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Die drei Biedermänner ſchüttelten ſich
höchſt freundſchaftlich die Hände. Darauf
schieden die beiden Beſucher von dem Kom-
miſſar Letellier, um ihren anderweitigen Ver-
richtungen nachzugehen.
Chateau Margaux, auf einem ſanft an-
steigenden Hügel am Ufer der Gironde ge-
legen, war ein alter solider Bau — übri-
gens, wie die meiſten dieſer durch ihre Weine
so weltberühmten Chateaux im Medoclande,
mehr einem einfachen Herrenhauſe als einem
prunkvollen Schloſſe gleichend. Einige hun-
dert Hektar des beſten Weingeländes gehörten
dazu. :
bers Michot, der Kellermeiſter und der-
zeitige Verwalter, war ein Mann von etwa
fünfzig Jahren und von biederem Ausſehen.
Auf seinem Kopfe prangte die rote Freiheits-
mütze der Jakobiner. Danach mußte man
alſo annehmen, daß er ein eifriger republi-
kaniſcher Patriot ſei. Doch der Schein trügt
zuweilen. ~ '
Es war an einem ſchönen Tage zu An-
fang des Septembers, als der Kommissar
Letellier ihn besuchte, der mit Beihilfe des
ihn begleitenden Schreibers raſch ein Inven-
tar aufnahm. Dann ſagte der Beamte zu
dem Kellermeiſter, daß nächſtens das ſchöne
Gut in den Beſitz des Tribunalspräſidenten
Lacombe und seines Schwiegerſohnes Icd.n
übergehen würde. Es ſei die Absicht der
beiden großen Revolutionsmänner, gegen
sieben Uhr abends im Schloſſe zu einer Be-
ſichtigung desſelben zu erſcheinen und darin
die Nacht über bis zum folgenden Vormittag
gegen zehn Uhr zu verweilen. Michot möge
in ſeinem eigenen Intereſſe äußerſt aufmerkſam
und zuvorkommend gegen ſie sein, ſie mög-
lichſt gut bewirten und logieren.
Der Kellermeiſter verneigte ſich und er-
klärte, daß er ſein Beſtes thun wolle, der
Anforderung gerecht zu werden. Er besaß so
viel Selbſtbeherrſchung, das Erstaunen, die
Aufregung, wovon er sich erfaßt fühlte, zu verbergen.
„Darf ich hoſfen, daß die neuen Besitzer mich in
ihrem Dienſte behalten werden?"“ fragte er dann.
Da s Buch für Alle.
rng
j Mk iI
| . IIIA,
MI
IUIIFINI INM [! INA.
TINA
I
Das JIrrancke-Denlimak in Halle a. S. (S. 674)
Nach einer Photographie von Wilhelm Heinemann in Halle a. S.
„Das glaube ich ſicher," verſette der Kommissar. |
„Ich habe mit den beiden bereits geſprochen. Sie wissen,
| daß Ihr ein guter Patriot fſeid.'
Heft 28.
Danach ging der Kommissar mit seinem
Schreiber zu dem Boote, welches an einer
Anlegeſtelle unten am Ufer auf ihn wartete.
Fünf Minuten nachher kam ein hübſcher,
dunkellockiger Jüngling zum Vorſchein aus
einem Nebengebäude, dem Kelterhauſe. Ein-
fach war er gekleidet, wie ein armer Winzer,
ſein Haupt aber auch geſchmückt mit einer
roten Freiheitsmütze.
