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BLÄTTER FÜR GEMÄLDEKUNDE.
Nr. 6 und 7
Diese Inschrift teilt uns also mit,
daß Francesco Marcolini im Alter von
18 Jahren in der Kapelle (in der das
Bild noch heute sich befindet) den Altar
(mit dem Bilde des Jan Lys) hat er-
richten lassen und daß derselbe Stifter
1623 im Alter von 24 Jahren die wei-
tere Ausschmückung der Kapelle ange-
ordnet hat. Wenn Marcolini im Jahre
1623 24 Jahre alt war, so schrieb man,
als er 18 Jahre alt war, 1617.
Die jetzige Benennung des Altar-
bildes, sowie die gütige Vermittlung
einiger photographischer Aufnahmen
des Altars mit und ohne Inschrifttafel
werden der Güte des Herrn Sindaco
von Fano Alessandro Mariotti ver-
dankt.
Gegenstand der Darstellung ist die
Auferweckung der Thabita durch Petrus
zu Joppe, wie sie in den Actus Aposto-
lorum (IX, 36 und 40) erzählt wird. Was
sich auch aus anderen religiösen Dar-
stellungen des Jan Lys ableiten läßt,
trifft auch für diesen Fall zu, nämlich
das geringere Geschick für ernste wür-
dige Darstellungen, in Vergleichung
mit dem Feuer und der Geschicklich-
keit, die Lys im Sittenbilde entwickelt.
Das Staunen der jungen Frau im Mittel-
gründe rechts ist z. B. durch die aus-
gespreiteten zehn Finger doch etwas
sonderbar und unmalerisch ausgedrückt.
Die Fingerstellung der Hand und die
Armhaltung des Petrus sind zwar nicht
akademisch fade, dafür aber auch so
wenig bedeutsam, daß sie nicht gerade
als Vorzüge des Werkes gelten könnten.
Die Anordnung geht auf ein Gleichge-
wicht der Massen aus, das sogar etwas
vordringlich betont ist. Die Erfindung
der Gruppen ist zweifellos etwas schwach
und die Charakteristik der Szene ist
nicht deutlich gegeben. Petrus hat sicher
die Auferweckung schon vollzogen.
Trotzdem hält er noch immer den Arm
empor. Die Aufmerksamkeit der Um-
stehenden ist nur zum Teile auf die
Hauptpersonen, d. h. auf die erwachende
Thabita und auf Petrus gerichtet, also
nicht psychologisch wahrscheinlich und
nicht künstlerisch zusammengefaßt, son-
dern in mannigfacher Weise zerstreut,
wie man das aus den verschiedenen
Blickrichtungen entnehmen muß. Über
die Färbung, die vielleicht höchst inter-
essant ist, kann ich mich nicht äußern,
da ich das Gemälde in Fano nur nach
der Photographie kenne. Die Farbe sei
nun wie immer. Bilder dieser Art würden
uns von der Kunststufe des Jan Lys
eine unrichtige Vorstellung geben. Wie
Sandrart zutreffend bemerkt hat, lag die
Hauptstärke des Meisters im Sittenbilde.
Deshalb wurden auch die Genrestücke
zuerst besprochen.
(Wird fortgesetzt.)
DAS BILDNIS DES GRAFEN
JOSEF FRIES VON
ANGELICA KAUFFMANN.
Von Jahr zu Jahr werden Studien
über alte Kunst verwickelter. Es wird
so viel geschrieben, veröffentlicht auf
allen Gebieten, daß wissenschaftliche
Aufnahme und Verarbeitung des un-
bändig anwachsenden Materiales nur
mehr in kleinen Fächern vollständig
möglich ist. Nicht wenig verknotet er-
weist sich das Material besonders dann,
wenn es sich um Kunstwerke und
Kunstleute aus weitbekannten Kreisen
handelt, etwa aus den Kreisen der Re-
naissance, nicht zuletzt bei Dingen aus
Goethes Kreisen und bei Bildern von
Goethes Angelica. Nach allen erdenk-
lichen Richtungen spannen sich die
Fäden ins Unendliche, und ein Ab-
schluß ist nur zu finden, wenn kräftigst
durchschnitten wird. Wie brutal ist das
eigentlich. Doch wird’s zur Notwendig-
keit, wenn nicht über jedes Bild ein
dickes Buch geschrieben werden soll,
BLÄTTER FÜR GEMÄLDEKUNDE.
