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Da s Bucſc{ für Alle.
Heſst 7.
Wohnungsthür der Frau Deloria. Elsbeth, die ihm
ahnungslos öffnete, machte bei ſeinem Anblick ein ehr
beſtürztes Geſicht; aber er gab ſich den Anſchein, ihr
Erſchrecken nicht zu bemerken und erſuchte ſie ſehr ver-
bindlich, ihm in dringender Angelegenheit eine kurze
Unterredung mit Frau Deloria zu vermitteln.
„Eine dringende Angelegenheit? Dieſer Mann,
den ich kaum kenne?“ fragte die ehemalige Kunſtreiterin
erſtaunt, als sie die Meldung erhielt. „Nun, jeden-
falls bin ich durch die geſtrige Gefälligkeit zu sehr in
seiner Schuld, als daß ich ihn einfach abweisen dürfte.
Führe ihn also herein, und bleibe dann bei mir, ſo
lange er da iſt.“
Die Begrüßung war von beiden Seiten ſehr artig,
und auf die Einladung der Frau Deloria machte ſich's
der Getreidehändler in einem Seſſel bequem, wie je-
mand, der nicht ſo bald wieder aufzuſtehen gedentt.
Ein paar inhaltloſe Redensarten wurden gewechſelt;
dann kam das Gespräch ins Stocken. Krauſes kalte
Augen hingen mit lauerndem Ausdruck an Elsbeth,
und als er ſah, daß sie ſich anſchickte, am Fenſter Play
zu nehmen, um in einer unterbrochenen Handarbeit
fortzufahren, sagte er: „Jch bitte um Verzeihung, wenn
ich die Damen durch mein unangemeldetes Erſcheinen
in ihrem häuslichen Behagen störe; aber die Angelegen-
heit, die mich hierher führt, dürfte diese Kühnheit
énigcrmeten teſhctüget und sie iſt zugleich von so
iskreter Natur, daß ~
Er räuſperte ſich und gab Frau Deloria durch einen
Blick auf Elsbeth zu verstehen, wie der unausgeſprochene
Nachſay hätte lauten ſollen.
Sie aber erwiderte mit ruhiger Beſtimmtheit: „Die
Anwesenheit meiner jungen Freundin braucht Sie nicht
Das Objervaiorium Ballot auf dem Montblanc:
Frau, mir eine
Das Observatorium Ballot auf dem Montblanc: Das Zimmer des Dir:ktors des Observatoriums. (S. 170)
zu genieren, Herr Krauſe! Wir beide haben keine
Geheimnisse voreinander. Ü
„Daran zweifle ich nicht im mindeſten,“ versſette
er mit einem ſo
deutlich wahr-
nehmbaren An-
flug von Jronie,
daß die Deloria
befremdet auf-
Fah. „Aber ih
möchte Sie trotz-
dem bitten, meine
sehr verehrte
kurze Audienz
unter vier Augen
zu gewähren. Ich
komme eben aus
Insterburg, und
es iſt eine ver-
trauliche Beſtel-
lung von meinem
alten Freunde
Stephan Mali-
nowski, die ich
Ihnen auszurich-
ten habe. “ :
„Laß ~ uns [
f allein, Els-
beth !“
Rauh, stoßweiſe, in einem ganz sonderbaren, ge- |
preßten Ton waren diese vier Worte über die Lippen |
der ſchönen Frau gekommen. Verwundert blickte Els-
Die Küche. (S. 170)
Das Obſervatorium Ballot auf dem Montblanc:
| Erbſchaftsangelegenheiten ordnen, und
beth nach dem Sofa hinüber, wo die Deloria ſich tief
in die Polſter zurückgelegt hatte, das feine Taſchentuch
mit krampfigem Druck zwiſchen den Fingern zerknüllend
und mit ungestüm atmender Bruſt. Aber ein energiſcher
Wink mit den Augen gab dem beſtimmt ausgeſprochenen
Befehl noch größeren Nachdruck, und das junge Mädchen
nt the! Jiu " § ihrer Entfernung da drinnen
verhandelt wurde, vernahm sie nichts, denn sie hielt
ſich auch nicht im Nebenzimmer auf, ſondern ging zu
der Aufwärterin hinaus in die Küche. Eine wichtige
Angelegenheit aber mußte es wohl sein, denn Krauſe
verweilte länger als eine Stunde, und als Elsbeth dann
ihre Gönnerin wiederſah, hatte Frau [Deloria die
glanzloſen Augen und die ſchlaffen Züge eines Menschen,
der nach furchtbaren ſeeliſchen Erregungen und Kämpfen
der völligen Erschöpfung nahe ist.
