. werden.
Heft 19.
Der Steinerne Mund.
, Roman aus dem Clſaß.
HB. v. Heldrungen. i
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
24. in Vorfall, wie das Verſchwinden des
f Grafen v. Saltern, war nicht nur geeig-
' net, die kleinen Kreiſe der näheren Be-
kannten und Kameraden während einiger
Tage in Aufregung zu halten, sondern er
nahm auch die betreffenden Behörden fort-
geſettt in Anſpruch. Darüber war man
so ziemlich einig, daß Saltern es wenig verſtanden hatte,
ſich beliebt zu machen. Im Gegenteil, bei seinen Unter-
Q ;
Da s B uch f ür Alle.
gebenen war er wegen ſeiner ungemeinen Strenge und
t t tr“ L tt Oi
tu u CO zr ziemlich verbreitet, wenn
auch nicht unbestritten. Selbſtverſtändlich wurden die
Unterſuchungen auch nach dieſer Richtung mit größter
Sorgfalt weitergeführt, aber ſo lange man noch nicht
wußte, was überhaupt aus Saltern geworden war, tappte
man in dieser wie in jeder anderen Richtung voll-
ständig im Dunkeln. Solange man das Schickſal Sal-
terns nicht kannte, solange man nicht sicher wußte, daß
ein Verbrechen an ihm verübt worden war, ſolange war
es auch außerordentlich ſchwierig, nach dem mutmaßlichen
Verbrecher zu ſuchen.
Man unterließ bei diesen Nachforſchungen nichts,
was auch nur im entfernteſten Erfolg verſprach. Der
Telegraph spielte nach allen Richtungen; in Straßburg,
Baſel, Berlin, Potsdam wurden die Behörden sowie
alle Personen, die etwa hätten Auskunft geben können,
von dem Versſchwinden Salterns in Kenntnis gesetz.
Aber was man auch that, geſchah ohne greifbaren Erfolg.
453
_ Unter diesen Umſtänden und besonders um wo mög-
lich Saltern ſelbſt auf die Spur zu kommen, griff man
immer wieder auf den einzigen Zeugen, den man über
die lezten Vorgänge in Salterns Wohnung hatte, auf
JIranz Hobrecht, ſeinen Burſchen, zurück. Alle Tage
mußte Franz vor dem Unterſuchungsrichter Taſchenberg,
der mit der Aufklärung dieser Angelegenheit betraut
worden war, erſcheinen und immer hatte er neue, pein-
lich genaue Verhöre zu bestehen.
Auf dieſe Weiſe erregte die junge Dame in Trauer,
von der Franz natürlich alles, was er wußte, erzählen
mußte, die Aufmerksamkeit des Unterſuchungsrichters.
Wer war diese Dame? In welchen Beziehungen stand sie
zu Saltern? Kein Mensch wußte es. Das war der
letzte Beſuch, den Saltern empfangen hatte. Die An-
nahme, daß er mit ſeinem Verſchwinden in Verbindung
ſtand, lag nahe. Aber auch über jene Dame fehlte jede
Spur. Man wußte, daß ſie noch an demſelben Abend
abgereist ſei, und zwar mit einem Billet nach Straßburg.
Dort ging ihre Spur verloren. In der großen Stadt
fällt der einzelne Reiſende nicht auf. Ein öffentlicher
I2
Das im Haſen von Havana untergegangene nordamerikaniſche Danzerſchiff „Maine“. (S. 451)
Aufruf hatte keinen rechten Zweck. Abgesehen davon,
daß sein Erfolg ein unſicherer war, wollte man auch
dieser unliebſamen, rätſelhaften Angelegenheit nicht
uh größere Verbreitung geben, als sie ohnehin schon
tts: /:.
: Es waren ſchon vier Tage vergangen, seitdem Saltern
aus seiner Wohnung fortgegangen war, und noch wußte
man über seinen Verbleib abſolut nichts.
_ Der Unterſuchungsrichter Taſchenberg saß in ſeinem
Bureau, blätterte in den Akten und wußte keinen Rat.
Was war noch zu thun? Was konnte er noch thun?
Man hatte ihn bedeutet, daß nur im äußerſten Fall
eine Aufsehen erregende, öffentliche Maßregel getroffen
werden sollte. Die Untersuchung sollte mit aller Energie,
aber ohne größere Kreiſe in Aufregung zu versetzen, geführt
Das war ſelbſt für den gewiegten Taſchen-
berg eine ſchwierige Sache. Aus den Fingern ſaugen
konnte er sich die Nachrichten über Saltern auch nicht.
Er hatte daran gedacht, die Braut Salterns, Fräulein
Herrade v. Möngis, über den Fall zu vernehmen. Die
Sache ſah ihm ganz danach aus, als ob irgend eine
Frauenzimmergeſchichte dahinter ſteckte. Die junge Dame
in Trauer, die Braut, das plögliche Verſchwinden des
Bräutigams = alles deutete auf etwas derartiges hin,
und je länger seine Bemühungen reſultatlos verliefen,
um so mehr reifte in ihm der Entſchluß, Fräulein
v. Möngis in ganz unauffälliger Form vorzuladen.
