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3



Iluſtrirte








Familien-Zeitung.



Der Mut zum Glück.
Roman
Uy Hedwig Sem sebter-ſrktn.

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C V

(Fortſezung.)





Ö :
( Viertes Kapitel.

\D rau Profesſſor Jaſtrow hatte ihren Empfangs-
U abend. Da ſie nach dem Motto lebte: Gott

t



(Nachdruck verboten.)

bewahre mich vor langweiligen Menſchen!

5 A waren die Geselligkeiten bei ihr interessant,
M ùwenn auch nicht übermäßig besucht.
U d Verwöhnt durch den feinsinnigen Ge-

\ ſchmack ihres verſtorbenen Mannes, eines be-
kannten Litteraturhistorikers, verstand ſie, ſich ihr Publi-
kum auszuwählen; bei ihr zu verkehren galt für eine
Ehre, die jeder zu ſchäten wußte. Die aber, die dieſer
Ehre nicht teilhaftig wurden, ſchlugen dafür das Tamtam
des Klatſches um so eifriger und fanden vor allem die

ausgesprochene Vorliebe der Frau Profeſſor fürs junge |

Volk im höchſten Grade anstößig. Natürlich!
Da die eigene, immerhin etwas reife acht-
unddreißigjährige Schönheit nicht mehr ver-
mochte, die Männerwelt genügend an ihr Haus
zu feſſeln, war der Blütenkranz junger Mäd-
yt die an keinem Empfangsabend fehlende
Lockſpeise.

Wer Maria Jaſtrow hingegen kannte, der

urteilte anders und hielt die Neigung der kin-
derloſen Frau zur ſonnigen Jugend für eine
natürliche Reaktion, die eintreten mußte, nach-
dem sie ein Jahrzehnt an der Seite eines be-
deutend älteren Mannes wohl ihren Geiſt ge-
fit aber niemals Zeit gefunden hatte, jung
zu fein:
G Wie viel unausgelebte, urſprüngliche Friſche
sie ſelbſt noch beſaß, zeigte ſich allein ſchon
in der Art, wie ſie mit ihren Gästen um-
ging. Sie, geborene Deſterreicherin, mit dem
leichten, liebenswürdigen Tone ihrer Lands-
männinnen, verſtand es ungemein geschickt,
die Menschen einander näher zu bringen und
das Gefühl des Fremdſeins im Keime zu er-
sticken. Ihr raſches Verſtändnis für die Eigen-
arten anderer zeigte ihr sofort, wer ungelenk
war. Dem widmete ſie dann ihre Geſellſchaft
hauptſächlich. So stand faſt immer jemand
unter ihrer besonderen Obhut.

Heute erfreute sich dieses Vorzuges Clsa,
bei der es weniger darauf ankam, Schwerfällig-
keit fortzuplaudern, als ein paar nach innen
blickende Augen für die Außenwelt zu öffnen.

„Ich wette, Fräulein v. Linden, Sie be-
reuen es, zu mir gekommen zu ſein.“

Auf einem Rundgang durch ihre vier er-
ſchloſſenen, nach altdeutſchem Geſchmack einge-
richteten Gemächer begriffen, in denen ſich die
Gäste freien Umherwanderns erfreuten, blieb





Maria Jaſtrow bei der einſam Daſitzenden stehen.
Dankbar, verlegen errötete Elſſa. „Gnädige Frau, ich
bin glücklich, daß Sie Marianne gestatteten, mich zu
Ihnen führen zu dürfen, nur = ich ſollte wohl noch keine
Gesellſchaften besuchen! Mir ist's zuweilen, als richteten
ſich aller Augen vorwurfsvoll auf mich.“

Ueber Frau Jastrows Gesicht flog ein Schatten.

Auch ihr waren die Blicke neugierigen Staunens nicht

entgangen, mit denen das junge Mädchen bei seinem
Eintritt in den Salon von einigen der Anweſenden,
die tro des Adoptivnamens Elsas Familienzugehörigkeit
kannten, empfangen worden war. Selbst in diesen Kreis
hinein wagte ſich das Gespenst übler Nachrede! Und
hier, wie überall, fand sein Geflüſter willige Hörer!

Empört über die Engherzigkeit des geſellſchaftlichen
Urteils, das einem unschuldigen jungen Dinge die Ver-
zweiflungsthat der Schwester anrechnete, nahm sich Frau
Heft Vor . Fs allem sgi zum Trotz besonders
urch ihren utz auszuzeichnen.

