Heft 20.
Da s Buc< füx Alle.
463
LKein Aber, Sir, wenn ich bitten darf. Sie haben
mir soeben zugeſtanden, daß meine Kunſt vollkommen
sei. Damit iſt der Teil unseres Kontraktes, welcher
von meinen Pflichten handelt, erfüllt, und wenn die
Einnahmen trotdem zu wünſchen übrig laſſen, ſo werden
Sie gut thun, den Grund in Jhren eigenen Veran-
ſtaltungen oder ~ und das ſcheint mir das Richtigere
~ in dem mangelhaften Kunſtverſtändnis des New
Yorker Publikums zu ſuchen.“ ;
„Miß Vardelli, “ rief der Impresario entsetzt, „ich
flehe Sie an, laſſen Sie ein derartiges Urteil weder
hier im Caſthofe noch an irgend einem anderen Orte
hören, sonst iſt unser ganzes amerikaniſches Geſchäft
vorbei. Sie befinden ſich aber auch thatſächlich dem
New Yorker Publikum gegenüber im Unrecht. Der
Amerikaner iſt ein paſſionierter Kunstfreund, er iſt auch
nicht kleinlich genug, sich von einem künſtleriſchen Ge-
nuß zurückſchrecken zu laſſen, weil etwa die Preise der
Plätze um ein paar Dollars erhöht sind, er zahlt be-
reitwillig. Er beſittt indeſſen bezüglich seiner Fähig-
keit, ſich für einen Künſtler zu begeistern, eine aus-
geſprochene Eigentümlichkeit: er will zuerst für die
Perſönlichkeit intereſſiert sein, dann erſt wünſcht er die
Kunſt derselben kennen zu lernen.“
„Also gerade umgekehrt, wie dieſe Dinge ſich in
Europa ereignen,“ sagte die Sängerin, während ihre
weißen, zarten Hände in nervöſer Unbewußtheit sich
mit dem kostbaren Inhalt ihres vor ihr ſtehenden
Schmuckkäſtchens zu ſchasffen machten. „Drüben nimmt
man das Können entgegen, und wenn es eine künſt-
leriſche Individualität verrät, erst dann beschäftigt man
ſich mit der Perſönlichkeit. Doch ich ahne bereits, wo
Sie hinaus wollen, Mr. Arbuckle. Sie variieren das
alte Thema von der Reklame !“
Der Impreſario rieb sich vergnügt ſeinen blanken
Gulſtav v. Struve.
Nach einer Abbildung in der Illuſtrirten Zeitung 1848.
Schädel. „Es freut mich, daß Sie mich verstanden
haben,“ rief er, „Reklame! Advertisement! Das iſt
in der That das ganze Geheimnis des amerikaniſchen
Erfolges. Will ein Künstler hier ein Kassenmagnet
werden, ſo muß das Publikum früh morgens beim An-
ziehen der Schuhe ſeinen gedruckten Namen in der
Spitze des einen finden, beim Frühſlück ihn in der
Zeitung wieder und immer wieder leſen, bei der Aus-
fahrt muß ihm dieser Name von allen Mauern und
Dächern entgegenleuchten, beim Mittagessen mag er ihn
unter seinem Teller finden, beim Abendbrot von einem
seiner Tiſchgenoſſen hören, daß das Vardelliparfum
das feinste, die Vardelliseife für den Teint die ge-
sündeſte, und daß Vardellikrawatten oder - Hüte die mo-
dernſten seien. Kurz vor dem Zubettegehen muß er
beim Leſen seiner Abendzeitung, die natürlich ebenfalls
von Lobpreiſungen der Künſtlerin überfließt, durch die
. alarmierenten Rufe der Zeitungsjungen gestört werden,
welche ein Extrablatt ausbieten mit dem Schlagwort:
Drei Menſchen ſchwerverletzt vor der Kaſſe des Metro-
politanopernhauſes bei Beginn des Gaſtſpiels der be-
rühmten Sängerin Vardellil Ja, ſehen Sie, Ver-
ehrteſte, wenn der Yankee dann unwillig vom Fenster
zurücktritt und sich zur Ruhe begiebt, nur um nicht
noch länger von dieſem entsetzlich beharrlichen Namen
verfolgt zu werden, dann dürfen Sie ganz ſicher sein,
! z} itte in her yer se ar. jeit
alſo nur noch die Möglichkeit, dem Unglüctklichen jenen
schrecklichen Namen auch noch in seinen Träumen er-
ſcheinen zu laſſen, “ rief sie.
