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D a s B u < für Alle.
Heft 18.
Um Waffen zu bekommen, an denen natürlich großer
Mangel herrſchte, entleerte man die Waffenläden in der
Stadt; auch in den Wohnungen der Offiziere wurden
die vorhandenen Waffen verlangt und, wenn sie nicht
freiwillig ausgeliefert wurden, mit Gewalt genommen.
Im königlichen Schloſſe erregte die Kunde dieſes
verhängnisvollen Umſchlages der allgemeinen Stimmung
große Bestürzung. Es wurde der Verſuch gemacht,
durch eine zwiſchen zwei Stangen aufgeſpannte weiße
Leinwand, auf der geſchrieben ſtand: „Ein Mißver-
ständnis, der König will das Beſte!“ und die von
gf vuur1 rrlautst uu ! M!.
its Proklamationen verfehlten vollständig ihren
Zweck.
§ Es entbrannte ein wütender Straßenkampf, der bis
zum anderen Morgen um 5 Uhr währte. Die Truppen,
welche dem General v. Prittwit zur Verfügung standen,
betrugen rund 14,000 Mann mit 36 beſpannten Ge-
schützen der Gardeartillerie; außerdem hatte Berlin da-
mals 204 Polizeibeamte. Die Zahl der Barrikaden-
kämpfer war natürlich eine bei weitem stärkere; freilich
waren sie erheblich schlechter bewaffnet, allein dafür
standen ſie hinter den Barrikaden, Fenstern, Dachluken
u. s. w. bei weitem beſſer gedeckt. Kanonen hatten ſie
nur zwei, die mit „Murmeln“, den kleinen steinernen
Spielkugeln der Knaben, geladen wurden, weshalb der
nie ruhende Berliner Volkswitz sie alsbald „Murmel-
tiere" taufte. Auf beiden Seiten wurde mit ſteigender
Erbitterung gekämpft.
Gegen 5 Uhr nachmittags wurden die ersten Kar-
tätſchen von der Kurfürſten- oder Langen Brücke her
in die Königsſtraße gefeuert, in der bis zum Alexander-
pla in kurzen Zwiſchenräumen eine Barrikade hinter
der anderen sich erhob. Besonders heftig war der
Kampf um das Bollwerk, das man am Ende der Breiten
Straße, wo dieſe auf den Köllniſchen Fiſchmarkt mün-
det, errichtet hatte (siehe unser Bild auf S. 425).
Diese Barrikade wurde fünfmal vom Militär zu ſtür-
men verſucht, die Soldaten mußten sich aber immer
wieder mit großem Verluſt zurückziehen, da die dort
bei der Verteidigung mitwirkenden Bürgerſchützen selten
einen Schuß vergebens abgaben. Endlich wurden Ge-
schütze aufgefahren, und Kartätſchen und Granaten
donnerten gegen die Barrikade los, daß
alle Häuſer der Umgegend in ihren
wiederhergeſtellt und das Volk für die Gnade des
Herrſchers dankbar sein. Der Prinz von Preußen
(der spätere Kaiſer Wilhelm I.) und General v. Pritt-
Der in China ermordete deutſche Matroſe Joh. Heinr. Schulze.
Nach einer Photographie von Julius Beeth in Kiel. (S. 438)
witz widerſprachen energiſch, der König aber zog ſich
mit Herrn v. Bodelſchwingh und dem Grafen Arnim-
Boitzenburg, den er inzwiſchen an Stelle des ersteren
zum Minister ernannt hatte, zur Beratung in das
Nebenzimmer zurück. Bodelſchwingh kam dann allein
zurück und erklärte: Da man mit dem Wegräumen
der Barrikaden begonnen und verſprochen habe, damit
fortzufahren, so befehle der König, daß die Truppen von
den Straßen und Plätzen zurückgezogen werden ſollten.
hatte empört ſeinen Degen auf den Tiſch geworfen; er
mußte wegen der gegen ihn herrſchenden Erregung die
Stadt heimlich verlaſſen und sich nach England begeben.
