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BLÄTTER FÜR GEMÄLDEKUNDE.
Nr. 4 und 5
der Flöten Lokomotive Pfeifen eingeführt.
Schwächere, zarte Wirkungen vertraut man
noch den Pfeifchen der Tramway'Kondukteure
an; die geringe Tonfülle dieser niedlichen Ine
strumente hat es übrigens verschuldet, daß
ihre Anwendung schon merklich abflaut. Nun
aber zu unserer gestrigen Musteraufführung
der neuesten Programmsymphonien. Der
„Weltuntergang“ von dem jungen Griechen
Dynamiteies war großartig. Charpentiers, des
bewährten Franzosen, „Turmbau von Babel“
erregte geradewegs Staunen und der „Kampf
der Philosophie mit der Religion“ von einem
Deutschen, der erst nächstens seinen Namen
nennen wird, bot das Äußerste von massiver
Wirkung, das bisher dagewesen. Und die Auf'
führung war in grandiosem Stil gehalten.
Viele der entzückten Zuhörer wurden der
Reihe nach auf lyraförmigen Tragbahren
(das ist eine echt musikalische Neuerung
unserer Tage) aus dem Riesensaal getragen.
Die Tapfersten überstanden kleine Ohnmächten
und ließen sich von musikalisch gebildeten
Ärzten durch Injektionen und Inhalationen
stärken, um wieder in den Saal zurückkehren
zu können. Andere starben, von Krämpfen
zerrissen, denHeldentod des Musikenthusiasten.
Sie waren jedem Leitmotiv gefolgt und hatten
den Bau und tiefen Sinn der neuen Programm'
Symphonien vor dem Konzert auswendig ge'
lernt. Ruhm ihrem Andenken! — Die unge'
heueren Gefahren, denen alle Zuhörer und
gewiß nicht zuletzt der Leiter und die Musiker
bei dieser Musteraufführung ausgesetzt waren,
sind noch gar nicht allgemein bekannt. Unter
dem Podium verläuft das Hauptrohr des
ganzen Dampfbetriebes, der doch bei unseren
heutigen Anforderungen nicht zu missen ist.
Dynamiteies hat ja ins Orchester einen enormen
Dampfhammer eingeführt, der im Takt Holz
und Steine zerschmettert. Wie leicht kommt
da einer von den nahe sitzenden Zuhörern
oder Musikern zu Schaden, ganz abgesehen
von den kleinen explosiven Wirkungen, die
Dynamiteies in geschmackvoller Weise ein'
zustreuen versteht, die aber bei den Proben
einige Saaldiener und einen Unterkapellmeister
getötet haben. Der Hauptdirigent muß
während der Aufführung elektrische Ströme
von vielen tausend Volt (Teslasche Ströme)
durch sich laufen lassen, um die nötige
Spannung der Aufmerksamkeit zu erzielen.
Lichtbündel zucken um ihn. Eine kleine Ver'
wechslung in den vielen Schaltungen, die für
allerlei Betriebe im Konzertsaal nötig sind,
kann ihm den Tod bringen. Statt des Takt'
Stockes hält er einen Revolver neuester Art
in der Hand, der blinde Schüsse abgibt. Die
wichtigsten Einsätze werden durch Schüsse
in die Luft markiert. Weniger gefährlich ist
die sinnreiche Einführung, daß Unterdirigenten
von einem eigenen Apparat aus, den sie vor
sich haben, jedem einzelnen Musiker durch
eine elektrische Klingel die Einsätze bekannt
geben. Alles klappte vorzüglich bei der Auf'
führung und wir dürfen stolz behaupten:
Musik ist nicht mehr, wie früher, ein seelen'
loses Handwerk, um Geräusch zu machen,
sondern sie ist heute eine Kunst. Darum ist
es zu bedauern, daß gerade das Konzert, in
welchem das bisher Höchste geleistet worden,
durch eine Büberei einen lächerlichen Ab'
Schluß finden mußte. Das kam so: Die Luft-
schifflenker sind untereinander nicht immer
Gut'Freund. Hoch oben auf der großen Platt'
form vor dem Aeroportal der Musikhalle er'
warten die aufgereihten Luftfahrzeuge und
ihre Lenker das Ende der einzelnen Vor'
führungen, oder auch des ganzen Konzertes,
um ihre Herrschaften nicht lange warten zu
lassen. Unbemerkt, während des Dröhnens,
das aus der Halle heraufdringt, zwickt nun,
von Feindschaft gegen seinen Genossen ge'
trieben, ein Luftfiaker an dem Fahrzeug des
Konzertdirigenten herum. Sein Kollege soll
heute mit Schanden davonfahren. Sie wissen
doch, daß unsere Luftfahrzeuge das Ange'
zwicktwerden nicht vertragen. Die wichtigsten
Bestandteile sind die heikelsten; sie sind sehr
ingeniös gebaut. Wir gießen oder schmieden
heute aus spezifisch leichtem Metall HohL
körper, die kaum das Gewicht des Bambus
haben, aber große Widerstandsfähigkeit be-
weisen. Die Wände sind dünn, aber die Form
der Verspreizungen macht ein Knicken bei
gewöhnlicher Inanspruchnahme unmöglich.
