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Kreis Weissensee.
Verhältnissen im Stil der Mitte des 14. Jahrhunderts gebaute Chor wurde im
Jahre 1610 von einem nicht zündenden Blitzstrahle getroffen, und es musste 1691
das schon lange schadhaft gewordene Gewölbe erneuert werden. Beim Abnehmen
eines Schlussteines stürzte ein Theil des Gewölbes ein und verschüttete den
Maurermeister Schmidt aus Erfurt, einen geborenen Ungarn, der jedoch, freilich
für immer verkrüppelt, mit dem Leben davon kam.1 Gleichzeitig mit der Erbauung
des Chores mag auch im 14. Jahrhundert das Schiff als gothischer Hallenbau neu
begonnen, aber nur an der Südseite fertig geworden sein: denn bei der Kirchen-
visitation im Jahre 1575 wurde verordnet, dass die mitternächtliche Seite der Kirche
(wo also damals noch das alte niedere Seitenschiff der ursprünglichen Basilika
bestanden zu haben scheint) erhöht und der Mittagsseite gleich gemacht, auch mit
Fenstern versehen werden solle. Ob diese Anordnung bereits damals zur Aus-
führung gekommen sein mag, ist unbekannt; es könnte auch erst im Jahre 1619
geschehen sein, wo wegen eines Baues an der Kirche der Gottesdienst im Sommer
14 Wochen hindurch in der unteren Nicolaikirche gehalten werden musste. Bass
beide Langseiten des jetzigen Schiffes aus verschiedenen Bauzeiten herrühren,
lehrt die Verschiedenheit der Fussgesimse. Die auf beiden Seiten vorhandenen
Strebepfeiler deuten auf beabsichtigte Einwölbung des Schiffes, die aber nicht zu
Stande gekommen ist, indem man sich schliesslich mit einer cassettirten Brettdecke
begnügte. — (Fig. 43 ist nach dem in Fig. 24 S. 41 gegebenen Maasstabe gezeichnet).
Den Altar der Kirche schmückt ein reicher, in Schnitzwerk ausgeführter,
innerlich vergoldeter Flügelschrein. Unten sind zwei Reihen von Figuren; in der
unteren Reihe nimmt Maria mit dem Kinde die Mitte ein, und neben ihr stehen
12 Heilige, je 6 auf jeder Seite, die wegen fehlender Attribute schwer zu bestimmen
sind. Auf der Fussleiste steht in Minuskeln:
mir Ijiikn nudj ritt ctferlntnl) iiitö tli djnßus tnr uns ppffcrt I. ®ör^5,82
In der oberen Reihe ist zwischen je 5 Heiligen die Krönung Chpkfi darge-
stellt und darüber steht:
pßntc ft ttiöctc qu0mnitt ötinuiö rÖ iuntttttttö. 34 (Vers 9).
Die Seitenklappe links enthält eine Darstellung des heil. Abendmahles, die
rechts stellt das Gebet am Oelberge vor. — Ueber diesem Schreine steht nun noch
unter einem sehr fein geschnitzten Oberstück ein anderer Schrein, in welchem
die Grablegung in vielen geschnitzten Figuren dargestellt ist, und auf der linken
Seitenklappe S. Laurentius mit dem Rost, auf der rechten S. Petrus mit dem
Schlüssel. Beide Schreine scheinen vom Ende des 15. Jahrhunderts oder Anfang
des 16. Jahrhunderts herzurühren.3
1 Dass der Altarraum jetzt im Aeussern sehr baufällig erscheint, liegt an dem gewählten
leicht verwitternden Sandstein, und wahrscheinlich auch an einem übereilten Bau. Reparaturen
werden hier nicht viel helfen, die vielen eingezogenen Anker nur eine Zeit lang hinhalten, bis
ein Neubau unvermeidlich erscheint. G. S.
2 Die Yerszahl ist unrichtig und müsste (statt 8) 7 heissen.
3 Es ist nicht zu verschweigen, dass ffie deutsche Inschrift an diesem Altäre aus der
Luther’schen Bibel entnommen sein dürfte, und dass die lateinische Inschrift zwar in Worten der
Vulgata angeführt ist, aber nach der von dieser abweichenden Luther’schen Zählung der Psalmen. H. 0.