In dieſer Situation trat ein Ereignis ein, das der
Thätigkeit des Richters plöylich ein bestimmteres Ziel
und eine größere Klarheit verlieh. Es war vormittags,
als er an das Telephon des Gerichtsgebäudes gerufen
wurde. Man wollte vom Polizeiant aus mit ihm
rechen.
h yes. Unterſuchungsrichter Taſchenberg, wer dort?"
fragte er in den Apparat hinén. j
„Hier Polizeiamt,“ antwortete eine Stimme. „Herr
Taſchenberg, es geht hier soeben die Nachricht ein, daß
in den Ruinen der Ulrichsburg bei Rappoltsweiler von
Ausflüglern aus Schlettſtadt die Leiche eines Mannes
gefunden worden iſt, die bisher nicht zu rekognoszieren
gewesen ist.“
„Weshalb nicht ?" .
„Der Mann iſt bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Er
iſt anständig gekleidet. Ob ein Raubmord vorliegt oder
ein Unfall oder ein Selbstmord, iſt bisher nicht ermittelt.
Wir machen Ihnen die Mitteilung, weil sie vielleicht
mit dem Fall Saltern, den Sie in Händen haben, im
Zuſammenhang ſteht.“ s..
„Gut. Danke. Werde mich sofort an Ort und Stelle
begeben. Bitte, erteilen Sie nach Rappoltsweiler ent-
sprechende Ordre. Ich treffe mit dem nächsten Zug dort
ein, U “ Zug der Leiche zu veranlassen."
„Wird beſorgt.“ /
„Dante. Shjiuß!" .
Diese Mitteilung gab dem Gedankengang Taſchen-
bergs eine durchaus andere Richtung. Bisher war er
ſehr zu der Annahme geneigt, daß Saltern, überſchuldet,,
wie er war, vielleicht in Differenzen mit seiner Braut
geraten oder sonstwie veranlaßt, mit ihr zu brechen – wie
man so sagt ~ europamüde geworden sei und neuer-
dings über See gegangen ſei, natürlich nicht allein. Die
junge Dame in Trauer, vielleicht eine frühere Geliebte,
war vorgausgefahren, um dann in irgend einem Hafen
mit ihm zuſammenzutreffen. Wenn aber der Mann, der
in der Ulrichsburg gefunden worden, Saltern. war, er-
hielt die ganze Geſchichte natürlich ein anderes Gesicht.
Dann lag seiner Meinung nach unbedingt ein Verbrechen
vor, denn ein Selbstmörder beſtellt nicht sein Abendessen
auf zehn Uhr abends, wenn er fortgeht, um nicht wieder
Heft 19.
Der Steinerne Mund.
, Roman aus dem Clſaß.
HB. v. Heldrungen. i
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
24. in Vorfall, wie das Verſchwinden des
f Grafen v. Saltern, war nicht nur geeig-
' net, die kleinen Kreiſe der näheren Be-
kannten und Kameraden während einiger
Tage in Aufregung zu halten, sondern er
nahm auch die betreffenden Behörden fort-
geſettt in Anſpruch. Darüber war man
so ziemlich einig, daß Saltern es wenig verſtanden hatte,
ſich beliebt zu machen. Im Gegenteil, bei seinen Unter-
Q ;
Da s B uch f ür Alle.
gebenen war er wegen ſeiner ungemeinen Strenge und
t t tr“ L tt Oi
tu u CO zr ziemlich verbreitet, wenn
auch nicht unbestritten. Selbſtverſtändlich wurden die
Unterſuchungen auch nach dieſer Richtung mit größter
Sorgfalt weitergeführt, aber ſo lange man noch nicht
wußte, was überhaupt aus Saltern geworden war, tappte
man in dieser wie in jeder anderen Richtung voll-
ständig im Dunkeln. Solange man das Schickſal Sal-
terns nicht kannte, solange man nicht sicher wußte, daß
ein Verbrechen an ihm verübt worden war, ſolange war
es auch außerordentlich ſchwierig, nach dem mutmaßlichen
Verbrecher zu ſuchen.
Man unterließ bei diesen Nachforſchungen nichts,
was auch nur im entfernteſten Erfolg verſprach. Der
Telegraph spielte nach allen Richtungen; in Straßburg,
Baſel, Berlin, Potsdam wurden die Behörden sowie
alle Personen, die etwa hätten Auskunft geben können,
von dem Versſchwinden Salterns in Kenntnis gesetz.
Aber was man auch that, geſchah ohne greifbaren Erfolg.
453
_ Unter diesen Umſtänden und besonders um wo mög-
lich Saltern ſelbſt auf die Spur zu kommen, griff man
immer wieder auf den einzigen Zeugen, den man über
die lezten Vorgänge in Salterns Wohnung hatte, auf
JIranz Hobrecht, ſeinen Burſchen, zurück. Alle Tage
mußte Franz vor dem Unterſuchungsrichter Taſchenberg,
der mit der Aufklärung dieser Angelegenheit betraut
worden war, erſcheinen und immer hatte er neue, pein-
lich genaue Verhöre zu bestehen.