Fälschlicherweiſe legte man es ihm zur Laſt, daß er den
Truppen den Befehl zum Einſchreiten gegen das Volk
gegeben habe, obwohl er bereits am 10. März des Ober-
besehls über die Garde enthoben und zum General-
gouverneur der Rheinprovinz ernannt worden war.
Um sein Palais vor dem Haß des Volkes zu ſichern,
mußte daran eine Tafel mit der Aufſchrift „National-
eigentum“ angebracht werden.
Der König hatte ferner am Vormittag des 19. die
Freilaſſung aller in den letzten Tagen gemachten Ge-
fangenen verfügt, auch die übrigen alten Miniſter ent-
laſſen und durch volkstümlichere. Männer erſetzt und
in die Errichtung einer Bürgerwehr zum Schutze der
Stadt und des Schloſſes gewilligt. Man bereitete dem
hochherzigen Monarchen eine Dankeshuldigung, und
überall ſah man wieder frohe Geſichter.
Da nahte ſich plötzlich ein düſterer Zug dem Schloſse.
Eine Anzahl der Gefallenen, auf Bahren liegend und
mit Kränzen geſchmückt, wurde in den Schloßhof ge-
tragen. Stürmiſche Rufe nach dem König erſchollen,
der zulett, mit der vor Aufregung erkrankten, zittern:
den Königin Eliſabeth am Arme, auf dem Balkon er-
schien. Als der Ruf „Hut ab“ ertönte, entblößte auch
Friedrich Wilhelm sein Haupt; die Königin ſank faſt in
Ohnmacht, und das Volk stimmte den Choral ,„Jeſus Ö
meine Zuverſicht“" an.
Mit dieser entſeylichen Scene war des Königs letztes
Widerstreben gebrochen, und er entſchloß ſich, den
Wünſchen und Forderungen des Volkes völlig Genüge
zu leiſten. Er erließ eine allgemeine Amnestie für die
wegen politiſcher und durch die Preſſe verübten Verge ten
und Verbrechen Verurteilten. Am 21. März wurne
eine „An die deutsche Nation“ gerichtete Proklamation
verbreitet, worin verkündet ward, daß der König sich .
„zur Rettung Deutschlands an die Spitze des Geſame.
vaterlandes gestellt habe“ und daß er als neuer kon-
stitutioneller König „Führer der freien, wiedergeborenn.
deutſchen Nation“ sein wolle. Der König hielt daan
zu Pferde in Uniform mit einem ſchwarz-rot-golhenen.
Bande um den linken Arm einen Umzug durch die .
Straßen Berlins. In ſeiner Begleitung befanden ich
die anwesenden Prinzen und die Minister,
Grundfesten erzitterten. Der Angriff er-
forderte aber drei Stunden und eine
immer stärkere Herbeiziehung von Trup-
pen, ehe die Barrikade nach Mitternacht
zu Fall gebracht werden konnte, was be-
ſonders auch dadurch herbeigeführt wurde,
daß den Verteidigern die Munition aus-
"Paz blutige Wüten hörte erſt auf,
als beim Morgengrauen den Truppen
aus dem Schloſſe der Befehl zuging, ſie
sollten fortan nicht mehr angriffsweise
vorgehen, ſondern in ihren Stellungen
verbleiben und sich nur verteidigen,
wenn sie angegriffen würden. Sie waren
um dieſe Zeit im Besitze des wichtigsten
Teiles von Berlin, denn ſie hielten das
Schloß mit dem Lustgarten bis Mon-
bijou, den Stadtteil zwiſchen "den Linden
und der Spree, die Friedrichsſtadt zwi-
ſchen Linden und Leipzigerſtraße, die
Jägerſtraße, den Hausvogteiplatz, den
Stadtteil zwiſchen diesem und den Lin-
den, die Brüderſtraße, Breite Straße
und Königsstraße bis zum Alexander-
platz beſetzt. Auch beherrſchte das Militär
das Brandenburger und das Potsdamer
Thor, die wichtigsten Spreebrücken und
vermochte auch die Verbindung mit dem
Oranienburger Thor leicht herzuſtellen.
