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. dann von neuvem: „Zu Hilfe!

. Renaud!‘



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Die Schuld des Arztes.

Roman

von

Iul. Mary. Ä
(Foriſezung )

W . (Rachdruck verboten.)

_ it funkelnden Augen entgegnete Savinien
% in einem Tone, der über die Festigkeit
|) ſeines Willens keinen Zweifel übrig ließ:
„Um dich zu töten, lockte ich dich hier-
» her – wenn du nicht ſchwörſt, mein Weib
zu werden! -
„Niemals !“ lautete Margaretens ohne
Zögern abgegebene Antwort.
suchte ſie an ihm vorüberzuſchreiten,




Gleichzeitig

aber er packte ſie an den Schultern, um sie am Weiter-

gehen zu hindern, und stieß ſie mit roher Gewalt zurück.
Sie wich taumelnd einige Schritte zurück und dabei
begann, ſie aus Leibeskräften zu ſchreien: „Zu Hilfe!
Zu Hilfe!“ ,
„Wenn es dir Spaß macht, magst du immerhin
ſchreien. Weit und breit iſt keine menſchliche Seele.
Frau Barbads habe ich nach Nouan geſchickk. Das
Haus liegt an einer entlegenen Stelle, und
niemand wird uns hier ſtören."
„Elender Feigling !“ htte k q ſchrie
Zu Hilfe !“
Fester packte er ſie. Da erwachte im Augen-
blick der höchſten Not in ihrem bedrängten Herzen
mit einemmal die Erinnerung an all die geheim-
nisvollen Träume, die sie ſeit ſo langer Zeit
bereits beſchäftigten. Ein Name drängte sich auf
ihre Lippen, den sie noch niemals laut auszu-
ſprechen gewagt. Die Liebe ſendete ihr diesen
Namen als letttes Hilfsmittel, als lezte Zufluet_
in ihrer namenloſen Qual, und ohne daß ſie
ſich deſſen bewußt war, ohne daß sie es gewollt,
kam es gellend über ihre Lippen: „Renaud!

_ Sarvinien preßte ihre Arme mit solcher Ge-
walt zuſammen, daß sie mit einem tiefen Seuf-
zer die Augen schloß und bewußtlos zu Füßen
des Nichtswürdigen niederſank.

In demselben Augenblick erſchütterten kraft-
volle Fauſtſchläge die Thür und eine männliche

Stimme gebot laut: ,„Aufgemacht !“
Ein Wutſchrei brach über die Lippen Sa-
vintiens.

Er hatte die Stimme erkannt – es war die
des Grafen v. Albernon! Er gab aber keine. |
Antwort, hoffend, daß der Graf meinen werde,
er habe sich getäuſcht, wenn er kein Geräuſch
mehr vernähme.

Renaud wrich aber nicht von der Stelle,
sondern pochte immer lauter: „Jch habe um Hilfe
rufen gehört. Oeffnet, oder ich breche die Thür
ein!“ Ä

Die Thür war noch genügend widerſtands-



: Ilulſtrirte Familien-Zeitung.

fähig troß des morſchen Mauerwerks; doch die Fenſter-
läden waren es ſo wenig, daß ſie unter der geringsten
Anstrengung des Grafen, so ſchwach er auch sein mochte,
nachgeben mußten. Das Gesicht Saviniens drückte
wilden Grimm, eine zornige Enttäuſchung aus; er

| mußte fliehen, da er ſeines Sieges bereits sicher zu sein

wähnte!

hute! ichlich begann jetzt der Graf an den Fenster-
läden zu rütteln. Wenn Savinien nicht auf friſcher
That tttoppt werden wollte, ſo war es die höchſte Zeit
zu fliehen.
' Er wich alſo in das anstoßende Zimmer zurück,
gerade als die die Fenſterläden festhaltenden Schnüre
nachgaben und im JFenſterrahmen, vom Sonnenlicht
umfloſſen, das bleiche, jedoch entſchloſſene Gesicht Re-
nauds erſchien. : ;
Di fir suuur wt eu U G
ins Jreie und ſchlüpfte zwiſchen das dichte Gebüſch,
wo er, den Blicken völlig entzogen, wartete, wie ſich
die Dinge weiter geſtalten würden. . ..