„Um Gottes willen, was iſt dir, liebe Tante?“ fragte
ſie besorgt. „Fühlst du dich nicht wohl? Oder haſt
du eine schlechte Nachricht erhalten ?“"
„Ja, Kind, eine sehr ſchlechte Nachricht. Ich werde
ein paar Stunden ungestörten Alleinſeins brauchen, um
mich davon zu erholen. Sorge dafür, daß ich von
niemand belästigt werde. Außer für Herrn Hübner,
der übrigens heute ſchwerlich kommen wird, bin ich für
keinen Menſchen zu sprechen. “
Elsbeth verſprach, ihr jeden unbequemen Beſucher
| fernhalten zu wollen, und zog ſich dann ebenfalls zurück.
Frau Deloria aber ſchrieb einen langen Brief, den sie
an Herrn Karl Hübner adressierte und einige Stunden
später in eigener Person zum Briefkasten trug.
Ohne jeden Aufenthalt hatte ſich Krauſe von der
Wohnung der Frau Deloria geradeswegs auf das
Polizeipräsidium begeben, wo er sofort von dem Chef
der Kriminalabteilung empfangen worden war.
Aeußere Ansicht. (S. 170)
„Ich melde mich aus Insterburg zurück, Herr Rat,“
ſagte er, in einer humoriſtiſchen Anwandlung die dienſt-
liche Haltung eines untergebenen Beamten annehmend.
„Aber ich fürchte, mein Bericht wird Ihren Erwartungen
nicht ganz entsprechen. "
„Es iſt Ihnen also nicht gelungen, den Malinowski
zum Reden zu bringen?" :
„O doch! Wenn er auch zuerſt durchaus nicht mit
der Sprache heraus wollte – mehr wohl aus Scham
über die Situation, in der ich ihn wiederſah, als weil
er etwas besonders Schlimmes zu verheimlichen hatte,
so kamen wir doch zulett ganz hübſch ins Plaudern,
und er gab mir bereitwillig Auskunft über alles, was
ich zu wiſſen begehrte. “
„Nun? Und Sie glauben, daß er Ihnen auch in
allen Stücken die Wahrheit geſagt hat?“
„Ich für meine Person bin davon feſt überzeugt.
Und der Herr Rat werden überdies leicht feſtſtellen
können, inwieweit ſeine Angaben mit den Thatſachen
übereinſtimmen. Zunächst scheint es mir außer allem
Zweifel, daß er mit dem an meiner unglücklichen
Schwägerin verübten Verbrechen ganz und gar nichts
zu thun hat. Offenbar hörte er den Namen der Er-
mordeten aus meinem Munde zum erstenmal.“
„Und seine Beziehungen zu der Deloria?"
„Erklären ſich auf ziemlich einfache Art. Er hat
sie in London kennen gelernt, während er ſich dort
unter falschem Namen als Flüchtling aufhielt. Sie
wollte in der engliſchen Hauptstadt irgetn. vclhje
alinowstki,
der ja ein ſehr erfahrener Mann ist, konnte ihr
wiederholt mit seinem Rate beiſtehen. Daraus hat
fut haus! wohl eine Art von Freundſchaftsverhältnis
entwickelt. " ::
Der Polizeirat hatte aus dem Repoſitorium neben
Da s Bucſc{ für Alle.
