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Heft 1.







Mannigfaltiges. (gagvrus verboten.»

Der Lebensretter des „Königs Luſtick®“. ~ Im
Jahre 1810 verbreitete ſich in Kassel, der damaligen Residenz
des Königs Jerôme von Weſtfalen, das Gerücht, ein hessiſcher
Bauer habe auf der Promenade nach dem König geſchoſſen,
und der Schuß hätte unfehlbar ſein Ziel erreicht, wenn nicht
ein franzöſiſcher Infanteriſt Namens Jacques Friaul dem
Attentäter in die Arme gefallen wäre. Die Folge davon war,
daß Jacques Friaul bald als „Lebensretter des Königs" der
Held des Tages wurde. Nur König Jerôme ſelbſt verhielt ſich
zur allgemeinen Verwunderung zurückhaltend. Eines Tages

brachte ihm der Kriegsminister General Eble ein Dekret, durch -

welches Jacques Friaul zum Lieutenant ernannt werden Jollte.
n Ich unterſchreibe nicht," ſagte der König. „Das wäre
lächerlich. Sie kennen meine Meinung über diesen Lebensretter."

„Es mag sein, wie Euer Majestät vermuten. Aber . an-
läßlich des Attentats treffen überall Sympathiebezeugungen
ein. Wir müssen jeden Zufall, der die Stimmung zu unseren
Gunsten beeinflußt, benutzen.“

Durch solche Erwägungen genötigt, unterzeichnete Jerôme
die Ernennung. Damit war aber der Druck, der in dieſer
Angelegenheit auf ihn ausgeübt wurde, nicht zu Ende. Der
ganze Hof sprach über die Undankbarkeit des Königs, der
ſeinen Lebensretter noch nicht einmal in Audienz empfangen
habe, und ſchließlich fügte ſich Jerome auch hier und befahl
Jacques Friaul zur Audienz. Als der junge Mann in den
Audienzſaal trat, entließ der König seine geſamte Umgebung.
Kaum ſah er ſich mit seinem „Lebensretter“ allein, als er auf
ihn zuſchritt und ihm eine ſchallende Ohrfeige versetzte.

„Haſt du mir das Leben gerettet? Sprich, Schurke.'

nI< ~ ich weiß ~ nicht, Majestät –

„Warst du an jenem Tage, als der Wahnsinnige seine
Piſtole abſchoß, nicht total betrunken ?“

„Ja, Majestät.“

„Du gingst gerade vorüber und fielſt, über den Schuß
erſchreckt, vor dem Attentäter nieder ?"

„ZU, Maijefſtiit.'

„Du haſt mir alsſo weder das Leben gerettet, noch hattest
du die Ahsicht dazu. Ich beobachtete dich genau, während

mein Adjutant der Meinung war, du wärest dem Attentäter .

in den Arm gefallen, und dein Lob ausposſaunte. Nun geh
und schweige über das, was wir hier gesprochen haben.“
Jacques Friaul ging. Der Kammerdiener, der ſich im
Nebenzimmer aufgehalten hatte, behauptete, der König habe
Jacques umarmt und geküßt. Er habe das „Geräuſch des
Kusſes“ deutlich gehört. M. H -d.
Die Abwäſſer einer Millionenſladt. – Die Wasser-
mengen, welche den Kanaliſationsſyſtemen unserer großen
Städte entströmen, sind größer, als ſelbſt eine kühne Phan-
taſie ſich ausmalt. In Berlin, wo das ganze Waſserquantunr
auf die in der weiteren Umgebung der Stadt verteilten Riesſel-
felder geleitet wird, beträgt die jährliche Menge gegen 70 Mil-
lionen Kubikmeter. Ein Kanal von 30 Meter Breite und 5 Meter
Tiefe, der das Weichbild von ganz Berlin mit allen Vororten
umgürtete, könnte nur den fünfzehnten Teil dieser Wasſer-
menge faſſen. Wien hat nur mit der Hälfte dieser Menge
zu thun, Paris aber mit dem doppelten Quantum, und in
London erreicht die Höhe der Kanaliſationswässer mindestens
450 Millionen Kubikmeter. Kein engliſcher Fluß, ja ſelbst
nicht unſer Rhein beherbergt jemals eine ſo ungeheure Wasser-
menge zu gleicher Zeit in ſeinem Bette. Da die Wiener Ab-
wäſſer bei dem denkbar geringsten Wertſatze einen Düngungs-
wert von 2 Millionen Mark beſitzen, ſo repräsentieren diejenigen