„Wird auch noch erfunden werden,“ erwiderte der
Impresſario. „Doch nun ernsthaft zu unserem Geschäft!
Verehrtesſte, Ihnen passiert entſetzlich wenig !“
Die Vardelli erhob ſich, ging zum Flügel und ſchlug
. ein paar Takte an. „Ja, was ſoll mir denn passieren?"
fragte sie, „ich kann mich doch nicht Ihrer Reklame
zuliebe auf der fünsten Avenue überfahren lassen oder
vom Balkon des Hotels herabſtürzen. Auch fällt mir
leider nicht die geringſte Millionenerbſchaft zu, und
keine Dame der berühmten New Yorker Vierhundert
begeht einen Selbſtmordverſuch, weil sie etwa auf mich
eifersüchtig wäre. Das sind ja wohl die beliebtesten
Abenteuer, welche Primadonnen und Stars in Amerika
g! Arbuckle seufzte, ſinnend betrachtete er seinen
ipiegglaletin bzli ct. ctia sein, Madame,“ sagte er
endlich, „ich muß es sein, denn Sie wissen, was für
mich auf dem Spiele ſteht. Ich habe Sie ~ verzeihen
Sie das Wort + importiert, ich führe Sie von New
York bis San Francisco, alle Vorbereitungen ſind ge-
troffen, ich habe ein Vermögen vorausgabt in der
Hoffnung, zwei zu verdienen ~ eines für Sie, das
andere für mich. Alles ginge auch sſo weit nach Wunſch,
Sie singen wie eine Nachtigall, aber Sie führen auch
das Leben eines ſcheuen Vögleins, welches kaum sein
Nest zu verlaſſen wagt. Sie zeigen sich nicht in der
Welt, Sie beſchränken Ihren Verkehr auf die notwen-
digsten Besuche, ja, ich habe sogar bemerkt, daß Sie
ſich während der Wagenfahrten zum Theater und von
diesem zurück ins Hotel mit einer offenbaren Absicht-
lichkeit in die Polster zurücklehnen und es vermeiden,
sich an den Glasſcheiben der Kutſche zu zeigen. ~
Spreche ich die Wahrheit oder nicht?"
„Sie ſprechen die Wahrheit, Mr. Arbuckle.“
„Aber, verehrteſte Signora, das iſt nicht der Weg,
ein amerikaniſches Geschäft einzuleiten! Sogar in den
Notizen für die Preſsſe beſchränken Sie mich in geradezu
grauſamer Weise. Nichts iſt dem Publikum inter-
eſſanter, als nett und feſſelnd geschriebene Mitteilungen
über das Vorleben einer berühmten Künſtlerin. Und
das Ihrige entbehrt ja in der That nicht des Reizes
der Romantik. Ach, wenn ich den Leuten doch nur
einmal erzählen könnte, daß der Name Maria Vardelli
nur ein willkürlich angenommener iſt, daß ſich unter
demselben eine deutſche Baronin verbirgt, daß eine un-
glüstithe. kurze Ehe – –~©
„Mtr.
nicht fortzuſeßen! Ich heiße Maria Vardelli, vergeſſen
Sie das nicht. Es iſt der Name, unter welchem ich
mir meinen Künſtlerruhm erworben, unter welchem ich
in die Oeffentlichkeit getreten bin. Was srüher gewesen,
iſt weder Ihre Sache noch die des Publikums, und an
| demſelben Tage, an welchem derartige mich berührende
Indiskretionen die Preſſe erreichen, werde ich meine
| Kofser packen laſſen und Schiffskarten beſtellen.“
„D, das wäre unmöglich, Madame, wir besitzen
einen Kontrakt, “ rief der Impreſsario.
