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4



"Yeſi .

IUnultrirte

amilien-Zeitung.



mmummmtuuunt e sÿ|!

Jahrg. 1898.



fast hübſch zu nennen gewesen.

Die Schuld des Arztes.

Roman
I ul. Mary.

(Forlſetzung.)



9. (Nachdruck verboten.)
eit dem Morde in Neuhaus waren ſiebzehn
Jahre verfloſſene. An einem Julimorgen

hielt der aus Paris kommende Zug in
2- Beaugency. Mehrere Reiſende stiegen aus
und näherten sich mit ihrem Gepäck dem
Ausgang des Bahnhofes, wo ſie ihre Fahr-
karten vorwieſen. Einer der Reiſenden, ein
wenig vertrauenerweckender hagerer Mann
mit gebräuntem Gesicht, funkelnden und hartblickenden
Augen und einer wahren Habichtsnaſe, wendete ſich mit
den Worten an einen der Beamten : „Könnten
Sie mir nicht. ſagen, ob ich von Saint-
Laurent-des-Eaux weit entfernt bin?“

„Es mögen an die neun Kilometer sein. “
„Undkeine Fahrgelegenheit dahin, wie?“
Sie tier Ut bis hh tk hc
welche den Verkehr dorthin vermittelt. ~

Sehr einladend ſieht das Ding freilich nicht
aus," fügte der Beamte lachend hinzu,
„beſſer iſt's aber noch immer, als wenn man
den langen Weg zu Fuß zurücklegen muß.“

Der Reisende dankte flüchtig, gab seine
Fahrkarte dritter Klaſse ab und entfernte ſich,
seinen Stock ſchwingend, der sein ganzes
Gepäck bildete. Auf den erſten oberfläch-
lichen Blick ſchien er den wohlhabenderen
Geſellſchaftsſchichten anzugehören, sah man
aber genauer hin, so entdeckte man, daß die-
sſer Eindruck nicht der Wahrheit entſprach.

Der Mann trug für gewöhnlich gewiß
nur einen Schnurrbart, doch war er ſeit
wenigstens vierzehn Tagen nicht raſiert wor-
den, und die kurzen, harten Stoppeln ver-
liehen dem Gesicht einen abſtoßenden Aus-
druck. SeinRock ſchienaus gutem Tuchzuſein;
doch fielen die ausgeſchliſſenen Knopflöcher,
die mit Tuch überzogenen Knöpfe, unter
welchen kaum einer festſaß, der fettglän-
zende Kragen und die zerriſſenen Rand-
borten sofort unangenehm auf. Eline breite,
ſchmutzige Halsbinde verbarg das Hemd,
wahrſcheinlich mit gutem Grund, und der
tres trebt yerealer ylitrauus Heut:
gesetzt gewesen zu sein. Die Beinkleider
und das Schuhwerk paßten zu dieſem Rock.

Der Reiſende mochte fünfunddreißig
Jahre zählen, sein Gesicht wäre ohne den
anmaßenden, verſchlagenen Ausdruck darin





Lavardet, der Führer der Kaleſche, kletterte gerade
auf ſeinen erhabenen Sitz empor, um ſich dort nieder-
zulaſſen, als der Mann mit den Worten herantrat:
„Sie fahren nach Saint-Laurent-des-Eaux ?“

„Ja, mein Herr. Steigen Sie nur ein. Ich fahre
ofort. '! j
ff „Sehr gern, aber –“ Er zögerte einen Moment
und fügte mit einem trockenen Lachen hinzu: „Wie
lange währt die Fahrt?ê?n. :

„Fünfzig Minuten.“

„Und was verlangen Sie?“

„Fünfundsiebenzig Centimes. “

Der Mann griſf in ſeine Weſtentaſche und ſagte:
„Hier.... Soviel beträgt noch meine Barſchaft; nun
bin ich volllommen blank. Also vorwärts!“

Lavardet maß den Fremden mit einem erstaunten
Blick, steckte aber das Geld ein und ſprach kein Wort,
während der Reiſende in das Fahrzeug ſtieg. Lavardet
verſetzte dann ſeinem Pferde einen kräftigen Peitſchen-
hieb, und der ſchwere Wagen ſJetzte ſich raſſelnd in Be-
wegung.

uns. rent sah der Reiſende die Landſchaft an ſich



General der Infanterie Erbgroßherzog Friedrich von Waden. (S. 475)



vorüberziehen, in die er zum erstenmal den Fuß ſette,
und über die die heiße Juliſonne ihre Strahlen ergoß:.

Eine Stunde mochte bereits vergangen sein, als
der Wagen in einem ſehr sauberen Dorfe anlangte,
deſſen niedrige Häuſer aus Ziegel erbaut waren, und
vor einem Wirtshauſe ſtehen blieb.

Lavardet kletterte von ſeinem Sitz herab. „Sie
werden bei dieſer Hitze gerne etwas Kühlendes zu ſich
nehmen," sagte er zu ſeinem Fahrgaſt.

„Sehr gerne, “ erwiderte dieser, „Sie wiſſen aber ~
Und damit deutete er auf seine Weſtentaſche.

„Na,“ meinte der Wagenlenker, „auf ein Glas
Wein ſoll es mir nicht ankommen.“

„Dann nehme ich mit Dank an.“

Damit traten sie ein, und nachdem man ihnen den
yérlasgien Wein vorgesetzt hatte, stießen ſie an mit-
einander.

Der Wirt blickte dabei den Fremden neugierig an
und endlich konnte er ſich nicht enthalten, zu fragen:
„Haben Sie hier in der Gegend zu thun?“

„Ich will nach Schloß Beuvron und würde Ihnen

sehr dankbar sein, wenn Sie mir den Weg beschreiben

wollten. “

„Recht gern. Kennen Sie den Gra-
fen Renaud v. Albernon, der mit seiner
Schwester dort wohnt?“

„Ich heiße Savinien v. Albernon und
bin der Vetter des Grafen.“

„Ah!“ entfuhr es Lavardet, und wäh-
rend sein Blick prüfend über die Gewan-
dung des anderen glitt, murmelte er: „Da
wird wohl die Not der Armut einen Be-
ſuch abstatten.“

Savinien vernahm dieſe Worte nicht,
denn er irank gerade sein Glas leer, wor-
auf er ſagte: „Und nun, bitte, weiſen Sie
mir den Weg.“

„Das iſt sehr leicht," und in wenigen
§§etten gab er ihm die erforderliche Aus-
unkt. ]

Savinien drückte ihm die Hand, dankte

ihm und ging.
î HLavardet rief ihm lachend nach: „Wahr-
haftig, lieber Herr, es wäre viel besſer für
Sie, wenn Sie ein Verwandter des Herrn
Richardier, statt der Vetter des Grafen
v. Albernon wären.“

Savinien ließ ihn reden. Weit aus-
ſchreitend, hatte er das Dorf bald hinter
ſich und das flache Land erreicht. Er ging
über einen kleinen Fluß und blickte for-
ſchend um ſich.

| „Wenn mich Lavardet nicht getäuſcht
hat," sagte er halblaut, „ſo muß ich mich
bereits auf der Beſitung und ganz nahe
beim Schloß befinden. Aber wo iſt denn
dieſes Schloß?“

Er ſsah einen Bauern, der mit einer
Sense über der Schulter ſich auf dem Heim-
wege in das Dorf befand, und fragte ihn:

„Ich befinde mich doch hier auf dem Gute
Beuvron, nicht wahr?"
„Ja, Herr, alles was Sie da ſehen,
 
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