Am Morgen hatte man Renaud nach dem Dorfe
gerufen, um einen Knecht, dem ein wild gewordenes
Pferd den Arm zerſchlagen hatte, in Behandlung zu
nehmen, und nachdem er das Erforderliche veranlaßt
~ der Arm des armen Menſchen war verloren ~
trat er den Heimweg an. Die Hitze war ſo groß, daß

er, ſtatt die von Nouan nach Beuvron führende staubige



Manoel Ferraz de Campos Halles,
der neugewählte Präſident von Braſilien. (S. 523)





Iahrg. 1899.

Landstraße zu benutzen, den Weg einsſchlug, der mitten
durch das Gehölz von Halary führte..

In die Nähe des Hauſes der Witwe Barbadés ge-
langt, hatte er laute Hilferufe vernommen. Er eilte
raſch herbei, und nun ſchlug sein Name an ſein Ohr,
doch ſo erſtickten Tones gerufen, als befände sich die
Person, welche ihn ausſtieß, in Todesgefahr. Da hatte
er an die Thür zu pochen begonnen, und da dies er-
folglos blieb, ſchließlich die Fensterläden eingedrückt,
die nur geringen Widerstand leiſteten. Dann war er
in die Hütte geſprungen, wo er die Witwe im Kampfe
mit einem Räuber anzutreffen vermutete.

Statt deſſen erblickte er Margarete Richardier auf
der Erde liegend, anſcheinend leblos, mit halbgeösfneten
Lippen, geſchloſſenen Lidern und leichenblaß.

Er blickte ſuchend um sich, ſah aber niemand.

Nun trat er in das anſtoßende Zimmer, deſſen Fenster
offen ſtand. Durch dieses Fenster war der Uebelthäter
offenbar entflohen, und nun wurde der Sachverhalt
dem Grafen mit einemmal klar. Er erkannte, daß er
das arme Mädchen einer furchtbaren Gefahr entriſsen
habe, und sie ſanft emporrichtend, lehnte er sie mit
dem Oberkörper gegen die Wand. In einer Ecke ſtand
ein mit Waſſer gefüllter irdener Krug, und er benetzte
mit dem kühlen Naß ihre Stirne, Augen und Hände.

Es währte ziemlich lange, bis sie endlich die Lider
öffnete. Es schien wie ein Druck auf ihrem Geiſte
zu laſten, denn sie erinnerte sich nicht ſofort an das
Vorgefallene, und ſelbſt den Grafen blickte ſie
eine Weile an, ohne ihn zu erkennen.

Ununterbrochen benetzte ihr der Arzt Stirne,
Kopf und Augen mit dem belebenden Waſßſer,
. wodurch ſich die erregten Nerven beruhigten und

ein wenig Ordnung in das ſchmerzliche Gewirr
ihrer Gedanken einzog.
Sie erinnerte sich nunmehr der gräßlichen
Scene ~ der blutunterlaufenen Augen, die sie
anſtarrten – der ſchonungsloſen Fäuſte, die
ihre armen ſchwachen Hände zuſammenpreßten.
Sie erinnerte ſich ihrer Hilferufe, über die er
ſpottete, überzeugt, daß niemand sie vernehmen
werde. Und ſie erinnerte ſich auch des Rufes,
den sie in der höchſten Not ausgestoßen, des
Namens Renaud, der ihr unbewußt über ihre
Lippen getreten war, deſſen Träger ihr Herz er-
füllte und den sie jezt, mit zärtlicher Sorgfalt
um sie bemüht, vor ſich ſah.
Sie richtete ſich mit einer haſtigen Bewe-
î gung empor und ſstieß ihn, offenbar noch unter
der Herrſchaft des furchtbaren Auftritts ſtehend,
zurück. „Nein, nein,“ murmelte sie, „ich habe
nichts gesagt – ich habe niemand gerufen!
Gehen Sie! ~ Sie ſollen nicht hier bleiben !“

Er ſuchte ſie zu beruhigen, ertlärte ihr, auf
welche Weiſe er hierhergelangte, wie er ihre
Hilferufe vernommen und in dem Moment ins
Haus gedrungen sei, da jemand durch das Fenster
des anderen Zimmers entfloh. Sie erſchauerte
wiederholt während seiner Erzählung, verharrte
aber ſchweigend; es wurde ihr endlich klar, daß
sie gerettet ſiée. |

„Und wer war der Ruchloſe?“ begehrte der
Graf jetzt zu wiſſen.
 
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