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214

„Ja, wer kann das wiſſen! Wenn man ein leid-
licher Mensch iſt, hängen einem die Frauenzimmer
an wie die Kletten, und ein paar Eiferſüchtige ſind auch
gleich immer darunter. Denkbar wäre es ſchon, daß so
eine mir mit dem Ding da einen Streich ſpielen wollte."

„Einen Verdacht gegen eine bestimmte Persönlichkeit
aber können Sie nicht äußern?" .

Der Gefragte lächelte wie jemand, der auf ſeine Er-
folge beim schönen Geschlecht nicht wenig ſtolz iſt. „Nein,
dazu sind es doch zu viele.“ .

„Hören Sie, Kettner,“ ſagte der Polizeirat mit noch
größerem Nachdruck, „mir scheint, daß Sie die ganze An-
gelegenheit etwas zu sehr auf die leichte Achſel nehmen.

Es iſt ein sehr ernster Verdacht, der da auf Sie gewälzt

wird, und Sie ſelbſt haben jedenfalls das allergrößte
Interesse daran, uns bei der Ermittelung der Perſon be-
hilflich zu sein, die das Medaillon eingeschickt hat. Denn
der Gegenstand stammt ohne Zweifel aus dem Besit
einer Frau, die vor kurzem hier in Breslau ermordet und
beraubt wurde. Wenn Sie mit dieser Sache wirklich
nichts zu schaffen haben, kann es Ihnen doch auch wohl
higt !set fallen, uns das auf irgend welche Art zu
eweiſen.“
: „Entschuldigen Sie,“ unterbrach ihn der Schauſteller
mit einer dreiſten Gelaſsenheit, die ebenſowohl für die
Reinheit seines Gewissens als für seine Verſtocktheit
zeugen konnte, „aber das heißt denn doch, die Dinge auf
den Kopf stellen. Wenn Sie mich verhaften laſſen, dann
iſt es Jhre Sache, mir zu beweiſen, daß ich was Un-
rechtes gethan habe, und nicht umgekehrt. Es iſt ge-
rade genug, daß ich Ihnen auf Ihre Fragen antworte.
Mehr können Sie nicht von mir verlangen."

„Nun, Kettner, der Herr Unterſuchungsrichter wird
Sie vermutlich noch heute darüber belehren, ob das genug
iſt oder nicht. Jch bin vorläufig mit Ihnen fertig. Nur
zwei Zragen noch! Kennen Sie den Herrn dort?!

Er deutete mit dem Kopfe nach der Ecke, in der
Krauſe sich niedergelaſſen hatte. Der Unterſuchungs-
gefangene wandte ſich um, betrachtete den Getreidehändler
mit einem gleichgültigen Blick und verneinte.

Nun schob ihm der Polizeirat eine Photographie zu,
his. er dem vor ihm liegenden Aktenbündel entnommen
hatte.

/ „Der Mann aber, den dies Bild darstellt, iſt Ihnen

Hicherlich bekannt?“

Trotz des zuversichtlichen Tons seiner Frage hatte
er mit Bestimmtheit wiederum eine verneinende Antwort
erwartet und vermochte kaum seine Ueberraſchung zu

verbergen, als Kettner statt deſſen ganz unbefangen ſsagte:
„Ja, das Gesicht muß ich unbedingt kennen. Ich weiß-

nur nicht gleich, wo ich es hinbringen soll. Es kann
noch gar nicht lange her sein, daß ich diesen Menſchen
gesehen und gesprochen habe. Nennen Sie mir ſeinen
Namen, dann wird mir's ſchon wieder einfallen.“

„Ich ziehe es vor, Ihnen den Namen vorläufig nicht
zu nennen. Strengen Sie nur gefälligst Ihr Gedächtnis
ein wenig an.“"

K UOr ſchien wirklich eine Minute lang eifrig nach-

î gzzudenken; dann aber gab er es auf und meinte mit

einem Achselzucken: ,„Jch kann im Augenblick nicht darauf
kommen. Aber daß ich mich noch darauf beſinnen werde,
iſt ganz gewiß. Ich muß sogar mehr als einmal mit

dem Manne zuſammengekommen sein – wahrscheinlich

irgendwo auf der Reise; denn wenn es hier in Breslau
gewesen wäre, würde ich mich jedenfalls ſchneller er-

inner.

„Nun, Sie haben ja Zeit, darüber nachzudenken,“

sagte der Polizeirat ruhig, indem er die Photographie
wieder zwischen die Altenblätter legte. ,„Verſäumen Sie
hut qt. c uns mitzuteilen, wenn Ihr Gedächtnis ſich
melden sollte.“ ;
: r e. Wink wurde Kettner, der unverändert
die gleichmütigſte Haltung bewahrte, wieder abgeführt,
und Lindequist wandte sich an den Getreidehändler, der
regungslos auf seinem Stuhl in der dämmerigen Ecke
sitzen geblieben war.

