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î darum verlieren müßte.

_ es da.

350

Das Buch für Atl!le.





verächtliches Lachen schüttelte ſie vom Scheitel bis zur .

Sohle. Ihre Hände ballten ſich und streckten ſich vor gegen
Clſas kaum noch zu erkennende Gestalt.
; „Wenn es wahr wäre, wenn das Grauenhaſte wahr
wäre, daß auch du . . . Mein Kind wärst du fortan nicht
mehr! Und du ſelbſt +– zur Qual müßtest du dir
werden! Dein Gewissen müßte dich zu Boden drücken,
müßte dich um jede Freude, um jede Ruhe, um jeden
Segen bringen! Der Unfseligen, die den Frieden ihrer
Mutter mordete, würde bis. an ihr Lebensende keiner
werden! Der Name deiner Schwester müßte dir die
Schamröte ins Gesicht treiben, solange du denken könntest!
Und jetzt habe den Mut, mir zu sagen, ob du ihn liebſt!“

Da + fühlend, daß alle gedrohten Schreckniſſe nicht

im stande sein könnten, jenes allgewaltige Etwas zu er-
töten, das in ihr lebte, breitete Elſa weit ihre Arme aus
und rief in begeisterter, jauchzender Trunkenheit: „Ja,
Mutter, ich habe den Mut, ich habe ihn, denn es iſt
wahr! Auch dein zweites Kind, auch ich liebe ihn,
Mutter, liebe ihn mehr als alles auf der Welt !“

Eine Weile war. es totenſtill zwiſchen ihnen. Endlich
ein harter, fremder, gebrochener Stimmenklang wie von
Uther: roge mir's noch einmal, daß ich kein Kind
mehr habe!“ ;

hr h. Aechzend vergrub Elſa ihr Gesicht in
den Händen. „Sei doch barmherzig! Ich will ja nichts
weiter, als ihn lieben dürfen!"
Abermals loderte in der verbitterten Frau der Zorn
hell auf. „Jhn lieben dürfen! Gerade genug der Scham-
loſigkeit, um dich nicht länger unter meinen Augen, in
meiner Nähe ertragen zu können! Und ich hoffe, so
viel Charakter besitzeſt du noch, um dir nicht geradezu
die Thür weiſen zu laſſen.Ü

Ein Ausschrei + und Fslehend streckten ſich ihr ein
paar zitternde Hände entgegen, doch befehlend hob ſie
ihre zur Fauſt gebalite Rechte. „Geh!“ .

Clsa war es, als ſetze ihr Herz ſeinen Schlag aus
doch nur während der Dauer eines Augenblicks. Dann
stürzte sie aus dem Zimmer, schlug im Korridor den
Montel um ſich und lief wie beſinnunglos die Treppe
hinunter.

Füntfzebntes Ziapitel.
Wie sie auf die Straße gekommen war, wie lang
ie ſchon umherirrte, es kaum fühlend, wie der Sturm
an ihr zerrte, wie der Regen an ihr hinabtriefte, und
wie ab und zu greller Blitſchein über ihr Gesicht hin-
zuckte ~ sie wußte es nicht. In ihrer Bruſt war ein
wunderliches Hämmern und Klopfen, vor ihren Augen

Heft 15.



td bis zum Ziele trugen und der dann zuſammen-
bricht.

[Ur einen Augenblick raſten muß sie, will ſie ~ und
gerade hier, hier, ſo nahe bei ihm.

Ihre Hände umfaſsen haltſuchend ein paar Gitter-
ſtibe des Thüreingangs zum Vorgarten, ihr Körper neigt
ſich müde dagegen, und den Kopf ein wenig zurückgebeugt,
blickt sie unverwandt nach oben zu den Fenstern empor,
starr, weltentrückt.

Um ſie her iſt es ſo ruhig, so menſchenleer, ſelbſt
das Sturmesbrauſen ſcheint ihr jetzt wie von weither
zu kommen, gleich der Brandung eines fernen Meeres.
Es wird ihr so ſseltſam müde, ruhig. Sie läßt ihre
Stirn ſchwer herniederſinken, und auf ihr geſenktes Haupt
herab rauſcht der Itegen. Mit verdämmerndem Bewußt-
sein lauſcht sie ihm, und da hört ſie nicht, daß ſich plötzlich
von der anderen Straßenseite herüber eine Männergeſstalt
nähert, bei ihrem Anblick stutzt, innehält und dann direkt
auf sie zuſchreitet.

