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374

D a s Buch für. Alle.

Heſt 16.







Wort ab. „Jch habe mich daran gewöhnt, mich nicht ;
mehr in deine Angelegenheiten zu miſchen. Wozu alſo
die Auseinanderſeßungen? Nur eine Frage : Was ge-
denkst du in nächſter Zukunft anzufangen?“

Ein schmerzlicher, bittender Ausdruck durchzitterte
Elſas Gesicht. „Ich ſchrieb dir's ja, Mutter, . daß ich

mich zu elend fühle, um sofort wieder neuen Anforde-

rungen gewnchſen zu sein.“

„Also flügellahnm ins warme Nest zurückgeflattert!“
sagte Frau Arens mit herbem Lächeln, wandte ſich ab
und schritt dem Fenster zu. „Wie ſich die Kinder immer
wieder heimfinden, wenn's gilt, für sie zu sorgen !“

Elsa fühlte einen feinen, stechenden Schmerz am
Herzen und fest die Hände darauf gedrückt, fragte sie
stockend: „Hätte ich mich an jemand anderes als an dich
wenden sollen, Mutter, wenn ich wirklich der Hilfe be:
dürftig wäre?"

Der alten Frau Antlitz erstarrte förmlich in Erbitte-
rung. „Nun, Frau Profeſſor Jaſtrow war ja bisher
so sehr befliſſen, mich dir zu ersſeßen! It sie ihrer
Rolle schon überdrüſſig geworden?“

Leichenblaß fuhr Elſa mit einem Wehlaut empor.
„So verstehſt du mich alſo, Mutter? Zerbrochen und
elend von Jeelischen Qualen flüchte ich mich zu dir, und
du haſt nichts als Groll für mich! Nichts als kalte
Versſchloſſenheit, nachdem du gesehen, daß ich mit ehr-
lichem Willen zu halten versuchte, was ich dir mit blu-
tendem Herzen versprochen ?“

_ Leiſe wollte eine gewaltſam ertötete Saite in Frau
Arens zu klingen beginnen, doch sie wurde übertönt von
einer anderen, die da ſchrie: Dein Kind hat sich ver-
borgen vor dir entwickelt, es steht nicht mehr unter
deiner erziehenden Hand, es lebt sein eigenes Leben für
sich + und darum iſt es dein Kind nicht mehr.

Mit finster gefalteter Stirn hatte sie eine Weile
schweigend dageſtanden, jetzt hob ſie den Kopf und sagte
ruhig, überlegen : „Du übersſchätest dich, Elſa! Leider
thateſt du das stets. Jch habe keine Veranlassung, dir
Selbstverſtändlichkeiten hoch anzurechnenn.

„Selbstverständlichkeiten, Mutter? It es ſelbstver-
ſtändlich, daß ich zu dir kam, um dir mein Leben zu
widmen, um deine Einsamkeit zu teilen, wo mir ein
geliebter Mann wieder und wieder an ſeiner Seite ein
feſtes, wahrhaftes Glück, eine sonnige Heimat bietet ?“

Aufhorchend, als hätte sie nicht recht verſtanden, oder
als fürchte sie, zu verstehen, starrte Frau Arens ihre
Tochter an, bohrte ihr den Blick förmlich ins Gesicht
und wiederholte dumpfen, drohenden Klanges: „Wieder
und wieder? Das heißt . . ."

„Das heißt, Mutter, daß ich mit Doktor Dernburg
im Briefwechſel stand!“

î Cas ruhig klare Augen senkten sich nicht vor den
flammenden der Mutter, die in ein hartes, ſchneidendes

î Abutlachen ausbrach: „Alſo im Briefwechſel. O du

tapfere Heldin!“ Ihre bebende Hand umklammerte eine
Stuhllehne ihr zur Seite, und ihre Fingernägel ver-
ſuchten, sich mit der Kraft des Zorns in das Holz der-
ſelben hineinzugraben. „Hab' nun auch noch die Kühn-
heit, mir zu gestehen, daß du nicht von hier weggingeſt,
um ihm zu entsagen, ſondern um meiner unbequemen
Aufsicht fern zu ſein!“

„Mutter ~ hab’ ich das um dich verdient?“ Elsa
sah aſchgrau aus, unruhige Lichter flackerten in ihren
Augen, eiſiges Erstarren wehte über ihre Glieder und
heiſer, abgeriſſen stieß sie in hilfloſer Verzweiflung her-
vor: „Jetzt ſehe ich, daß all mein Ringen um dich um-
sonst war, daß ich umsonst auf mein Glück verzichte!
Aufgeben hab' ich ihn wollen deinetwegen + aber aus
dem Herzen zu reißen vermag ich ihn nicht!“

Frau Arens richtete ſich hoch auf und kreuzte die
Arme. „Weil du nicht willſt. Elende Ausreden.“

Ein leiſer Aufschrei, und Elſa sank wie zu Tode
getroffen ins Knie. Dann blieb es totenstill im Gemach,
bis sich das junge Mädchen schwankend emporraffte und
mit verſtörtem, fremdem Gesicht vor die Mutter hintrat,
um unheimlich ruhig zu fragen: „So willst du, daß ich
mich aus dem Leben rette wie meine Schwester .. .

