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148

Heine Leni.

Erzählung aus dem Wiener Volksleben.
Von

ANnna Vogel v. Hpielberg.
! S (Nachdruck verboten.)
ie große, ſchwere Ledertaſche an einem Riemen
F über die Schulter gehängt, kam er wieder über

' die Treppe herauf mit hochklopfendem Herzen.
Nicht das Gewicht der Taſche, auch nicht das Trep-
penſteigen war daran ſchuld — an dieſe beiden Dinge
war er seit fünfzehn Jahren ſchon ſo gewöhnt, daß er
ſie kaum mehr spürte; aber in wenigen Sekunden würde
er nun wieder ,„ſie" ſehen, die blonde Leni, und das
regte ſeine Seele auf, das ließ ihm das Herz bis zum



Da s Buch für Alle.

Heft 6.







Halse hinauf ſchlagen, das ließ ihn, als er die vier-
undzwanzig Stufen des erſten Stockwerkes hinter ſich
hatte, eine Weile still daſtehen und nach Faſſung ringen.

Die mußte er ganz einfach haben, wenn er dem Mäd-
chen von Angesicht zu Angesicht gegenüberſtand. Die
Leni durfte nicht ſehen, daß er wieder so ganz außer
ſich sei vor Glück über ihren Anblick. Sie fand das
doch nur komisch und lachte darüber, wenn sie gerade
gut gelaunt war; meist aber war ihr das über alle
Maßen zuwider und stimmte sie ſo ungnädig gegen ihn,
daß sie kein Wort für ihn fand. Sie wußte, daß er
ſie liebte, aber ſie fühlte sich durch nichts veranlaßt, ihn
wieder zu lieben. Sie mochte ihn überhaupt nicht. Er
war ihr zu unansehnlich, zu gering.

Das alles wußte er, allein was half es? Er grämte
ſich wohl still darüber, doch sein gekränktes Herz hing
nur noch mehr an ihr, je tiefer ſie es durch ihre Gleich-
gültigkeit verwundete.























So stand er nun am Treppenabſatz, der kleine Kol-
porteur, den Mesſingknauf des eiſernen Geländers in
der von früherer Weberarbeit harten Hand, und ſchöpfte
ein paarmal tief Atem, als hätte ihn das Steigen müde
gemacht. Dann gab er ſeinem kleinen Körper ~ es
fehlten ihm gut ein paar Centimeter zur Mittelgröße,
allein er sah dabei mit seinem gedrungenen Gliederbau
eher kräftig als ſchwächlich aus ~ einen Ruck, ſchob mit
einem zweiten die Ledertaſche mit ihrem reichen Inhalt
an illustrierten Zeitſchriften aller Art besser zurecht und
ging mit seinem derben, dickſohligen Schuhwerk und
den ihm eigenen kräftig auftretenden Schritten über die
blanken Steinplatten des Korridors auf die Wohnungs-
thüre der Hausbesitzerin zu.

Dort zog er ſachte und beſcheiden, wie er das stets
und überall that, die Klingel, vernahm von innen
leichte flüchtige Schritte, die einflügelige, braungeſtrichene
Thür wurde geöffnet, und er ſah Leni vor ſich.













Der BWeſuch des Königs von Siam bei dem Frürſlen Wismarck in Friedrichsruh. Nach einer Photographie von Max Prieſter in Hamburg. (S. 147)

„Grüß Gott, Fräulein Leni!“ Er gab sich Mühe
gelaſſen zu erscheinen und reichte ihr die Rechte.

Flüchtig legte’ das Mädchen ihre von Haus- und
Küchenarbeit hart und rot gewordene Hand in ſeine, und
gab ihm im gleichmütigsten Tone der Welt den Gegen-
gruß : „Grüß Gott, Herr Hampl !“ D ſie ihm weiter
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nach der anstoßenden Küche, die durch ſein Kommen
unterbrochene Thätigkeit fortzuſeßzen. Er aber ging ihr
bis zur Küchenthüre, die offen ſtand, nach.

„Iſt die Frau Popperl daheim ?“ fragte er ſchüchtern.

Die ſchöne Leni ſpritzte ſchon wieder emſig die zum

plsttan beſtittmntt so he tit er viderte ſie, ohne vo
ihrer Beschäftigung. Mr! kurz “Ol
n hätt's doch g'sagt, wann die Frau nit daheim
st zewih, das hätte sie ihm ſchon unter der Thüre
geſagt, er wußte es; aber er hatte doch danach gefragt,
weil er durchaus mit ,seiner Leni“ ein bißchen plau-
dern wollte, und weil ihm gerade nichts Klügeres ein-
gefallen war. ;



„Viel Arbeit haben S' heut, was, Fräulein Leni?“
fing er nach einer Pauſe, während welcher er ihrer
Thätigkeit zugeſehen, von neuem än.

„Das ſehen S' ja," entgegnete sie in dem kurzen
Tone von früher, und setzte unwillig hinzu: „Was
Sie aber auch für Zeug daherreden !“

Abermals ſchenkte sie ihm keinen Blick. Sie stellte
sich im Gegenteile so vor den breiten, weißgeſcheuerten
Küchentisch, daß ſie ihm den Rücken zukehrte und ſpritzte
Ñ eine Reisſtrohrute in der Hand ~~ das Waſgser
mit gleichmäßigen, ruhigen Bewegungen auf die blüten-
weißen Wäſcheſtücke, legte diese dann einzeln zuſam-

men und ſchichtete ſie seitwärts auf einem Küchen-

tuhle auf. .

f Andächtig hingen seine Blicke an dem jungen Mäd-
chen mit der vollen, kräftigen Geſtalt, welche die ſeine
um eine halbe Kopfeslänge überragte. Vorläufig hätte
er ſich gar nichts anderes gewünſcht, als ſtundenlang
so daſtehen zu können, ihr zuzuſehen, ſich an ihrem
Anblick zu erfreuen, zu entzücken. Sie glaubte ihn
ſchon längst weg, da er sich so ganz ſtill verhielt. Aber
als sie sich nach einer guten Weile unwillkürlich umÄ

blickte, gewahrte ſie ihn und wurde ärgerlich. „Was



stehen S’ denn noch immer da wie ein angemalter Türk’?
Benimmt sich ſo ein vernünftiger Menſch? Sie könnten
doch wissen, daß die Frau Popperl auf Ihnen warttt,
und da steht er, der ſchöne Herr, und ſchaut ein'n an
wie nit g'ſcheit! Jetzt gehen S'. aber gleich, Herr
Hampl, sonſt machen S mich ſchiach*t). Haben S'
g' hört? Was ſoll ſich denn nur die Frau von mir
denken, wenn S’ herauskommt und uns ſo erblickt?
leu che! S’ jett zu ihr hinein, aber nur ſchön
eich!

§ Sie sprach es in einem Befehlshabertone, der auch
nicht den ſchüchternſten Widerspruch zuließ; doch als
ſie ſah, wie betrübt plötzlich Anton Hampls Mienen
wurden, ſchien er ihr ſo komiſch, daß ihr Groll verflog.
Sie mußte lachen. . .

ut „wickth zu qe f uns.
Jettt gehen S' aber ſchön, und da haben S' was auf
den Weg.“ Damit tauchte ſie die Reisſtrohrute in die
mit Waſſer gefüllte Porzellanſchüſsel, die seitwärts auf
dem Tiſche stand, und sandte mit weit ausholender



*) böſe.
 
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