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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0032

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28

Die Bildhauer.

tischen Kanon gearbeitet gewesen wären, der jede Form nach ihrem relativen
Maasse fest bestimme. So berichteten ihm die aegyptischen Priester; er selbst
hatte das Werk nicht gesehen: slvai ö' ccvto "kkyovai v.ara ro nheXorov Tiaoe/iqnfp£g
Tolg sliyvnTloiGi un(J seine Gewährsmänner aller Wahrscheinlichkeit nach eben
so wenig. Nehmen wir dazu die innere Unwahrscheinlichkeit, um nicht zu
sagen, Unmöglichkeit des beschriebenen Verfahrens, so sind wir gewiss zu der
Frage berechtigt, ob der ganzen Erzählung nur irgend etwas Wahres zu Grunde
liege. Dass das Bild rag fiev /sipag i'/ov jrapar£ra/i£i>ag, ra äe ov.iXi] diape-
i3?;xöra gebildet sein sollte, genügt zum Beweise aegyptischen Ursprungs noch
keineswegs. Wir sehen daraus nur, dass es in alterthümlich strenger Weise
gefasst war, woran auch sonst niemand zweifeln würde: etwa in der Weise des
Apollo von Tenea (Mon. den" Inst. IV, t. 44).

Nehmen wir alle diese Nachrichten zusammen, so sind wir allerdings nicht
im Stande, aus ihnen einen bestimmten Styl dieser Künstler nachzuweisen.
Wohl aber müssen die bedeutenden technischen Fortschritte unsere Aufmerk-
samkeit auf sich ziehen, durch die Theodoras noch mehr als Rhoekos seinen
Ruhm begründet hat. Ihm legt Plinius (7, 198) noch ausdrücklich die Er-
findung des Winkelmaasses, der Richtwage, der Drehbank, des Schlüssels bei.
Den Nutzen der Drehbank erprobte er bei den Säulen des Labyrinths. Glän-
zend beseitigte er die localen Hindernisse bei der Anlage des ephesischen Tem-
pels. Eigentümlichkeit verräth auch die Skias in Sparta. Endlich ist wohl
die Nachricht, dass er über den Tempel der Hera zu Samos geschrieben habe,
nicht gänzlich zu verwerfen, wenn auch immerhin seine Aufzeichnungen nicht
mehr, als eine Art Grundriss nebst Angabe der Verhältnisse und Maasse in
Zahlen enthalten haben mögen. In dieser Ausdehnung ist aber eine schrift-
liche Ueberlieferung für die Entwickelung und gleichmässige Fortbildung einer
Kunst, die nicht, wie die Sculptur, von einfacher Nachahmung der Natur aus-
geht, sondern für ihre Zwecke erst die Formen erfinden muss, selbst in so alter
Zeit mit Notwendigkeit vorauszusetzen. Wir betrachten daher Theodoras als
den ersten uns bekannten Künstler, der, wenn auch zunächst zu durchaus
praktischen Zwecken, seine eigenen Erfahrungen den nachfolgenden Künstlern
durch schriftliche Aufzeichnung nutzbar zu machen gesucht hat (vgl. unten in
dem Abschnitt über die Architekten).

Bewundernswerth erscheint es ferner an Theodoras, wenn er nicht minderen
Ruhm, als durch seine architektonischen Werke, auch durch Metallarbeit er-
wirbt. Die verschiedenen von einander unabhängigen Erwähnungen lassen keinen
Zweifel darüber, dass er hier im Kleinsten und Feinsten, wie im Grossen gleich
gewandt war. Es wird dadurch nicht unwahrscheinlich, dass bei der Erfindung
des Erzgusses das Hauptverdienst ihm gebührt. Dieser Fortschritt aber ist bei
weitem der wichtigste, welchen die griechische Kunst den beiden Samiern ver-
dankt; seine Bedeutung zeigt sich sehr bald durch den Erfolg; denn während
die ältere Art der Metallbearbeitung, durch Treiben, Löthen. Niethen, wenigstens
für künstlerische Zwecke immer mehr ausser Anwendung kommt, linden wir
im Beginn der nächsten Epoche die Kunst des Erzgusses über ganz Griechen-
land verbreitet. In Samos selbst hatten indessen Theodoras und Rhoekos keine
Nachfolger von Bedeutung. Wir wenden uns daher nach einer benachbarten
 
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