„Schweig!" ſchrie Frau Arens auf und wollte hin-
wegſchreiten, als Elſa ihr mit festem Druck ihre beiden
Hände auf die Schultern legte. :

„Nein, Mutter, jetzt bleib und höre mich an. Deine
Worte und deine Hartherzigkeit haben mir den einzigen
U s Ve u§t: Feis u autuuſc y tte hett.
Leben beseelt, kehrte Farbe in ihre Wangen zurück und
ihre Stimme ſchwoll zu lauter Feierlichkeit an: „Jch
werde Dernburgs Weib!“ :

Frau Arens schleuderte die Hände ihrer Tochter von ſich
und fuhr zurück, wie von einem Schlangenbiß verwundet.
„Du wollteſt wagen .. .!

„Ja, Mutter, ich wage es,“ fiel Elſa mit der
ruhigen Sicherheit ernſter Entſchließung ein. „Jetzt, wo
ich an der Schwelle des Nichtweiterkönnens stehe, wo
ich nirgends einen Halt, nirgends eine Hoffnung erblicke,
wo ich mein Bestes deinetwegen vergebens in die Wag-
ſchale warf, jet, wo ich sehe, daß es nie schlimmer,
fremder zwiſchen uns werden kann als es ist, jezt hab'
ich den Mut und halte mir mein Glück !“



Fast taumelnd vor maßloſer Erregung, taſtete die
alte Frau nach einer Stütze umher, während es wie ein
ziſchender Feuerſtrom über ihre blutleeren Lippen brach:
„Wie viel beſſer war da deine Schwester mit ihrem Mut

zum Tode, als du mit deinem Mut zum Glück!“

Die Antwort erfolgte nicht sogleich. Noch einmal
suchte Elſa in dem Grau des Verzichtes nach einem Licht-
pünktchen für ſich, für die Mutter, doch alles blieb öder,
formloſer Nebel. . . . Da warf sie mit überzeugter Sieges-
gewißheit das Haupt empor und sagte ſanft, aber bestimmt:
„Nein, Mutter. Nicht beſſer, nur ſchwächer war sie als
ich. Mein Unglück hat mir nicht dein Herz cröffnet,
vielleicht thut's eines Tages mein Glück !“

Durch Frau Arens' Gestalt ging ein Zucken, das ſie [

zuſammensinken ließ, ihre Züge wurden spitz und scharf,
drohend streckten sich ihre geballten Hände der Tochter
entgegen und gurgelnd rang's sich ihr aus der Bruſt:
„Du –~ du! Was thuſt du mir an! Geh, daß ich dich
nicht mehr ertragen muß! Laß das ärgſte geſchehen,
tiert Steine auf mich + nur befreie mich jetzt von deinem
Anblick!“

„Ich gehe, Mutter. Soll es für immer sein?! '

„Meiner reuigen Tochter steht mein Haus jederzeit
offen. Für die zukünftige Frau jenes Mannes aber iſt
kein Raum in demſelbenn.

„Dann lebewohl, Mutter! ~ Dau ſelbſt haſt es

h zu fiel die Thür hinter der Enteilenden zu.

RNeunzelbntes Kapitel.

Ihr Haupt schmückte der Myrtenkranz, über ihr ein-
faches weißes Kleid breitete sich der bräutliche Schleier,
unten vor dem Gaſsthofe wartete der Wagen ~ und noch
immer stand sie, die Hände um das Fenſterkreuz ge-
schlungen, und starrte die verſchneite Straße entlang.

Die Mutter mußte ja kommen! Es war ja nicht
möglich, daß sie ihr Kind den Segen der Kirche empfangen
ließ, ohne ihm vorher verziehen zu haben! Sie wußte die
Stunde der Trauung, wußte, daß die Hochzeit in Dern-
burgs neuem Wohnort stattfand. Alles, alles hatte Elsa
ihr geschrieben ; trotz der verſteinerten Unerbittlichkeit der
alten Frau war in ihr doch noch die Hoffnung nicht er-
storben, an ihrem Hochzeitstage die Verzeihung und den
Segen der Mutter zu erlangen.