Was heißt das, was bedeutet das? Wer iſt die
zusammengeſunkene Gestalt dort vor ſeiner Thür? Ein
Kranker? Mit wenigen raſchen Sätzen iſt Dernburg
herbeigeeilt, und da . . . f

Durch das Geräuſch aufgeschreckt, zuckt Elſa empor
und taumelt zurück. Dabei gleitet ihr der den Kopf
verhüllende Mantelkragen herunter; flackernder Laternen-
schein huſcht über ein totenbleiches, versſtörtes Gesicht,
ein paar große, entsetzte, fiebernde Augen ſehen ihn an,
und aus ihnen heraus ſtreckt ſich's ihm entgegen wie ſehn-
ſüchtig ausgebreitete Arme.

Faſſungslos dieser Wirklichkeit gegenüber, hat er ihre
kalten, naſſen Hände umklammert. Jett erſt gewahrt
er völlig, in welchem Zuſtand sie ſich mit ihrem tropfen-
den Haar und durchnäßten Anzug befindet.

Ein Ruf der Beſtürzung, und dann klingt's flüſternd,

voll jubelnder Besorgnis an ihr Ohr: „Elſa, Sie hier?



rieselte es herab gleich einem Nebelſchleier, durch den

ſie hindurchſchwankte, unbewußt, wohin. Nur immer
vorwärts, kreuz und quer, und doch unwillkürlich wie
im Traume einem Ziele zu, dem Hauſe des Mannes
entgegen, um den sie ſich aus dem eigenen hatte hinaus-

_ wieſsen laſſen.

Und mwäre es auch nur, um im Vorübergehen einen
Blick zu den Fenstern hinaufzuwerfen, hinter denen er
weilte, nichts ahnend von dem wonnig-ſchmerzvollen Ge-
heimnis, das sie am liebſten wieder und wieder hinaus-
geſchrieen hätte, und wenn sie abermals eine Heimat
Sie hatte ja immer in die
Welt hinausgeblickt und still hoffend, alles ertragend
darauf gewartet, daß es eines Tages kommen mußte,
das große, allmächtige Etwas mit dem brauſenden, ju-
belnden Weckruf : „Liebe weist dir hinfort dein Ziel!
Liebe trägt dich über alles Leid der Erde hinan in ihr
paradieſsiſches Reich; um Liebe wirſt du leiden, und die
Liebe wird dich heilen.“ j

Und sie hatte nicht vergeblich gewartet. Nun war
. und es war die Liebe! So lange, bis heut,
als die Worte der Mutter in ihr Herz hineinſchlugen
und es aufrüttelten, war es ihr verborgen gewesen, woher

î die innerliche Wandlung gekommen, die von der Stunde

an, da er ihr gegenübertrat, mit ihr vorgegangen war,
die sie faſt zuſammenbrechen ließ unter dem künſtlich ge-

nährten Haß, die ſie friedenſuchend in die Arme eines

anderen getrieben, die ſie von der Mutter hinweggerissen,
in das Dunkel einer traurigen Zukunft hinein, und die
sie jetzt, geführt von wilden, ſeinen Namen stammelnden
Herzſchlägen, ihm entgegendrängte.

Seinem Hauſe entgegen! Dorthin war all ihr Trachten
und Wollen, als gelte es, einen Friedensport zu erreichen,
wo alles, alles gut werden mußte.

Kaum noch ihre Glieder empfindend, haſtete Elſa
voran, und erſt, da sie ihrem Ziele nahe war, blickte sie
auf, die dunkle, menſchenleere Straße entlang.

So ſtill überall, so unheimlich, als wäre es tiefe
Nacht! Und noch immer das
oben im finſteren Gewölk!

_ Jroſtſchauernd lief ſie weiter, ſich nur noch mühſam
in den triefenden, schwer gewordenen Kleidern bewegend +
und plötzlich, faſt willenlos dahingetrieben, ſtand sie
vor seinem Hauſe. Verſtört, quchend ſchaute sie zu den
Fenstern empor. Sie waren nicht erhellee.

Das heißt, sie weiß ja gar nicht, welche ihm ge-
hören! .. . ſie weiß überhaupt nichts mehr . . . ſie fühlt
sich ſchwach wie ein Kämpfer, den seine Schritte eben

zürnende Grollen hoch



Wohin wollten Sie? ... Was geſchah, daß Sie ſo . . .

d. ...-

| Herzbrechendes Aufschluchzen unterbricht ihn . . . ein
hilfeslehender, alles geſtehender Blick ~ und erſchüttert,
keines Lautes mächtig, hat er ihren Kopf an ſeine
§ztaſt gezogen und wie schützend seine Hände darüber-
gebreite..