Dem Könige perſönlich war der Ge-
danke eines Kampfes mit seinem Volle
grauenvoll und er erlebte, während in
jener Märznacht das Getöse der Geschütze
und Feuerwaffen bis in sein Schloß
drang, die ſchrecklichſten Stunden seines
Lebens. In dieſer Erregung ſchrieb der
Monarch die Proklamation „An meine
lieben Berliner“ nieder, durch die er den
Frieden wiederherzuſtellen hoffte, die aber
bei der herrſchenden Erbitterung ihren
Zweck nicht zu erreichen vermochte.
Am 19. März löste ein Ratgeber
den anderen in den Gemächern des ganz
Jahne getragen; den Zug ſchloß der Tier-
arzt Urban, einer der Hauptbarrikaden-
kämpfer und eine in ganz Berlin be-
kannte Perſönlichkeit, eine gemalte Königs-
krone tragend. Am Abend erschien eine
neue Proklamation, in welcher der Satz
yyrlat tte geht fortan in Deutſch-
and auf. “
Viele Männer altpreußiſchen Sinnes
fanden, wie Sybel hervorhebt, dieſen
und die in letterer ausgesprochenen Ab-
sichten und Pläne des Königs wurden
im übrigen Deutschland einhellig zurück-
gewiesen; der Augenblick ihrer Kun-.
gebung war auch in der That ſo ſchlehtt.
wie nur möglich gewählt. Am 22. März
aus den Reihen des Volkes Gefallenen
am Schloß vorüber. Der König erſchien,
geben, auf dem Balkon und hielt das
E 29. März ward das Ministerium
weiter im liberalen Sinne reorganiſiert,
indem der volkstümliche Rheinländer
irat dann der Vereinigte Landtag in der
Hauptſtadt zuſammen und genehmigte
das von der Regierung vorgeſchlagene
den Nationalverſammlung, welches ganz
versſammlung entsprach. Diese trat am
18. Mai in Frankfurt a. M. zuſammen,
die preußische Nationalverſammlung am
22. Mai in Berlin : die politiſchen Lehr-
jahre für das deutſche Volk waren an-
gebrochen. . ;
In Berlin kam es am 14. Juni zu
gebrochenen Herrſchers ab. Bald nach
10 Uhr vormittags erſchien im Schloſſe
der Bürgermeister Naunyn an der Spitze
einer Abordnung von Magistrat und
Stadtverordneten, teilte dem Könige mit, in der Königs-
Der Groß-Lama von Tibet nnd ſein Kämmerer. (S. 438)
Nach einer Photographie von J. G. Apcar in Kalkutta.
neuen ernſtlichen Unruhen, bei denn
die revolutionäre Masse das Zeughaus
stürmte. Weitere Tumulte am 16. Ok-
tober, die zu blutigen Konflikten zwiſche
, önig Dies geſchah. Die Truppen rückten gegen halb | Arbeitern und Bürgerwehr führten, wiederholte Belêer.
straße habe man bereits mit dem Forträumen der | 12 Uhr unter lautem Hohn der Bevölkerung in ihre digungen der Abgeordneten auf der Straße, die zu hin:.
Barrikaden begonnen, und beschwor ihn, die Truppen | Kaſernen und Quartiere, und bis zum 21. war das | dern die öffentliche Gewalt und die Bürgerwehr sich
zurückzuziehen, dann werde Ruhe und Ordnung ſofort | ganze Militär aus Berlin entfernt. Prinz Wilhelm | als ohnmächtig erwiesen, vermehrten die Sehnſucht neh
vor ihm her ward eine ſchwarz-rot-goldenee.
Umzug und namentlich auch die Pro- 4
klamation mehr würdelos als ergreiſenen.
ging der feierliche Beſtattunggzug de
von Ministern und Adjutanten um- ;
Haupt entblößt, bis die Särge vorüber .
Ludolf Camphauſen statt des Grafen Aer.
nim an die Spitze trat und Hanſemaan
die Finanzen übernahm. Am 2. April
Gesetz zur Berufung einer konstituieren.
dem Wahlgesetz für die deutsche Nationale.
