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und lauſcht wieder.
iſt noch immer vernehmbar, und mit unſicherer Stimme

dem Druck des Windes hat ſich ein Vorhang-

. chene Fenster fährt, als wolle er durch das-
— welches ihn derart aufregte; wenn der Wind
_ flatternde Vorhang erzeugt allerlei phantaſtiſche Ö

. Schatten, die über den Boden und die
_ des Korridors dahinhüpfen.

; hr. ſtn Erſcheinen in Zorn verſettt wor-
en sind.

J t wißfca weshalb, empfindet er Furcht. Und dieſe
instinktive Furcht, dieſe Angst, die ſich ſeiner

Dnen, die er in ihren Augen geſehen, an ihre
_ YHitten, mit denen sie ihn zum Bleiben be-





A

E





F



Heft 17.

Roman

von

Die Schuld des Arztes.

Jul. Mary.

(Fortſezung.)_






z (Nachdruck verboten.)

[ \chon hatte Richardier die Hand ausgestreckt,
t Letve huge".
aber regelmäßiges Geräuſch, welches aus
dem oberen Stockwerk herabtönte, drang
gan ſein Ohr. G
„Das Haus iſt alſo doch bewohnt !“
Er läßt den ſchweren Vorhang fallen
Das regelmäßige, leiſe Geräuſch

ruft er laut: „Bitte, iſt jemand im Hauſe anweſend ?“

Seine Stimme wiederhallte in allen Ecken, führte
aber keine Antwort herbei. Die Duntelheit
immer mehr zu, und lautloſe Stille herrſchte
nach wie vor. Aufmerkſam lauſchend, suchte
Richardier das gleichförmige, leiſe Geräuſch -
zu unterſcheiden, welches noch immer vom
oberen Stockwerk herabtönte.

„Das iſt stark!" sagte ſich der Lauſchende
und eilte die Treppe empor.

Im zweiten Stock herrſcht dieselbe Ein-
teilung wie im ersten: ein breiter Korridor
mit Thüren. An einem gegen Süden ge-
legenen Fenster iſt eine Scheibe gebrochen,
deren Trümmer auf dem Teppich liegen. Unter

nahm

flügel losgelöst, welcher gleich einem geblähten
Segel flattert und zuweilen gegen das gebro-

ſelbe entfliehen. Dies verursacht das Geräuſch,
nachläßt, hört auch das Geräuſch auf. Der

ände
Sie umtanzen
Richardier, verſchwinden, um dann wieder auf-
zutauchen, und wollen durchaus nicht zur
Ruhe kommen, als wären es Geſpenſter, die

Er steigt wieder hinab und bleibt vor der
Thür mit dem Vorhang ſtehen.

„Soll ich eintreten?“ grübelt er.

Seine Hand iſt eiskalt; ohne ſelbſt zu

immer mehr bemächtigt, je weniger er eine
Erklärung dafür finden kann, erinnert ihn an
die Befürchtungen seiner Gattin, an die Thrä-

Iluſkt



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der Aufenthalt ein so behaglicher war, an die lachen-
den Gesichter seiner Kinder, die heitere Miene Feiner
Mutter und die zärtlich blickenden Augen Chriſtinens.
Er öffnet die Thür und tritt ein.
Tiefe Dunkelheit umfängt ihn, denn die Vorhänge

irte

und Läden an den Fenstern ſind fest verſchloſſen; doch

mußte der Raum kürzlich noch bewohnt geweſen ſein,
denn die Luft darin iſt warm. Hier muß ein Feuer
gebrannt haben.

Doch wo befindet er ſich? In einem Salon, einer
Kanzlei oder in einem Schlafzimmer? Er reibt ein
Streichholz an und blickt haſtig um sich. Seine Hand
zittert, und mit ihr zittert das brennende Streichholz
zwiſchen seinen Fingern. In der That, was würde
Richardier sagen, was würde er thun, womit ſich ent-
ſchuldigen, welche Haltung annehmen, wenn ihm jett
mit einemmal jemand entgegenträte?