An der Seite des he! Mädchens Platz nehmend,
bemerkte sie jezt im Tone warmen Mitempfindens:
„Handeln Sie im Sinne Jhrer lieben Toten, die Sie
gewiß lieber lächelnd als traurig ſah!“

„D, gnädige Frau, Sie :

„Nennen Sie mich nicht gnädige Frau, liebes Kind.



Otto Gaebel,

der neue Präsident des decuiſchen Neichsversicherungsamtes (S. 283)



Ich denke, wir wollen es herzlicher miteinander ver-
ſuchen! – Aber mir scheint, da kam noch jemand.

Dann ruft die Pflicht.“

Einer Gruppe Damen freundlich zunickend, ſchritt
Maria Jaſtrow alsbald von Clſa hinweg dem Neben-
zimmer zu, wo die Geſellſchaft soeben durch einen Herrn
vermehrt worden war.

„Also doch gekommen, Doktor!“

Dernburg verneigte sich. „Sobald mich die Pflicht
freiließ, gnädige Frau.“ ;

„Hu! Pflicht und Gnädige! Wie gräßlich Sie heute
sind !“ Und in eine andere Tonart überſpringend, auf
ihre Gäſte deutend: „Sind Sie mit allen Herrſchaften
schon bekannt?“ Ö .

Er reckte seine mächtige Gestalt noch höher auf und
überblickte die Reihe der Zimmer, so gut er konnte.

„Natürlich! Kenne alle, werte Freundin. Der gute
alte Stamm! Dort der alte Geheimrat, dann der Doktor
Diefenbach in der dramatiſchen Poſe, auch Lieutenant
v. Perlen, von der kleinen Normann q,gefaßt“, ihr
Bruder, die ſchöne Valdern und die unvermeidliche

Generalin –~

„Genug, übergenug!“ Lächelnd hielt sie ſich die
Ohren zu. „Man kann Sie nicht mehr einladen, Doktor!
Aber viel hab' ich doch noch etwas Unbekanntes für

: Sie!‘ Z

Ihren Arm in den ſeinen legend, entzeg
ſie ihn allen Begrüßungsumſtändlichkeiten, in-
dem sie ihn mit ſich in das Nebengemach nahm.

Vor Elsa v. Linden blieb sie stehen. „Er-
lauben Sie: Herr Doktor Dernburg ~

Doch kaum hatte er einen Blick in das Ge-
sicht des jungen Mädchens gethan, als ein tiefes,
helles Leuchten in seinen Augen aufzuckte. ,„Jch
hob: bereits die Ehre, das gnädige Fräulein zu
ennen!“

„Ah!“ machte Frau Maria erſtaunt. „Desto
einfacher! Und nun, Doktor, seien Sie brav!
Laſſen Sie die Minen Jhres Geistes und Witzes
springen; ich will, daß sich die junge Dame
gut bei mir unterhält.“ ;

. Ein stummes Bitten in ihren ſchwarzen,
glänzenden Augen, und sie ging weiter, um ſich
anderen Gästen zu widmen.

Dernburg fühlte die Pflicht, nun irgend .
etwas Verbindliches ſagen, eine Unterhaltung
anknüpfen zu müssen, aber so weltgewandt er
sonst war, jetzt vermochte er kaum, die übliche
Frage nach dem Wohlbefinden zu ſtellen.

Hatte ihn ihr Anblick bereits verwirrt, als
er ſie zum erſtenmal sah, so war es heute, ihr
dicht gegenüber, noch viel mehr der Fall. Alle
Einzelheiten ihres Aeußeren ſprachen zu ihm.
Ihre feine Geſtalt im loſen ſchwarzen, von
Spitzen überrieſelten Kleide, ihr ſchmales, an-
mutiges, meiſt ein wenig zur Seite geneigtes
Köpfchen, die dunklen Augen, die mit dem
krauſen Blondhaar, das weit in Stirn und
Schläfen hineinfiel und am Hinterhaupt in
einem Lockenbüſchel aufgerafft war, einen ſelt-
samen Kontrast bildeten, der Mund, um den
ein starker Lebenswille seine Linien grub, das
alles üble einen Einfluß auf ihn aus, der
 
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