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D.a s Buch für Alke.
Heft 10.
Steh auf; jett iſt's Zeit, dem Schleicher da oben hinter
seine böſen Heimlichkeiten zu kommen!‘ Und so wie ich war,
ohne mir auch nur erst die Pantoffeln anzuziehen, ſchleppte
ich meine alten Knochen behutſam die Treppe hinauf."
„Solcher Hinterliſt hätte ich mich von dir nimmer
versehen, Minna! Und was meinst du, was geſchehen
sc ugeit mein Vater dich beim Lauſchen ertappt
Die Wirtſchafterin erhob ihren hageren rechten Arm,
der bis zum Ellbogen entblößt war, und auf dem die
Adern wie dicke blaue Stränge lagen.
„Was geſchehen wäre?“ wiederholte ſie verächtlich.
Privatier Rundlich iſt der Urtypus der Gemütlichkeit ~
ob reich oder arm, jung oder alt: er kennt keinen Unter-
ſchied, jeder iſt ſein „lieber Freund“.
Neulich kommt Run
Der Fremde befolgt dieſen Rat und macht ſich mit
einem anderen Winkel des Saales einen Bekannten ent-
deckt und mit lautem „Ja, grüß Gott, lieber Freund !“
auf iyn losſtürzt. ;
in das Reſtaurant zum grünen
Baum Ö an einem Tiſch ſißt ein einzelner Fremder. „Sie
erlauben wohl, lieber Freund!“ meint Rundlich und nimmt
am ſelben Tiſche Platz. ;
î Feuereifer über den Braten, während Rundlich plötzlich in
Humoriſltiſches.
D e r liebe F r e n n d.
Nach Skizzen von W. Grögler.
Wenn er zum Beiſpiel dem Herrn Oberbürgermeister
in voller Amtstracht begegnet, begrüßt er ihn ſchon von
weitem mit einem lauten „Servus, lieber Freund!"
„A jung’s Ganjſel giebt’'s ? Das bringen Sie mir, mit
Gurkensalat, und ein Spitzel Deidesheimer. Eſſen und
Trinken hält Leib und Seel’ zuſammen; meinen Sie nicht
auch, lieber Freund? “
Indessen hat der liebe Freund Rr. 1 seine Mahlzeit
beendet, sich mit einigen guten Zigarren ec. verſehen und
~ verſchwindet vom Schauplat.
Und kommt ihm ein armer Teufel von Fechtbruder in
den Weg, sagt Rundlich: „Ja, lieber Freund, es thut mir
leid – ich gebe aus Prinzip nix. Adje, lieber Freund!“
„Sie, lieber Freund, das iſt was Feines ~ ä la
bonheur ! – Das lassen's Ihnen geben! A jung'’s Ganſel
~ auf meine Verantwortung - und ein gut's Glas Wein
dazu! Hochfein, ſag’ ich Ihnen, lieber Freund !“
„Was? Ich oll zahlen?. Ich hab’ etwas bestellt
für meinen lieben Freund? Ich kenne ja den Menſchen
gar nicht. Fünf Zigarren hat er auch, und –~ Himmel
Donnerwetter ~ mein Pelz ist verſchwunden! – Ah ~ da
hört doch alles auf, lieber Freund!!!"
„Vielleicht hätte er verſqucht, mich stumm zu machen;
denn dem traue ich alles zu, ſogar einen Totſchlag. Aber
U meine, er wäre damit bei mir an die Unrechte ge-
omuu ihrer Aeußerung, daß ſie ſeinen Vater ſelbst eines
Mordes fähig glaube, war Rudolf totenbleich geworden.
„Gut also, daß nichts derartiges geſchah !“ brachte j
er mühſam hervor. „Nun weiter! ~ Du ſpähtest durch
das Schlüſſelloch? Und was haſt du gesehen.
Sie deutete mit dem knochigen Zeigefinger auf die
umgestürzte Kommode. „Das!“ sagte sie lakoniſch.
„Genau so wie jettt ſah es hier in der Stube aus, und
er kniete da vor dem alten Kasten auf der Erde, um
nach etwas zu ſuchen. Was er endlich herausbrachte,
konnte ich nicht erkennen. Aber vielleicht rätſt du's,
eu hr tuungt nachſiehſt, was für wunderliche Schätze
er Sie hatte bereits einige von den Dingen zum
D.a s Buch für Alke.
