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54

D a s Bu< für A le.

Heft L.



neben eine kleine Perſon ein Stuhl mit niedriger
Lehne, neben eine große Person ein Stuhl mit hoher
Lehne gestellt werden muß, will man nicht „Diſſonanzen“
auf den Bildern haben.

Einer der altertümlichen Schränke wird geöffnet,
und wir sehen ihn gefüllt mit herrlichem Spielzeug
aller Art: für die lieben Kleinen, die von den Eltern
zum Photographieren hierhergebracht werden und ſtets
der Meinung ſind, das Photographiertwerden ſei etwas
ſehr Schmerzhaftes. Selbſt unter den Säuglingen muß
ſich das Gerücht verbreitet haben, daß eine photogra-
phiſche Camera eine höchſt gefährliche Dynamitkanone
sei, denn ſie ſchreien mörderlich, ſobald sie in die Nähe
des Ungeheuers gebracht werden.

Wir ſehen ferner in jedem der Ateliers eine ſchöne,
lauſchige Niſche, die mit ihrer behaglichen, künſtleriſchen
Einrichtung so recht zum Verweilen einladet. Das ſoll
ſie aber auch; sie iſt dazu da, um die „Begleitung“,
wenigstens im kritiſchen Moment, kaltzuſtellene. Da
kommt zum Beiſpiel ein Brautpaar, das ſich Arm in
Arm keonterfeien laſſen will. Die Begleitung beſteht
aus den beiden Schwiegermutterkandidatinnen, einigen
jüngeren Schweſtern der Braut und einigen Tanten
des Bräutigams. Sie alle wollen dabei sein, wenn
Amalie und Heinrich ſich als Brautpaar aufnehmen
laſſen. Sie würden sowohl das Paar wie den Ope-
rateur (ſo heißt der Photographierende im Geſchäfts-
jargon) stören, wenn man ſie nicht in den Niſchen auf
die Seite und aus der Ge-
fechtslinie brächte.



Der Photograph ſtellt ſich seitwärts von dem Kunden
auf und beginnt ein möglichst intereſſantes Geſpräch mit
ihm. Er hält die Hand auf den Rücken, um mit ihr
unbemerkt dem Operateur einen Wink geben zu können.
Lebhafter und intereſſanter wird das Geſpräch mit dem
Kunden ~ ein Wink des Photographen, ein Druck des
Operateurs auf den Gummiball, ein Auf- und Zu-
springen des Momentverſchluſſes : die Aufnahme ist fertig.

Als Kaiser Wilhelm Il. das lette Mal photogra-
phiert wurde, trug er den Helm, und damit genügend
Licht auf sein Gesicht fiel, mußte er den Kopf recht
hoch nehmen. Der Adjutant stellte sich auf eine Kiſte
im Atelier und unterhielt sich mit dem Kaiser, der zu
ihm aufsah. Das Bild des Kaisers wurde ganz vor-
trefflich nicht nur in der Haltung, ſondern auch im
Gesichtsausdruck, und besonders durch die Lebhaftigkeit
des Auges ~ es iſt eben ein Bild „nach dem Leben“.

Iſt die Kassette mit dem soeben aufgenommenen
Bilde aus der Camera entfernt, sſo wird sie in eine
Art Wandſchrank gelegt, der mit dem benachbarten
Dunkelzimmer in Verbindung ſteht. ;

Betreten wir das Dunkelzimmer durch die Doppel-
thür, die ein ungehindertes Aus- und Eingehen ge-
stattet, ohne daß Licht in das Duntkelzimuier fällt, so
ſehen wir, daß der große Raum durch ein eigentümlich
gelbliches Licht erhellt wird. Trotz der Beleuchtung müssen
ſich die Augen erſt an das Zwielicht im Laboratorium
gewöhnen. Es ſind drei solcher Laboratorien vorhanden.







Unter einem Glasdach iſt ;;;

es im Sommer unerträglich
. heiß. Auch in dem Atelier
îwuürde in der heißen Jahres-
zeit eine grauſame Tem-
peratur herrſchen, wenn nicht
Abwehrvorkehrungen getrof-
fen wären. Es ſind auf dem
Dache schräg freiſtehende höl-
zerne Jalouſien angebracht,
durch deren Stellen man ver-
hindern kann, daß die Sonne
direkt auf das Dach ſcheint,
und die dennoch genügendes
Licht hindurchlaſſen. Außer-
dem iſt eine Einrichtung ven
handen, die es möglich macht,
das Glasdach beſtändig mit
Wasser zu berieseln. Durch
dieſe Vorkehrungen erreicht
man im Atelier im Sommer
eine Temperatur, die zwei
Grad niedriger iſt als die
Temperatur im Freien.

