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590)

D a s B u < f ür A lde.

û heft #5:



folgte ſie ihm. In ihrem Himmer angelangt, verſchloß
er die Thür sorgfältig, während sie kraftlos in einen
Seſſel sank, beide Hände vor das Gesicht ſchlug und
still weinte. Die Hände in die Taſchen verſenkt, stand

er vor ihr und blickte ſie lange ſchweigend an, bis er

ihr plötlich die Hand leiſe auf die Schulter legte.
„Meine Glückwünſche, schöne Baſe. Das haſt du
ganz nett gemacht. “ :
Sie blickte ihn voll Staunen an, nicht wiſſend,
was er meine, während er fortfuhr: „Solche Ideen
haben ja nur die Frauen. Wir Männer bedienen uns
keiner Schleichwege, und wenn wir ein Verbrechen ver-

üben müſſen, ſo töten wir. Aber da ſoll mir noch

jemand die Liſt und Schlauheit der Frauen in Zweifel
ziehen! Was du gethan haſt, mein ſchönes Kind, iſt
ganz einfach ein Meiſterwerk. Berichte mir also, wie
ſich die Dinge zugetragen haben und welche geheime
Gründe dich veranlaßt haben mögen, den Tod des armen
Menſchen zu beschleunigen. Denn unter uns geſagt,
Renaud war niemand im Wege, und ich ſehe wirllich
nicht ein, welchen Nutzen wix aus seinem Ableben ziehen
können.“ :

„Elender!“ rief sie in maßloſer Entrüſtung.

Er aber entgegnete: „Höflich biſt du gerade nicht
und du erwiderſt meine anerkennenden Worte in recht
seltſamer Form. Gewiß ist das bequemer, als mir zu
erklären, wie es kam, daß wir, Gordon und ich, Re-
naud in so kläglichem Zuſtande antrafen.".

„Elender – Elender!"“ wiederholte ſie in namen-
loſer Erbitterung, „du konntest mich eines solchen Ver-
brechens beſchuldigen !“ .

„So beweise mir doch, daß ich mich irre! Ich will
dir ja gerne glauben.“

„Nun so wisse denn, daß dein Anblick mir uner-
träglich, deine Gewalt über mich mir haſſenswert iſt,
daß ich zu allem, hörſt du, zu allem bereit bin, um
ſie von mir zu ſchütteln.“ !

f „Du biſt ja recht liebenswürdig; doch, bitte, fahre
ort!

„Ich habe meinem Bruder alles geſtanden. “

Er erbleichte, und ein Blitz brach aus ſeinem Auge.
„Das haſt du gethan?“

„Ja, das habe ich gethan!“ erklärte ſie mit stolzer
Freude, als frohlocke ſie über das eigene Verderben.

„Unglückliche!“ ziſchte er und ehe . sie ſich deſſen
verſah, hatte er ſie mit beiden Händen an der Kehle
gefaßt und zu seinen Füßen niedergezwungen. Einige
Sekunden hielt er sie in dieſer Stellung, mit sich zu
Rate gehend, ob er sie nicht töten solle. Dann aber
löſten sich seine Finger. Er richtete Helene ſelbſt em-
por, die am ganzen Körper zitterte und einen Moment

geglaubt hatte, daß ſie ſterben müſſee. zt
: Geſenkten Hauptes ſchritt er eine Weile in dem
Zimmer auf und nieder; er ſchien ganz zu vergeſſen,
daß sie zugegen sei. Endlich trat er wieder auf sie zu,
î die abermals zu zittern begann, da ſie fürchtete, er
werde sich neuerdings an ihr vergreiſen. ;

Er war aber bereits völlig ruhig und ſprach lächelnd:

î pJ„Erlaube mir, dich an einige Worte zu erinnern, die

an dem Tage über deine ſtolzen Lippen traten, als
ich in dieses Land zurückkehrte und dich in den ehe-
maligen Stallungen deiner Vorfahren antraf.“

Sie war noch zu erſchrocken, als daß sie eine Ant-
wort hätte finden können.
„Ich habe ein gutes Gedächtnis, “ fuhr er zu ſprechen
fort, „und erinnere mich ſehr gut, daß ich dich an
jenem Tage fragte, ob du irgend welche Bedenken
hättest. Du erklärteſt, solche nicht zu kennen und be-
reit zu ſein, jede That zu begehen, um zu Reichtum und
Anſehen zu gelangen, und gegebenenfalls selbſt vor
einem Verbrechen nicht zurückzuſchrecken. Dies stimmte
mit meinen Grundsätzen trefflich überein, und wir

wurden Bundesgenoſſen. Um unser Ziel zu erreichen,

boten wir unſer ganzes Können auf, Helene; ich räumte
Yichardier aus dem Wege, da er uns hinderlich war,
; "%% U ce nicht. Ich verbiete es dir. Es iſt zu
iu aus du räumtesſt – ich weiß nicht weshalb ~
einen armen kranken Menſchen aus dem Wege, der
uns nicht hinderlich war.“