„Ah, richtig – der Kontrakt! Aber wirklich, ich
spüre seit Tagen eine Schwäche des linken Stimm-
bandes, und falls eine dauernde Heiserkeit – –
„Eine dauernde Heiſerkeit!“ stammelte der Ameri-
faner. „Madame, Sie werden mit mir in jeder Be-
ziehung zufrieden sein –~ nur das nicht, nur nicht
dauernde Heiſerkeit!“ Er war in der That bleich ge-
worden, dieser sonst so ruhige Yankee.
Die Züge der Sängerin klärten ſich wieder auf.
Sie reichte freundlich Arbuckle die Hand. „Keine Sorge,
werter Freund. Hören Sie nur, wie heiſer ich bin.“
Und sie ließ die Skala emporſteigen und niederrauſchen,
daß es anzuhören war wie das Klingen von Glocken.
Der Impreſario äußerte Entzücken und Bewunde-
rung. „Sie werden morgen abend als Elsa einen
noch nicht dageweſenen Triumph feiern,“ rief er, „diese
herrliche, nie ermüdende Stimme und dieſe Erſcheinung,
welche Wagner geradezu vorgeſchwebt haben muß, als
er die rührende Gestalt ſchuf !“
Die Sängerin hob siegesbewußt das blonde Haupt.
„Ich werde mich auch morgen abend mit besonderer
Sorgfalt schmücken,“ rief ſie und beugte sich tief auf
ihren Schmuckkaſten herab. Betrachten Sie dieses
Perlenha'sband. Jede dieser mattweißen Perlen der
fünf Reihen iſt erlesen schön und rein. Ich habe dieſen
Schmuck lange ~ lange nicht getragen. Morgen will
ich ihn wieder zum erſtenmal anlegen !“
Marias Stimme hatte ihre frühere Sicherheit ver-
loren, ihre Blicke verſchleierten sich, in den langen
dunklen Wimpern glänzten Thränen.
Der Impreſario bemerkte von alledem nichts, er
war ganz in den Anblick des kostbaren Perlenbandes
pcriyslet. und hinter seiner Stirne flogen die Ge-
anken.
„Ein herrlicher Schmuck,“ sagte er zerſtreut, „er
wird Aufsehen erregen, selbſt hier in New York, wo
man in Toiletten und Brillanten einen Paris über-
treffenden Auſwand treibt. Uebrigens + ſind Sie auch
genügend vorsichtig mit Ihren Schätzen, damit ſie
Ihnen nicht abhanden kommen können? Das Personal
des Gaſthofes ist zwar bewährt, indeſſen derartige Koſt-
barkeiten erſchüttern oft die ſolideſten Grundsätze. Ü
„Mein Schmuckkasſten bleibt auf diesem Tiſch ſtehen, “
antwortete Maria, „auch während der Nacht, er wird
verſchloſſen, und sein Aeußeres iſt, wie Sie ſehen, ganz
unscheinbar. Ich habe die Erfahrung für mich, daß
diese scheinbare Sorglosigkeit ihn beſſer beschützt, als
wenn ich den Kasten unter meinem Lager verberge oder
in einem Schranke des Zimmers verſchlöſſe, denn für
Arbuckle, ich bitte Sie, Ihre Ausführungen |
dieſe besitzen die Angestellten des Gasthofes gewiß Nach-
ſchlüſſel. Ferner ſchlafe ich im anſtoßenden Zimmer,
mein Schlummer iſt ſehr leiſe, und ein Ruf von mir
würde meine Zofe ſofort erwecken. “
„Sie mögen recht haben, Madame, lassen Sie den
Kasten ruhig an ſeinem bisherigen Plaz. – Und nun
erlauben Sie, daß ich mich zurückziehe. Ich hoffe, wir
werden morgen abend ein ausverkauſtes Haus haben,
ja, das hoſfe ich zuversichtlich !“
Mr. Arbuckle ging. Er eilte die teppichbelegte
Treppe des Gasthofes, die Bequemlichkeit des Aufzuges
verſchmähend, mit der jugendlichen Schnelligkeit eines
Zwanzigjährigen hinab. Aus seinen Augen lugte der
Schalk hervor.