Und so hatte sie gewartet . . . gewartet von früh
morgens an, bis ihr Gesicht immer blaſſer wurde, bis
ihr Herz immer langsamer ſchlug.

„Biſt du bereit, Ella? Der Wagen wartet schon !“

Erſchreckt ließ ſie dieser Mahnruf jett zuſammen-
fahren. „Ich . . . laß mich noch ein paar Sekunden,
Bernhard, sie muß ja kommen!“

Traurig den Kopf ſchüttelnd, trat Dernburg an ihre
Seite und nahm zärtlich ihre Hände in die seinen.

„Du warſt bisher ſo standhaft, Clsa, sei es jett
auch! Komm!“ i

Ihre großen, weitgeösfneten, schwarzen Augen irrten
noch einmal mit wild geſpanntem Ausdruck in die Ferne.

„Ich . . . bin . . . bereit," sagte ſie dann stockenden
Atems und ließ ſich, ſchwer auf seinen Arm gestütt,
hinausführen. : ;

Während der kurzen Fahrt zur Kirche verhielt ſie
ſich schweigend, gefaßt, doch als sich das Gotteshaus vor
ihr öffnete und feierliche Orgelklänge sie umfluteten,
ging ein erſchauerndes Beben durch ihre Gestalt, und
ihr Fuß zögerte vor der Kirchthürſchwelle.

Würde sie am Altar des Herrn, vor seinen ewigen
Gesetzen bestehen mit ihrem Mut zum Glück?

Rur Frau Maria und ein Freund Dernburgs wohn-
ten als Zeugen der heiligen Handlung bei, sahen, wie
der Geiſtliche den geſchloſſenen Bund segnete.

„Das Weib soll Vater und Mutter verlassen und
dem Manne folgen!“ :

Von einem Ausdruck gläubiger Verklärung überſtrahlt,
hatte sich Elſas tiefgesenktes Gesicht bei diesen Worten
erhoben. Und das Leuchten aus ihrem Antlit ver-
schwand nicht wieder. Wie himmlischer Frieden war es
über sie gekommen, nun sie die Gebote ihres Herzens
eins fühlt mit Gottes Gesetzen. . . .

Dann vereinte ein prunkloſes Mahl im Hotel die
kleine Hochzeitsgesellſchaft. Vor demſelben blieb Elsa
mit ihrem Gatten ein paar Minuten allein.

Den Kranz noch auf dem Haupte, lehnte sie an seiner
Bruſt, während er in übermächtiger Bewegung stammelte:
„Du, mein Weib! Endlich mein! Mein .. . mein
Heiligstes . . . meine Heldin . . . mein alles!“

Sie blieb ganz still, aber die Welt draußen versank
ihr, die Vergangenheit . . . alles, alles schwand dahin
unter dem Gluthauch seiner Liebe. ~

Elsa zeigte sich ruhiger über das Ausbleiben ihrer
Mutter, nur, wenn zuweilen ein Wagen vor dem Galt-
hofe vorfuhr, zuckte sie zuſammen und schaute nach der
Thür. :

Doch vergebens: Von ihrer Mutter traf bis zum
Abend kein Lebenszeichen ein.

Verlaſsſen an dem wichtigsten Tage ihres Lebens von
dem Menſchen, dem sie am nächsten stand, ließ sie das
ganze Maß ihrer Zärtlichkeit über Frau Maria aus-



ſtrömen, die Mutterstelle an ihr vertreten, die sich ihrer
angenommen hatte während all der Zeit, da ſie von
der wirklichen Mutter verſtoßen war.

Der Aufbruch des jungen Paares nach dem eigenen
Heim fand erſt in ziemlich vorgerückter Stunde ſtatt.
Da Frau Maria am anderen Morgen weiterreiſte, galt
der Ajcher fs: längere Zeit und war doppelt ſchwer
"ah ges. Vsrugetcugeuth. . Sie als unſeren Gaſt,
verehrteſte Frau! Sie müssen teilnehmen an dem Glück,
das Sie so treulich ſchützten!"

Dieser im herzlichſten Tone hervorgebrachten Ein-
ladung Dernburgs nickte ſie lächelndes Gewähren.

„Wer weiß, ob Ihnen nicht ſchon früher einmal eine
einsame alte Frau ins Haus ſchneit !“

Feuchtſchimmernd hingen Elſas Augen an der hohen
Gestalt, die Liebe und Güte spendend wie eine Königin
durch ihr Leben geſchritten war.