_ „Run, Michot, was wollte der Kommissar ?“
fragte er. : :
Der Kellermeiſter zog den jungen Men-
ſchen in eine Ecke und flüsterte längere Zeit
geheimnißvoll mit ihm. In hohe Erregung
geriet dabei der Jüngling; sein blaſses Anllit
erglühte wie triumphierend und er murmelte:
„Ja, Rache, Rache! Die wird. uns. nm
durch eine Schickſalsfügung ermöglicht. Das
Verhängnis naht, ihr Bluthunde!“
Unten im Fluſſe ankerte in der Nähe
des Weingutes ein kleines Fahrzeug, eine
Fiſcherbarke. Treſſan, der Fiſcher, und ſeine
zwei herangewachſenen Söhne bildeten die
Besatzung. Die beiden jungen Leute wurden
nach dem Schlosse gerufen und halfen emſig
beim Zusammentragen von Reiſigbündeln und
dem Zurechtstellen von leeren Fäſſern in dem
großen hallenähnlichen hölzernen Vorraum
zum Kellereingang. Michot ſprach mit seiner
Frau Louiſon + Kinder hatte das Paar
nicht; sie bezeigte ſich zuerſt etwas ängstlich
bei seinen Worten, doch gelang es ihm, ihre
Unruhe zu beſchwichtigen. Nachher beſchäftigte
die gute Frau sich damit, Kleider und ſonstige
kleine Habseligkeiten in Bündel zu packen und
diese nach der Barke zu tragen, wo Treſſsan
die Bündel in Empfang nahm und ſie unter
Deck brachte. . (
Der blasse Jüngling und Michot ſchoben
kurze Brettſtücke und ſchaufelten kleine Sand-
haufen vor die mit ſtarken Eiſenſtäben ver-
gitterten Kellerfenſter. Nur drei davon, in
der entfernteſten Hintermauer, ließen sie frei.
Oeffnete man nunmehr die Kellerthür, dann
entstand gewaltige Zugluft inden Kellerräumen.
Ä . . Ü . - .-
Abends gegen sieben Uhr kam ein Boot von Bor-
deaux und legte an bei Chateau Margaux. Lacombe
| und Jadin stiegen aus. Ersterer sagte zu dem Boots-
Aus dem Feſtzug vom dJeſterreichiſchen Iubikäums-Schüßenfeſt in Wien: Das „„Vingtzerer Zäähndkeinéé.
Originalzeichnung von M. Ledeli. (S. 674)
Die drei Biedermänner ſchüttelten ſich
höchſt freundſchaftlich die Hände. Darauf
schieden die beiden Beſucher von dem Kom-
miſſar Letellier, um ihren anderweitigen Ver-
richtungen nachzugehen.
Chateau Margaux, auf einem ſanft an-
steigenden Hügel am Ufer der Gironde ge-
legen, war ein alter solider Bau — übri-
gens, wie die meiſten dieſer durch ihre Weine
so weltberühmten Chateaux im Medoclande,
mehr einem einfachen Herrenhauſe als einem
prunkvollen Schloſſe gleichend. Einige hun-
dert Hektar des beſten Weingeländes gehörten
dazu. :
bers Michot, der Kellermeiſter und der-
zeitige Verwalter, war ein Mann von etwa
fünfzig Jahren und von biederem Ausſehen.
Auf seinem Kopfe prangte die rote Freiheits-
mütze der Jakobiner. Danach mußte man
alſo annehmen, daß er ein eifriger republi-
kaniſcher Patriot ſei. Doch der Schein trügt
zuweilen. ~ '
Es war an einem ſchönen Tage zu An-
fang des Septembers, als der Kommissar
Letellier ihn besuchte, der mit Beihilfe des
ihn begleitenden Schreibers raſch ein Inven-
tar aufnahm. Dann ſagte der Beamte zu
dem Kellermeiſter, daß nächſtens das ſchöne
Gut in den Beſitz des Tribunalspräſidenten
Lacombe und seines Schwiegerſohnes Icd.n
übergehen würde. Es ſei die Absicht der
beiden großen Revolutionsmänner, gegen
sieben Uhr abends im Schloſſe zu einer Be-
ſichtigung desſelben zu erſcheinen und darin
die Nacht über bis zum folgenden Vormittag
gegen zehn Uhr zu verweilen. Michot möge
in ſeinem eigenen Intereſſe äußerſt aufmerkſam
und zuvorkommend gegen ſie sein, ſie mög-
lichſt gut bewirten und logieren.