„Nun, Herr Krauſe, Sie hatten wohl inzwiſchen
Gelegenheit genug, den Mann zu beobachten. Erinnern
zi ſ<h. ihn jemals bei Ihrer Schwägerin gesehen zu

aben?" f : /
' Der Angeredete stand langſam auf. Der Anblick des
Menſchen, der möglicherweiſe der Mörder der unglück-
lichen Abt sein konnte, mußte ihn doch sehr erregt haben;
denn sein Gesicht war ganz farblos, und seine ſchmalen
Lippen zitterten, bevor er sie zum Sprechen öffnete.

„Nein," erwiderte er, „weder bei meiner Schwä-
gerin noch ſonſtwo. Er war mir ganz unbekannt.“

„Wie ich jetzt glaube, ist er auch nicht der eigentliche
Thäter, sondern nur einer von seinen Spießgesellen. Aber
höchſt merkwürdig war es doch, daß er in der Photo-
graphie des verſtorbenen Berger das Bild eines Be-
kannten zu sehen glaubte. Irgend welche geheimnisvollen
Bezichuvsgcht gu n hs uhehingt beſtehen. : ..
war fielKrauf ue. re Meta h. (? m arrtn
ihn eine zufällige Aehnlichkeit getäuſcht. Er kommt durch
seine eigentümliche Thätigkeit ja mit so vielen Menschen
in Berührung.“ ;



Da s B u < für Alle.

„Das wahl, doch klang seine Aussage ſehr bestimmt,
und er ſchien seiner Sache immer gewiſſer zu werden,
je länger er das Bild betrachtete. Ich bin in der That
ſechre neugierrg, was am Ende dabei herauskommen
Yiro. ~ Ah, da sind Sie ja, Brauer! Nun, was giebt's

eues ?"

Der Kommissar zauderte, indem er durch eine fra-
gende Gebärde auf den Getreidehändler hindeutete. Der
Polizeirat aber fuhr lächend fort : „Vor Herrn Krauſe,
der sich bis jetzt als ein so eifriger freiwilliger Mit-
arbeiter bewährt hat, brauchen wir, soweit es ſich um
die Abtsche Mordsache handelt, wohl keine Geheimnisse
zu haben. Es sei denn, daß Sie beſondere Gründe zu
haben glauben –

„Nein, Herr Rat, was ich melden wollte, iſt im
Grunde nicht sehr wichtig. Ich habe Hübner ſcharf beob-
achten laſſen, und es unterliegt kaum einem Zweifel, daß
ihn die Verhaſtung des Kettner, von der er vor zwei
Stunden Kenntnis erhielt, in hohem Grade beunruhigt
und erregt. Er lief zunächst längere Zeit ganz planlos
in den Straßen herum.

„Vielleicht um einen neuen Geschäftsführer für ſein
„Museun! zu ſuchen?“

„Nein, von einer solchen Absicht war durchaus nichts
Y he te UU que Hdd e q
und kehrte dann in seinen Gaſthof zurück. Verſchiedene
Aeußerungen, die er dort dem Pförtner gegenüber ge-
macht hat, laſsſen darauf schließen, daß er ſich mit der
Absicht trägt, demnächst von hier zu verſchwinden.“

„Daran wollen wir ihn denn doch lieber verhindern.
Er ist natürlich noch immer unter Beobachtung ?"

„Gewiß, Herr Rat. Und die beiden Beamten haben
Befehl, ihn bei einem etwaigen Fluchtverſuch im Augen-
blick der Abreiſe zu verhaften."

„Sehr wohl, das dürfte zunächſt genügen. Ich möchte
die ersſte Vernehmung Kettners durch den Unterſuchungs-
richter abwarten, ehe ich in Bezug auf dieſen Hübner
weitere Verfügungen treffe. Sorgen Sie nur dafür,
lieber Braun, daß wir in jedem Augenblick zugreifen
können. Aber was haben wir denn da?“

Der dienstthuende Schutzmann war mit einer Visiten-
karte eingetreten.

