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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1890

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Heft 11/12
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Gmelin, L.: Die Mittelalterliche Goldschmiedekunst in den Abruzzen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6755#0081
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größte Meisterschaft aber entfaltete er in der Treib- und
Liselirarbeit und hier wieder namentlich im Figürlichen;
es ist als ob ihn die schwierigste Technik am meisten gereizt
hätte. Seine Figuren sind meist völlig rund aus der Fläche
Herausgetrieben, wobei nicht selten Aöpfe, Arme re. sich
frei vom Grund abheben; dabei zeigen sie theilweise eine
ganz klassische Schönheit sowohl in Haltung, Bewegung
oder Ausdruck, wie hinsichtlich der Draperie. Der segnende
Lhristus auf dem Antependium (Paliotto) zu Teramo ist
eine Figur voll Hoheit und Würde, von edelstem Ausdruck
in den Zügen und von der trefflichsten Ausführung der
Gewandung. Schwierige Ausgaben — z. B. die Darstellung
eines von hinten gesehenen, abwärts (Ropf nach unten)
stiegenden Engels auf dein Vortragkreuz in Aquila — löste
er mit ganz besonderer Vorliebe. Weniger glücklich ist er
in seinen größeren Figurengruppen, die bisweilen als faust-
große, nicht ganz klar gegliederte Massen erscheinen.

Aus der geographischen Lage seines Geburtsortes läßt
sich immerhin vermuthen, daß Nicola seine erste Lehrzeit
in dem damals — um J^OO — berühmten Solmona durch-
gemacht, daß er dort die handwerkliche Praxis seines
Gewerbes erlernt hat. Von entscheidendem Einfluß aber
auf die künstlerische Gestaltung seiner Werke war —
wie ein Vergleich mit gleichzeitigen Arbeiten beweist —
Florenz. Es war die Zeit, da der Goldschmiedssohn
Ghiberti, nachdem er als Sieger aus der Loncurrenz

für die nördlichen Thürflügel des Baptisteriums hervor-
gcgangen war, wegen seiner Rünstlerschaft die Blicke der
Runstjünger Italiens auf sich zog; da mag auch der junge
Abruzzese dahin gewandert sein. Seine beiden ersten Ar-
beiten ((^(3 und ((((8) bewegen sich noch in fast rein
ornamentalen Formen; seine folgende — ein Vortragkreuz
v. I. {^22 — zeigt schon den Meister der figürlichen Treib-
arbeit. Zwar ließe sich hieraus noch nicht auf Florenz als Quelle
schließen; eine spätere Arbeit — der paliotto zu Teramo —
macht es aber unzweifelhaft, daß er in Florenz war.

In den Jahren (H05—f^2H führte Ghiberti die ge-
nannten Thürflügel aus und in den Jahren (H53—(4I8
arbeitet Nicola seinen Poliotto! Eine sorgfältige Vergleichung
beider Arbeiten läßt gar keinen Zweifel darüber, daß
Nicola die Ghiberti-Thüre sehr genau gekannt hat, indem
einzelne Figuren der kleinen Gruppen genau
oder wenig verändert auf dem poliotto vor-
kommen. Den Nicola demzufolge unter die Schüler und Mit-
arbeiter des Ghiberti zu setzen, ist dann nur noch ein Schritt?)

Sieht man von einigen Vereinfachungen ab — Weg-
lassung der Hintergründe, einfachere Durchbildung des
Mobiliars rc. — so sind vor allen Dingen die acht, das
Mittelfeld des paliotto umgebenden Evangelisten und
heiligen (Abb. hierneben) mehr oder weniger genaue
Nachbildungen der in den beiden unteren Reihen der Ghiberti-
Thüre angebrachten Figuren und zwar, wenn wir die

^ ersteren wie nebenstehend numeriren, derart, daß

3 (7) die Nummernreihe bei letzterer \ 2 3 (<$)

(4) (8) sich folgendermaßen ordnet: (7) 8 (6) 5. * 2

*) Prof. Bindi theilte mir mit, doß ein italienischer Forscher ans diesen
Zusammenhang hingewiesen habenden er sclbsMncht anerkennen molllc.

2) Abgeb. in d. kunsthist. Bilderbogen Nr. — Die unter-

strichenen Nummern weisen die größte, die eingeklammerten die geringste
Aehnlichkeit auf.

Andere auffallende Aehnlichkeiten finden sich in der
„Verkündigung", der „Versuchung", der „Geißelung", der
„Areuzigung", — minder auffallende (mit einzelnen Verein-
fachungen) bei „Thristus am Gelberg", „Auferstehung",
„Gang zur Areuzigung" (hier ein römischer Arieger in
der Rückansicht). Es muß besonders beinerkt werden, daß
die Reliefs der paliotto — abgesehen von ihrem ungleichen
Maaßstab — sehr ungleich schön in Lomposition und Aus-
führung sind und daß durchschnittlich die oben aufgezählten
Reliefs die besten sind.

ITiittelftiicf des Antependiums (paliotto)

des NicoU di Guardiagrele im Dome zu Teramo. (^33—

Aus dieser Nachahmung darf man aber unserm Meister
keinen Vorwurf machen; hat doch auch Raffael in seinem
Sposalizio sich sehr eng an das gleiche Bild seines Lehrers
Perugino angeschlossen. Die Ausführung feiner Vorbilder
in der schwierigen Technik des Treibens (schon die Reduktion
derselben auf einen kleineren Maßstab) verlangte von dem
Meister noch so viel Kunstfertigkeit, daß sein Ruf dadurch
nicht beeinträchtigt wird, daß er sich an gute Vorbilder an-
gelehnt hat. Wer weiß, ob er nicht speziell beauftragt war,
obige Scenen der Ghibertithüre möglichst nach dem Griginal
wiederzugeben? Daß er auch selbständig Bedeutendes leisten
konnte, das beweist schon allein die prächtige Figur des
Lhristus auf dem Poliotto.

Da Nicola also sicher in Florenz gewesen, so wird
man nicht fehl gehen, wenn man dort auch seinen maß-
gebendsten Lehrmeister sucht, wo damals die Email- und
 
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