Der Kellermeiſter verneigte ſich und er-
klärte, daß er ſein Beſtes thun wolle, der
Anforderung gerecht zu werden. Er besaß so
viel Selbſtbeherrſchung, das Erstaunen, die
Aufregung, wovon er sich erfaßt fühlte, zu verbergen.
„Darf ich hoſfen, daß die neuen Besitzer mich in
ihrem Dienſte behalten werden?"“ fragte er dann.
Da s Buch für Alle.
rng
j Mk iI
| . IIIA,
MI
IUIIFINI INM [! INA.
TINA
I
Das JIrrancke-Denlimak in Halle a. S. (S. 674)
Nach einer Photographie von Wilhelm Heinemann in Halle a. S.
„Das glaube ich ſicher," verſette der Kommissar. |
„Ich habe mit den beiden bereits geſprochen. Sie wissen,
| daß Ihr ein guter Patriot fſeid.'
Heft 28.
Danach ging der Kommissar mit seinem
Schreiber zu dem Boote, welches an einer
Anlegeſtelle unten am Ufer auf ihn wartete.
Fünf Minuten nachher kam ein hübſcher,
dunkellockiger Jüngling zum Vorſchein aus
einem Nebengebäude, dem Kelterhauſe. Ein-
fach war er gekleidet, wie ein armer Winzer,
ſein Haupt aber auch geſchmückt mit einer
roten Freiheitsmütze.
_ „Run, Michot, was wollte der Kommissar ?“
fragte er. : :
Der Kellermeiſter zog den jungen Men-
ſchen in eine Ecke und flüsterte längere Zeit
geheimnißvoll mit ihm. In hohe Erregung
geriet dabei der Jüngling; sein blaſses Anllit
erglühte wie triumphierend und er murmelte:
„Ja, Rache, Rache! Die wird. uns. nm
durch eine Schickſalsfügung ermöglicht. Das
Verhängnis naht, ihr Bluthunde!“
Unten im Fluſſe ankerte in der Nähe
des Weingutes ein kleines Fahrzeug, eine
Fiſcherbarke. Treſſan, der Fiſcher, und ſeine
zwei herangewachſenen Söhne bildeten die
Besatzung. Die beiden jungen Leute wurden
nach dem Schlosse gerufen und halfen emſig
beim Zusammentragen von Reiſigbündeln und
dem Zurechtstellen von leeren Fäſſern in dem
großen hallenähnlichen hölzernen Vorraum
zum Kellereingang. Michot ſprach mit seiner
Frau Louiſon + Kinder hatte das Paar
nicht; sie bezeigte ſich zuerſt etwas ängstlich
bei seinen Worten, doch gelang es ihm, ihre
Unruhe zu beſchwichtigen. Nachher beſchäftigte
die gute Frau sich damit, Kleider und ſonstige
kleine Habseligkeiten in Bündel zu packen und
diese nach der Barke zu tragen, wo Treſſsan
die Bündel in Empfang nahm und ſie unter
Deck brachte. . (
Der blasse Jüngling und Michot ſchoben
kurze Brettſtücke und ſchaufelten kleine Sand-
haufen vor die mit ſtarken Eiſenſtäben ver-
gitterten Kellerfenſter. Nur drei davon, in
der entfernteſten Hintermauer, ließen sie frei.
Oeffnete man nunmehr die Kellerthür, dann
entstand gewaltige Zugluft inden Kellerräumen.
Ä . . Ü . - .-
Abends gegen sieben Uhr kam ein Boot von Bor-
deaux und legte an bei Chateau Margaux. Lacombe
| und Jadin stiegen aus. Ersterer sagte zu dem Boots-
Aus dem Feſtzug vom dJeſterreichiſchen Iubikäums-Schüßenfeſt in Wien: Das „„Vingtzerer Zäähndkeinéé.
Originalzeichnung von M. Ledeli. (S. 674)