„Die Dame bittet den Herrn Polizeirat sehr drin-
gend um kurzes Gehör.“

„Die Deloria!“ rief Lindequiſt beinahe beluſtigt,
nachdem er einen Blick auf die Karte geworfen. „Ohne
Zweifel iſt ihr Erſcheinen eine Folge des Besuches, den
Hübner ihr soeben abgestattet. Sie wird irgend etwas
zu seiner Entlaſtung vorbringen wollen. Natürlich soll
ſie hereinkommen! Und Sie, lieber Braun, müssen bei
der Unterredung jedenfalls zugegen bleiben.“

„Jch aber, Herr Rat, bitte dringend um die Er-
laubnis, mich zurückziehen zu dürfen,“ mischte sich der
Getreidehändler ein, den Blick mit augenſcheinlicher Un-
ruhe auf die Thür richtend, durch welche die Deloria
eintreten mußte. „Es könnte die Frau leicht stutzig
machen, wenn sie mich hier ſähe.“

„Sie haben recht, Herr Krauſe. Treten Sie einſt-

weilen dort in das Nebenzimmer. Aber wenn JIhre
Geschäfte es Ihnen gestatten, möchte ich Sie erſuchen,
da zu warten, bis ich Sie wieder rufen laſſe. Ich habe
eth Hleucidt noch das eine oder das andere mit Ihnen
zu beſprechen." - ;
! rc ließ ſich kaum Zeit, etwas wie eine Zuſage
zu murmeln, und er hatte gut daran gethan, ſich zu
beeilen, denn faſt in dem nämlichen Moment, da er die
Thür des Nebenzimmers hinter ſich ins Schloß drückte,
rauſchte die ehemalige Kunstreiterin von der entgegen-
geſetzten Seite her in einer prachtvollen Straßentoilette
über die Schwelle.

Mit ihrem hohen Wuchs und ihrer königlichen Hal-
tung sah sie schöner aus denn je. In ihrem Antlitz wie
in dem volltönenden Klang ihrer dunklen Stimme ver-
riet sich nichts von Befangenheit oder Erregung, als
sie nach einem leichten, faſt herablaſſenden Kopfneigen
gegen den Polizeirat sagte: „Jch bedaure sehr, den Herren
noch einmal lästig fallen zu müſsen; aber ich befinde
mich da in einer so eigentümlichen Lage, daß ich mich
wohl entschließen mußte, diesen auch für mich nicht ſehr
angenehmen Schritt zu thun. Ich möchte mich nämlich
in eigener Perſon vergewissern, ob die Polizei nichts
dagegen einzuwenden hat, daß ich Breslau auf un-
beſtimmte Zeit verlasse.“

„Die Polizei hat nur in Ausnahmefällen das Recht,
jemanden in Feiner perſönlichen Freiheit zu beschränken,“
erwiderte Lindequiſt ausweichend, doch mit größter Artig-
keit, „und wenn Sie nicht etwa ſselbſt der Meinung
sind, daß ein solcher Fall bei Ihnen vorliegen könnte ~*

„Ja, meine Herren, wie soll ich das wissen!“ fiel
Frau Deloria lebhaft ein. „Jch habe in der letzten Zeit
so merkwürdige Erfahrungen gemacht, daß es mir kaum
zu verübeln iſt, wenn ich etwas ängstlich und mißtrauiſch
geworden bin. Die rätselhafte Geschichte mit der Steuer-
quittung meines verstorbenen Bruders geht mir fort-
während im Kopf herum, und seitdem ich in dieſer Sache
hier vor Ihnen ein förmliches Verhör zu beſtehen hatte,
iräume ich beinahe allnächtlich, daß man mich verhaftet



Heft 9.

. und als die Mörderin eines alten Weibes vor Gericht

stellt. Ja, ich wäre sogar einmal unfehlbar hingerichtet
worden, wenn mich nicht zum Glück das Klingeln des
Bäckerjungen gerade noch im letzten, entſcheidenden Augen-
blick geweckt hätte. Sie begreifen, daß dieser Zuſtand
auf die Dauer nichts weniger als behaglich ist.“

Sie hatte ihre Beängstigungen mit lachendem Munde
geschildert, und auch der Polizeirat lächelte. .

„Vor diesen böſen Träumen alſo wollen Sie, wie
ich vermute, jetzt die Flucht ergreifen."

„Ja. Vor ihnen und vor dem grauen Geſpenſt der
Langeweile, das mir von jeher besonders fürchterlich
gewesen iſt. Es ist mir hier in! Breslau zu grau und
zu öde. Ich muß Licht und Duft und fröhliche, bunte
Farben um mich haben. Das Bedürfnis danach liegt
nun einmal in meiner Natur. Ich gedenke mit meiner
Geſellſchafterin zunächſt nach Berlin zu reiſen, weil ich
dort in meiner leidigen Erbſchaftsangelegenheit mit dem
argentinischen Gesandten zu verhandeln habe, und von
da wollte ich in den Süden. Aber ich ziehe es vor,
meine letzten Dispositionen nicht früher zu treſsfen, als
bis ich von der hochlöblichen Polizei erfahren habe, daß
ſie meiner nicht mehr bedarf. Ich stelle mich Ihnen
SEE s ss;
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ich luguns-(v-ait noch aufschiebe, so bin ig Het
ungern, auch dazu bereit."