D a s B u < für Alle.
Heft 18.
Um Waffen zu bekommen, an denen natürlich großer
Mangel herrſchte, entleerte man die Waffenläden in der
Stadt; auch in den Wohnungen der Offiziere wurden
die vorhandenen Waffen verlangt und, wenn sie nicht
freiwillig ausgeliefert wurden, mit Gewalt genommen.
Im königlichen Schloſſe erregte die Kunde dieſes
verhängnisvollen Umſchlages der allgemeinen Stimmung
große Bestürzung. Es wurde der Verſuch gemacht,
durch eine zwiſchen zwei Stangen aufgeſpannte weiße
Leinwand, auf der geſchrieben ſtand: „Ein Mißver-
ständnis, der König will das Beſte!“ und die von
gf vuur1 rrlautst uu ! M!.
its Proklamationen verfehlten vollständig ihren
Zweck.
§ Es entbrannte ein wütender Straßenkampf, der bis
zum anderen Morgen um 5 Uhr währte. Die Truppen,
welche dem General v. Prittwit zur Verfügung standen,
betrugen rund 14,000 Mann mit 36 beſpannten Ge-
schützen der Gardeartillerie; außerdem hatte Berlin da-
mals 204 Polizeibeamte. Die Zahl der Barrikaden-
kämpfer war natürlich eine bei weitem stärkere; freilich
waren sie erheblich schlechter bewaffnet, allein dafür
standen ſie hinter den Barrikaden, Fenstern, Dachluken
u. s. w. bei weitem beſſer gedeckt. Kanonen hatten ſie
nur zwei, die mit „Murmeln“, den kleinen steinernen
Spielkugeln der Knaben, geladen wurden, weshalb der
nie ruhende Berliner Volkswitz sie alsbald „Murmel-
tiere" taufte. Auf beiden Seiten wurde mit ſteigender
Erbitterung gekämpft.
Gegen 5 Uhr nachmittags wurden die ersten Kar-
tätſchen von der Kurfürſten- oder Langen Brücke her
in die Königsſtraße gefeuert, in der bis zum Alexander-
pla in kurzen Zwiſchenräumen eine Barrikade hinter
der anderen sich erhob. Besonders heftig war der
Kampf um das Bollwerk, das man am Ende der Breiten
Straße, wo dieſe auf den Köllniſchen Fiſchmarkt mün-
det, errichtet hatte (siehe unser Bild auf S. 425).
Diese Barrikade wurde fünfmal vom Militär zu ſtür-
men verſucht, die Soldaten mußten sich aber immer
wieder mit großem Verluſt zurückziehen, da die dort
bei der Verteidigung mitwirkenden Bürgerſchützen selten
einen Schuß vergebens abgaben. Endlich wurden Ge-
schütze aufgefahren, und Kartätſchen und Granaten
donnerten gegen die Barrikade los, daß
alle Häuſer der Umgegend in ihren
wiederhergeſtellt und das Volk für die Gnade des
Herrſchers dankbar sein. Der Prinz von Preußen
(der spätere Kaiſer Wilhelm I.) und General v. Pritt-
Der in China ermordete deutſche Matroſe Joh. Heinr. Schulze.
Nach einer Photographie von Julius Beeth in Kiel. (S. 438)
witz widerſprachen energiſch, der König aber zog ſich
mit Herrn v. Bodelſchwingh und dem Grafen Arnim-
Boitzenburg, den er inzwiſchen an Stelle des ersteren
zum Minister ernannt hatte, zur Beratung in das
Nebenzimmer zurück. Bodelſchwingh kam dann allein
zurück und erklärte: Da man mit dem Wegräumen
der Barrikaden begonnen und verſprochen habe, damit
fortzufahren, so befehle der König, daß die Truppen von
den Straßen und Plätzen zurückgezogen werden ſollten.
hatte empört ſeinen Degen auf den Tiſch geworfen; er
mußte wegen der gegen ihn herrſchenden Erregung die
Stadt heimlich verlaſſen und sich nach England begeben.