Die Luft in den Hohlräumen ist aufs äußerste
verdünnt. Zwickt nun einer mit einer kräf-
tigen Stahlzange ein Loch in die Wand, so
dringt Luft ein und der gezwickte Bestandteil
wird merklich schwerer. Geschieht das Ali'
zwicken einseitig, so fliegt das Luftschiff nicht
mehr gerade, sondern es neigt sich ein wenig
zur Seite. So geschah es auch diesmal. Das
Ausflugsportal wird aufgerissen. Der Dirigent
kommt lorbeerüberladen heraus und besteigt
sein Fahrzeug. Das gewohnte Summen und
Sausen der Maschine. Der Wagen stößt ab.
Aber kaum verläßt er die Unterlage, so neigt
er sich links hin so bedenklich, daß Insasse
und Lenker luftkrank werden und Genossenes
in einer wenig zeremoniellen Weise von sich
geben. Schallendes Gelächter, Angstgekreische,
Rufe der Empörung. Die weihevolle Stimmung
nach der Musteraufführung war aber gestört.
So ist eben unsere Zeit.
Druck von Friedrich Jasper in Wien. — Klischees zum Teil von der Graphischen Union in Wien.
Preis dieses Heftes 3 K = 2 M. 50 Pf. — Für unverlangte Beiträge wird keine Bürgschaft geleistet.
- Nachdruck untersagt. -
BLÄTTER FÜR GEMÄLDEKUNDE.
Nr. 4 und 5
der Flöten Lokomotive Pfeifen eingeführt.
Schwächere, zarte Wirkungen vertraut man
noch den Pfeifchen der Tramway'Kondukteure
an; die geringe Tonfülle dieser niedlichen Ine
strumente hat es übrigens verschuldet, daß
ihre Anwendung schon merklich abflaut. Nun
aber zu unserer gestrigen Musteraufführung
der neuesten Programmsymphonien. Der
„Weltuntergang“ von dem jungen Griechen
Dynamiteies war großartig. Charpentiers, des
bewährten Franzosen, „Turmbau von Babel“
erregte geradewegs Staunen und der „Kampf
der Philosophie mit der Religion“ von einem
Deutschen, der erst nächstens seinen Namen
nennen wird, bot das Äußerste von massiver
Wirkung, das bisher dagewesen. Und die Auf'
führung war in grandiosem Stil gehalten.
Viele der entzückten Zuhörer wurden der
Reihe nach auf lyraförmigen Tragbahren
(das ist eine echt musikalische Neuerung
unserer Tage) aus dem Riesensaal getragen.
Die Tapfersten überstanden kleine Ohnmächten
und ließen sich von musikalisch gebildeten
Ärzten durch Injektionen und Inhalationen
stärken, um wieder in den Saal zurückkehren
zu können. Andere starben, von Krämpfen
zerrissen, denHeldentod des Musikenthusiasten.
Sie waren jedem Leitmotiv gefolgt und hatten
den Bau und tiefen Sinn der neuen Programm'
Symphonien vor dem Konzert auswendig ge'
lernt. Ruhm ihrem Andenken! — Die unge'
heueren Gefahren, denen alle Zuhörer und
gewiß nicht zuletzt der Leiter und die Musiker
bei dieser Musteraufführung ausgesetzt waren,
sind noch gar nicht allgemein bekannt. Unter
dem Podium verläuft das Hauptrohr des
ganzen Dampfbetriebes, der doch bei unseren
heutigen Anforderungen nicht zu missen ist.