„Sie können reiſen, wann und wohin es Jhnen be-
liebt, Frau Deloria. Wir haben Ihnen darüber keinerlei
Vorſchriften zu machen." . §

§ . ines Z
EC E S
ſchon aufgeklärt ?" ,

„Das nicht. Und es wäre immerhin möglich, daß
wir im weiteren Verlauf der Unterſuchung noch diese

oder jene Auskunft von Ihnen zu erbitten hätten. Aber

das kann ohne Zweifel recht wohl auf ſchriftlichem Wege
geſchehen, und es würde alſo vollkommen genügen, wenn
Sie uns während Ihrer Abwesenheit ſtets im Besitz
Ihrer jeweiligen Adresse erhalten wollten.“

„Mit dem größten Vergnügen, denn ich habe ganz
und gar nicht die Absicht, mich zu verstecken. Sobald
ich in Berlin eine paſſende Wohnung gefunden habe,
werde ich Ihnen davon Mitteilung machen, und dasselbe
soll geschehen, so oft ich meinen Aufenthalt ändere.“

„Wir werden Ihnen dafür sehr verbunden Fein,“
sagte der Polizeirat mit einer kleinen Verbeugung. Und
da er nichts Weiteres hinzufügte, ſtand Frau Deloria
auf, um sich unter huldvollem Neigen des ſchönen Hauptes
s "ctatſhieqr .es Sie dazu, Braun?“ meinte Linde-
quiſt, nachdem sie außer Hörweite war. „Jſt Ihnen
etwas derartiges ſchon ‘mal vorgekommen?"

„Die Dame iſt jedenfalls eine sehr interesſſante Perſön-
lichkeit, über deren Eigenschaften und Absichten wir doch
wohl noch nicht ganz erſchöpfend unterrichtet ſind. Denn
ich bin überzeugt, daß auch ihr heutiger Beſuch nur
fitet feinen Zug in irgend einem wohlberechneten Spiele
edeutet.“

„Selbstverſtändlich. Aber gerade, weil wir noch nicht
wissen, um welchen Gewinn ſich's bei diesem Spiele
handeln soll, müſſen wir uns zunächſt noch den Anſchein
geben, als hegten wir nicht den geringſten Zweifel an

ihrer Harmlosigkeit.“

„Und wenn sie nun die Gelegenheit wahrnimmt, Herr
Rat, um auf Nimmerwiedersſehen zu verſchwinden?Ö"
„Das befürchte ich nicht. Für den Anfang wird sie
ohne Zweifel ihren Aufenthalt immer richtig angeben,
und es wird eben unsere Sorge sein müſſen, ihre Spur
niemals ganz zu verlieren. Die Frau handelt unverkenn-
bar nach einem bestimmt vorgezeichneten Plane, und
solchen Leuten kommt man erfahrungsmäßig immer viel
leichter auf ihre Schliche als den minder klugen, die
lediglich den Eingebungen des Augenblickes folgen.“
„Des Hübner hat sie mit keiner Silbe Erwähnung
gethan, und ich wette, daß sie die Ahnungslose gespielt
haben würde, wenn wir ihr die Verhaftung Kettners
mitgeteilt hätten. Vielleicht wäre es nicht unzweckmäßig
gewesen, durch diese kleine Probe festzuſtellen, wie weit
ihre Komödiantenkünste reichen.“ ...
„Ich habe wohl daran gedacht; aber ich bin doch
wieder anderen Sinnes geworden, denn es kam mir vor
allem darauf an, die Frau in Sicherheit zu wiegen.
Wahrscheinlich wollte sie ja gerade herausbringen, ob
wir ihre Beziehungen zu Hübner kennen, und ſie hätte
vielleicht alle ihre Dispositionen geändert, wenn sie deſſen
inne geworden wäre. Jetzt ſtelle ich mir den Verlauf
der Dinge so vor, daß sie heute oder morgen mit ihrer
Gesellschafterin abreiſt, und daß Hübner sich bereit hält,
ihr ein paar Stunden später zu folgen. - Aber da
nebenan haben wir noch immer unseren Freund Krause.
Rufen Sie ihn doch herein, lieder Braun. Wir haben
kein Interesse, den Herrn noch länger hier zurückzuhalten.“
Der Kommissar öffnete die Thür des Nebenzimmers,
in welchem der Getreidehändler ungeduldig wartend auf
und nieder ging. Dem freundlichen Erſuchen des Be-
amten folgend, trat er über die Schwelle. Unruhig und
unsicher flog ſein Blick zum Polizeirat hinüber.
 
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