Fälschlicherweiſe legte man es ihm zur Laſt, daß er den
Truppen den Befehl zum Einſchreiten gegen das Volk
gegeben habe, obwohl er bereits am 10. März des Ober-
besehls über die Garde enthoben und zum General-
gouverneur der Rheinprovinz ernannt worden war.
Um sein Palais vor dem Haß des Volkes zu ſichern,
mußte daran eine Tafel mit der Aufſchrift „National-
eigentum“ angebracht werden.
Der König hatte ferner am Vormittag des 19. die
Freilaſſung aller in den letzten Tagen gemachten Ge-
fangenen verfügt, auch die übrigen alten Miniſter ent-
laſſen und durch volkstümlichere. Männer erſetzt und
in die Errichtung einer Bürgerwehr zum Schutze der
Stadt und des Schloſſes gewilligt. Man bereitete dem
hochherzigen Monarchen eine Dankeshuldigung, und
überall ſah man wieder frohe Geſichter.
Da nahte ſich plötzlich ein düſterer Zug dem Schloſse.
Eine Anzahl der Gefallenen, auf Bahren liegend und
mit Kränzen geſchmückt, wurde in den Schloßhof ge-
tragen. Stürmiſche Rufe nach dem König erſchollen,
der zulett, mit der vor Aufregung erkrankten, zittern:
den Königin Eliſabeth am Arme, auf dem Balkon er-
schien. Als der Ruf „Hut ab“ ertönte, entblößte auch
Friedrich Wilhelm sein Haupt; die Königin ſank faſt in
Ohnmacht, und das Volk stimmte den Choral ,„Jeſus Ö
meine Zuverſicht“" an.
Mit dieser entſeylichen Scene war des Königs letztes
Widerstreben gebrochen, und er entſchloß ſich, den
Wünſchen und Forderungen des Volkes völlig Genüge
zu leiſten. Er erließ eine allgemeine Amnestie für die
wegen politiſcher und durch die Preſſe verübten Verge ten
und Verbrechen Verurteilten. Am 21. März wurne
eine „An die deutsche Nation“ gerichtete Proklamation
verbreitet, worin verkündet ward, daß der König sich .
„zur Rettung Deutschlands an die Spitze des Geſame.
vaterlandes gestellt habe“ und daß er als neuer kon-
stitutioneller König „Führer der freien, wiedergeborenn.
deutſchen Nation“ sein wolle. Der König hielt daan
zu Pferde in Uniform mit einem ſchwarz-rot-golhenen.
Bande um den linken Arm einen Umzug durch die .
Straßen Berlins. In ſeiner Begleitung befanden ich
die anwesenden Prinzen und die Minister,
Grundfesten erzitterten. Der Angriff er-
forderte aber drei Stunden und eine
immer stärkere Herbeiziehung von Trup-
pen, ehe die Barrikade nach Mitternacht
zu Fall gebracht werden konnte, was be-
ſonders auch dadurch herbeigeführt wurde,
daß den Verteidigern die Munition aus-
"Paz blutige Wüten hörte erſt auf,
als beim Morgengrauen den Truppen
aus dem Schloſſe der Befehl zuging, ſie
sollten fortan nicht mehr angriffsweise
vorgehen, ſondern in ihren Stellungen
verbleiben und sich nur verteidigen,
wenn sie angegriffen würden. Sie waren
um dieſe Zeit im Besitze des wichtigsten
Teiles von Berlin, denn ſie hielten das
Schloß mit dem Lustgarten bis Mon-
bijou, den Stadtteil zwiſchen "den Linden
und der Spree, die Friedrichsſtadt zwi-
ſchen Linden und Leipzigerſtraße, die
Jägerſtraße, den Hausvogteiplatz, den
Stadtteil zwiſchen diesem und den Lin-
den, die Brüderſtraße, Breite Straße
und Königsstraße bis zum Alexander-
platz beſetzt. Auch beherrſchte das Militär
das Brandenburger und das Potsdamer
Thor, die wichtigsten Spreebrücken und
vermochte auch die Verbindung mit dem
Oranienburger Thor leicht herzuſtellen.