Heſst 7.
Wohnungsthür der Frau Deloria. Elsbeth, die ihm
ahnungslos öffnete, machte bei ſeinem Anblick ein ehr
beſtürztes Geſicht; aber er gab ſich den Anſchein, ihr
Erſchrecken nicht zu bemerken und erſuchte ſie ſehr ver-
bindlich, ihm in dringender Angelegenheit eine kurze
Unterredung mit Frau Deloria zu vermitteln.
„Eine dringende Angelegenheit? Dieſer Mann,
den ich kaum kenne?“ fragte die ehemalige Kunſtreiterin
erſtaunt, als sie die Meldung erhielt. „Nun, jeden-
falls bin ich durch die geſtrige Gefälligkeit zu sehr in
seiner Schuld, als daß ich ihn einfach abweisen dürfte.
Führe ihn also herein, und bleibe dann bei mir, ſo
lange er da iſt.“
Die Begrüßung war von beiden Seiten ſehr artig,
und auf die Einladung der Frau Deloria machte ſich's
der Getreidehändler in einem Seſſel bequem, wie je-
mand, der nicht ſo bald wieder aufzuſtehen gedentt.
Ein paar inhaltloſe Redensarten wurden gewechſelt;
dann kam das Gespräch ins Stocken. Krauſes kalte
Augen hingen mit lauerndem Ausdruck an Elsbeth,
und als er ſah, daß sie ſich anſchickte, am Fenſter Play
zu nehmen, um in einer unterbrochenen Handarbeit
fortzufahren, sagte er: „Jch bitte um Verzeihung, wenn
ich die Damen durch mein unangemeldetes Erſcheinen
in ihrem häuslichen Behagen störe; aber die Angelegen-
heit, die mich hierher führt, dürfte diese Kühnheit
énigcrmeten teſhctüget und sie iſt zugleich von so
iskreter Natur, daß ~
Er räuſperte ſich und gab Frau Deloria durch einen
Blick auf Elsbeth zu verstehen, wie der unausgeſprochene
Nachſay hätte lauten ſollen.
Sie aber erwiderte mit ruhiger Beſtimmtheit: „Die
Anwesenheit meiner jungen Freundin braucht Sie nicht
Das Objervaiorium Ballot auf dem Montblanc:
Frau, mir eine
Das Observatorium Ballot auf dem Montblanc: Das Zimmer des Dir:ktors des Observatoriums. (S. 170)
zu genieren, Herr Krauſe! Wir beide haben keine
Geheimnisse voreinander. Ü
„Daran zweifle ich nicht im mindeſten,“ versſette
er mit einem ſo
deutlich wahr-
nehmbaren An-
flug von Jronie,
daß die Deloria
befremdet auf-
Fah. „Aber ih
möchte Sie trotz-
dem bitten, meine
sehr verehrte
kurze Audienz
unter vier Augen
zu gewähren. Ich
komme eben aus
Insterburg, und
es iſt eine ver-
trauliche Beſtel-
lung von meinem
alten Freunde
Stephan Mali-
nowski, die ich
Ihnen auszurich-
ten habe. “ :
„Laß ~ uns [
f allein, Els-
beth !“
Rauh, stoßweiſe, in einem ganz sonderbaren, ge- |
preßten Ton waren diese vier Worte über die Lippen |
der ſchönen Frau gekommen. Verwundert blickte Els-
Die Küche. (S. 170)
Das Obſervatorium Ballot auf dem Montblanc:
| Erbſchaftsangelegenheiten ordnen, und
beth nach dem Sofa hinüber, wo die Deloria ſich tief
in die Polſter zurückgelegt hatte, das feine Taſchentuch
mit krampfigem Druck zwiſchen den Fingern zerknüllend
und mit ungestüm atmender Bruſt. Aber ein energiſcher
Wink mit den Augen gab dem beſtimmt ausgeſprochenen
Befehl noch größeren Nachdruck, und das junge Mädchen
nt the! Jiu " § ihrer Entfernung da drinnen
verhandelt wurde, vernahm sie nichts, denn sie hielt
ſich auch nicht im Nebenzimmer auf, ſondern ging zu
der Aufwärterin hinaus in die Küche. Eine wichtige
Angelegenheit aber mußte es wohl sein, denn Krauſe
verweilte länger als eine Stunde, und als Elsbeth dann
ihre Gönnerin wiederſah, hatte Frau [Deloria die
glanzloſen Augen und die ſchlaffen Züge eines Menschen,
der nach furchtbaren ſeeliſchen Erregungen und Kämpfen
der völligen Erschöpfung nahe ist.