„Ich behalte dich lieb,“ flüſterte ſie mit brechender
Stimme, „solange ich lebe, hab ich dich lieb, und meine
Dankesſchuld trag ich nimmer ab!“

Ein warmer Kuß berührte Elſas Wangen.

„Ja, mein Schatz, bleib mir weiter gut! Sei mein
Sonnenschein . . . ich hab ja niemand sonst als fremde
Menschen. Und nun . . . Gott schütze dich immerdar,
mein liebes, liebes Kind !“

Lächelnden Mundes, hochaufgerichtet schaute ſir Elſa
nach, wie sie am Arme des Gatten von ihr ging. Plötlich
aber ſenkte sie den Blick und heiß tropfte es auf ihre
Hand hernieder. Maria Jaſtrow . . . die ſtolze, ſchöne,
bewunderte, einſame Maria Jaſtrow weinte.

Dein Haus sei deine Welt!

Einander glückverſunken in die Augen schauend, stan.

den Dernburg und Elsa unter dieſem von Blumen
umwundenen Spruch, der den Eingang zu ihrer nun-
mehr gemeinsamen Häuslichkeit ſchmückte.

„Soll es so sein, mein Liebling?“ slüſterte er, ſich
zu ihr niederbeugend. ;

\,Wo du biſt, iſt meine Welt!“

„Dann“, seine Stimme erbebte, „wird das Glück
mit uns sei!

Und Hand in Hand betraten sie ihr neues Heim.



Ja, das Glück war mit ihnen gewesen! Ueberreich
hatte es ſeine Gaben über sie ausgeſchüttet! Es hatte
in Elſas Augen ein Leuchten hineingezaubert, das vor-
her nicht darinnen gewesen war, es hatte ihre Wangen
roſiger erblühen laſſen, es hatte ſie holder lächeln ge-
lehrt; aber es hatte nicht vermocht, einen Zug ver-
schwiegenen Leides, der sich tief in ihrem Antlit aus-
prägte, hinwegzuwiſchen.

Und dies Sorgenfältchen in Elſas sonnigem Gesicht,
das den zärtlich forschenden Augen ihres Gatten nicht
entgangen, hatte mit einemmal das Schweigen brechen

heißen, das zwischen ihnen über etwas herrſchte, das zu

berühren ein jedes um des anderen willen bisher ge-
fürchtet hatte.

„Schreibe doch deiner Mutter, ob wir zu ihr kommen
dürfen,“ hatte er ihr eines Tages gesagt.

„Ich habe es ja ſchon gethan . . . und so oft," war
iht Geftäehnis gewesen, „aber ich blieb ohne Antwort

isher.“

U: hatte den Grund ihrer Trauer nur zu gut er-
raten. So glücklich ſie auch an seiner Seite lebte, so
neu, lichtdurchtränkt ihr das Dasein schien, der Gedante
an die einſame, in ihrem Groll eingesſponnene Mutter
ließ ſie keine Ruhe finden.

Und darum, ob auch Monate und Monate vergingen,
ohne ein Lebenszeichen von der Mutter zu bringen, blieb
ſie unermüdlich in ihrem Bemühen und sandte weiter
Briefe an sie, Briefe, durchdrungen von einfacher, inniger
Herz diese Schreiben blieben unbeantwortet, kamen
aber auch nicht zurück.

Elsa fing an zu zweifeln.

Las ihre Mutter ihre Briefe überhaupt?

Ach, sie las sie ſchon!

Und mehr noch. Heute, wo ein lachender blauer
Sommertag ihr einziger Geburtstagsgratulant gewesen
war, hatte Frau Arens sogar mit innerem Widersſtreben
gefühlt, daß sie diese Briefe nicht nur las, sondern er-
wartete, und daß es ſie bitter enttäuſchte, gerade heute

auf ihrer Frühstücksplatte das Couvert mit der bekannten

Aufschrift nicht zu erblicken.

Gerade heute! So ſehr sie in jeder Beziehung der
Außenwelt entſagt, so leer, wunſchlos ihr Stunden und
Wochen dahin schlichen, so stumpf gebrochen sie ſich in
ihre einsame, finstere Welt hineingegraben hatte + heute,
an dem Tage, der sie einſt ins Licht der Welt brachte,
überkam sie's wie feſttägliches Sehnen nach dieſem Licht,
das sie nie gekannt, darin sie ſich nie geſonnt hatte.

Selbſt den Brief ihrer verstoßenen Tochter hätte ſie
heute für einen Schimmer desſelben genommen, aber es
blieb vunkel . . . dunkel.

Wie es kam, sie wußte es ſelbſt nicht — vielleicht
 
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