„Aber das Furchtbare dieſes Verbrechens selbst,

sowie seine Nutlosigkeit sollten dir doch beweisen, daß
ich kein solches begangen habe. “

„Für mich wäre das im Notfall allerdings ein ge-
nügender Beweis; wie wollteſt du das aber anderen
Leuten gegenüber beweiſen?t.

„Wen meinſt du?"

p, Jene Leute meine ich, denen Gordon über die
Sache berichten könnte, denn dieser verwünſchte Doktor

hegt Verdacht, und wenn uns jemals ein Unglück zu- |.

ſtoßen sollie, ſo wird er es angezettelt haben. Zum
Glück bin ich gewappnet. Ferner meine ich jene Leute,
denen Renaud ſelbſt erzählen wird, was du ihm gesagt
haſt, wofern er sich nämlich so weit erholt, daß er
ſprechen und uns anklagen könnte. Und diese Leute
sind, wie du ja ſelbſt weißt, Margarete und ihr Bruder

.. Martial, dev dich wahnſinnig liebt, wie nicht minder

angeſehen, aber jedes Wort mit angehört.



der deinem Herzen so überaus teure Jüngling, genannt
Nosl Labarthe, dem du vor einigen Etunden im Treib-
hause deine Liebe so unverkennbar kundgegeben. " Und
ohne ihre Schmerz und Schrecken ausdrückende Gebärde
zu beachten, fuhr er zu sprechen fort: „Jch habe vom
Salon aus den rührenden Auftritt wohl Ut hit
fenbar
wußteſt du, daß ich dich bewachte, daß mir t nba!
Worte entging, denn du haſt den armen Jungen nicht
übermäßig ermutigt, wie ich ſelbſt zugeben muß.“

„Die Personen, deren Namen du genannt, werden
niemals glauben, daß ich eines solchen Verbrechens
fähig wäre, und alle würden meine Partei gegen dich
oder gegen Gordon ergreifen, wenn einer von euch
beiden mich angreifen ſollte.“

„Gegen Gordon – das mag sein; aber gegen mich
~ nein, das iſt nicht gut anzunehmen, mein Schah.
Ich würde ſagen: „Dieſe Schwester hat ihren Bruder
getötet!‘ und wenn man Beweiſe von mir verlangt,
ſo werde ich nur den Brief vorleſen, den wir in je
einem Exemplar besitzen und den ich stets bei mir
trage, gleichwie du den deinigen bei dir trägſt. “

Damit zog er seine Brieftaſche hervor und entnahm
hr ;ſ. tts puuntteateu ut ſ.t
ſam, mit gedämpfter Stimme vorlas, worauf er das
Papier wieder zuſammenfaltete, in der Brieftaſche ver-
wahrte und dieſe gelaſſen einſteckte.

„Das ist doch klar und deutlich genug, nicht wahr?“
ſpottete Savinien. „Wir können über unſere beider-
ſeitigen Absichten gar nicht im Zweifel ſein. Angesichts
eines ſolchen ſelbſtverfaßten und eigenhändig unter-
ſchriebenen Schriftſtücks sollten Margarete und Mar-
tial, vor allem aber Noel nicht überzeugt sein, daß
du alle Verbrechen der Welt zu vollbringen im stande
biſt? Auf Grundlage dieſes Briefes würden dich alle
Geſchworenen der Welt verurteilen, mein armes Käh-
chen." Er drehte sich eine Zigarette und fuhr fort:
„Finde dich alſo mit den obwaltenden Umſtänden ab,
da du an ihnen doch nichts zu ändern vermagſt. Wir
sind einmal Bundesgenoſſen, und an dieser unserer
Gemeinſchaft läßt sich ſo wenig rütteln, daß wir in
den Augen der Welt, wenn es dir einmal in den Sinn
kommen Follte, unſere kleinen Umtriebe aufzudecken,
immer Bundesgenoſſen bleiben würden. Wenn du mich
des Mordes an Richardier anklagen ſollteſt, den ich
ſchließlich ableugnen könnte, da ich, wie du mir glauben
kannſt, alle erforderlichen Vorſichtsmaßregeln getroffen