.. y Es iſt zwar ſchon dagewesen, “ ſagte er zu sich ſelbst
in lautloſem Gespräch, „aber auf das Wie kommt
doch alles an. Ic will es mit einer Echtheit und
Naturtreue in Scene ſeyen, welche auch die geriebensten
Reporter täuſchen ſoll. Das giebt eine ganze Spalte
für die Morgenblätter, mit Illuſtrationen ~ eine vor-
treffliche Reklame ~ ich wette!“
2
Cs war gegen neun Uhr abends. Die Bowery
hatte längſt ihre nächtliche Phyſiognomie angenommen,
was für dieſe bekanntlich überaus belebte und keines-
wegs gut beleumundete Verkehrsader New Yorks das
Gegenteil bedeutete im Vergleich mit anderen Gegen-
Friedrich Hecker.
Nach einer gleichzeitigen Adbildung.
den oder Straßen der Stadt. Die Bowery war nicht
schlafen gegangen, sie war erwacht. Vor den volkstüm-
lichen Theatern, Muſeen und Schaubuden ſtrahlten die
Lichter und erhellten die ſtockwerkhohen Rieſenplakate,
welche vielfarbig die hauptsſächlichſten Sehenswürdig-
keiten in packenden Bildern wiedergaben, aus den Kon-
zerthallen erſcholl Muſik und Gesang, und durch die
Spiegelscheiben der „Saloons“ hindurch ſah man Männer
vor den Schenktiſchen Kopf an Kopf gedrängt, und wenn
die Thüren ſich öffneten, drang zugleich mit rohen
Scherzen, Flüchen, Lachen und Schreien eine widerliche
Mischung von Whiskyduft, Tabaksqualm und Braten-
geruch in die klare, kalte Winterluft hinaus.
Af beiden Seiten der Bowery wogte eine kaum
überſehbare Menschenmenge, Fuhrwerke aller Art er-
füllten in wirrem Durcheinander die Zwiſchenſtraße,
und mitten in diesem Getümmel bewegten sich die Hau-
sierer mit ihrem vielgestaltigen Kram, die Zeitungs-
jungen, die Reklameverteiler und ~ in zahlreichen
Exemplaren vertreten ~ der ſeinen Knüppel ſchwingende
Poliziſt, welcher ſicherlich mindeſtens täglich einmal
heimlich die Stunde verwünſchte, in der das Haupt-
quartier ihn in den heilloſen Bowerybezirk versetzt
hatte. Denn dort giebt es Arbeit in Fülle, und der
Mann des Geſetes iſt niemals ſicher, bei Gelegenheit
ein paar blaue Bohnen als Lohn seiner Thätigkeit da-
vonzutragen. Ueber diesen Hexenſabbath aber fuhren
puſtend, raſſelnd und klirrend die Züge der Hochbahn
dahin, und der Lampenschein ihrer ſchtangenartigen
Wagenreihen huſchte, Irrlichtern gleich, zitternd vor-
über, und unten dehnte sich der rieſige Sumpf.
In einen warmen Mantel gehüllt, einen breitran-
digen Filzhut in die Stirn gedrückt, schwamm Mr.
Arbuckle rüſtig durch die Wogen der Vollsmenge und
Da s Buc< füx Alle.