Nr. 6 und 7
Diese Inschrift teilt uns also mit,
daß Francesco Marcolini im Alter von
18 Jahren in der Kapelle (in der das
Bild noch heute sich befindet) den Altar
(mit dem Bilde des Jan Lys) hat er-
richten lassen und daß derselbe Stifter
1623 im Alter von 24 Jahren die wei-
tere Ausschmückung der Kapelle ange-
ordnet hat. Wenn Marcolini im Jahre
1623 24 Jahre alt war, so schrieb man,
als er 18 Jahre alt war, 1617.
Die jetzige Benennung des Altar-
bildes, sowie die gütige Vermittlung
einiger photographischer Aufnahmen
des Altars mit und ohne Inschrifttafel
werden der Güte des Herrn Sindaco
von Fano Alessandro Mariotti ver-
dankt.
Gegenstand der Darstellung ist die
Auferweckung der Thabita durch Petrus
zu Joppe, wie sie in den Actus Aposto-
lorum (IX, 36 und 40) erzählt wird. Was
sich auch aus anderen religiösen Dar-
stellungen des Jan Lys ableiten läßt,
trifft auch für diesen Fall zu, nämlich
das geringere Geschick für ernste wür-
dige Darstellungen, in Vergleichung
mit dem Feuer und der Geschicklich-
keit, die Lys im Sittenbilde entwickelt.
Das Staunen der jungen Frau im Mittel-
gründe rechts ist z. B. durch die aus-
gespreiteten zehn Finger doch etwas
sonderbar und unmalerisch ausgedrückt.
Die Fingerstellung der Hand und die
Armhaltung des Petrus sind zwar nicht
akademisch fade, dafür aber auch so
wenig bedeutsam, daß sie nicht gerade
als Vorzüge des Werkes gelten könnten.
Die Anordnung geht auf ein Gleichge-
wicht der Massen aus, das sogar etwas
vordringlich betont ist. Die Erfindung
der Gruppen ist zweifellos etwas schwach
und die Charakteristik der Szene ist
nicht deutlich gegeben. Petrus hat sicher
die Auferweckung schon vollzogen.
Trotzdem hält er noch immer den Arm
empor. Die Aufmerksamkeit der Um-
stehenden ist nur zum Teile auf die
Hauptpersonen, d. h. auf die erwachende
Thabita und auf Petrus gerichtet, also
nicht psychologisch wahrscheinlich und
nicht künstlerisch zusammengefaßt, son-
dern in mannigfacher Weise zerstreut,
wie man das aus den verschiedenen
Blickrichtungen entnehmen muß. Über
die Färbung, die vielleicht höchst inter-
essant ist, kann ich mich nicht äußern,
da ich das Gemälde in Fano nur nach
der Photographie kenne. Die Farbe sei
nun wie immer. Bilder dieser Art würden
uns von der Kunststufe des Jan Lys
eine unrichtige Vorstellung geben. Wie
Sandrart zutreffend bemerkt hat, lag die
Hauptstärke des Meisters im Sittenbilde.
Deshalb wurden auch die Genrestücke
zuerst besprochen.
(Wird fortgesetzt.)
DAS BILDNIS DES GRAFEN
JOSEF FRIES VON
ANGELICA KAUFFMANN.
Von Jahr zu Jahr werden Studien
über alte Kunst verwickelter. Es wird
so viel geschrieben, veröffentlicht auf
allen Gebieten, daß wissenschaftliche
Aufnahme und Verarbeitung des un-
bändig anwachsenden Materiales nur
mehr in kleinen Fächern vollständig
möglich ist. Nicht wenig verknotet er-
weist sich das Material besonders dann,
wenn es sich um Kunstwerke und
Kunstleute aus weitbekannten Kreisen
handelt, etwa aus den Kreisen der Re-
naissance, nicht zuletzt bei Dingen aus
Goethes Kreisen und bei Bildern von
Goethes Angelica. Nach allen erdenk-
lichen Richtungen spannen sich die
Fäden ins Unendliche, und ein Ab-
schluß ist nur zu finden, wenn kräftigst
durchschnitten wird. Wie brutal ist das
eigentlich. Doch wird’s zur Notwendig-
keit, wenn nicht über jedes Bild ein
dickes Buch geschrieben werden soll,