Heft 10.
Steh auf; jett iſt's Zeit, dem Schleicher da oben hinter
seine böſen Heimlichkeiten zu kommen!‘ Und so wie ich war,
ohne mir auch nur erst die Pantoffeln anzuziehen, ſchleppte
ich meine alten Knochen behutſam die Treppe hinauf."
„Solcher Hinterliſt hätte ich mich von dir nimmer
versehen, Minna! Und was meinst du, was geſchehen
sc ugeit mein Vater dich beim Lauſchen ertappt
Die Wirtſchafterin erhob ihren hageren rechten Arm,
der bis zum Ellbogen entblößt war, und auf dem die
Adern wie dicke blaue Stränge lagen.
„Was geſchehen wäre?“ wiederholte ſie verächtlich.
Privatier Rundlich iſt der Urtypus der Gemütlichkeit ~
ob reich oder arm, jung oder alt: er kennt keinen Unter-
ſchied, jeder iſt ſein „lieber Freund“.
Neulich kommt Run
Der Fremde befolgt dieſen Rat und macht ſich mit
einem anderen Winkel des Saales einen Bekannten ent-
deckt und mit lautem „Ja, grüß Gott, lieber Freund !“
auf iyn losſtürzt. ;
in das Reſtaurant zum grünen
Baum Ö an einem Tiſch ſißt ein einzelner Fremder. „Sie
erlauben wohl, lieber Freund!“ meint Rundlich und nimmt
am ſelben Tiſche Platz. ;
î Feuereifer über den Braten, während Rundlich plötzlich in
Humoriſltiſches.
D e r liebe F r e n n d.
Nach Skizzen von W. Grögler.
Wenn er zum Beiſpiel dem Herrn Oberbürgermeister
in voller Amtstracht begegnet, begrüßt er ihn ſchon von
weitem mit einem lauten „Servus, lieber Freund!"
„A jung’s Ganjſel giebt’'s ? Das bringen Sie mir, mit
Gurkensalat, und ein Spitzel Deidesheimer. Eſſen und
Trinken hält Leib und Seel’ zuſammen; meinen Sie nicht
auch, lieber Freund? “
Indessen hat der liebe Freund Rr. 1 seine Mahlzeit
beendet, sich mit einigen guten Zigarren ec. verſehen und
~ verſchwindet vom Schauplat.
Und kommt ihm ein armer Teufel von Fechtbruder in
den Weg, sagt Rundlich: „Ja, lieber Freund, es thut mir
leid – ich gebe aus Prinzip nix. Adje, lieber Freund!“
„Sie, lieber Freund, das iſt was Feines ~ ä la
bonheur ! – Das lassen's Ihnen geben! A jung'’s Ganſel
~ auf meine Verantwortung - und ein gut's Glas Wein
dazu! Hochfein, ſag’ ich Ihnen, lieber Freund !“
„Was? Ich oll zahlen?. Ich hab’ etwas bestellt
für meinen lieben Freund? Ich kenne ja den Menſchen
gar nicht. Fünf Zigarren hat er auch, und –~ Himmel
Donnerwetter ~ mein Pelz ist verſchwunden! – Ah ~ da
hört doch alles auf, lieber Freund!!!"
„Vielleicht hätte er verſqucht, mich stumm zu machen;
denn dem traue ich alles zu, ſogar einen Totſchlag. Aber
U meine, er wäre damit bei mir an die Unrechte ge-
omuu ihrer Aeußerung, daß ſie ſeinen Vater ſelbst eines
Mordes fähig glaube, war Rudolf totenbleich geworden.
„Gut also, daß nichts derartiges geſchah !“ brachte j
er mühſam hervor. „Nun weiter! ~ Du ſpähtest durch
das Schlüſſelloch? Und was haſt du gesehen.
Sie deutete mit dem knochigen Zeigefinger auf die
umgestürzte Kommode. „Das!“ sagte sie lakoniſch.
„Genau so wie jettt ſah es hier in der Stube aus, und
er kniete da vor dem alten Kasten auf der Erde, um
nach etwas zu ſuchen. Was er endlich herausbrachte,
konnte ich nicht erkennen. Aber vielleicht rätſt du's,
eu hr tuungt nachſiehſt, was für wunderliche Schätze
er Sie hatte bereits einige von den Dingen zum