463
LKein Aber, Sir, wenn ich bitten darf. Sie haben
mir soeben zugeſtanden, daß meine Kunſt vollkommen
sei. Damit iſt der Teil unseres Kontraktes, welcher
von meinen Pflichten handelt, erfüllt, und wenn die
Einnahmen trotdem zu wünſchen übrig laſſen, ſo werden
Sie gut thun, den Grund in Jhren eigenen Veran-
ſtaltungen oder ~ und das ſcheint mir das Richtigere
~ in dem mangelhaften Kunſtverſtändnis des New
Yorker Publikums zu ſuchen.“ ;
„Miß Vardelli, “ rief der Impresario entsetzt, „ich
flehe Sie an, laſſen Sie ein derartiges Urteil weder
hier im Caſthofe noch an irgend einem anderen Orte
hören, sonst iſt unser ganzes amerikaniſches Geſchäft
vorbei. Sie befinden ſich aber auch thatſächlich dem
New Yorker Publikum gegenüber im Unrecht. Der
Amerikaner iſt ein paſſionierter Kunstfreund, er iſt auch
nicht kleinlich genug, sich von einem künſtleriſchen Ge-
nuß zurückſchrecken zu laſſen, weil etwa die Preise der
Plätze um ein paar Dollars erhöht sind, er zahlt be-
reitwillig. Er beſittt indeſſen bezüglich seiner Fähig-
keit, ſich für einen Künſtler zu begeistern, eine aus-
geſprochene Eigentümlichkeit: er will zuerst für die
Perſönlichkeit intereſſiert sein, dann erſt wünſcht er die
Kunſt derselben kennen zu lernen.“
„Also gerade umgekehrt, wie dieſe Dinge ſich in
Europa ereignen,“ sagte die Sängerin, während ihre
weißen, zarten Hände in nervöſer Unbewußtheit sich
mit dem kostbaren Inhalt ihres vor ihr ſtehenden
Schmuckkäſtchens zu ſchasffen machten. „Drüben nimmt
man das Können entgegen, und wenn es eine künſt-
leriſche Individualität verrät, erst dann beschäftigt man
ſich mit der Perſönlichkeit. Doch ich ahne bereits, wo
Sie hinaus wollen, Mr. Arbuckle. Sie variieren das
alte Thema von der Reklame !“
Der Impreſario rieb sich vergnügt ſeinen blanken
Gulſtav v. Struve.
Nach einer Abbildung in der Illuſtrirten Zeitung 1848.
Schädel. „Es freut mich, daß Sie mich verstanden
haben,“ rief er, „Reklame! Advertisement! Das iſt
in der That das ganze Geheimnis des amerikaniſchen
Erfolges. Will ein Künstler hier ein Kassenmagnet
werden, ſo muß das Publikum früh morgens beim An-
ziehen der Schuhe ſeinen gedruckten Namen in der
Spitze des einen finden, beim Frühſlück ihn in der
Zeitung wieder und immer wieder leſen, bei der Aus-
fahrt muß ihm dieser Name von allen Mauern und
Dächern entgegenleuchten, beim Mittagessen mag er ihn
unter seinem Teller finden, beim Abendbrot von einem
seiner Tiſchgenoſſen hören, daß das Vardelliparfum
das feinste, die Vardelliseife für den Teint die ge-
sündeſte, und daß Vardellikrawatten oder - Hüte die mo-
dernſten seien. Kurz vor dem Zubettegehen muß er
beim Leſen seiner Abendzeitung, die natürlich ebenfalls
von Lobpreiſungen der Künſtlerin überfließt, durch die
. alarmierenten Rufe der Zeitungsjungen gestört werden,
welche ein Extrablatt ausbieten mit dem Schlagwort:
Drei Menſchen ſchwerverletzt vor der Kaſſe des Metro-
politanopernhauſes bei Beginn des Gaſtſpiels der be-
rühmten Sängerin Vardellil Ja, ſehen Sie, Ver-
ehrteſte, wenn der Yankee dann unwillig vom Fenster
zurücktritt und sich zur Ruhe begiebt, nur um nicht
noch länger von dieſem entsetzlich beharrlichen Namen
verfolgt zu werden, dann dürfen Sie ganz ſicher sein,
! z} itte in her yer se ar. jeit
alſo nur noch die Möglichkeit, dem Unglüctklichen jenen
schrecklichen Namen auch noch in seinen Träumen er-
ſcheinen zu laſſen, “ rief sie.