„Ganz abgeſehen davon, daß es nicht unverdient
käme, wenn mich jemand mit einem Revolverſchuß be-
grüßte, “ fügte er im ſtillen hinzu.

Er befindet ſich in einem ſehr elegant eingerichteten
Schlafzimmer. Das Bett darin iſt unberührt; im Kamin

liegen halb verbrannte Holzſcheite. Es unterliegt keinem



Eugen Ruſffy,

der ſchweizeriſche Bundespräsident für 1898. (S. 403)

milien-Zeit



Iahrg. 1898.

na.
Zweifel, daß sich noch vor einigen Stunden jemand,
Mann oder Frau, in diesem Raume aufgehalten hat.

Das Streichholz iſt erloſchen. Richardier zündet ein
zweites an, bei deſſen Schein er einen Leuchter mit
einer Kerze entdeckt, und nachdem er diese angezündet,
blickt er gespannt um sich. Das Zimmer ist mit einem
zweiten durch eine Thür verbunden, die weit offen
ſteht. Der Eindringling hat seinen Leuchter mit zit-
ternder Hand auf einen kleinen Tiſch gestellt, welcher
eine blaue Sammetdecke trägt, und nun ſteht er regungs-
los da, wagt keinen Schritt mehr zu thun.

Inſtinktiv fühlt er, daß das Geheimnis von dem
zweiten Zimmer ausgeht, denn von dort rühren die
jihf aui dem dicken Teppich deutlich erkennbaren Blut-
puren her.

Zwei oder drei Sekunden vergehen derart in einer
unaussſprechlichen Angst, und er muß ſeinen ganzen

Mut aufbieten, um die wenigen Schritte zurückzuleeenen.

und in den Thürrahmen zu treten. Die brennende
Kerze befindet ſich hinter ihm, und so bleibt das Zimmer
in ein Halbdunkel gehüllt, in welchem er die Dinge
auf den erſten Blick nicht zu erkennen vermag.

t sch bald werden alle Einzelheiten deutlich er-
ennbar.

In dem Zimmer herrſcht die größte Unordnung.
Stühle liegen umgeworfen auf der Erde. Man
sollte meinen, hier habe ein Kampf, ein Ringen

_ attgesunden, habe sich ein Drama abgespielt.

Ein breites Sofa nimmt die Mitte des
Raumes ein, und die Rücklehne dieses Möbel-
ſtückes verſperrt ihm die weitere Aussicht bis
zur Höhe des Kamins. ;

In einer Ecke befindet ſich ein Tiſch mit
zwei Gedecken; außerdem sieht man darauf
eine Flaſche Wein, Waſſer, Brot, kalten Bra-
ten, Obst und Backwerk. Doch will es Richar-
dier bedünken, als wären all dieſe guten
Dinge nicht einmal berührt worden. Jm
übrigen herrſcht Totenſtille in dem Zimmer,
und er vernimmt nicht einmal mehr das leiſe

© Geräuſch, welches der flatternde Vorhang im
zweiten Stock oben erzeugt. Der Wind hat
ſich gelegt, und es hat wieder in großen, dich-
ten Flocken zu ſchneien begonnen.

Endlich ist er in das Zimmer eingetreten,
und das erſte iſt, daß sein Fuß gegen einen
Gegenſtand stößt, welchen er aufhebt, um ihn
voll Abſcheu wieder von ſich zu werfen. Es
iſt ein Revolver.

Von der Stelle aus, auf der er ſteht, ver-
tz !! h qu ter de Nutetutrr w
kunde ringt ſich ein Aufschrei des Entſetens
von seinen Lippen.

Eine weibliche Gestalt liegt, beſſer geſagt,
ſitt auf der Erde; ihr Kopf ruht auf dem
Ls r rttÑt rot st ue
son oder ~ als wäre sie tot.

Richardier weiß nicht, was er annehmen
soll, und leise ſpricht er: „Jch bitte um Ent-
ſchuldigung, meine Gnädige ~“

Da die Gestalt aber regungslos verharrt,
 
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