Kreis Weissensee.
Verhältnissen im Stil der Mitte des 14. Jahrhunderts gebaute Chor wurde im
Jahre 1610 von einem nicht zündenden Blitzstrahle getroffen, und es musste 1691
das schon lange schadhaft gewordene Gewölbe erneuert werden. Beim Abnehmen
eines Schlussteines stürzte ein Theil des Gewölbes ein und verschüttete den
Maurermeister Schmidt aus Erfurt, einen geborenen Ungarn, der jedoch, freilich
für immer verkrüppelt, mit dem Leben davon kam.1 Gleichzeitig mit der Erbauung
des Chores mag auch im 14. Jahrhundert das Schiff als gothischer Hallenbau neu
begonnen, aber nur an der Südseite fertig geworden sein: denn bei der Kirchen-
visitation im Jahre 1575 wurde verordnet, dass die mitternächtliche Seite der Kirche
(wo also damals noch das alte niedere Seitenschiff der ursprünglichen Basilika
bestanden zu haben scheint) erhöht und der Mittagsseite gleich gemacht, auch mit
Fenstern versehen werden solle. Ob diese Anordnung bereits damals zur Aus-
führung gekommen sein mag, ist unbekannt; es könnte auch erst im Jahre 1619
geschehen sein, wo wegen eines Baues an der Kirche der Gottesdienst im Sommer
14 Wochen hindurch in der unteren Nicolaikirche gehalten werden musste. Bass
beide Langseiten des jetzigen Schiffes aus verschiedenen Bauzeiten herrühren,
lehrt die Verschiedenheit der Fussgesimse. Die auf beiden Seiten vorhandenen
Strebepfeiler deuten auf beabsichtigte Einwölbung des Schiffes, die aber nicht zu
Stande gekommen ist, indem man sich schliesslich mit einer cassettirten Brettdecke
begnügte. — (Fig. 43 ist nach dem in Fig. 24 S. 41 gegebenen Maasstabe gezeichnet).
Den Altar der Kirche schmückt ein reicher, in Schnitzwerk ausgeführter,
innerlich vergoldeter Flügelschrein. Unten sind zwei Reihen von Figuren; in der
unteren Reihe nimmt Maria mit dem Kinde die Mitte ein, und neben ihr stehen
12 Heilige, je 6 auf jeder Seite, die wegen fehlender Attribute schwer zu bestimmen
sind. Auf der Fussleiste steht in Minuskeln:
mir Ijiikn nudj ritt ctferlntnl) iiitö tli djnßus tnr uns ppffcrt I. ®ör^5,82
In der oberen Reihe ist zwischen je 5 Heiligen die Krönung Chpkfi darge-
stellt und darüber steht:
pßntc ft ttiöctc qu0mnitt ötinuiö rÖ iuntttttttö. 34 (Vers 9).
Die Seitenklappe links enthält eine Darstellung des heil. Abendmahles, die
rechts stellt das Gebet am Oelberge vor. — Ueber diesem Schreine steht nun noch
unter einem sehr fein geschnitzten Oberstück ein anderer Schrein, in welchem
die Grablegung in vielen geschnitzten Figuren dargestellt ist, und auf der linken
Seitenklappe S. Laurentius mit dem Rost, auf der rechten S. Petrus mit dem
Schlüssel. Beide Schreine scheinen vom Ende des 15. Jahrhunderts oder Anfang
des 16. Jahrhunderts herzurühren.3
1 Dass der Altarraum jetzt im Aeussern sehr baufällig erscheint, liegt an dem gewählten
leicht verwitternden Sandstein, und wahrscheinlich auch an einem übereilten Bau. Reparaturen
werden hier nicht viel helfen, die vielen eingezogenen Anker nur eine Zeit lang hinhalten, bis
ein Neubau unvermeidlich erscheint. G. S.
2 Die Yerszahl ist unrichtig und müsste (statt 8) 7 heissen.
3 Es ist nicht zu verschweigen, dass ffie deutsche Inschrift an diesem Altäre aus der
Luther’schen Bibel entnommen sein dürfte, und dass die lateinische Inschrift zwar in Worten der
Vulgata angeführt ist, aber nach der von dieser abweichenden Luther’schen Zählung der Psalmen. H. 0.