„Wird auch noch erfunden werden,“ erwiderte der
Impresſario. „Doch nun ernsthaft zu unserem Geschäft!
Verehrtesſte, Ihnen passiert entſetzlich wenig !“
Die Vardelli erhob ſich, ging zum Flügel und ſchlug
. ein paar Takte an. „Ja, was ſoll mir denn passieren?"
fragte sie, „ich kann mich doch nicht Ihrer Reklame
zuliebe auf der fünsten Avenue überfahren lassen oder
vom Balkon des Hotels herabſtürzen. Auch fällt mir
leider nicht die geringſte Millionenerbſchaft zu, und
keine Dame der berühmten New Yorker Vierhundert
begeht einen Selbſtmordverſuch, weil sie etwa auf mich
eifersüchtig wäre. Das sind ja wohl die beliebtesten
Abenteuer, welche Primadonnen und Stars in Amerika
g! Arbuckle seufzte, ſinnend betrachtete er seinen
ipiegglaletin bzli ct. ctia sein, Madame,“ sagte er
endlich, „ich muß es sein, denn Sie wissen, was für
mich auf dem Spiele ſteht. Ich habe Sie ~ verzeihen
Sie das Wort + importiert, ich führe Sie von New
York bis San Francisco, alle Vorbereitungen ſind ge-
troffen, ich habe ein Vermögen vorausgabt in der
Hoffnung, zwei zu verdienen ~ eines für Sie, das
andere für mich. Alles ginge auch sſo weit nach Wunſch,
Sie singen wie eine Nachtigall, aber Sie führen auch
das Leben eines ſcheuen Vögleins, welches kaum sein
Nest zu verlaſſen wagt. Sie zeigen sich nicht in der
Welt, Sie beſchränken Ihren Verkehr auf die notwen-
digsten Besuche, ja, ich habe sogar bemerkt, daß Sie
ſich während der Wagenfahrten zum Theater und von
diesem zurück ins Hotel mit einer offenbaren Absicht-
lichkeit in die Polster zurücklehnen und es vermeiden,
sich an den Glasſcheiben der Kutſche zu zeigen. ~
Spreche ich die Wahrheit oder nicht?"
„Sie ſprechen die Wahrheit, Mr. Arbuckle.“
„Aber, verehrteſte Signora, das iſt nicht der Weg,
ein amerikaniſches Geschäft einzuleiten! Sogar in den
Notizen für die Preſsſe beſchränken Sie mich in geradezu
grauſamer Weise. Nichts iſt dem Publikum inter-
eſſanter, als nett und feſſelnd geschriebene Mitteilungen
über das Vorleben einer berühmten Künſtlerin. Und
das Ihrige entbehrt ja in der That nicht des Reizes
der Romantik. Ach, wenn ich den Leuten doch nur
einmal erzählen könnte, daß der Name Maria Vardelli
nur ein willkürlich angenommener iſt, daß ſich unter
demselben eine deutſche Baronin verbirgt, daß eine un-
glüstithe. kurze Ehe – –~©
„Mtr.
nicht fortzuſeßen! Ich heiße Maria Vardelli, vergeſſen
Sie das nicht. Es iſt der Name, unter welchem ich
mir meinen Künſtlerruhm erworben, unter welchem ich
in die Oeffentlichkeit getreten bin. Was srüher gewesen,
iſt weder Ihre Sache noch die des Publikums, und an
| demſelben Tage, an welchem derartige mich berührende
Indiskretionen die Preſſe erreichen, werde ich meine
| Kofser packen laſſen und Schiffskarten beſtellen.“
„D, das wäre unmöglich, Madame, wir besitzen
einen Kontrakt, “ rief der Impreſsario.
