Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
600

Da s Buch für A ll e.

In seinem Inneren aber fraß die Angst weiter wie | von geheimnisvoll sich regendem Leben. Seine Angſt

ein bohrender Wurm.
Der Winter war trocken, nach Ausſage der Sach-

lich. jr Mai zog in das Land, so freudig und duftig

verständigen sehr günstig für das unter der sicheren | wie je, alles hallte von Sängern im Wald und Hag,

Schneedecke .
ſchlummernde
Ei der Nonne.
Die einzige
Hoffnungwar
noch ein naſ-
ses, rauhes
Frühjahr, die
Vernichtung
der aus-

schlüpfenden
Raupe.

Der Bauer
hatte unzäh-
lige Jach-
schriften über
die Nonne
uss,
immer von
neuem auf die

unendliche
Zähigkeit die-
ser Tiere hin-
wieſen. Er

hatte eine
ganze Zigar-
se
sammelt und
ü berzeugteſich
selbſt davon,
indemdiewin-
zigen Dinger
ſogar einem
Hammerſchlag
Widerstand leiſteten. Was halfen da die alten Holz-
knechtſprüche des Grimm, dem selber das Herz pochte,

je näher das Frühjahr kam? Johannes ſah jetzt mit |.

der Verachtung des Wisſſens auf ihn herab.

So kam der April. Die Stürme fegten durch den
Wald, die Schneemaſsen ſchmolzen, regneriſches, rauhes
Wetter trat ein, und Johannes hoffte wieder.

Die Schlüſſelblumen erſchienen, ein feiner grüner
Schimmer untersſchied die Weichhölzer, die Lärchen von
den finsteren Tannen, in denen der Saft ſich langſamer
zu regen begann.

j Immer noch alles still unter dem Mooswerk, unter
den Rinden, und doch war es Johannes, als höre er
ein geheimnisvolles Pochen und Riesſeln im Wald, wie





Das Callillo dek Morro in Havana. (S. 603)

U! ' den Fichtenpflanzungen reckten ſich die jungen
Triebe.

Das Leben war voll erwacht!

Eines Morgens entdeckte des Bauern ſchon geübtes
Auge die erſte Raupe, dann mehr. Ein ganzes Klümp-
chen bewegte ſich in einer Rindenfalte. Und bis zum
Mittag ging ſchon ein ſeltſames leiſes Rieſeln durch
den Wald, welches die Bewegung der Milliarden Kör-
perchen, das Fallen von Nadeln und Rindenſtäbchen
verursachte. Ein Sonnentag hatte alle die ungezählten
Hüllen gesprengt, dieſes Meer von Leben geweckt.

Johannes dachte unwillkürlich seines unwürdigen
Benehmens in jener Unglücksnacht. Er wäre jetzt nicht
im slande geweſen, nur eine Klage laut werden zu



Heft 25.

laſſen. Er beugte demütig das Haupt unter der Größe
des Verhängnisses. Ja, ſelbſt dem Verſuche des treuen
Grimm, welcher die Jugend des ganzen Dorfes aufbot
zur Raupenjagd, stand er völlig apathiſch gegenüber.
Er betrachtete
sogar jettt mit
einer gewissen
Neugierde die
Fortschritte
des Prozeſſes,
der sich unter
den günſtig-
sten Witte-
rungsverhält-
niſſen mit un-
heimlicher
Raſchheit voll-

Vet Fraß
hatte begon-
nen! Graue
Massen wälz-
tenſichStamm
auf, Stamm
ah, Körper
über Körper,
ein unendli-
ces Ringen
und Kämpfen
begann. Die
äußerſtenAſt-

ſpitzchen
schwankten
unter der Laſt
der in Trau-
bengebilden
herabhängen-
den Raupen.
Ein ununter-
: brochener Re-
gen rieselte herab, zernagte Nadeln, die Exkremente
der Tiere, während der Boden sich mit einer dichten
Schichte Unterlegener, Verdrängter, Getöteter bedeckte.

Ein unerträglicher Verweſungsgeruch stieg auf, wo
noch vor einer Woche der köſtliche Geruch des Harzes,
der jungen Blüten die Luft erfüllte. Er vergiftete
s f Bauern, der einem kranken, erſchöpften
reiſe glich.
Selbst Matthes und die Mutter betrachteten ihn
mit Mitleid, verſuchten ſich sogar in Tröſtungen und
Bedauerniſſen. Doch denen winkte er nur mit einem
herben Zug um den Mund ab.
„Laßt das! Was sein muaß, muaß ſein !“





Heft 25.

