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dJUuyſtrirte Familien-Jeitung.

“ dJohra. lug.





, Manuela ziemlich ſcharf.

F er n i m S ü d.

Roman

von

Woldemar Urban.

(Fortſezung.)



(Nachdruck verboten.)

anuela ſaß, als Jeronimo und ihre Mutter
eintraten, in der niedrigen Stube am Tiſch
© vor einer Schüſſel mit „Puchero“, das heißt
einem ſcharf gepfesferten und gewürzten
. Gemenge von Kuh-, Schaf- und Hühner-

„42 fleiſch, nebſt einigen Streifen Speck und
2]7 Stchinken, das in einer mit
I Safran, Tomaten und Gar-
: _ banzos angemachten roten
Sauce schwamm, aber Manuela aß von
dem in ganz Spanien beliebten National-
gericht nichts. Den Kopf in die Hand
gestützt, ſah ſie mit ſinnenden Augen durch
das Fenster hinaus auf das Meer, auf
die unendliche Waſſerfläche, die der Sturm
mit kleinen schaumgekrönten Wellen über-
säete. An was dachte ſie? Ihre Augen
ſahen so leuchtend, so feuchtglänzend und
sſüß-träumerisch aus. : :
“. „Mutter," fagte sie, als diese ein-
trat, „der Zug geht morgen früh neun
Uhr zehn Minuten.“ d:

„Welcher Zug ?" fragte Jerónimo ver-
wundert.

„Der Zug nach Vitoria,“ antwortete
Manuela. u

„Was geht uns der Zug nach Vi-
toria an?.

„Sie will zum Stiergefecht nach
Vitoria, “ antwortete Doña Jſabel.

„Warum nicht gar!“ meinte Jerö-
nimo ärgerlich. .

„Weshalb denn etwa nicht?" fragte _




Er sah sie verwundert an. „Bei dem
Hundewetter ?"

„Was geht mich das Wetter an? Ich
fahre doch. Du kannst ja zu Hauſe
bleiben, wenn dich das Wetter geniert,
. Onvttel.’

_ Jeróönimo ſagte nichts und vertiefte
sich scheinbar in seinen Puchero. Erst
_ nach einer Pauſe fuhr er wieder fort:

„Es iſt ein rechter Unsinn! Bei solchem
Wetter fährt man nicht nach Vitoria, um
nachher stundenlang unter freiem Himmel
zin der Arena zu ſfiten. Es iſt beſſer,
du bleibſt da, Manuela.“
„Nein, Ontel, “ sagte dieſe mit einer
Entschiedenheit, die er noch nie an
. ihr bemerkt hatte, „es iſt beſſer,. ich
_ fahre hin. Das Wetter wird ſich ſchon

| wieder.



beſtero bis morgen. Und wenn auch nicht. Ich fahre
doch. "

„Das wollen wir doch einmal sehen,“ meinte der
alte Jerónimo ſcharf und drohend.

„Gewiß wirst du das ſehen, Onkel, “ sagte Manuela
Ir und bestimmt, stand auf und ging aus dem

immer.

Es entstand eine kleine Pauſe..

„Was hat sie denn nur?“ brummte Jersönimo
„Weshalb ißt ſie ihren Puchero nicht? Was
will sie denn mit. dem dummen Stiergefecht ?“

„Was wird ſie wollen? Sie will auch einmal
einen Spaß haben, und ich ſehe gar nicht ein, weshalb
du ihr das verbieten willſte. Du haſt ihr überhaupt
nichts zu ſagen, Jeronimo, du biſt nicht ihr Vater.“

„Nein,“ antwortete Jerónimo trocken und aß ruhig
weiter. Jm Grunde genommen wollte er ihr auch gar



Generak VDorfirio Diaz, Iräſident von Mexiko. (S. 187)



nichts befehlen oder vorenthalten. Es war ihm ſehr
gleichgültig, ob sie nach Vitoria fuhr oder nicht. Gr
wollte mit seinem Widerſpruch nur ſehen, ob ihr ſehr
viel daran lag. Und das hatte er auch richtig heraus-
gebracht. Er wußte jett, daß ihr wirklich sehr viel an
dieser Reiſe lag. Weshalb? fragte er ſich. Bei solchen
Stiergefechten strömt die halbe Provinz zuſammen.
Jerónimo wußte das wohl. Wer weiß,. ob da nicht
etwa ſchon zwiſchen Manuela und Don Joſs etwas
abgemacht war. Die ſpaniſchen Mädchen sind bei ſolchen
Sachen ſchlau wie der Teufel, und Jersnimo mußte
ſich vorſehen, damit ihm nicht eine Gelegenheit vorüber-
ging, wie ſie vielleicht nie wiederkehrte. Er wußte jetzt
ſchon, daß er ſelbſt mit nach Vitoria fahren mußte,

und wenn das Wetter noch zehnmal schlechter wurde. .

Am nächſten Morgen aber schien die Sonne wieder
warm und freundlich, und in Jrun wurde es zeitig
: lebhaft auf Straßen und Plätzen von
Leuten, die ſamt und sonders nach Vi-
toria zum Stierkampf fuhren, teils mit
der Ciſenbahn, teils mit eigenem Ge-
ſchirr, in welchem Falle sie ſchon zeitig
aufbrechen mußten. Es war gar keine
Rede mehr davon, daß Manuela zu
Hauſe bleiben sollte. Sowohl ihre Mutter,
wie Onkel Jerónimo machten ſich fertig
ſie zu begleiten. Man war ſogar ziemlich
luſtig und guter Dinge und dachte kaum
noch an den Wortwechſel vom Tag vorher.
Nur Manuela hatte ihn nicht ver-
geſſen. Onkel Jerósnimo war ſchon lange
der Gegenſtand ihrer Beobachtungen, und
wenn sie auch kein Wort mehr über die
Scene von gestern verlor, ſo war ſie
doch jedenfalls nicht geeignet geweſen,
ihr Mißtrauen zu zerſtreuen. Nun ſaß
ſie feſtlich geputzt, wie es die Würde des
Tages verlangte, mit ihrer Mutter und
Onkel Jerósnimo in dem überfüllten
Eiſenbahnwagen und rollte dem kleinen
. Landſtädtchen, in dem die Feſtlichkeit vor
ſich gehen sollte, zu.

Es war ſchon am Bahnhof in Jrun
großes Gedränge geweſen. Es wäre
Manuela unter Umſtänden leicht gewesen,
ſich ſchon hier von ihren Aufpassern zu
trennen, aber sie hätte dann bei der An-
kunft in Vitoria eine um so größere Auf-
merkſamleit der beiden hervorgerufen, die
ſie eben vermeiden wollte. Für ſie handelte
es ſich darum, daß sie kurz vor zwei UÜr
rechts vom Torril in Vitoria an den
Pferdeſtällen stand, allein und unbeob-
achtet, wie sie es mit Rubio abgemacht
hatte, und nach Don Sancho Caſado
fragte. Aufgeregt, mit blitzenden Augen,
ſtrahlend in ihrer ganzen Jugendfriſche
und Anmut, saß sie mitten unter den
ſchwatzenden Leuten im Zug, und hatte
nichts im Kopfe, als diesen Namen, den
ſie nicht vergeſſen durfte, und den sie zu
dieſem Behufe von Zeit zu Zeit leiſe
vor ſich hinmurmelte.
 
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