habe, so würde ich dich des. Mordes an deinem Bruder

beschuldigen ~ eines ganz eigenartigen Mordes, wie
ich selbſt zugeben will, darum aber nicht weniger eines
echten, rechten Mordes, denn man kann mit Worten
zuweilen ebenso ſicher töten wie mit einem Messer. ~
Zum Teufel also mit all dieſen Gewiſſensbiſsen ; ſie
kommen zu spät.“ Er warf ſeine Zigarette fort und
sagte dann: „Dein Bruder iſt nicht tot. Weißt du

aber, daß er, wenn er am Leben bleibt, ſprechen wird,

und raf wir verloren ſind, mein Schatz, wenn er
ir. te bei diesen Worten ein wenig bleich gewor-
den, sie blickte ihn aber nicht an, da sie in ihrer Angst

| die Augen hartnäckig gesenkt hielt, denn es ſchien ihr,

als ruhte eine ſchwere Laſt auf ihrer Stirne. Dabei
entging es ihr ganz, daß seine Worte eine verſteckte
Drohung gegen den kranken Bruder enthielten.

Savinien ergriff ihre Hand, ohne daß ſie darauf
geachtet hätte, und indem er sie leicht drückte, ſprach
er: „Jch muß nun gehen. Doch sei unbesorgt, ich
werde nichts gegen dich unternehmen, wenn du mich
nicht dazu zwingſt. Ich will mich jezt nach dem Be-
finden Renauds erkundigen; ich thue es nicht ohne einige
Angst, denn von dort droht die Gefahr. Erwarte mich
hier; ich werde dir sofort Bericht erſtatten. “

Damit ging er, ohne daß sie ſich geregt hätte. Erst
als sie sich allein sah, preßte sie die beiden Hände mit
einer verzweifelten Gebärde gegen die Stirne, während
sie murmelte: „Und sollte es mich mein Leben koſten,
ich muß in den Besitz dieſes Briefes gelangen. "
Sie ſelbſt wagte nicht an das Lager ihres Bruders

zurückzukehren. Wer wußte, ob Renaud ſelbſt nicht

auch auf den Gedanken kam, daß ſie ihn mit ihren
Worten ins Grab habe stoßen wollen. So wartete ſie
denn auf die Rückkehr Saviniens, der ſich alsbald
wieder einfand.

„Alle Bemühungen des Arztes bleiben erfolglos,“
berichtete er. „Renaud scheint zu sehen, zu hören und
auch die ihn umgebenden Perſonen zu erkennen, allein
s bringt nur unzuſammenhängende Laute über die

ippen. ;

„So iſt er gelähmt?" forſchte sie erſchauernd.

„Es hat wenigstens den Anschein . . . ich habe aber
Martial befragt und der sagte mir, daß der Doktor
noch nicht alle Hoffnung aufgegeben habe. Jedenfalls
gebe ich dir den Rat, dich so wenig wie möglich deinem
Bruder zu zeigen, denn wenn er nicht alles Erinnerungs-
vermögen verloren hat, so kann ihm dein Anblick nach
den Enthüllungen, die du ihm gemacht, kein ſonder-
liches Vergnügen bereiten. “



„Ich bin seine Schweſter ~*

„Sei vorsichtig. Jch habe dich gewarnt. Mein
Verderben zieht das deinige nach ſich, mein Heil iſt
auch das deinige. – Auf Wiederſehen!"



20.

Statt den Weg nach Beuvron zu nehmen, wo Sa-
vinien immer noch wohnte, ſchlug der Abenteurer die

Richtung nach dem Gehölz von Halary ein. Bald er

reichte er einen nach der Dornensſchlucht ſührenden
Seitenpfad, wo Richardier seinen Tod gesunden hatte.
Bei der Schlucht angelangt, beschleunigte er den Schritt,
als hätte er nicht schnell genug aus der Nähe dieſer
Bäume und Sträucher gelangen können, die Zeugen
seines Verbrechens geweſen waren.

Und dennoch – war es ein geheimnisvoller Drang,
dem er nicht widerſtehen konnte, oder war es bloß
Prahlerei und das Beſtreben, ſich ſelbſt zu überzeugen,
daß er weder Reue noch Gewiſſensbiſſe kenne ~ er
blieb in der Tiefe der Schlucht, bei dem Dornengebüſch
stehen, wo der Leichnam Richardiers gefunden worden
war. t
Ein stolzes, triumphierendes Lächeln ſspielte um
seine Lippen, während er, gegen einen Baumſtamm
gelehnt, sich eine Higarette drehte und die lebloſen
Dinge um ſsich her betrachtete, von denen er nichts zu
fürchten hatte, die ihn aber anklagen würden, wenn
sie ſprechen könnten. Der Hintergrund des Gehölzes
war hell und klar. Der Winter hatte gründlich auf-
geräumt, daß weder Gras noch Farnkraut mehr zu
sehen waren; bloß an den Baumſtämmen zeigte ſich
stellenweiſe etwas grünes Moos.

