwenden, und das kann nur dadurch geschehen, daß
Sie und Ihre Frau auf die Seite des Richters treten."
„Hm, fahren Sie fort!"
„Ein unumwundenes Geständniß würde —"
„Mein bester Herr, damit hat's noch eine Weile Zeit, "
sagte der Zimmermann hastig, „zuviel darf man auch
nicht verlangen. Sind Sie vielleicht beauftragt, mir das
Alles zu sagen?"
„Und wenn ich es wäre?"
„Dann kann ich Ihnen nur antworten: warten Sie
ab und überlassen Sie es mir, zu handeln, wie ich eS
für gut finde. Wenn ich die Gelegenheit benutzen will,
um mir zu einem kleinen Vermögen zu verhelfen, so
können Sie dagegen doch wahrhaftig nichts einwenden,
denn dieses Vermögen wird später Ihnen zufallen."
„Sie wollen es durch Drohungen erpressen?" fragte
Kaltenborn in warnendem Tone. „Davon rathe ich
Ihnen entschieden ab, es könnte zu einer Anklage gegen
Sie führen. Hören Sie die Vorschläge, die der Unter-
suchungsrichter Ihnen machen wird und Prüfen Sie die-
selben ernstlich."
„Ich habe mit ihm nichts zu schaffen!"
„Aber er mit Ihnen! Denken Sie an die Zukunft
Ihrer Tochter, Sie würden es nie verantworten können —"
„Jetzt lassen Sie mich in Ruhe!" rief der Zimmer-
mann wüthend. „Sie haben mir keine Vorschriften zu
machen, und Sie sollten sich schämen, daß Sie sich zu
solchen Diensten gebrauchen lassen. Ein Spion ist
immer verächtlich, er muß sich selbst verachten."
Er bog rasch in eine Seitenstraße ein, ohne sich nach
seinem zukünftigen Schwiegersöhne noch einmal umzu-
sehen.
Die Warnungen und Vorstellungen Kaltenborn's
hatten ihn geärgert, sie drohten seinen Plan zn durch-
kreuzen.
Daß Rabe bereits so scharf überwacht wurde, hatte er
nicht vermuthet, also auch nicht in den Kreis seiner Be-
rechnungen gezogen, für ihn ergab sich daraus die Noth-
wendigkeit, rasch zu handeln.
Auf der anderen Seite ging aber auch aus den Worten
des Sekretärs hervor, daß der Untersuchungsrichter bis
jetzt noch nichts entdeckt hatte, beharrte der Gefangene
bei seinen! Schweigen, so konnten immerhin noch Wochen
vergehen, ehe das Geheimniß enthüllt wurde.
„Wo ist Apollonia?" war seine erste Frage, als
er in das Zimmer seiner Frau trat.
Die ehemalige Wärterin saß mit ihrem Strickstrumpf
am Tisch, auf dem die brennende Lampe stand, sie blickte
betroffen den Eintretenden an.
„Sie besucht eine Freundin," antwortete sie.
Der Zimmermann rückte einen Stuhl an den Tisch
und ließ sich nieder.
„Der Sekretarius ist ein Polizeispion," sagte er, „der
Kerl dürfte uns nicht mehr in's Haus kommen."
„Unsinn," erwiederte Frau Siebel ärgerlich. „Ich
weiß wirklich nicht, weshalb Du ihn nicht leiden magst;
er ist ein ehrlicher Mensch und er wird's noch zu etwas
bringen."
„Der?" brummte Siebel verächtlich. „Ich möchte
das Brod nicht essen, das auf diese Weise verdient wird,
lieber will ich Hunger leiden."
„Und wer hat Dir gesagt, daß er ein Spion sei?"
„Er selbst!"
„Das kann nicht wahr sein!"
„Er hat mich heute Abend verfolgt, er hat vor dem
Hotel gewartet, bis ich heraus kam und mir dann in's
Gesicht gesagt, ich wolle mit dein Lump, dem Rabe, ein
Bündniß schließen. Er hat mir ferner gesagt, der Unter-
suchungsrichter wolle mir Vorschläge machen, weißt Du,
was das mit andern Worten heißt?"
Die alte Frau schüttelte den Kopf, in ihren starren
Augen spiegelte sich angstvolle Erwartung.
„Daß ich auch ein Polzeispion werden soll!"
„Das kann er Dir nicht anbieten!"
„Diese Leute können Alles!" fuhr der Zimmermann
höhnisch fort, „weil sie selbst keine Ehre haben, glauben
sie, Andere dürften auch nicht darauf Pochen."
„Du hast ihn jedenfalls mißverstanden!"
„Wie ich die Worte zu nehmen habe, weiß ich. Er
hat mir sogar gedroht, die Verlobung rückgängig zu
machen —"
„Wenn er das thut, ist er ein ehrloser Schuft!"
rief Fran Siebet in leidenschaftlicher Erregung. „Er
darf sein Wort nicht zurücknehmen —"
„Er darf nicht? Wenn er es nun trotzdem thut?"