Ein wirres Stammeln ist's, das ſich ihm aus der

Bruſt ringt. „Elsa . . . das, das könnte wahr ſein ?
Elsa, meine Elſa, mein, mein ?“

Sie schweigt und schmiegt sich feſter an ihn und
fühlt, wie seine Arme sie umſchlingen, wie er seinen
Mantel um ihre froſtzitternde Gestalt wickell. Und
so, festgehalten, faſt getragen, das Gesicht auf seine
Schulter geneigt, untergetaucht in einem Meere von
U lüctteligkeit, läßt sie sich von ihm führen, wohin
er will. ; p

Er fragt nichts mehr, aber er hat sie verſtanden +
alles, alles. Jhr sagt's das Beben ſeiner Gestalt, die
die ihre ſchützt, ſie hört's am kaum beherrſchten Klange
seiner Stimme.

Daß sie nun nach Hauſe müſſe, ſagt er ſchließlich,
denn sie dürfe jetzt nicht krank werden. Dies . jetzt
klingt so zukünftig, so froh, daß sie's vergißt, kein
Heim mehr zu haben.

gsi See steht vor ihnen. Er hilft ihr hinein
und folgt ihr.

„Nein, nein . . ." will sie rufen, aber nur ein Hauch
ihres Mundes, und ſchon ist er an ihrer Seite. Der
Wagen rollt davon, und die Leidenschaft, die sinn-
bethörende, süße, ewige, ſchlägt über ihr zusammen.
Sein Kuß hat auf ihren Lippen gebrannt, und sie flüſtert
trunken: „Jch wollte es nicht und durfte es nicht, aber
darauf geharrt hätte ich mein Leben lang.“

„Und da kamst du zu mir bei Sturm und Regen,
um hinfort in der Sonne zu blühen."

Er zog sie inniger an sich, und sie schaute zu ihm
auf mit ernſten, gläubig vertrauensvollen Augen. Doch
bei ſeinem Abschiedswort : „Auf morgen bei deiner Mut-
ter!“ verdunkelten sich dieſe strahlenden Augen wieder.

B N .

Lachender, lichtdurchtränkter Tag. Mit verwunderten
Augen schaute ihn Elſa von ihrem Stübchen aus, bis er
ſie durchſonnte, bis er Hoffnung und Zuversicht in ihr
emporwachſen ließ. Wenn nach gewitterſchwerer, ſturm-
durchtobter Nacht solcher Morgen erwachen konnte, warum
sollte sich da ein Mutterherz nicht heute vielleicht dem
Strahl der Liebe öffnen, dem es ſich geſtern verſchloſsen

atte ? ;

h Seit sie wieder nach Hauſe zurückgekehrt war, hatte
Elſa ihre Mutter nicht mehr geſehen, obgleich nichts
brennender in ihr. lebte als das Bedürfnis, von dem
Uebermaß an Glück, das sie jetzt in ſich trug, etwas nur
in die verbitterte, vereinſamte Seele der Mutter hinein-
zaubern zu können.

Selbſt so unverhofft und unermeßlich reich geworden,
löſchte das Mitleid alles aus, was vorher an Groll und
Trotz gegen die Mutter in ihr gewesen war, welche die
eigene Armut hart und unversöhnlich gemacht hatte.

Nein, nicht unverſöhnlich! Noch glaubte sie nicht





, daran, nicht eher, als bis sie noch einmal mit aller Jn-

brunſt, aller Zärtlichkeit um das Herz der Mutter ge-
worben und verſucht hatte, dem Manne ihrer Liebe den
Weg dahin zu ebnen.

Und so stand sie der Mutter abermals gegenüber ~
kurz vor der Stunde, in welcher Dernburgs Beſuch zu
erwar IV.

"seo ſchicitest mich fort, Mutter, aber ic komme

wiederum zu dir, weil ich nie aufhören werde, dein Kind
zu ſeiw, hs eit Uher und Hoffen vertrauensvoll
in deine Hände legt.!
' Es klang ſo .? Innigkeit in Elſas Worten, es
leuchtete ſo warm und flehend aus ihren Augen, daſ;
Frau Arens, die, elend von dem Durchlebten, auf dem
Sofa ausgestreckt ruhte, zu dem Glauben kam, ihre
Tochter wolle das gestern Geſprochene zurücknehmen.
Wohl befriedigt davon, fühlte sie ſich jedoch zu ſchwer
beleidigt, um die Reuige sofort wieder anzunehmen.

„Du kommſt spät zur Besinnung . .. zu ſpät für
das, was du mir thateſt."

Elſas Zuversicht wankte, und nicht mehr wiſsend,
mit welchen Mitteln sie, außer mit solchen der Kindes-
liebe, kämpfen sollte, sank sie vor ihrer Mutter nieder
und schmiegte ihren Kopf in deren Schoß.