Dynamiteies hat ja ins Orchester einen enormen
Dampfhammer eingeführt, der im Takt Holz
und Steine zerschmettert. Wie leicht kommt
da einer von den nahe sitzenden Zuhörern
oder Musikern zu Schaden, ganz abgesehen
von den kleinen explosiven Wirkungen, die
Dynamiteies in geschmackvoller Weise ein'
zustreuen versteht, die aber bei den Proben
einige Saaldiener und einen Unterkapellmeister
getötet haben. Der Hauptdirigent muß
während der Aufführung elektrische Ströme
von vielen tausend Volt (Teslasche Ströme)
durch sich laufen lassen, um die nötige
Spannung der Aufmerksamkeit zu erzielen.
Lichtbündel zucken um ihn. Eine kleine Ver'
wechslung in den vielen Schaltungen, die für
allerlei Betriebe im Konzertsaal nötig sind,
kann ihm den Tod bringen. Statt des Takt'
Stockes hält er einen Revolver neuester Art
in der Hand, der blinde Schüsse abgibt. Die
wichtigsten Einsätze werden durch Schüsse
in die Luft markiert. Weniger gefährlich ist
die sinnreiche Einführung, daß Unterdirigenten
von einem eigenen Apparat aus, den sie vor
sich haben, jedem einzelnen Musiker durch
eine elektrische Klingel die Einsätze bekannt
geben. Alles klappte vorzüglich bei der Auf'
führung und wir dürfen stolz behaupten:
Musik ist nicht mehr, wie früher, ein seelen'
loses Handwerk, um Geräusch zu machen,
sondern sie ist heute eine Kunst. Darum ist
es zu bedauern, daß gerade das Konzert, in
welchem das bisher Höchste geleistet worden,
durch eine Büberei einen lächerlichen Ab'
Schluß finden mußte. Das kam so: Die Luft-
schifflenker sind untereinander nicht immer
Gut'Freund. Hoch oben auf der großen Platt'
form vor dem Aeroportal der Musikhalle er'
warten die aufgereihten Luftfahrzeuge und
ihre Lenker das Ende der einzelnen Vor'
führungen, oder auch des ganzen Konzertes,
um ihre Herrschaften nicht lange warten zu
lassen. Unbemerkt, während des Dröhnens,
das aus der Halle heraufdringt, zwickt nun,
von Feindschaft gegen seinen Genossen ge'
trieben, ein Luftfiaker an dem Fahrzeug des
Konzertdirigenten herum. Sein Kollege soll
heute mit Schanden davonfahren. Sie wissen
doch, daß unsere Luftfahrzeuge das Ange'
zwicktwerden nicht vertragen. Die wichtigsten
Bestandteile sind die heikelsten; sie sind sehr
ingeniös gebaut. Wir gießen oder schmieden
heute aus spezifisch leichtem Metall HohL
körper, die kaum das Gewicht des Bambus
haben, aber große Widerstandsfähigkeit be-
weisen. Die Wände sind dünn, aber die Form
der Verspreizungen macht ein Knicken bei
gewöhnlicher Inanspruchnahme unmöglich.
Die Luft in den Hohlräumen ist aufs äußerste
verdünnt. Zwickt nun einer mit einer kräf-
tigen Stahlzange ein Loch in die Wand, so
dringt Luft ein und der gezwickte Bestandteil
wird merklich schwerer. Geschieht das Ali'
zwicken einseitig, so fliegt das Luftschiff nicht
mehr gerade, sondern es neigt sich ein wenig
zur Seite. So geschah es auch diesmal. Das
Ausflugsportal wird aufgerissen. Der Dirigent
kommt lorbeerüberladen heraus und besteigt
sein Fahrzeug. Das gewohnte Summen und
Sausen der Maschine. Der Wagen stößt ab.
Aber kaum verläßt er die Unterlage, so neigt
er sich links hin so bedenklich, daß Insasse
und Lenker luftkrank werden und Genossenes
in einer wenig zeremoniellen Weise von sich
geben. Schallendes Gelächter, Angstgekreische,
Rufe der Empörung. Die weihevolle Stimmung
nach der Musteraufführung war aber gestört.
So ist eben unsere Zeit.
Druck von Friedrich Jasper in Wien. — Klischees zum Teil von der Graphischen Union in Wien.
Preis dieses Heftes 3 K = 2 M. 50 Pf. — Für unverlangte Beiträge wird keine Bürgschaft geleistet.
- Nachdruck untersagt. -