D as B uch für Alke:

601



Sommerlicher Wald, in desſſen kühlen, duftigen
Schatten wir fliehen aus dem heißen, beſtaubten Leben,
von uralter Sehnſucht gepackt! Ob du in glühendem
zwar ruhſt, von tauſend Lichtern und Schatten

durchſpielt, ; e
oder die Nacht
herab ſichſenkt
auf die flü-
sternden We-
del und
Zweige, Ne-
belſchleier
phantaſtiſch
um die be-
mooſten

Stämme
ſchweifen, se-

gensreicher
Regenaufdich

hernieder-
ssc: sss
deine Wipfel
peitſcht, fahle
Blitze dich
durchleuchten,
ob die aufge-
hende Sonne
dich in prun-
kendes Gold



Johannes erhielt von der Forſtbehörde ein amtliches
Schreiben, nach welchem der völlige Abtrieb der kahl-
gefreſſenen Flächen noch dieſen Sommer bewertſtelligt
werden mußte, um weiterem Unheil vorzubeugen.



„So? 's Bergwerk und die Papierfabrik !“ wieder-
holte Johannes, in heftigem Zorn an seinem Schnurr-
bart kauend. „Und wenn s’ mir's in Gold aufwieg'n,
jeden Bam, ſie kriag'n kein’ Stamm, kein’ Steck'n!“

Es war die

letzte Aufwal-
lung. Ge-
waltſam un-
terdrückte er
Us U zu
Sacktuch über
das Gesicht
fahrend.

„Duſchreibſt
j h tube:

erkomma. Der
mir ſſ=chnell
auframt, der
is ma der
Liabſte. Auf's
Geld pfeif i!
Wennii daran
dent, daß i s ?
anrühr'nsoll,
grauſt ma
ſchon. “

Er erhob

ſich gebückt.

j uu Dann warf
Ü , er einen ſon-
H= §uf Matthes
ter Gs lag mehr
roten Schim- ture {ssl
itt .,. Die Hafenſladt Malanzas auf Cuba, von der Kirche Monlſerralt aus gefehen. (S. 603) 43940. ;
biſt du er- re

haben und schön! Ja, ſselbſt wenn die gierigen Flam-
men, von unvorſichtiger oder böſer Hand entfacht,

praſſelnd, knallend, von Gipfel zu Gipfel fliegen, dich

verzehren, oder der entfeſſelte Orkan in jähem Anprall
dich mit Donnergetöſe zu Boden ſchmettert, iſt dein
Tod erhaben. Und jetzt all die würdige Größe zernagt,
beschmutzt von einer Raupe, ein häßlicher, dürrer
übelriechender, rieſiger Leichnam! ;

Keine grüne Nadel war übrig geblieben. Weit

und breit nichts als rote, kahle Wipfel. Nur einzelne

Cichen ragten wie grüne Oasen aus der dürren Baum-
wüste empor. Und darüber die Ruhe des Todes. Kein
Vogel ließ ſich hören. Die überlebenden Raupen hatten
ſich verpuppt. Die Vernichtung war eine vollständige.



Johannes las es zweimal, dann hielt er ſich die
rut fiututn Händen, atmete ſchwer auf und rief
na atthes.

Der kam ganz schüchtern herein, er wußte, daß ein
Schreiben gekommen, was es enthielt, aber er wollte
es ſich nicht merken laſsen.

„Da les. “ Der Bauer legte ihm das Schreiben vor.

Matthes wurde feuerrot. Einen Schrecken zu heu-
cheln wagte er doch nicht vor dem prüfend auf ihm
ruhenden Auge des Vaters.

„Ja, mein Gott, was is da z'mach'n, wenn das
Forſtamt befiehlt, “ stotterte er. „Uebrigens von weg'n
der Verwertung brauchst kein’ Sorg’ z'hab n. 's Berg-
werk und die Papierfabrik paſſ’n ſchon lang drauf.“





vor. Geld! Geld! Das is ja euer ganz Begehr, was
a drüb'r zu Grund geht. ~ No ja, " er reckte ſich ge-
waltſam auf. „AU's hat a End auf der Welt. Schreib
nur dem Poleny.“

Er ging langſam aus der Stube. Vor dem Hauſe
blieb er ſtehen. Das Herz krampfte sich ihm zuſammen,
wie er so über die dürren Wipfel blickte, über das fahle
Rot ringsum. Plötzlich zuckte er zuſammen, hielt die
Hand über die Augen und beugte sich weit vor.

Was war das, was da heraufblitzte mitten aus dem
Walde? Er beugte ſich rechts, er beugte ſich links.
Kein Zweifel, es war ein Fenſter, in dem die unter-
gehende Sonne ihr Lichtspiel trieb. Es gab aber nur ein
Fenster im ganzen Wald, das Fenſter der Holzerhütte.



























Generalanſicht von San Juan, + "dt der Zuſel Dortorico. (S. 608)

zz ititnwTt:

~~


 
Annotationen