„Um Gottes willen, was iſt dir, liebe Tante?“ fragte
ſie besorgt. „Fühlst du dich nicht wohl? Oder haſt
du eine schlechte Nachricht erhalten ?“"
„Ja, Kind, eine sehr ſchlechte Nachricht. Ich werde
ein paar Stunden ungestörten Alleinſeins brauchen, um
mich davon zu erholen. Sorge dafür, daß ich von
niemand belästigt werde. Außer für Herrn Hübner,
der übrigens heute ſchwerlich kommen wird, bin ich für
keinen Menſchen zu sprechen. “
Elsbeth verſprach, ihr jeden unbequemen Beſucher
| fernhalten zu wollen, und zog ſich dann ebenfalls zurück.
Frau Deloria aber ſchrieb einen langen Brief, den sie
an Herrn Karl Hübner adressierte und einige Stunden
später in eigener Person zum Briefkasten trug.
Ohne jeden Aufenthalt hatte ſich Krauſe von der
Wohnung der Frau Deloria geradeswegs auf das
Polizeipräsidium begeben, wo er sofort von dem Chef
der Kriminalabteilung empfangen worden war.
Aeußere Ansicht. (S. 170)
„Ich melde mich aus Insterburg zurück, Herr Rat,“
ſagte er, in einer humoriſtiſchen Anwandlung die dienſt-
liche Haltung eines untergebenen Beamten annehmend.
„Aber ich fürchte, mein Bericht wird Ihren Erwartungen
nicht ganz entsprechen. "
„Es iſt Ihnen also nicht gelungen, den Malinowski
zum Reden zu bringen?" :
„O doch! Wenn er auch zuerſt durchaus nicht mit
der Sprache heraus wollte – mehr wohl aus Scham
über die Situation, in der ich ihn wiederſah, als weil
er etwas besonders Schlimmes zu verheimlichen hatte,
so kamen wir doch zulett ganz hübſch ins Plaudern,
und er gab mir bereitwillig Auskunft über alles, was
ich zu wiſſen begehrte. “
„Nun? Und Sie glauben, daß er Ihnen auch in
allen Stücken die Wahrheit geſagt hat?“
„Ich für meine Person bin davon feſt überzeugt.
Und der Herr Rat werden überdies leicht feſtſtellen
können, inwieweit ſeine Angaben mit den Thatſachen
übereinſtimmen. Zunächst scheint es mir außer allem
Zweifel, daß er mit dem an meiner unglücklichen
Schwägerin verübten Verbrechen ganz und gar nichts
zu thun hat. Offenbar hörte er den Namen der Er-
mordeten aus meinem Munde zum erstenmal.“
„Und seine Beziehungen zu der Deloria?"
„Erklären ſich auf ziemlich einfache Art. Er hat
sie in London kennen gelernt, während er ſich dort
unter falschem Namen als Flüchtling aufhielt. Sie
wollte in der engliſchen Hauptstadt irgetn. vclhje
alinowstki,
der ja ein ſehr erfahrener Mann ist, konnte ihr
wiederholt mit seinem Rate beiſtehen. Daraus hat
fut haus! wohl eine Art von Freundſchaftsverhältnis
entwickelt. " ::
Der Polizeirat hatte aus dem Repoſitorium neben