Auf dieſe Weiſe erregte die junge Dame in Trauer,
von der Franz natürlich alles, was er wußte, erzählen
mußte, die Aufmerksamkeit des Unterſuchungsrichters.
Wer war diese Dame? In welchen Beziehungen stand sie
zu Saltern? Kein Mensch wußte es. Das war der
letzte Beſuch, den Saltern empfangen hatte. Die An-
nahme, daß er mit ſeinem Verſchwinden in Verbindung
ſtand, lag nahe. Aber auch über jene Dame fehlte jede
Spur. Man wußte, daß ſie noch an demſelben Abend
abgereist ſei, und zwar mit einem Billet nach Straßburg.
Dort ging ihre Spur verloren. In der großen Stadt
fällt der einzelne Reiſende nicht auf. Ein öffentlicher
I2
Das im Haſen von Havana untergegangene nordamerikaniſche Danzerſchiff „Maine“. (S. 451)
Aufruf hatte keinen rechten Zweck. Abgesehen davon,
daß sein Erfolg ein unſicherer war, wollte man auch
dieser unliebſamen, rätſelhaften Angelegenheit nicht
uh größere Verbreitung geben, als sie ohnehin schon
tts: /:.
: Es waren ſchon vier Tage vergangen, seitdem Saltern
aus seiner Wohnung fortgegangen war, und noch wußte
man über seinen Verbleib abſolut nichts.
_ Der Unterſuchungsrichter Taſchenberg saß in ſeinem
Bureau, blätterte in den Akten und wußte keinen Rat.
Was war noch zu thun? Was konnte er noch thun?
Man hatte ihn bedeutet, daß nur im äußerſten Fall
eine Aufsehen erregende, öffentliche Maßregel getroffen
werden sollte. Die Untersuchung sollte mit aller Energie,
aber ohne größere Kreiſe in Aufregung zu versetzen, geführt
Das war ſelbſt für den gewiegten Taſchen-
berg eine ſchwierige Sache. Aus den Fingern ſaugen
konnte er sich die Nachrichten über Saltern auch nicht.
Er hatte daran gedacht, die Braut Salterns, Fräulein
Herrade v. Möngis, über den Fall zu vernehmen. Die
Sache ſah ihm ganz danach aus, als ob irgend eine
Frauenzimmergeſchichte dahinter ſteckte. Die junge Dame
in Trauer, die Braut, das plögliche Verſchwinden des
Bräutigams = alles deutete auf etwas derartiges hin,
und je länger seine Bemühungen reſultatlos verliefen,
um so mehr reifte in ihm der Entſchluß, Fräulein
v. Möngis in ganz unauffälliger Form vorzuladen.
In dieſer Situation trat ein Ereignis ein, das der
Thätigkeit des Richters plöylich ein bestimmteres Ziel
und eine größere Klarheit verlieh. Es war vormittags,
als er an das Telephon des Gerichtsgebäudes gerufen
wurde. Man wollte vom Polizeiant aus mit ihm
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h yes. Unterſuchungsrichter Taſchenberg, wer dort?"
fragte er in den Apparat hinén. j
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Taſchenberg, es geht hier soeben die Nachricht ein, daß
in den Ruinen der Ulrichsburg bei Rappoltsweiler von
Ausflüglern aus Schlettſtadt die Leiche eines Mannes
gefunden worden iſt, die bisher nicht zu rekognoszieren
gewesen ist.“
„Weshalb nicht ?" .
„Der Mann iſt bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Er
iſt anständig gekleidet. Ob ein Raubmord vorliegt oder
ein Unfall oder ein Selbstmord, iſt bisher nicht ermittelt.
Wir machen Ihnen die Mitteilung, weil sie vielleicht
mit dem Fall Saltern, den Sie in Händen haben, im
Zuſammenhang ſteht.“ s..
„Gut. Danke. Werde mich sofort an Ort und Stelle
begeben. Bitte, erteilen Sie nach Rappoltsweiler ent-
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„Wird beſorgt.“ /
„Dante. Shjiuß!" .
Diese Mitteilung gab dem Gedankengang Taſchen-
bergs eine durchaus andere Richtung. Bisher war er
ſehr zu der Annahme geneigt, daß Saltern, überſchuldet,,
wie er war, vielleicht in Differenzen mit seiner Braut
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man so sagt ~ europamüde geworden sei und neuer-
dings über See gegangen ſei, natürlich nicht allein. Die
junge Dame in Trauer, vielleicht eine frühere Geliebte,
war vorgausgefahren, um dann in irgend einem Hafen
mit ihm zuſammenzutreffen. Wenn aber der Mann, der
in der Ulrichsburg gefunden worden, Saltern. war, er-
hielt die ganze Geſchichte natürlich ein anderes Gesicht.
Dann lag seiner Meinung nach unbedingt ein Verbrechen
vor, denn ein Selbstmörder beſtellt nicht sein Abendessen
auf zehn Uhr abends, wenn er fortgeht, um nicht wieder