Betrachten wir die „Hin-
tergründe“ für die Bilder, so
ſehen wir, daß dies gemalte
Wände ſind, die oben und
unten Rollen haben und mit
dieſen auf Schienen ſich hin
und her ſchieben laſſen. Sechs
Hintergründe ſind immerhin
tereinander angebracht und
laſſen sich mit Leichtigkeit so
verſchieben, wie man ſie ge- /
rade braucht. Außer den Hintergründen bedarf de
Photograph aber noch anderer Requisiten für die Staffage;
dieſe finden wir in einem besonderen Zimmer, in der
Nähe des Ateliers, aufgeſtapelt : Felſen, Mauern, natür-
lich aus Pappe, Zäune, Treppen, Baluſtraden aus Holz,
Barrieren u. ſ. w. Auch kleinere Requiſiten muß der
Photograph in seinem Atelier bereithalten, wie: Fächer,
gte]Wicdenterbige Schleier, Bücher, ausgeſtopfte Vögel,
Blumen. : ,

Ein gediegen eingerichtetes Toilettezimmer mit bis
zur Erde reichenden Toiletteſpiegeln, mit Wandſpie-
geln, Toilettetiſchen, Garderobehaltern, Tiſchen, Stüh-
len u. s. w. liegt unmittelbar neben dem Albtelier.
Hier können die Personen, die sich in verſchiedenen
Kostümen oder Kleidungen photographieren laſſen, die
Garderobe wechktſn.

Sehen wir nun zu, wie beim modernen Photo-:
graphen photographiert wird. Die modernen licht-
tuen orraerulacn rauhen wr h aue
Es werden alſo nur noch Momentaufnahmen Gs
die trohdem besſer werden als die früheren langwierigen

_ Aufnahmen. Sind doch auch die Objektive der Apparate

in wunderbarer Weise verbeſſert worden. .

Das frühere „Bitte, recht freundlich!“ das dem
Kunden gewöhnlich nicht gelang, weil er in unnatür-
licher Haltung, mit starren Augen und steif daſaß oder
ſtand, iſt weggefallen, man photographiert jetzt die
Leute „im Leben“.

_ Der Operateur, der Gehilfe des Photographen, stellt
ſich an den zur Aufnahme fertigen Apparat und er-
greift den Gummiball, der die Pneumatik des Moment-
verſchluſſes durch einen Druck in Thätigkeit verſett.





Villa Niggk in Tegernſee. (S. 51)

Jedes von ihnen enthält ein eigenes Staubaſsin der
Waßſerleitung, um durch dieſes stets gleichmäßigen Druck
in den Röhren zu erzielen, Einrichtungen für Gas- und
elektriſches Licht, große Baſſsins, in denen die Platten
entwickelt und fixiert werden können, in denen man ſie auch
mit Brauſeapparaten abwäſcht. Dann kommen die Platten
in Eiſenkaſten, welche von fortwährend ſich erneuern-
dem Waſser durchſpült werden, und hier werden sie
auf das vollständigste ausgewaſchen. In jedem Labo-
ratorium arbeiten drei bis vier Leute, und man ſtaunt
darüber, mit welch riesengroßen Platten hier hantiert
wird. In einem der Laboratorien iſt auch der Chemi-
kalienvorrat untergebracht, ver in der Großſtadt indes
nicht zu groß zu sein braucht, da man hier auf tele-

phoniſche Beſtellung in einer Stunde jedes beliebige

Quantum aus den Engrosgeſchäften haben kann.
_ Wir kommen nach dem Saal, in welchem die Ne-
gativretouche vorgenommen wird. Es iſt Abend. An
langen Tiſchen siten die Retoucheure. Die elektriſchen
Lampen , die auf dieſen Tiſchen brennen, sind mit
Blendern vollständig umbaut, so daß nur ein heller
Ausschnitt bleibt, in welchen die Negativplatte hinein-
gesteckt werden kann. So fällt allein auf fie helles
Licht, und mit dem Graphitſtift bringt der Retoucheur
die allzu großen Genauigkeiten der Platte wieder fort.
Abermals geht es eine Treppe hinauf, nach der
s e < sten Etage. Wieder stehen wir in einem langen
Saal, deſſen Dach und Nordwand aus Glas beſteht:
dem Kopierraum.

(Fr enthält große eiſerne Tiſche, auf denen die
Kopierrahmen liegen. Die Tiſche laufen auf eiſernen
Schienen und können im Sommer, durch die geöffnete
Glaswand hindurch, auf das Dach des Seitengebäudes





hinausgefahren werden, um direltes Licht zu erhalten.
Es werden hier im Kopierraum täglich gegen zwei-
hundert Bogen lichtempfindliches Albuminsilberpapier
gebraucht, ein ganz rieſenhaftes Quantum, das vor
allem benutzt wird, um neue Exemplare von Porträts
für den Kunsthandel herzuſtellen. Die Zahl der täg-
lichen. Neuaufnahmen in den Ateliers beträgt dreißig
15 vierzig.