„Ah, richtig – der Kontrakt! Aber wirklich, ich
spüre seit Tagen eine Schwäche des linken Stimm-
bandes, und falls eine dauernde Heiserkeit – –
„Eine dauernde Heiſerkeit!“ stammelte der Ameri-
faner. „Madame, Sie werden mit mir in jeder Be-
ziehung zufrieden sein –~ nur das nicht, nur nicht
dauernde Heiſerkeit!“ Er war in der That bleich ge-
worden, dieser sonst so ruhige Yankee.
Die Züge der Sängerin klärten ſich wieder auf.
Sie reichte freundlich Arbuckle die Hand. „Keine Sorge,
werter Freund. Hören Sie nur, wie heiſer ich bin.“
Und sie ließ die Skala emporſteigen und niederrauſchen,
daß es anzuhören war wie das Klingen von Glocken.
Der Impreſario äußerte Entzücken und Bewunde-
rung. „Sie werden morgen abend als Elsa einen
noch nicht dageweſenen Triumph feiern,“ rief er, „diese
herrliche, nie ermüdende Stimme und dieſe Erſcheinung,
welche Wagner geradezu vorgeſchwebt haben muß, als
er die rührende Gestalt ſchuf !“
Die Sängerin hob siegesbewußt das blonde Haupt.
„Ich werde mich auch morgen abend mit besonderer
Sorgfalt schmücken,“ rief ſie und beugte sich tief auf
ihren Schmuckkaſten herab. Betrachten Sie dieses
Perlenha'sband. Jede dieser mattweißen Perlen der
fünf Reihen iſt erlesen schön und rein. Ich habe dieſen
Schmuck lange ~ lange nicht getragen. Morgen will
ich ihn wieder zum erſtenmal anlegen !“
Marias Stimme hatte ihre frühere Sicherheit ver-
loren, ihre Blicke verſchleierten sich, in den langen
dunklen Wimpern glänzten Thränen.
Der Impreſario bemerkte von alledem nichts, er
war ganz in den Anblick des kostbaren Perlenbandes
pcriyslet. und hinter seiner Stirne flogen die Ge-
anken.
„Ein herrlicher Schmuck,“ sagte er zerſtreut, „er
wird Aufsehen erregen, selbſt hier in New York, wo
man in Toiletten und Brillanten einen Paris über-
treffenden Auſwand treibt. Uebrigens + ſind Sie auch
genügend vorsichtig mit Ihren Schätzen, damit ſie
Ihnen nicht abhanden kommen können? Das Personal
des Gaſthofes ist zwar bewährt, indeſſen derartige Koſt-
barkeiten erſchüttern oft die ſolideſten Grundsätze. Ü
„Mein Schmuckkasſten bleibt auf diesem Tiſch ſtehen, “
antwortete Maria, „auch während der Nacht, er wird
verſchloſſen, und sein Aeußeres iſt, wie Sie ſehen, ganz
unscheinbar. Ich habe die Erfahrung für mich, daß
diese scheinbare Sorglosigkeit ihn beſſer beschützt, als
wenn ich den Kasten unter meinem Lager verberge oder
in einem Schranke des Zimmers verſchlöſſe, denn für
Arbuckle, ich bitte Sie, Ihre Ausführungen |
dieſe besitzen die Angestellten des Gasthofes gewiß Nach-
ſchlüſſel. Ferner ſchlafe ich im anſtoßenden Zimmer,
mein Schlummer iſt ſehr leiſe, und ein Ruf von mir
würde meine Zofe ſofort erwecken. “
„Sie mögen recht haben, Madame, lassen Sie den
Kasten ruhig an ſeinem bisherigen Plaz. – Und nun
erlauben Sie, daß ich mich zurückziehe. Ich hoffe, wir
werden morgen abend ein ausverkauſtes Haus haben,
ja, das hoſfe ich zuversichtlich !“
Mr. Arbuckle ging. Er eilte die teppichbelegte
Treppe des Gasthofes, die Bequemlichkeit des Aufzuges
verſchmähend, mit der jugendlichen Schnelligkeit eines
Zwanzigjährigen hinab. Aus seinen Augen lugte der
Schalk hervor.