Berlins 4 Millionen, die Pariser 8 und die Londoner 24 Mil-.

lionen Mark im Jahre, und nur Berlin nutzt dieſen Wert bis
jetzt aus. B.
Originelle Drobe. + Dem Exkaiser Pedro II. von Brasi-
lien, der am 5. Dezember 1891 in Paris starb, wurde eines
Tages, als er noch ſein Reich regierte, eine Eiſenbahnzugs-
bremſe, die von der Lokomotive aus geleitet werden könne,
sehr angepriesen. „Gut," sagte er, „ich werde sie ſelbſt
prüfen." Dann ließ er die Bremſe an dem für dieſe Probe-
fahrt bestimmten Zug anbringen und befahl, mit größt-
möglichſter Geschwindigkeit zu fahren. Der Lokomotivführer
folgte dieser Anordnung, ersſchrak aber nicht wenig, als er
plötzlich beim Passieren einer Kurve einen mächtigen Fels-
block mitten auf dem Geleiſe liegen ſah. Mit aller Gewalt
zog er die Bremſe an, und es gelang ihm, in der letten
Sekunde den Zuſammenſstoß mit dem Hindernis zu vermeiden.
Der Zug hielt, besorgt eilte das Gefolge an den kaiserlichen
Wagen und wünſchte Dom Pedro Glück zu der Rettung aus
ſchwerer Gefahr. Allein der Kaiser blieb sonderbarerweiſe
ſehr gefaßt. Als man ihn auf den mächtigen Felsblock auf-
merkſam machte, der auf die Bahnſtrecke gerollt war, lehnte
„er ſich behaglich in die Kiſſen zurück und ſagte lächelnd:
„Untersucht ihn doch erst! Er iſt ja aus Pappe! Ich habe ihn
heute früh dort hinsetzen lassen, um die neue Erfindung zu
prüfen, und ich muß gestehen: sie hat die Probe ſehr gut be-
ſtanden. Die Bremse kann eingeführt werden."“ D.
_ SHùchlagfertig. + Unter dem Großherzoge Karl Auguſt
von Sachſen-Weimar (177591828), dem Freunde Goethes,
wurde an ältere verdiente Aerzte und Chemiker der Titel
„Bergrat“ verliehen, ebenso wie man jetzt einen Arzt zum „Sani-
täts- oder Medizinalrat“ ernennt. So erhielt dieſen Titel auch
Dr. Wahl in Weimar, ein ebenso durch glückliche Diagnosen als
durch seinen derben Humor in weiten Kreisen bekannter Arzt.
Zu Anfang der zwanziger Jahre erkrankte am benach-
barten Hofe von Gotha ein Mitglied der herzoglichen Familie
nicht unbedenklich, und da die Gothaer Hof- und Stadtärzte
die Art des Leidens weder erkannten noch irgendwie zu helfen

wußten, berief man den Bergrat Wahl nach Gotha, der den

hohen Kranken auch bald heilte. Die Gothaer Aerzte, neidisch
auf ihren auswärtigen Kollegen, gaben ihrem Aerger durch
allerlei Spöttereien Ausdruck, und so fragte ihn auch einer
der Herren, weshalb er den sonderbaren Titel eines wei-
mariſchen Bergrats führe.

„Das will ich Ihnen sofort sagen, verehrter Herr Kollege,"
antwortete Wahl trocken; „weil ich da Rat weiß, wo die
Gothaer Ochſen am Berge stehn!“ C. T.



D. a s Bu < für Alke. .7



[ Photograph anz
Die erften Wlüten. Nach einem Gemälde von E. Prati. (S. 20)


 
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