„Hier . .. ſo . .. jett ſtoße mich fort, wenn du
kannst! Und thust du's . . . ich laſſe dich dennoch nicht!
Jetzt nimmer, wo mein Glück dir Wunden ſchlägt !“

Mit einer jähen Bewegung ſchnellte Frau Arens
empor, Elſa heftig von ihrem Platze drängend.

„Dein Glück? Wage es nicht, deine Charakterlosigkeit
noch einmal so vor meinen Ohren zu nennen! Und im
übrigen haſt du mir nichts mehr zu ſagen?"

Bis in die Lippen erblaßt, war Elſa weit gegen die
Thür zurückgetreten. ;

„Doch! Ich habe dir noch etwas zu ſagen, Mutter!“
Furcht! . ln fd iht like hie telt up fett
dir kommen." f z

Frau Arens zuckte wie unter körperlichem Schmerz
zuſammen und ſchloß ſsekundenlang die Augen. Dann
aber, die Schwächeanwandlung niederkämpfend, brach sie
in lodernde Entrüſtung aus.

„Biſt du von Sinnen? Weißt du nicht mehr, zu
wem und von wem du ſprichſt, daß dir nur im entfern-
testen die Vermutung kommen konnte, ich werde mir
zum z1ysitenzzäle vie Mühe nehmen, dem Elenden die
Thür zu weisen?

hr ze! die geſchloſſenen Hände fest gegen ihre
stürmende Bruſt. :

„Das wirsſt du nicht thun, Mutter, darfst du nicht
thun . . . um meinetwillen nich.. |

Ein unnatürlich gellendes Auflachen erſcholl, und
plötzlich fühlte Elſa, wie sich der Mutter Finger um ihr
Handgelenk krampften, daß es sie ſchmerzte, und eine
zornbebende Stimme rief ihr zu: „Nun, und ich sage

dir, daß ich ehrloſe Wichte auch dann nicht empfange.

ve hen j "nc gute "y i é w _nicht empfangen,
Mutter! Aber Doktor Dernburg wirst du empfangen —
wenn heute nicht, dann ſpäter.“

Frau Arens ließ ihre Tochter frei, wandte das fahl
gewordene Gesicht ab und ſchritt zum Fenſter.

„Gut denn,“ entschied sie dort, nach einer Pauſe

des Schweigens, in drohender Entſchloſſenheit, „mag er
kommen! Mag er hier seine Erbärmlichkeit fühlen, mag

er auf meinem gramentſtellten Gesicht leſen, warum

meine Gedanken vor ihm ſchaudern! Vielleicht, daß er
dann hinfort sein fluch- und ſchuldbeladenes Dasein vor
mir und vor dir verbirgt. Willst du noch, daß ich ihn
tuptais! wie fanatische Begeiſterung überſtrahlte Elsas
Gesicht. „Ja, Mutter! Ja, trot allem! Denn er wird

dich überzeugen und bekehren, wie er mich verwandelt

tl‘ . ..

Seeliſch müde vom harten Kampfe, keines Gedankens,
keiner Regung mehr fähig, war Elſa wieder in ihr
Zimmer zurückgekehrt. Und dort saß sie nun, die Mi-
nuten zählend, in banger Erwartung. Jeder Gedanke
drängte ihm entgegen. Und. als sie endlich nach qual-
vollem Harren die Glocke und im Flur ſeine Schritte
ertönen hörte, hätte sie ihr Alles hingeben mögen, um
ihm den Gang zu ihrer Mutter zu ersparen.

Faſt vergehend vor Unruhe, neigte ſie den Kopf
gegen îte Thür, auf jeden Laut, auf jedes Geräuſch
lauſchend. ;

[ Frau Arens hatte Dernburgs Kommen gehört,
noch ehe er ihr gemeldet wurde. Und ſie fühlte dabei,
wie die ungeheure Aufregung ihr jeden Blutstropfen
aus dem Antlit, sog, daß es wie Eiſeshauch darüber
hinwehte. Mühsam ihre Haltung zu jener ſtolzen Würde

zwingend, die ihr stets etwas herriſch Gebietendes ver-

liehen hatte, erwartete sie ihn aufrecht in der Mitte
des Gemaches, ihm ruhig und gefaßt entgegensehend.

Doch als sich dann die Thür öffnete, und der Mann,
den sie so bitterlich haßte, die Schwelle überſchritt, vm
der ſie ihn für immer verwiesen zu haben glaubte, ver-
hztte sie kaum, eine Gebärde des Absſcheus zu unter-
ruckenn.
 
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