Dem Könige perſönlich war der Ge-
danke eines Kampfes mit seinem Volle
grauenvoll und er erlebte, während in
jener Märznacht das Getöse der Geschütze
und Feuerwaffen bis in sein Schloß
drang, die ſchrecklichſten Stunden seines
Lebens. In dieſer Erregung ſchrieb der
Monarch die Proklamation „An meine
lieben Berliner“ nieder, durch die er den
Frieden wiederherzuſtellen hoffte, die aber
bei der herrſchenden Erbitterung ihren
Zweck nicht zu erreichen vermochte.
Am 19. März löste ein Ratgeber
den anderen in den Gemächern des ganz
Jahne getragen; den Zug ſchloß der Tier-
arzt Urban, einer der Hauptbarrikaden-
kämpfer und eine in ganz Berlin be-
kannte Perſönlichkeit, eine gemalte Königs-
krone tragend. Am Abend erschien eine
neue Proklamation, in welcher der Satz
yyrlat tte geht fortan in Deutſch-
and auf. “
Viele Männer altpreußiſchen Sinnes
fanden, wie Sybel hervorhebt, dieſen
und die in letterer ausgesprochenen Ab-
sichten und Pläne des Königs wurden
im übrigen Deutschland einhellig zurück-
gewiesen; der Augenblick ihrer Kun-.
gebung war auch in der That ſo ſchlehtt.
wie nur möglich gewählt. Am 22. März
aus den Reihen des Volkes Gefallenen
am Schloß vorüber. Der König erſchien,
geben, auf dem Balkon und hielt das
E 29. März ward das Ministerium
weiter im liberalen Sinne reorganiſiert,
indem der volkstümliche Rheinländer
irat dann der Vereinigte Landtag in der
Hauptſtadt zuſammen und genehmigte
das von der Regierung vorgeſchlagene
den Nationalverſammlung, welches ganz
versſammlung entsprach. Diese trat am
18. Mai in Frankfurt a. M. zuſammen,
die preußische Nationalverſammlung am
22. Mai in Berlin : die politiſchen Lehr-
jahre für das deutſche Volk waren an-
gebrochen. . ;
In Berlin kam es am 14. Juni zu
gebrochenen Herrſchers ab. Bald nach
10 Uhr vormittags erſchien im Schloſſe
der Bürgermeister Naunyn an der Spitze
einer Abordnung von Magistrat und
Stadtverordneten, teilte dem Könige mit, in der Königs-
Der Groß-Lama von Tibet nnd ſein Kämmerer. (S. 438)
Nach einer Photographie von J. G. Apcar in Kalkutta.
neuen ernſtlichen Unruhen, bei denn
die revolutionäre Masse das Zeughaus
stürmte. Weitere Tumulte am 16. Ok-
tober, die zu blutigen Konflikten zwiſche
, önig Dies geſchah. Die Truppen rückten gegen halb | Arbeitern und Bürgerwehr führten, wiederholte Belêer.
straße habe man bereits mit dem Forträumen der | 12 Uhr unter lautem Hohn der Bevölkerung in ihre digungen der Abgeordneten auf der Straße, die zu hin:.
Barrikaden begonnen, und beschwor ihn, die Truppen | Kaſernen und Quartiere, und bis zum 21. war das | dern die öffentliche Gewalt und die Bürgerwehr sich
zurückzuziehen, dann werde Ruhe und Ordnung ſofort | ganze Militär aus Berlin entfernt. Prinz Wilhelm | als ohnmächtig erwiesen, vermehrten die Sehnſucht neh
vor ihm her ward eine ſchwarz-rot-goldenee.
Umzug und namentlich auch die Pro- 4
klamation mehr würdelos als ergreiſenen.
ging der feierliche Beſtattunggzug de
von Ministern und Adjutanten um- ;
Haupt entblößt, bis die Särge vorüber .
Ludolf Camphauſen statt des Grafen Aer.
nim an die Spitze trat und Hanſemaan
die Finanzen übernahm. Am 2. April
Gesetz zur Berufung einer konstituieren.
dem Wahlgesetz für die deutsche Nationale.