Aus dieſer „Silberkammer“ kommen wir in das
„Wäſſerungszimmer“, wo die Papierbilder fixiert und
getönt werden. Im Nebenzimmer werden Platinbilder
fixiert. Die Dämpfe der Säuren, die aus dem flachen
Eiſenbaſssin, in dem die Bilder liegen, aufsteigen, fallen
uns jedoch ſo auf die Bruſt, daß wir ſchleunigſt einen
„geordneten Rückzug“ antreten. .

In allen Räumen sind wir den Bildern eines ſia-
meſiſchen Prinzen begegnet, der sich jüngſt in Berlin
aufhielt und sich auch hier photographieren ließ. Er
hat sich ſchon in Paris und in London ,lichtbilden“
laſſen, war aber mit den Bildern nicht zufrieden. Die
Berliner Aufnahmen haben ihm jevoch derart gefallen,
daß er sofort einen Auftrag in Höhe von viertauſend
Mark erteilt hat.

Wir treten noch in das „Vergrößerungszimmer“,
in welchem Photographien ſelbſt kleinſten Formats bis
zur Höhe von drei Metern vergrößert werden können.
Das Zimmer iſt eine Erfindung des Geſchäftsinhabers
und eine Sehenswürdigkeit. Das Zimmer ſelbsſt iſt

die Camera. Hinter einer
photographischen Camera, die
am äußerſten Ende des Zim-
mers steht, ift ein Kaſten
fers. hu erst:
lichtfäflamme ſsſich befindet.
Durch zwei plankonvexe Lin-
sen, von denen jede 42 Centi-
meter Durchmesser hat, ſällt
das Licht in den hinteren
Teil der Camera. Hier be-
findet ſich die Photographie,
welche nun durch das sonſt
als Objektiv verwendete Lin-
senſyſtem an der Vorderseite
der Camera auf eine matte
Glasſcheibe projiziert wird.
Diese Glasſcheibe befindet ſich
in einem Rahmen, der in
Rollen auf Schienen an der
Decke des Vergrößerungs-
zimmers läuft. Je weiter
man den Rahmen vom Ob-
jektiv zurückzieht, deſto größer
wird das projizierte Bild
auf der matten: Scheibe. Er-
setzt man diese durch eine
lichtempfindliche Platte, so
kann man mit beliebiger Ex-
poſitionszeit eine vergrößerte

Abmesſungen erhalten.
Wir kommen in die Ae.
liers der Poſitivretoucheunm
befinden uns hier in wirk-
lichen Künſtlerateliers. Es
iſt eine Kunst, lebensgroße Photographien zu retouchieren,
mit Paſtell-, Oel- oder Aquarellfarben zu übermalen.
Wir passieren noch die Buchbinderei, wo die Papiere
bilder auf den Karton geklebt werden, dann die Expe-
ditionsräume, das Zimmer, in dem sich die gerade un-
beschäftigten Diener aufhalten, und gelangen ſchließlich
über die Hintertreppe, die zur ungehinderten Zirkulation
des vierzig Köpfe ſtarken Geſchäftsperſonals dient, wieder

hinab, und zwar in den Hof, der ebenfalls mit Shau

kästen, enthaltend die Bilder von Berühmtheiten, deto-
riert iſte. Das Geschäft iſt immer noch im Wachsen
begriffen, und von ihm wird sicherlich noch manche für
Publikum und Fachleute wichtige Neuerung auf dem
Gebiete der Photographie ausgehen.

Mannigfaltiges. catdrus verboten )

Eine Gräfin als Hchikowache. ~ Der aus Frankreich
stammende Graf d'Espagne hat in Spanien, wo er unter
König Ferdinand VII. (+ 1833) das Amt eines General-
kapitäns von Katalonien bekleidete, durch seine oft in Grauſam-

keit ausartende Strenge ein berüchtigtes Andenken hinterlaſſenen.

und jettt noch iſt dort die Erinnerung an viele Epiſoden aus
dem Leben des immerhin merkwürdigen Mannes lebendig.
Als der General eines Morgens die Akten eines schwierigen

Militärprozesses zu studieren hatte, gab er dem wachthabenden - .

Offizier den Befehl, niemand, wer es auch sei, vorzulassen.

Der Adjutant ließ aber dem Verbote zuwider die Tochter des

Grafen auf deren inständiges Bitten hinein. Sie kam, um
für einen in den Prozeß verwickelten Offizier, der früher in
der Famiiie des Generals verkehrt hatte, Fürſprache einzu-
legen. Der Generalkapitän verzieh seinen Familienmitgliedern
eher alles andere als auch nur die geringste Einmiſchung in

Photographie in beliebigen
 
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