.. y Es iſt zwar ſchon dagewesen, “ ſagte er zu sich ſelbst
in lautloſem Gespräch, „aber auf das Wie kommt
doch alles an. Ic will es mit einer Echtheit und
Naturtreue in Scene ſeyen, welche auch die geriebensten
Reporter täuſchen ſoll. Das giebt eine ganze Spalte
für die Morgenblätter, mit Illuſtrationen ~ eine vor-
treffliche Reklame ~ ich wette!“
2
Cs war gegen neun Uhr abends. Die Bowery
hatte längſt ihre nächtliche Phyſiognomie angenommen,
was für dieſe bekanntlich überaus belebte und keines-
wegs gut beleumundete Verkehrsader New Yorks das
Gegenteil bedeutete im Vergleich mit anderen Gegen-
Friedrich Hecker.
Nach einer gleichzeitigen Adbildung.
den oder Straßen der Stadt. Die Bowery war nicht
schlafen gegangen, sie war erwacht. Vor den volkstüm-
lichen Theatern, Muſeen und Schaubuden ſtrahlten die
Lichter und erhellten die ſtockwerkhohen Rieſenplakate,
welche vielfarbig die hauptsſächlichſten Sehenswürdig-
keiten in packenden Bildern wiedergaben, aus den Kon-
zerthallen erſcholl Muſik und Gesang, und durch die
Spiegelscheiben der „Saloons“ hindurch ſah man Männer
vor den Schenktiſchen Kopf an Kopf gedrängt, und wenn
die Thüren ſich öffneten, drang zugleich mit rohen
Scherzen, Flüchen, Lachen und Schreien eine widerliche
Mischung von Whiskyduft, Tabaksqualm und Braten-
geruch in die klare, kalte Winterluft hinaus.
Af beiden Seiten der Bowery wogte eine kaum
überſehbare Menschenmenge, Fuhrwerke aller Art er-
füllten in wirrem Durcheinander die Zwiſchenſtraße,
und mitten in diesem Getümmel bewegten sich die Hau-
sierer mit ihrem vielgestaltigen Kram, die Zeitungs-
jungen, die Reklameverteiler und ~ in zahlreichen
Exemplaren vertreten ~ der ſeinen Knüppel ſchwingende
Poliziſt, welcher ſicherlich mindeſtens täglich einmal
heimlich die Stunde verwünſchte, in der das Haupt-
quartier ihn in den heilloſen Bowerybezirk versetzt
hatte. Denn dort giebt es Arbeit in Fülle, und der
Mann des Geſetes iſt niemals ſicher, bei Gelegenheit
ein paar blaue Bohnen als Lohn seiner Thätigkeit da-
vonzutragen. Ueber diesen Hexenſabbath aber fuhren
puſtend, raſſelnd und klirrend die Züge der Hochbahn
dahin, und der Lampenschein ihrer ſchtangenartigen
Wagenreihen huſchte, Irrlichtern gleich, zitternd vor-
über, und unten dehnte sich der rieſige Sumpf.
In einen warmen Mantel gehüllt, einen breitran-
digen Filzhut in die Stirn gedrückt, schwamm Mr.
Arbuckle rüſtig durch die Wogen der Vollsmenge und