Neugierig machte er dann den Weg, den er damals
mit der ſchweren Laſt in den Armen zurückgelegt, noch
einmal, indem er von der Stelle, wo das hohe Farn-
kraut gestanden, bis zu dem Dornenſtrauch ging, in
deſſen Zweigen die Schnepfe gehangen. Dabei dachte
er: „Wie leicht und einfach iſt es doch, sich über die
Menſchen und ihre strafende Gerechtigkeit luſtig zu
machen. “ ;

Ein plötzlicher Windſtoß, der die Bäume mit einem
klagenden Aechzen und Stöhnen faſt zur Erde beugt,
scheint auf seinen Hohn zu antworten, so daß er ſich
im ersten Augenblick eines leiſen Schavers nicht zu er-
wehren vermag. Gleich darauf beginnt er indesſen zu
lachen, nimmt seine Zigarette zwiſchen die Lippen und
holt seine Zündhölzchenſchachtel hervor. Er reibt ein
Streichholz an und = |ſtößt mit einemmal einen er-
stickten Schrei des Entſeßens aus, während ſein Geſicht
tief blaß wird und seine Augen einen Ausdruck wahn-
sinnigen Schreckens annehmen. :

Er hat gefühlt, wie sich eine Hand schwer auf seine
Schulter legte; doch wagt er ſich nicht umzudrehen.
Ihr Druck läßt ihn am ganzen Körper erſchauern, ſo
daß sogar seine Zähne klappernd zuſammenſchlagen.
Er meint, der Spielball eines Phantaſiegebildes, welches
durch die Erinnerung an Jein blutiges Verbrechen her-
aufbeſchworen worden, zu sein, und jeglicher Selbſt-
beherrſchung bar, stammelt er voll namenloſer Angst :
„Das Geſpenſt Richardiers !“

Er sprach die Worte ganz laut, ohne in seinem
wilden Entsetzen irgend welche Vorſicht zu beobachten,
während ein kalter Schweiß auf seine Stirne trat.

Da wurde hinter ihm eine beißende Stimme ver-
nehmbar: „Nicht das Geſpenſt des armen Richardier,
Herr v. Albernon, sondern nur meine Wenigkeit, die
Sie in Ermangelung eines Streichholzes zun Anzünden
meiner Zigarre um etwas Feuer bittet. “Ü

Leichenfahl wendete ſich Savinien um und Jah ſich
dem Doktor Gordon gegenüber. Dieser selbſt war auch
sehr bleich angesichts dieses Benehmens des Missethäters,
denn wenn er bisher bloß einen Argwohn gehegt, ſo
hatte er nunmehr die moraliſche Gewißheit erlangt..

Gordon gab ſich indeſſen den Anſchein der Gleich-
gültigkeit und fuhr scheinbar gutmütig fort: „Entſchul-
digen Sie, daß ich Sie in Ihrem Sinnen gestört habe,
und entschuldigen Sie auch, daß ich vorhin am Bett
des Grafen ein wenig heftig war. Wir Ausländer
erwägen die Tragweite der Worte, die uns mitunter
entschlüpfen, nicht immer, und ich hoffe, daß Sie meine
Heftigkeit vergeſſen werden.“ : ;

„Gewiß ~– gewiß,“ sagte Savinien, der ſich all-
mählich ermannt hatte.

„So geben Sie mir, bitte, ein wenig Feuer.‘

„Sehr gerne.“ Damit reichte er ihm ſeine Zigarette,
wobei seine Hand heftig zitterte.

„Ja, was iſt Ihnen denn, Herr v. Albernon?
Sollten Sie in ſolchem Maße nervös sein? Ich bin
ganz troſtlos, daß ich Sie in ſolcher Weiſe angeſprochen
und Sie aus Ihrem tiefen Sinnen geweckt habe. Ich
kam den schmalen Seitenpfad entlang, um nach Saint-
Laurent zu gehen, wohin gewiß auch Sie gehen wollten,

und da erblickte ich Sie im Gehölz, in der Nähe des

Dornenſtrauches, wo wir den Leichnam unseres armen
Freundes gefunden. Offenbar dachten auch Sie an
den traurigen Fall. Da kam ich denn näher. –~ Hier
iſt Jhre Zigarette, ich danke Ihnen. “
 
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